Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Pharmazīe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 12 (1888), Seite 987988
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Pharmazīe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 12, Seite 987–988. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Pharmaz%C4%ABe (Version vom 31.01.2022)

[987] Pharmazīe (v. griech. phármakon, Arznei-, Heilmittel), die Kunst der Anfertigung von Heilmitteln, insbesondere der Ausführung ärztlicher Rezepte. Der deutsche Sprachgebrauch versteht unter P. nicht die Apotheke, sondern ganz allgemein die praktische und wissenschaftliche Thätigkeit des Apothekers; der letztere Name bezeichnet den examinierten ausübenden Apotheker, während sich der Ausdruck Pharmazeut auch auf die angehenden Fachgenossen bezieht. Bei den Franzosen und auch in Nordamerika hingegen bedeutet P. (pharmacy) nicht nur die Summe der zur Führung einer Apotheke erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, sondern auch die Apotheke selbst, und Pharmacien heißt in Frankreich, Pharmacist [988] in Amerika der ausübende Apotheker. Die P. als gleichzeitig praktisches und wissenschaftliches Fach, an dessen gewissenhafter und regelrechter Ausübung die Gesellschaft das höchste Interesse hat, setzt einen entsprechenden Bildungsgang des Pharmazeuten voraus, welcher in den meisten Kulturstaaten gesetzlich vorgeschrieben ist und durch ein öffentliches Examen nachgewiesen werden muß. Derselbe beginnt mit einer praktischen Lehrzeit, begreift eine angemessene Dienstzeit in Apotheken und wird mit theoretischen Studien und praktischen Übungen an Universitäten, polytechnischen Schulen oder auch an besondern Fachschulen beendigt; in Deutschland gibt es keine eignen abschließenden Lehranstalten für P. in dem Sinn wie z. B. in Paris, Montpellier und Nancy. Die für das Studium der P. gültigen Vorschriften des Deutschen Reichs (vom 5. März 1875) verlangen im wesentlichen folgendes: die Befähigung zum einjährigen Militärdienst, mit Inbegriff des Latein; dreijährige oder für Abiturienten von Gymnasien oder Realschulen erster Ordnung zweijährige Lehrzeit in einer Apotheke, Prüfung vor einer Fachkommission; drei Jahre Dienstzeit in Apotheken, wovon wenigstens 1½ in Deutschland; mindestens drei Semester Studium an Universitäten oder an den polytechnischen Schulen zu Braunschweig, Karlsruhe, Stuttgart. Das in mehrere Stationen zerfallende Staatsexamen dokumentiert nur die Befähigung zur Führung einer Apotheke, verleiht aber noch nicht das Recht dazu. Hat der Apotheker eine Apotheke gekauft, durch Konzession erhalten, in Pachtung oder Administration genommen, so bleibt er der Oberaufsicht des Staats, der Apothekerordnung, den Bestimmungen der Medizinalverwaltung und der Taxe unterworfen. Im Besitz der nötigen Fachkenntnisse, war der Apotheker ein hervorragender Vertreter der Naturwissenschaft zu einer Zeit, als dieselbe noch wenig verbreitet war. Tüchtige Pharmazeuten, besonders in Deutschland und Frankreich, haben sich bis in die neuere Zeit in nicht unerheblicher Zahl zu ausgezeichneten theoretischen oder praktischen Chemikern und Botanikern aufgeschwungen. Bei der gewaltigen Entwickelung der Naturwissenschaft in neuester Zeit mußte in dieser Hinsicht die Bedeutung der P. als einer Art Vorschule der Naturwissenschaft notwendig in den Hintergrund treten. Umgekehrt hat seither z. B. die Pharmakognosie von seiten der Botanik, die pharmazeutische Chemie von der modernen Chemie die mächtigsten Anregungen empfangen. Von durchgreifendstem Einfluß auf die P. als Fach ist die Stellung der Apotheke (s. d.) im Leben. In Deutschland namentlich war diese in früherer Zeit geradezu eine privilegierte, während die Gegenwart mehr dazu neigt, sie des besondern staatlichen Schutzes zu entkleiden. (Vgl. Böttger, Die deutsche Apothekenreformbewegung der letzten Jahrzehnte, Bunzl. 1876) Sind schon diese Umstände nicht zu besonderer Hebung des Apothekerstandes angethan, so wird die P. nicht weniger beeinflußt durch die Entwickelung der Medizin, welche heute so vielfach ihre Ziele mit ganz andern Mitteln zu erreichen weiß als solchen, welche die P. liefert. Aus derartigen Gründen, und weil es den examinierten Pharmazeuten sehr schwer fällt, eine selbständige Stellung zu erlangen, ist wenigstens in Deutschland der Zugang zu dem Fach der P. nicht in Zunahme begriffen.

Die P. hat eine nicht unbedeutende Litteratur aufzuweisen, welche der Natur der Sache nach weniger in zusammenfassenden Lehrbüchern und Handbüchern besteht als in Zeitschriften und Jahresberichten. In ersterer Richtung (s. auch Pharmakognosie) sind hervorzuheben: Henkel, Städel und Jäger, Elemente der P. (Leipz. 1870–74, 3 Tle.); Mohr, Lehrbuch der pharmazeutischen Technik (3. Aufl., Braunschweig 1866); Derselbe, Rezeptierkunst (Hamb. 1854); Hager, Handbuch der pharmazeutischen Praxis (5. Abdr., Berl. 1886 ff., 3 Bde.), und andre Schriften desselben Verfassers; Beckurts und Hirsch, Handbuch der praktischen P. (Stuttg. 1886, 2 Bde.); Dorvault, L’officine (11. Aufl., Par. 1886); Soubeiran, Traité de pharmacie (9. Aufl., das. 1885, 2 Bde.); Parrish, Treatise on pharmacy (5. Aufl., Philad. 1884); „Realencyklopädie der gesamten P.“, herausgegeben von Geißler und Möller (Wien 1886 ff.). Zeitschriften: „Archiv der P.“ (Organ des Deutschen Apothekervereins, Halle, seit 1822); „Pharmazeutische Zeitung“ (Bunzl., seit 1856); „Zeitschrift des Allgemeinen Österreichischen Apothekervereins“ (Wien, seit 1863); „Schweizerische Wochenschrift für P.“ (Organ des Schweizerischen Apothekervereins, Schaffh., seit 1863); „Pharmazeutische Zeitschrift für Rußland“ (in deutscher Sprache, Petersb.); „Journal de P. d’Anvers“; „Journal de P. et de Chimie“ (Organ der Pariser Pharmazeutischen Gesellschaft); „Répertoire de P.“; „Pharmaceutical Journal and Transactions“ (Organ der Pharmaceutical Society of Great Britain); „The Chemist and Druggist“; „American Journal of Pharmacy“ (Philad.); „The Pharmacist“ (Chicago). Jahresberichte der P. erscheinen in Deutschland (Götting.), England („Yearbook of Pharmacy“, Lond.) und Amerika (in den „Proceedings of the American Pharmaceutical Association“). Vgl. Frederking, Grundzüge der Geschichte der P. (Götting. 1874).