MKL1888:Niembsch von Strehlenau

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Niembsch von Strehlenau“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 12 (1888), Seite 165166
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Niembsch von Strehlenau. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 12, Seite 165–166. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Niembsch_von_Strehlenau (Version vom 04.09.2021)

[165] Niembsch von Strehlenau, Nikolaus, gewöhnlich nur mit seinem Dichternamen Nikolaus Lenau genannt, ausgezeichneter Dichter, geb. 15. Aug. 1802 zu Czatad in Ungarn, studierte zu Wien Jurisprudenz und wandte sich dann der Medizin zu, ohne jedoch zur Ausübung der letztern zu gelangen. Von frühauf eine eigentümliche, zu gleicher Zeit feurige und melancholisch gestimmte Natur, deren innerste poetische Ideale mit der umgebenden Wirklichkeit in Konflikt gerieten, der Bewegung und Gärung der Zeit mit hoffendem Blick zugewandt und doch zu elegischer Trauer über den verlornen Frieden harmloser Tage gestimmt, leidenschaftlich und wiederum von krankhafter Weichheit der Empfindung, sprach Lenau die wechselnden Stimmungen seines Innern in lyrischen und lyrisch-epischen Dichtungen aus. Die beabsichtigte Herausgabe seiner „Gedichte“ (Stuttg. 1831, 4. Aufl. 1840) führte ihn nach Stuttgart, wo er im Kreis der schwäbischen Dichter große Sympathien gewann und sich besonders eng an Justinus Kerner, Schwab und K. Mayer anschloß. Doch konnten zunächst weder die neuen Freunde noch die Aussichten auf litterarischen Ruhm Lenau bewegen, von der beabsichtigten Reise nach Amerika abzustehen; er hoffte in den Urwäldern die Befriedigung zu finden, die ihm daheim selbst die Einsamkeit der Alpen versagte. Er trat die Reise nach den Vereinigten Staaten 1832 an, kaufte dort etwas Land an, das er an einen seiner Reisegefährten verpachtete, und bereiste zu Pferde den Westen der Union. Der Eindruck der amerikanischen Zustände konnte auf eine tieflyrische Natur wie die Lenaus nur ein abstoßender sein; amerikamüde kehrte er nach Verlauf einiger Monate nach Europa zurück, wo inzwischen seine Gedichte ihre erste Verbreitung gewonnen hatten. Die Dichtererscheinung Lenaus mußte in einer gärenden Übergangsepoche, wie die 30er Jahre waren, das höchste Interesse wachrufen. Neben der tiefen Innigkeit des Gefühls, dem melodischen Reiz seines lyrischen Ausdrucks wirkte bei seinen frühern und spätern Gedichten auch die Eigentümlichkeit des Kolorits. Die Bilder aus seiner ungarischen Heimat verliehen namentlich den kleinern epischen Dichtungen Lenaus ihren unwiderstehlichen Reiz, und die Mischung kräftiger Züge der Wirklichkeit und elegischer Grundstimmung kam [166] auch den erzählenden Dichtungen ohne ungarischen Hintergrund zu gute, welche neben zahlreichen lyrischen Gedichten in der ersten Zeit nach der Rückkehr aus Amerika entstanden. Das Jahrzehnt zwischen 1833–43 verbrachte der Dichter abwechselnd in Wien und in Schwaben. Seine erste größere Dichtung: „Faust“ (Stuttg. 1836; für die Bühne eingerichtet von Gramming, Münch. 1869), weder eine eigentlich epische noch eine dramatische Dichtung, sondern eine Reihe zum Teil farbenprächtiger Lebensbilder, durch welche eine skeptische, unselig mit Gott und Welt zerfallene Natur hindurchgeht, vermehrte den Ruf, dessen sich der Dichter bereits erfreute. In ihm selbst aber nagte, trotz allen poetischen Gelingens, eine schmerzliche Unbefriedigung, die auch in der wachsenden Schwermut seiner Dichtungen zu Tage trat. Vielfache Herzenserlebnisse, Erschütterungen und Enttäuschungen, die Rastlosigkeit eines beständigen Reiselebens und der nie ruhende Widerspruch seiner persönlichen Neigungen und seiner Geistesziele steigerten die nervöse Reizbarkeit des Dichters Schritt für Schritt. Außer den „Neuern Gedichten“ (Stuttg. 1838, 2. vermehrte Auflage 1840) erschienen die größern Dichtungen: „Savonarola“ (das. 1837, 5. Aufl. 1866) und „Die Albigenser“ (das. 1842, 4. Aufl. 1873), welche beide alle Vorzüge des Lenauschen Talents: die Tiefe der Empfindung, die Glut und Farbenpracht der Schilderung, den Schwung echter Begeisterung, in einer Reihe glänzender Situationen und Bilder aufweisen, aber beide mehr geniale Fragmente als geschlossene Kunstwerke sind. Im „Savonarola“ hielt Lenau wenigstens noch die einheitliche Form fest, in den „freien Gesängen“ der „Albigenser“ verzichtete er auch auf diese und erzielte darum nur fragmentarische Eindrücke. Sein letztbegonnenes Gedicht: „Don Juan“ (im „Nachlaß“ erschienen), schloß sich in der Kompositionsweise völlig dem „Faust“ an. Die Vollendung desselben war Lenau leider nicht beschieden. Im Sommer 1844 überraschte der Dichter seine Freunde durch die Nachricht von seiner glücklichen Verlobung; wenige Monate später aber ward er im Hause seines Freundes, des Hofrats Reinbeck in Stuttgart, vom Wahnsinn ergriffen. Seine Geisteskrankheit erwies sich als völlig unheilbar; Lenau ward daher nach der Irrenanstalt Oberdöbling bei Wien gebracht, wo ihn erst 22. Aug. 1850 der Tod von seinen Leiden erlöste. Seine „Gedichte“ (Vereinigung der beiden obigen Sammlungen) sind seitdem in zahlreichen Auflagen erschienen; sonst ist von seinen Publikationen noch der „Frühlingsalmanach“ (Stuttg. 1835–36, 2 Jahrg.) zu erwähnen. Seinen dichterischen „Nachlaß“ (Stuttg. 1851) und seine „Sämtlichen Werke“ (das. 1855, 4 Bde.; illustrierte Ausg. 1881, 2 Bde.) gab Anastasius Grün, dem Dichter im Leben eng befreundet, heraus. Von den neuern Ausgaben sind die vom Bibliographischen Institut in Leipzig veranstaltete (mit Anmerkungen etc., 1882, 2 Bde.) und die Hempelsche (Berl. 1883, 2 Bde.) zu nennen. Vgl. Schurz, Lenaus Leben, großenteils aus des Dichters eignen Briefen (Stuttg. 1855, 2 Bde.); E. Niendorf, Lenau in Schwaben (Leipz. 1853); K. Mayer, Lenaus Briefe an einen Freund (Stuttg. 1853); Frankl, Zu Lenaus Biographie (2. Aufl., Wien 1885); Auerbach, Nik. L., Vortrag (das. 1871).