Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Nachtigall“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 970
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Nachtigall. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 970. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Nachtigall (Version vom 13.09.2022)

[970] Nachtigall (Luscinia Brehm), Gattung aus der Ordnung der Sperlingsvögel und der Familie der Drosseln (Turdidae), schlank gebaute Vögel mit hochläufigen, kräftigen Beinen, mittellangen Flügeln, mittellangem, etwas abgerundetem Schwanz und fast geradem, ziemlich gestrecktem, spitzem, pfriemenförmigem Schnabel. Die N. (L. Philomela Bp., s. Tafel „Sperlingsvögel I“) ist 17 cm lang, 25cm breit, auf der Oberseite rostrotgrau, auf der Unterseite hell gelblichgrau, an der Kehle und Brustmitte am lichtesten, mit dunkelbraunen Schwingen, rotbraunem Schwanz und Auge und rötlich graubraunem Schnabel und Fuß; sie bewohnt Europa bis zum mittlern Schweden, Nordwestafrika und Vorderasien und ist besonders häufig im Süden. Der Sprosser (Bastard-, Aunachtigall, L. major Brehm), 19 cm lang, 28 cm breit, der vorigen sehr ähnlich, nur mit viel kürzerer erster Schwinge und muschelfleckiger Oberbrust, bewohnt Skandinavien, Dänemark, Osteuropa und Westsibirien, findet sich nur hier und da in Deutschland und fast ausschließlich in Niederungen, während die N. auch bergige Gelände nicht gänzlich meidet. Beide finden sich nur im Laubwald mit viel Unterholz, im Gebüsch, welches Bäche, Gräben und Flußufer umsäumt, und in Gärten und häufig in der Nähe menschlicher Wohnungen. Beide Arten gehen im Winter nach Mittel- und Westafrika, der Sprosser wohl auch nach südlichen Ländern Asiens. Die N. ist zutraulich, friedfertig, zeigt ein bedächtiges, ernstes Wesen, fliegt schnell und leicht, aber meist nur von Busch zu Busch, wo man sie meist niedrig über dem Boden auf Zweigen sitzen sieht, und nährt sich von Insekten und Beeren. Bei uns erscheint sie in der zweiten Hälfte des Aprils und nistet auf oder dicht über dem Boden, in Erdhöhlungen, im Gestrüppe oder in einem Grasbusch. Sie legt 4–6 grünlich braungraue, gelblichbraun gestrichelte Eier (s. Tafel „Eier I“), welche Männchen und Weibchen gemeinsam ausbrüten. Die Jungen füttern sie, selbst wenn man dieselben in einen Bauer steckt und diesen in der Nähe des Nistorts aufhängt. Im September ziehen sie in Familien und größern Gesellschaften ab. Der Gesang der N. übertrifft den aller andern Vögel durch die Fülle der Töne, die Abwechselung und hinreißende Harmonie; er unterscheidet sich deutlich von dem des Sprossers, doch ziehen manche den letztern noch vor. Man hört den Gesang besonders am frühen Morgen, am späten Abend und vor dem Legen der Eier zu allen Stunden der Nacht, während es später um diese Zeit stiller wird und um Johannis der Gesang völlig verstummt. Die N. ist leicht zu fangen; aber alte Vögel, die sich schon gepaart haben, sterben regelmäßig bald, und auch die jüngern erfordern die sorgsamste Pflege. Außer den genannten beiden Arten unterscheidet man noch den Zweischaller (L. hybrida), von der Größe des Sprossers, oberseits wie dieser, unterseits fast ganz wie die N. gefärbt, in Polen; die Steppennachtigall (L. Golzii), oberseits deutlich rotbraun, und die Hafisnachtigall (Bülbül der Perser, L. Hafizii), mit längerm Schwanz und von blasserer Färbung. Der indische Kuckuck ist für die indischen Dichter, was die N. für die andern indogermanischen Nationen, und so ist die N. zu einer phallischen Bedeutung gelangt. Als Sängerin der Nacht ergötzt sie Verliebte, welche sie in deutschen und französischen Volksliedern zu ihrem geheimnisvollen Boten machen. Vgl. Lazarus, Der Sprosser oder die Aunachtigall (Berl. 1876); Köppen, Anleitung zur Züchtung und Ansiedelung von Nachtigallen (2. Aufl., das. 1886).