Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Näherrecht“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 983
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Näherrecht. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 983. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:N%C3%A4herrecht (Version vom 15.08.2024)

[983] Näherrecht (Retrakt, Einstand, Geltung, Losung, Nähergeltung, Zugrecht), das einer Person (dem Retrahenten oder Nähergelter) zustehende Recht, in den Vertrag, welchen ein Grundeigentümer mit einem Dritten über den Verkauf eines Grundstücks an den letztern abgeschlossen, dergestalt einzutreten, daß der Käufer dieses Grundstück an jene Person gegen Erstattung des Kaufpreises abzutreten verbunden ist. Der älteste Fall, in welchem das heutzutage fast gänzlich unpraktische N. zur Anwendung kam, ist die sogen. Erblosung (Retractus gentilitius), nämlich dasjenige N., welches den gesetzlichen Erben des Verkäufers in Ansehung eines sogen. Erbguts zustand, d. h. eines von den beiderseitigen Vorfahren ererbten Gutes. Diesem sind dann verschiedene Arten des Näherrechts nachgebildet worden, so die Mark- oder Landlosung (Territorialretrakt, Bürgerretrakt, Retractus ex jure incolatus), das N. der Gemeindeangehörigen für den Fall, daß ein in der Gemeindeflur gelegenes Grundstück an ein Nichtgemeindemitglied verkauft worden; ferner das dem Anlieger eines Grundstücks bei dessen Verkauf an einen andern gegebene Nachbarnrecht (Nachbarlosung, Retractus ex jure vicinitatis); das Gespilderecht (Teillosung, Jus congrui), d. h. das N. des Besitzers einer Liegenschaft in Ansehung von Grundstücken, welche früher mit der erstern zu einem Ganzen vereinigt waren; das Ganerbenrecht (Kondominalretrakt, Retractus ex jure condominii), welches den Miteigentümern eines Grundstücks in Ansehung ihrer Anteile daran wechselseitig zustand; endlich der dem Lehnsherrn und dessen Agnaten bei Veräußerungen des Lehnsguts durch den Vasallen eingeräumte Lehnsretrakt (Retractus feudalis). In allen diesen Fällen konnte aber das N. nur vermöge eignen Rechts geltend gemacht werden, eine Zession desselben war nicht zulässig; auch konnte das N. nur gegen Erstattung des Kaufpreises, der Kaufkosten und des etwanigen Aufwandes, welchen der Käufer bereits auf das Grundstück gemacht, ausgeübt werden. Die Verzichtleistung des Nähergelters auf das Retraktsrecht, als welche auch das Ausschlagen des zum Verkauf angebotenen Gutes oder die Einwilligung in dessen Veräußerung anzusehen war, hob dasselbe auf, und ebenso erlosch es nach gemeinem Recht, wenn der Retraktberechtigte, nachdem er die geschehene Veräußerung des Grundstücks erfahren, binnen Jahr und Tag, d. h. binnen einer Frist von 1 Jahr, 6 Wochen und 3 Tagen, sein N. nicht geltend machte. Die moderne Gesetzgebung hat das N., welches nur zu oft zu prozessualischen Verwickelungen Veranlassung gab, bis auf wenige Überreste beseitigt. Vgl. außer den Lehrbüchern des deutschen Privatrechts Walch, Das N. (3. Aufl., Jena 1795).