Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Puschkin“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 472473
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Puschkin. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 472–473. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Puschkin (Version vom 09.02.2024)

[472] Puschkin, Alexander Sergejewitsch, der bedeutendste russ. Dichter, geb. 26. Mai (a. St.) 1799 zu Moskau, erhielt seine Erziehung im kaiserlichen Lyceum zu Zarskoje Selo und erwarb sich schon in einem Alter von 15 Jahren durch das Gedicht „Erinnerungen an Zarskoje Selo“ einen Namen. 1817 bei dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten angestellt, beschäftigte er sich in Petersburg mit Geschichte und klassischer Litteratur, besonders aber mit dem Studium der Werke Byrons, die einen bestimmenden Einfluß auf ihn ausübten. Einige zu freie Gedichte sowie noch viel mehr zu freie Reden bewirkten 1820 seine Versetzung zur Kanzlei der Statthalterschaft in Bessarabien, von wo er später als Attaché zu dem Grafen Woronzow, Statthalter von Odessa, kam. Das Leben in den wilden und poetischen Gegenden Südrußlands war aber gerade für die Entwickelung seines Genius besonders günstig, viel mehr, als es je die Hauptstadt gewesen wäre. Er lernte Volkssitte und Volkspoesie an der Quelle kennen, vertiefte sich in die nationalen Traditionen und entnahm denselben den Stoff zu seiner ersten größern Schöpfung, der in Ariosts Manier gehaltenen poetischen Erzählung „Rußlan und Ludmilla“ (Petersb. 1822), welche die alte Heldenzeit Rußlands in Kiew verherrlicht und schon deutlich das Streben kundgibt, die ausländische Romantik mit dem einheimischen Volkstümlichen zu verbinden. Bald darauf folgten: „Kawkázskij Plehnnik“ („Der Gefangene der Berge“), eine kaukasische Szene (Petersb. 1823; deutsch von Wulfert, das. 1824, und von Seubert in Reclams „Universalbibliothek“), und „Baktschissaráiskij fontán“ („Die Quelle von Baktschisarai“, Mosk. 1824), eine tatarische Erzählung, wie die frühern Dichtungen reich an großen Schönheiten. Im J. 1824 wurde P. wegen der vielfach in Odessa umlaufenden, von ihm verfaßten Epigramme auf den Grafen Woronzow auf Befehl des Kaisers Alexander I. „wegen schlechten Benehmens“ aus den Listen des Ministeriums des Auswärtigen gestrichen und auf sein väterliches Gut Michailowskoje im Gouvernement Pskow verwiesen, wo er unter polizeiliche Aufsicht des Gouverneurs, des Adelsmarschalls und des Archimandriten des nächstgelegenen Klosters gestellt wurde. Diese Verbannung dauerte glücklicherweise nicht lange. Kaiser Nikolaus rief den Dichter bei Gelegenheit seiner Krönung in Moskau zurück, [473] ernannte ihn zu einem der Historiographen des Reichs und ließ ihm die Archive öffnen. Das erste Werk, welches P. nach seiner Rückkehr in das vornehmere Leben veröffentlichte, war „Eugen Onegin“ (Petersb. 1826; deutsch von Seubert in Reclams „Universalbibliothek“), ein Roman in Versen im Genre von Byrons „Don Juan“ und sein Hauptwerk, in welchem er seine ganze Kraft und Kunst entfaltete. Es erzählt das Leben eines „Blasierten“ der damaligen russischen Gesellschaft und entwirft eine meisterhafte Schilderung des Gesellschaftslebens und der sozialen Typen Rußlands, durchwoben von gedankenreichen Betrachtungen und scharfen satirisch-humoristischen Ausfällen. Von poetischen Erzählungen erschienen ferner: „Zygane“ („Die Zigeuner“), wild und phantastisch; „Brátja-rasboínikí“ („Die Räuberbrüder“); „Poltawa“, worin ein Byronscher Held, Mazeppa, in eigentümlicher Beleuchtung vorgeführt wird; „Graf Nulin“; das anmutige „Märchen von Silvan, Harald und der Schwanenprinzessin“ u. a. Erschien P. in allen diesen Dichtungen von Byron beeinflußt, so that er einen beachtenswerten Schritt zur poetischen Selbständigkeit in seinem Drama „Boris Godunow“ (Petersb. 1831; deutsch von Löwe, Hildburgh. 1868), einem großartig, aber zu breit angelegten dramatischen Gemälde aus der Geschichte Rußlands, dessen Vollendung jedoch sein früher Tod verhinderte. Seit 1831 dauernd in Petersburg wohnhaft, begann er hier die Ausarbeitung einer „Geschichte Peters d. Gr.“; eine andre Frucht seiner geschichtlichen Studien war die „Geschichte der Verschwörung Pugatschews“ (Petersb. 1834; deutsch, Stuttg. 1840). Auch treffliche Novellen in Prosa erschienen von ihm: „Kapitánskaja Dotschka“ („Die Kapitänstochter“, deutsch von Lange in Reclams „Universalbibliothek“) und „Dubrówin“. P. starb 29. Jan. (a. St.) 1837, wenige Jahre nach seiner Verheiratung, an den Folgen eines Duells mit Baron Heeckeren, einem jungen Fant, der die Schwester der Frau Puschkins heiraten sollte, aber Puschkins Frau auffallend den Hof machte. P. ist der Schöpfer der neuern romantischen Dichtersprache Rußlands und noch heute der Liebling seines Volkes. Im J. 1880 wurde ihm in seiner Geburtsstadt ein Denkmal errichtet, 1884 ein zweites in Petersburg. Gesamtausgaben seiner Werke erschienen 1839–41 in 12 Bänden (neue Aufl., hrsg. von Annenkow, mit umfassender Biographie des Dichters, Petersb. 1854–57, 7 Bde.) und 1880–81. Übersetzungen seiner „Poetischen Werke“ lieferten Bodenstedt (Berl. 1854–55, 3 Bde.), Schmitt (Wiesb. 1873) u. Ascharin (2. Aufl., Reval 1885). Die Briefe Puschkins erschienen in verschiedenen Zeitschriften. Eine kürzere Biographie des Dichters gab neuerdings W. Stojunin (Petersb. 1881) heraus.