Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Rädertiere“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 538
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Rädertiere. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 538. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:R%C3%A4dertiere (Version vom 09.12.2023)

[538] Rädertiere (Rotatoria, Rotiferi), Klasse der Würmer, mikroskopisch kleine Wassertiere. Man unterscheidet an ihnen den die gesamten Eingeweide einschließenden Vorderleib und den fußartigen Hinterleib, der meist mit zwei zangenartig gegenüberstehenden Borsten oder Stielen endet und teils zur Befestigung, teils zur Bewegung dient. Am Kopfende befindet sich ein einziehbarer Wimperapparat (das sogen. Räderorgan), der in Thätigkeit wie ein rotierendes Rad aussieht und zur Herbeistrudelung der Nahrung dient. Vom Rücken aus läuft eine zweite Reihe sehr zarter Flimmercilien an beiden Seiten zu der Mundöffnung herab und leitet durch ihre Bewegungen die vom Räderorgan gesammelten festen Teilchen in den Mund. Die Verdauungsorgane bestehen aus einem Schlundkopf mit eigentümlichem Kieferapparat, einer engen Schlundröhre, einem bewimperten Chylusdarm und Enddarm. Ein besonderes Blutgefäßsystem fehlt ebenso wie der Atmungsapparat; letzterer wird durch die gesamte Haut ersetzt. Das Nervensystem besteht aus einem über dem Schlund gelegenen Ganglion und den davon ausstrahlenden Nerven; von Sinnesorganen sind Augen und wahrscheinlich Tastorgane vorhanden. Die Exkretionsorgane werden von zwei langen Kanälen, welche einerseits mit der Leibeshöhle, anderseits mit dem Enddarm in Verbindung stehen, gebildet. Die R. sind getrennten Geschlechts; die Männchen sind viel kleiner als die Weibchen, von abweichender Körperform und ohne Darm. Sie verlassen völlig ausgebildet das Ei, nehmen keine Nahrung ein und leben nur kurze Zeit. Die Weibchen erzeugen, wohl immer parthenogenetisch, dünnschalige Sommereier, aus welchen die Männchen hervorgehen, und befruchtete dickschalige Wintereier. Die Entwickelung verläuft ohne oder mit unbedeutender Metamorphose. Die R. bewohnen meist das süße Wasser, schwimmen frei umher oder legen sich mittels des zweizangigen Fußendes an festen Gegenständen vor Anker. Einige leben in Gallerthülsen und zarten Röhren, andre stecken mit ihrem Fußende in einer gemeinsamen Gallertkugel und sind zu einer schwimmenden Kolonie vereinigt, wenige leben parasitisch. Von Ehrenberg wurden sie mit den Infusorien zusammengeworfen, weil sie gleich diesen mikroskopisch klein sind und sich gewöhnlich in Gemeinschaft mit ihnen vorfinden. In neuerer Zeit hat man sie auch wohl zu den Arthropoden (Gliederfüßlern) gestellt, rechnet sie jedoch jetzt allgemein zu den Würmern. Vgl. Ehrenberg, Die Infusionstierchen als vollkommene Organismen (Leipz. 1838); Leydig, Bau und Stellung der R. („Zeitschr. für wissenschaftl. Zoologie“, Bd. 6, 1854).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 695
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[695] Rädertiere. Über die systematische Stellung der R. herrschen noch sehr verschiedenartige Meinungen. Neuerdings wird vorgeschlagen, sie als verbindende Glieder zwischen Würmern und Krustentieren aufzufassen. Einzelne Arten der R. gehören zu den typischen, manchmal massenhaften Erscheinungen der Süßwasserfauna. Diese Arten haben zugleich eine außerordentlich weite Verbreitung, sie sind nahezu kosmopolitisch und in fast allen Gebieten gefunden worden, deren Süßwasserfauna durchfischt ist, sowohl in der Schweiz als in Deutschland, in Armenien, in Grönland und auf den Azoren, zugleich finden sich etliche von diesen Arten unter der pelagischen Fauna der Ostsee und nicht minder aber auch in sehr hoch (2640 m) gelegenen Alpenseen. Einige Arten sind auch charakteristische Mitglieder der grundbewohnenden Fauna der Süßwasserbecken. Unter den Rädertieren erfreuen sich besonders die Philodiniden großer Zähigkeit. Sie umgeben sich bei Trockenheit mit einer schützenden Hülle und können noch nach Monaten durch Wasserzusatz wieder zum Leben gebracht werden. Ebenso vertragen diese R. Kälte bis zu −20° und eine kurze Einwirkung von Wasser von +70°. Diese Lebenszähigkeit kommt aber nur bei den Philodiniden vor, denn Versuche mit andern Rädertieren ergaben, daß sie beim Austrocknen stets zu Grunde gehen und nur die Eier überleben. Solche Philodiniden finden sich auf europäischen Lebermoosen im Winkel zwischen Ober- und Unterlappen der Blätter, wo sie als Raumparasiten leben und wahrscheinlich die Lebermoose von Nostoc und andern parasitären Algen befreien. Ähnlich lebt eine marine Rädertierform (Discopus synaptae) als Raumparasit und nicht, wie man früher glaubte, als Schmarotzer in kleinen Grübchen der Haut der Holothurie Synapta.