Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Novelle“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 12 (1888), Seite 270
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Novelle. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 12, Seite 270. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Novelle (Version vom 05.09.2021)

[270] Novelle (ital., „Neuigkeit“), diejenige epische Dichtungsform, welche, wie der Roman (s. d.), ein natürliches Geschehen als wunderhaft darstellt und dadurch sowohl zum Märchen (s. d.), welches ein wunderbares Geschehen als natürlich erscheinen lassen will, wie zum Epos (s. d.), welches ein Wunderbares als wunderbar, und zur Erzählung (s. d.), welche ein Natürliches als natürlich darstellt, im Gegensatz steht. Die N. unterscheidet sich vom Roman durch den Umstand, daß sie nur eine einzige, der Roman eine ganze Aufeinanderfolge von Begebenheiten darstellt, daher der „romanhafte“ Schein bei der N. durch die Beschaffenheit dieser einzelnen dargestellten Begebenheit selbst erweckt werden muß, während er im Roman auch durch die (romanhafte) Beschaffenheit der Aufeinanderfolge an sich natürlich erscheinender Begebenheiten geweckt werden kann. Die dargestellte Begebenheit muß „neu“ (auffällig, unerhört, wunderlich und daher scheinbar unnatürlich) entweder durch die in ihr enthaltene Situation (Situationsnovelle) oder durch die in ihr auftretenden Charaktere (Charakternovelle) sein. Durch die Beschränkung auf eine einzige Begebenheit ist die N. dem Drama, wie der Roman als Darstellung einer ganzen Reihe von Begebenheiten dem Epos, verwandt. Dramatiker, wie Shakespeare, Calderon, haben daher ihre Dramenstoffe nicht selten aus Novellen (z. B. „Romeo und Julie“) entlehnt oder sind, wie H. v. Kleist, Fr. Hebbel, Halm u. a., zugleich Novellisten gewesen. Meister der N. sind: Boccaccio („Il Decamerone“) und Bandello, später Tommaso G. Masuccio und G. Franc. Straparola in Italien; Don Juan Manuel und vornehmlich Cervantes in Spanien; die Königin Margarete von Navarra, Scarron, Marmontel und Voltaire in Frankreich; unter den Deutschen Goethe, Tieck, H. v. Kleist, H. Steffens, P. Heyse, F. Halm, Storm, K. Ferd. Meyer, Gottfried Keller u. a. Eine Auswahl italienischer, spanischer, französischer, englischer und deutscher Novellen enthält E. v. Bülows „Novellenbuch“ (Leipz. 1834–36, 4 Bde.). Außerdem gaben A. v. Keller einen „Italienischen Novellenschatz“ (Leipz. 1851–52, 6 Bde.), Paul Heyse mit H. Kurz einen „Deutschen Novellenschatz“ (Münch. 1870–76, 24 Bde.) und „Novellenschatz des Auslandes“ (das. 1872–74, 14 Bde.) sowie mit Laistner einen „Neuen deutschen Novellenschatz“ (das. 1884 ff.) heraus.