Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Quellenkultus“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 511512
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Quellenkultus. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 511–512. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Quellenkultus (Version vom 30.11.2023)

[511] Quellenkultus (Quellendienst), die gewöhnlichste und weitverbreitetste Form der Verehrung des Wassers als segenspendenden Elements an seinem Ursprung. Auch da, wo einem Fluß mit langem Lauf der Kultus galt, wurde derselbe meist an seine Quelle verlegt, wie denn der Flußgott durch das nie fehlende Attribut der Urne, aus der das Wasser entströmt, stets als Personifikation der Quelle dargestellt wurde. Aber auch sonst widmeten fast alle Völker in ihrer mythischen Periode gewissen Quellen, sei es ihrer heilkräftigen oder vermeintlich begeisternden Wirkung wegen, einen besondern Kultus und pflegten dabei zu erzählen, daß diese Quellen von bestimmten Gottheiten zu Heil und Nutzen der Menschen erzeugt worden seien. Die Erzeugung der Wahrsagequellen wurde in Griechenland vorzugsweise dem Apollon, die der warmen Heilquellen meist dem Herakles zugeschrieben, und wie die Musenquelle am Parnaß durch den Huf des Pegasos eröffnet worden sein sollte und danach den Namen Hippokrene erhielt, so zeigte man auch in Deutschland verschiedene solcher Roßquellen, deren erste Erzeugung man einem Hufschlag vom Streitroß Odins oder Karls d. Gr. zuschrieb. Besonders viele heilige Quellen im Norden scheinen aber dem nordischen Apollon, Balder, zugeschrieben worden zu sein, wie die mancherlei Pholesbrunnen, Phulsborne, Fals- und Baldebrunnen [512] andeuten. Bei den Griechen war der heilige Quell gewöhnlich schön eingefaßt und oftmals, wie z. B. die Poseidonquelle im Erechtheion auf der Akropolis, in den Tempelbau eingeschlossen oder doch mit einem Brunnenhaus oder einer Nische überwölbt. Der Kultus bestand in Bekränzungen des Beckens und in Anrufungen an den Spender des Quells und an die Nymphen oder Musen, welche als die Pflegerinnen des Quells gedacht waren, die ihm die Erdkräfte zuführten, welche man als die Ursache der begeisternden und heilenden Wirkungen des Wassers ansah. Darauf folgte der Trank des heiligen Wassers, den zu Delphi bloß die Priesterin allein nahm. Zu den meisten alten Tempeln gehörten solche heilige Quellen, und einzelne, wie z. B. die am Demetertempel zu Paträ, dienten auch in der Weise zur Erforschung der Zukunft, daß man diese im Wasserspiegel des Quells zu erkennen glaubte. Den Dank für die vom heiligen Quell empfangene Wahrsagung oder Heilung drückte man außer durch Spenden an Tempel und Priester namentlich durch Münzen und Weihgeschenke aus, die man in den Brunnenkessel warf. Manche solcher alten Quellenschächte, wie die zu Wiesbaden, Schlangenbad und besonders die von Baden, Biel, Leuk, Niederbronn im Elsaß etc., sind wahre Fundgruben solcher Überbleibsel des alten Q. Eine besondere Art von Q. fand an den jetzt versiegten heißen Springquellen (Geisern) mehrerer Orte Kleinasiens und Siziliens statt. Sie galten als Heiligtümer der Paliken (s. d.), und Leute, die sich durch einen Eid zu reinigen hatten, wurden an den Springkessel geführt, um dort zu opfern und den Rächer des Meineids anzurufen. Das deutsche Altertum besaß eine besondere Brunnengöttin (Frau Holda), aus deren Brunnen nach der Volkssage die kleinen Kinder kamen, und die in der Schweiz dann in die heil. Verena umgewandelt wurde, zu deren Kinderbrunnen noch bis in die Neuzeit gewallfahrtet wurde. Auch sonst hat das Christentum, dem ja durch das Sakrament der Taufe die reinigende und heiligende Kraft, welche die Heiden den Quellen zuschrieben, annehmbar war, allem Anschein nach dergleichen heilige Quellen übernommen; wenigstens schließen zahlreiche alte Dome und Wallfahrtskirchen solche ein. Bei der Begründung neuer Wallfahrtskirchen, wie z. B. der von Lourdes und La Salette, bestand der erste Akt stets in der Auffindung einer neuen Wunderquelle, welche die Madonna oder sonst eine Heilige erzeugt haben sollte, und neben oder über welcher dann die Kirche errichtet wurde. Überbleibsel des alten Q. finden sich noch an manchen Orten Englands, der Schweiz und in den Rheingegenden (Bacharach), wo die Brunnen an bestimmten Tagen bekränzt werden und Blumenopfer erhalten. Vgl. Runge, Der Quellkultus in der Schweiz (Zürich 1859).