Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Musen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 913914
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Musen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 913–914. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Musen (Version vom 22.11.2021)

[913] Musen (Musae), in der griech. Mythologie ursprünglich wahrscheinlich Quellnymphen, dann die Göttinnen des Rhythmus und Gesanges, später auch die Vorsteherinnen der verschiedenen Dichtungsarten und überhaupt der Künste und Wissenschaften. Sie wurden besonders bei den Gesang und Dichtkunst liebenden Thrakern verehrt, desgleichen in Pierien am Olymp, weshalb sie auch Pieriden und Olympiaden hießen; Pimpleiden nannte man sie von einem Berg und einer Quelle Pimpla in Pierien, Libethriden nach einer Berggegend in Böotien (oder in Pierien). Andre Beinamen erhielten sie von den Bergen, Grotten und Quellen, wo sie gern verweilten. Später verbreitete sich ihr Dienst nach Attika, in den Peloponnes, nach Kreta, Unteritalien und selbst zu den Lydiern. Nach der ältesten Sage

Sokrates und Erato. Kalliope und Homer.
Kleio Thaleia Erato Euterpe Polyhymnia Kalliope Terpsichore Urania Melpomene.
Die Musen (sogen. Musensarkophag im Louvre zu Paris).

sind sie die Töchter des Uranos und der Gäa, nach Homer des Zeus, nach Hesiod des Zeus und der Mnemosyne. Ihre Zahl steigt von drei bis neun, die stets eine zusammengehörige Gruppe bilden. Drei sollen es gewesen sein, deren Dienst die Aloiden, Otos und Ephialtes, zuerst auf dem Helikon einführten, nämlich Melete („Nachdenken“), Mneme („Gedächtnis“) und Aoide („Gesang“). Aratos kennt ihrer vier als Töchter des Zeus und der Plusia; ferner kommen (wenn auch nur scherzhaft, bei Epicharmos) sieben vor, als Töchter des Pieros. Die gewöhnlich angenommene Zahl der M. war aber neun, und wir finden dieselbe schon bei Hesiod, welcher ihnen folgende Namen gibt: Kleio, Euterpe, Thaleia, Melpomene, Terpsichore, Erato, Polyhymnia, Urania, Kalliope. Weiteres darüber s. die einzelnen Artikel. In späterer Zeit kam noch Arethusa als die Muse des Hirtengedichts in Aufnahme; auch die Dichterin Sappho wurde als zehnte Muse bezeichnet. [914] Der Lieblingsaufenthalt der M. war der Helikon; sie badeten sich in dem Quell Hippokrene und den Flüssen Permessos und Olmios. Auf dem Olymp hatten sie ihre Wohnung gemeinsam mit den Charitinnen und dem Himeros; auch auf dem Kithäron, Pindos und Parnassos verweilten sie gern. Hier befand sich die Kastalische Quelle, aus welcher Begeisterung zur Poesie und Weissagung getrunken wurde. Im Göttersaal sind sie beim Mahl anwesend und erfreuen die Unsterblichen durch ihren Gesang. Ihr Führer ist Apollon (daher Musagetes genannt). Hesiod teilt ihnen auch die Kunst des Tanzes zu; mit den Charitinnen führen sie gemeinschaftlich Chorreigen auf. Sie sind ewig jungfräulich und frei von jeder sinnlichen Regung, doch heißen viele berühmte Sänger der Mythenzeit ihre Söhne. Weil Apollon auch der Gott der Weissagung ist, so liegen auch den M. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft klar vor Augen. Sie üben auch das musikalische Richteramt, z. B. im Wettkampf zwischen Apollon und Marsyas, und lassen sich selbst in Wettkämpfe ein. Die bildende Kunst stellte die M. anfangs in der Dreizahl dar mit Flöte, Leier und Barbiton, so die Gruppe des Ageladas, Kanachos und Aristokles. Die Neunzahl trat erst auf, als Apollon Musagetes mit langem Kitharodengewand und schwungvoller Haltung sein Kunstideal erhalten hatte, wurde dann aber sehr häufig in Statuen (Giebelgruppe des Praxias in Delphi, Gruppen des Lysippos, Strongylion u. a.), Reliefs und Gemälden behandelt. Die jetzt noch beliebten, namentlich in der Römerzeit gern wiederholten Musentypen haben sich, wie es scheint, erst in der alexandrinischen Epoche entwickelt. In Relief finden sich (außer auf verschiedenen Sarkophagen, z. B. dem Pariser Sarkophag des Louvre, s. Abbildung) die M. auch vereint in der sogen. Homer-Apotheose des Künstlers Archelaos von Priene (Britisches Museum, London). Unter den erhaltenen Statuengruppen sind die bekanntesten: 1) die in der Villa des Cassius zu Tivoli gefundene Gruppe, jetzt im Vatikan, 2) eine aus der Sammlung der Königin Christina von Schweden nach Madrid gekommene Gruppe und 3) diejenige des Berliner Museums (früher als Töchter des Lykomedes bezeichnet). Vgl. Deiters, Über die Verehrung der M. bei den Griechen (Bonn 1868); Krause, Die M., Grazien, Horen u. Nymphen etc. (Halle 1871); Oberg, Musarum typi (Berl. 1873); Rödiger, Die M. (Leipz. 1875); Trendelenburg, Der Musenchor, Relief einer Marmorbasis aus Halikarnaß (Berl. 1876); Bie, Die M. in der antiken Kunst (das. 1887).