Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Mozart“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 839842
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Wiktionary: Mozart
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Mozart. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 839–842. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Mozart (Version vom 24.02.2024)

[839] Mozart, Johannes Chrysostomus Wolfgang Gottlieb, gewöhnlich Wolfgang Amade genannt, Komponist, geb. 27. Jan. 1756 zu Salzburg, wo sein Vater Leopold (geb. 14. Nov. 1719 zu Augsburg, gest. 28. Mai 1787) als Unterdirektor der erzbischöflichen Kapelle angestellt war, zeigte auffallend frühzeitig Spuren eines außerordentlichen musikalischen Talents und erhielt alsbald von seinem Vater die sorgfältigste Ausbildung. Bereits im sechsten Jahr komponierte er kleine Stücke auf dem Klavier und war im Spiel selbst so weit vorgeschritten, daß der Vater sich entschloß, mit dem Wunderknaben und dessen fünf Jahre älterer, gleichfalls Klavier spielender Schwester Maria Anna, 1762 eine Kunstreise zu machen. Der erste Ausflug ging nach München, wo der kleine Virtuose beispiellosen Beifall erntete. Die zweite Reise unternahm die Familie im Herbst d. J. nach Wien, wo ihr einflußreiche Gönner Zutritt bei Hofe verschafften. Kaiser Franz I. überschüttete den Knaben mit Gunstbezeigungen. Als man ihm in Wien eine Geige schenkte, versuchte er sich auch im Violinspiel und machte hierin ebenfalls ungemeine Fortschritte. Von 1763 bis 1766 unternahm die Familie die erste größere Kunstreise, durch Bayern, die Rheinprovinzen, die Niederlande und Frankreich, wo sich der achtjährige M. in der königlichen Kapelle zu Versailles vor dem König und dem ganzen Hof auf der Orgel hören ließ und zu Paris seine ersten Kompositionen, Sonaten fürs Klavier, veröffentlichte. Von Frankreich aus begab sich die Familie 1764 nach England. Mozarts Virtuosität war in dieser Zeit schon so bedeutend, daß er Sachen von Händel und Bach vom Blatt spielte; ja, als er zu London vor dem König spielte, legte man ihm einen bloßen Baß vor, und er erfand hierzu augenblicklich eine passende Melodie. Während seines Aufenthalts in England komponierte er sechs Klaviersonaten, welche in London gestochen und der Königin gewidmet wurden (vgl. C. F. Pohl, Haydn und M. in London, Wien 1867). Den Sommer des nächsten Jahrs verlebte die Familie in Flandern, Brabant und Holland. Hier mit seiner Schwester durch die Blattern mehrere Monate lang an das Krankenbett gefesselt, schrieb M. wiederum sechs Klaviersonaten, welche er später dem Prinzen von Nassau-Weilburg widmete. 1766 kehrte die Familie über Paris und Lyon durch die Schweiz und Schwaben nach Salzburg zurück, wo M. während der beiden folgenden Jahre seine Kompositionsstudien mit Eifer fortsetzte und seinen Geschmack namentlich an den Werken Emanuel Bachs, Hasses und Händels sowie der ältern Italiener bildete. Auf einer dann folgenden abermaligen Kunstreise nach Wien komponierte er im Auftrag des Kaisers Joseph II. seine erste komische Oper: „La finte semplice“ (1776), die jedoch nicht zur Aufführung gelangte. Bemerkenswert [840] ist noch aus dieser Zeit ein Tedeum, welches der junge Künstler zur Einweihung einer Kirche komponierte und persönlich dirigierte, sowie die zu Wien im Haus des musikliebenden Schuldirektors Mesmer aufgeführte Operette „Bastien und Bastienne“. 1769 ward er zum Konzertmeister am salzburgischen Hof ernannt. Anfang 1770 unternahm er mit seinem Vater eine Reise nach Italien, wo er in Bologna, Rom und Neapel neue Triumphe feierte und in Rom eine glänzende Probe seines musikalischen Gedächtnisses ablegte, indem er das „Miserere“ von Allegri nach einmaliger Anhörung am Mittwoch der Karwoche niederschrieb. In Mailand, wo er gegen Ende Oktober 1770 anlangte, komponierte er die Oper „Mitridate“, welche schon 26. Dez. unter seiner Leitung über die Bühne ging und 20mal hintereinander aufgeführt wurde. Weiter schrieb er für Mailand das Festspiel „Ascanio in Alba“ (1771) und kehrte dann, nachdem er noch Venedig und Verona besucht und die bedeutendsten Auszeichnungen, wie den päpstlichen Orden des goldenen Sporns, denselben, dessen Besitz Gluck veranlaßte, sich „Ritter“ zu nennen, und die Diplome der philharmonischen Akademien von Bologna und Verona, erhalten hatte, nach Salzburg zurück. Hier komponierte er zur Einführung des neuen Erzbischofs von Salzburg 1772 Metastasios Azione teatrale „Il sogno di Scipione“ und begab sich im folgenden Jahr abermals nach Mailand, wo seine Oper „Lucio Silla“ zur Aufführung kam. Wieder nach Salzburg zurückgekehrt, vollendete er hier 1774 die komische Oper „La finta giardiniera“ und die Festoper „Il re pastore“, denen sich im Lauf der folgenden Jahre noch verschiedene Kirchenkompositionen, die Musik zum Drama „Thamos“ und die Operette „Zaide“ anschlossen. Inzwischen hatte ihm der Mangel an künstlerischer Anregung und die geringschätzige Behandlung des Erzbischofs den Aufenthalt in Salzburg verleidet, und er begab sich 1777 wieder auf Reisen, doch blieben seine Anstrengungen, in München, in Mannheim als Musiklehrer der fürstlichen Kinder oder in Paris eine Anstellung zu erhalten, erfolglos, und enttäuscht kehrte er im Januar 1779 nach Salzburg zurück. Bald darauf zum Hof- und Domorganisten ernannt, wurde ihm auch die Freude zu teil, eine Oper für München schreiben zu dürfen; es war der 1781 dort aufgeführte „Idomeneo“, mit welcher Oper M. zum erstenmal von den Wegen der italienischen Oper abwich und, im Anschluß an die französische Glucks, eine neue selbständige Richtung verfolgte. Noch in demselben Jahr zwang ihn die Rücksichtslosigkeit seines Fürsten, der ihn auf einer Reise nach Wien wie den letzten seiner Domestiken behandelte, seine Salzburger Stellung aufzugeben, und er siedelte nach Wien über, wo er sich im nächsten Jahr mit Konstanze Weber, einer Schwester seiner ersten Jugendliebe, der Sängerin Aloysia Weber, später verehelichten Lange, vermählte. Hier entstand, angeregt durch die von Joseph II. begründete nationale Opernbühne Mozarts erste deutsche Oper: „Belmonte und Konstanze, oder die Entführung aus dem Serail“, die zwar bei ihrer Aufführung 1783 vielen Beifall fand, vom Kaiser jedoch nicht mit Unrecht als „zu schön für die Ohren der Zeitgenossen“ bezeichnet wurde und dem Künstler keine weitern Aufträge für die genannte Bühne einbrachte. Nicht viel mehr Glück machten seine 1786 aufgeführten Opern: „Der Schauspieldirektor“ und „Figaros Hochzeit“, und selbst sein Meisterwerk „Don Juan“, obwohl bei seiner ersten Aufführung 1787 in Prag mit Jubel aufgenommen, hatte in Wien geraume Zeit gegen die Intrigen der italienischen Sänger und die Gleichgültigkeit des Publikums zu kämpfen, bis es seinem vollen Wert nach erkannt wurde. Im folgenden Jahr entstanden außer andern Instrumentalsachen seine drei Meistersymphonien in Es dur, G moll und C dur (mit der Fuge). Im Dezember 1789 folgte das italienische komische Singspiel „Così fan tutte“, das, 26. Jan. 1790 zuerst aufgeführt, trotz des schlechten Textes außerordentlich gefiel. In jene Zeit fällt Mozarts Reise über Leipzig und Dresden nach Berlin. Der König Friedrich Wilhelm II. von Preußen bot ihm die Stelle eines Kapellmeisters mit einem Jahrgehalt von 3000 Thlr. an; aber M., wiewohl er zu Wien mit dem Titel eines kaiserlichen Kammerkomponisten eine Besoldung von nur 800 Gulden bezog, antwortete ihm: „Kann ich meinen guten Kaiser verlassen?“ Letzterer eröffnete dem Künstler nach seiner Rückkehr zwar die Aussicht, daß in Zukunft auf ihn Bedacht genommen werden solle; aber das bald darauf erfolgte Ableben Josephs II. vernichtete jede Hoffnung Mozarts auf eine Verbesserung seiner Lage. 1791 komponierte er für seinen in Schulden geratenen Freund Schikaneder die Oper „Die Zauberflöte“, für die Krönungsfeierlichkeiten des Kaisers Leopold II. die Oper „La clemenza di Tito“ und sein „Requiem“, letzteres für die verstorbene Gräfin Walsegg, deren Gemahl es bei M. bestellt hatte und nach dessen Tod unvollendet abholen ließ (vollendet ward es von Süßmayer, Mozarts Freund und Schüler). Es war des Künstlers letzte Arbeit. Noch in seinen Phantasien mit dieser Komposition beschäftigt, starb M. 5. Dez. 1791 im 36. Jahr seines Lebens. Ein halbes Jahrhundert später, 4. Sept. 1842, ward ihm zu Salzburg eine Erzstatue (von Schwanthaler) errichtet, und seit kurzem bezeichnet auch ein allegorisches Denkmal seine (mutmaßliche) Grabstätte auf dem Wiener Friedhof St. Marx. Von den vorhandenen Porträten Mozarts sind das von Tischbein 1789 in Mainz gemalte und ein aus früherer Zeit stammendes, in Buchsbaum geschnittenes Medaillon von Posch hervorzuheben. Letzteres befindet sich nebst einem Gesamtbild der Familie Mozart (1780 von della Croce gemalt) im Mozarteum zu Salzburg, einer 1842 zur Pflege der Musik gestifteten Anstalt, die zugleich die Dokumente des Mozartschen Familienarchivs und interessante Reliquien des Meisters bewahrt. – Der Witwe Mozarts bewilligte Kaiser Leopold II. eine Pension von 260 Gulden. Sie verheiratete sich 1809 mit dem dänischen Etatsrat v. Nissen (dem Biographen Mozarts, s. unten), ward 1826 zum zweitenmal Witwe und starb 6. März 1842 in Salzburg.

Mozarts Charakter als Mensch war von einer fast sprichwörtlich gewordenen Gutherzigkeit und Naivität. Hilfreich gegen alle Welt, neidlos gegenüber seinen vom Glück begünstigten Kunstgenossen, hatte er seinen eignen Vorteil so wenig im Auge, daß er Zeit seines Lebens mit Mangel kämpfen mußte. Dabei war er von einer unglaublichen Arbeitskraft, besonders in seinen letzten Lebensjahren. Er hat im ganzen 626 Werke hinterlassen, darunter 20 Messen etc., 8 Litaneien und Vespern, 40 Offertorien, Hymnen und andre geistliche Gesangstücke, 17 Orgelsonaten, 10 Kantaten mit Orgelbegleitung, 23 Opern, über 100 Arien und Lieder mit Orchester- und Klavierbegleitung, 23 Kanons für 2–12 Stimmen, 22 Klaviersonaten, über 50 andre Klavierstücke, 45 Sonaten für Klavier und Violine, 11 Trios, Quartette etc. mit Klavier, 48 Kammermusikstücke für Streichinstrumente, 49 Symphonien, gegen [841] 100 kleinere Werke für Orchester und 55 Konzerte. Eine solche Fruchtbarkeit in einem so kurzen Leben, von welchem die Reisen zwei Drittel in Anspruch genommen, ist um so bewunderungswürdiger, als M. auch übrigens durch seine Kapellmeisterpflichten und Lektionen so vielfach vom Komponieren abgezogen wurde, daß er meist nur die frühen Morgenstunden oder die Nacht dazu verwenden konnte.

M. hat sich, wie wir sahen, in allen Gattungen der musikalischen Komposition bethätigt und überall Ausgezeichnetes geleistet. Am größten aber und wahrhaft epochemachend ist seine Bedeutung auf dem Gebiet der Oper, die durch ihn vermöge der reichen Innerlichkeit, welche einen Grundzug seines Wesens bildete, eine Stufe der Vollendung erreichte, auf welcher sie sowohl die der Italiener als auch die durch Gluck veredelte große Oper der Franzosen hinter sich zurückließ. Das erste Werk, in welchem seine kunsthistorische Bedeutung als dramatischer Komponist offenbar wird, ist der „Idomeneo“. Die vor diesem entstandenen, oben genannten Opern und Festspiele, selbst die in Hinsicht auf Instrumentation und dramatischen Ausdruck reifere „Finta giardiniera“, sind durchaus in den herkömmlichen Formen gehalten und haben weder an sich noch für uns eine höhere Bedeutung, wiewohl die in ihnen sich offenbarende musikalische Gestaltungskraft stets zu bewundern bleibt. Auch „Idomeneo“ („Idomeneo, re di Creta, ossia Ilia e Idamante“) steht im ganzen noch auf dem Boden der altitalienischen Opera seria, wie schon die große Zahl der Arien andeutet sowie der Umstand, daß die Rolle des Idamante einem Kastraten bestimmt war. Aber trotz aller der bloßen Gesangsvirtuosität gemachten Zugeständnisse und neben der in der Behandlung der Recitative ersichtlichen Nachahmung der Gluckschen Muster tritt Mozarts Genius in den großartigen Chören und noch mehr in der für jene Zeit unerhört kühnen und durch feinste Charakteristik ausgezeichneten Instrumentierung bereits mächtig hervor. Erscheint M. in dieser wie auch in seinen beiden letzten italienischen Opern, „Così fan tutte“ und „Titus“, noch vielfach von italienischen Vorbildern abhängig, so sehen wir ihn in allen seinen übrigen dramatischen Schöpfungen durchaus neue Gebiete erobern und mit jeder folgenden ein Muster der Gattung aufstellen. Die „Entführung aus dem Serail“, welche zunächst folgt, ist größernteils in der Weise und nach dem Maß des damaligen Singspiels angelegt, aber bedeutsam durch vielfach reichere Ausführung, treffende Charakteristik und Innigkeit des Ausdrucks, an welcher vielleicht die gehobene Stimmung des Komponisten, welcher eben damals glücklicher Bräutigam war, einigen Anteil gehabt hat. Zugleich aber stellte M. gerade hier der Schilderung zarter und treuer Liebesgefühle die heiterste Laune und (im Osmin) eine von ihm selbst kaum wieder erreichte Komik entgegen, welche mit der Sentimentalität der Hauptfiguren aufs glücklichste kontrastiert. Noch bewunderungswürdiger erscheint er in seiner nächsten Oper, der nach Beaumarchais’ gleichnamigem Lustspiel von Da Ponte bearbeiteten „Hochzeit des Figaro“ („Le nozze di Figaro“). Die schwierige Aufgabe, den eleganten Konversationsstil des französischen Lustspiels in die natürliche Sprache des Gefühls zu übersetzen, hat M. hier wie spielend bewältigt. Er vermochte die kalte Ironie und Satire und selbst die stellenweise nackte Frivolität der Dichtung durch die naive Anmut seiner Musik zu verdecken und die Unsittlichkeit des Stoffes aufzuheben, indem er als Grundmotiv des unaufhörlichen Intrigenspiels die echte Liebe darstellte, die er mit durchdringender Herzenskenntnis in allen denkbaren Beziehungen schildert und wie im Feuer der Leidenschaft erprobt aus allen Verwickelungen siegreich hervorgehen läßt. Die höchste Stufe aber erreicht M. mit seinem „Don Juan“ („Il dissoluto punito, o il Don Giovanni“). Indem er hier die Lieblichkeit und Anmut der italienischen Melodik mit dem großartigen Pathos der Gluckschen französischen Oper, den Fluß und die wirkungsvolle Behandlung des vokalen Teils mit einem bis dahin unbekannten Reichtum und Glanz des Orchesters vereint, indem er ferner die Charaktere, sowohl die tragischen als die komischen, unter steter Mitwirkung der Instrumente mit höchster Schärfe und vollendeter Naturwahrheit zeichnet und diese wichtigste Aufgabe des dramatischen Komponisten selbst dann keinen Augenblick vernachlässigt, wenn er, seinem spezifisch musikalischen Genius folgend, die wunderbarsten kontrapunktischen Gebilde gestaltet, hat er ein musikalisch-dramatisches Meisterwerk geschaffen, welches alles vor seiner Zeit auf diesem Gebiet Entstandene hinter sich zurückließ und der deutschen Tonkunst einen entscheidenden Sieg über die fremdländische errang. „Für alle Situationen und Erscheinungen“, sagt v. Dommer („Geschichte der Musik“, S. 552), „von den Schrecken der Geisterwelt und den drohenden Verkündigungen des Gerichts bis zu den wonnevollen Schauern der Sommernacht, weiß er seine Farbentöne auf das wunderbar treffendste zu stimmen. Und in welchen Regionen des Tragischen und Leidenschaftlichen oder des Komischen und Anmutigen, des grauenvoll Dämonischen oder der lichten Seelenheiterkeit er sich auch bewegen möge: die Grenzlinie des Schönen und Naturgemäßen hat er niemals überschritten; sein feines und unfehlbares Kunstgefühl ließ sich gar nicht nahekommen, was die Wahrheit und Reinheit seiner Gestaltungen irgendwie hätte trüben können. Solchen eminenten Gaben gegenüber kann man aber schließlich um so weniger den Wunsch unterdrücken, ihr glücklicher Besitzer möge häufiger dem Edlen und Erhabenen sich zugewendet haben. In dieser Beziehung stand er nicht über seiner Zeit; ein Zuchtmeister und Sittenlehrer, wie es Händel und Gluck gewesen, konnte er ihr nicht werden. Er starb zu jung, um erkannt zu haben, daß die Kunst nicht bloß durch ihre Vollkommenheit in sich auf Zeitgenossen und Nachkommen wirken soll, sondern auch durch die Größe und Hoheit ihrer Ideale und der darin verkörperten Lebensanschauungen. Die Texte der bedeutendsten Opern Mozarts sind zum großen Teil trivial und frivol; selbst der ‚Don Juan‘, rein kunstmäßig eins der größten Meisterwerke, welche jemals geschrieben sind, hat den ausschweifenden Wüstling zum Helden, der, wenn wir ihn als Personifikation der den sinnlichen Lüsten anheimgefallenen und durch sie vernichteten sittlichen Schwäche fassen, zwar eine furchtbare Wahrheit und Bedeutung gewinnt, als Objekt der Kunstdarstellung aber wenigstens des Genius eines M. bedarf, um nicht widerwärtig zu werden.“ Dieselbe Leichtlebigkeit, um nicht zu sagen derselbe Leichtsinn der ethischen Seite seiner Kunst gegenüber erklärt es, daß M. nach Vollendung des „Don Juan“ seine schöpferische Kraft auf Stoffe verwenden konnte wie die geistlose Opera buffa des Da Ponte: „Così fan tutte, ossia la scuola degli amanti“, wie Metastasios frostige Galaoper „La clemenza di Tito“, an denen die Hand selbst des größten Meisters erlahmen mußte, oder wie die dem Geschmack eines vorstädtischen Theaterpublikums huldigende Zauberposse Schikaneders: „Die Zauberflöte“. Aber gerade im [842] letztern Fall sollte sich sein Genie glänzender bewähren als je zuvor, denn durch den Adel seiner Kunst wußte er das seichte Machwerk des Dichters aus der Sphäre des Gemeinen und Hausbackenen in die des Ideals zu erheben. Die „Zauberflöte“ ist es, um mit Jahn zu reden, durch welche M. seiner Nation das Heiligtum der deutschen Kunst erschlossen hat; unmittelbar und allgemein drang diese Oper ins Volk ein, wie wohl nie vorher ein musikalisches Kunstwerk, um bis heute ihren Platz auf der deutschen Bühne zu behaupten.

Als ein Kind seiner Zeit erscheint M. auch in den meisten seiner Kirchenkompositionen. Die kraftlose Religiosität der sogen. Aufklärungsepoche einerseits, die bereits im 17. Jahrh. begonnene, zu seiner Zeit vollendete Überflutung der Kirchenmusik durch die dramatische anderseits bestimmten auch sein Schaffen auf diesem Gebiet, und wiewohl seine zahlreichen Vespern, Litaneien, Motetten, Hymnen, Kantaten und Messen, das Oratorium „La Betulia liberata“, vor allem das „Requiem“ von seiner tonkünstlerischen Meisterschaft vollgültiges Zeugnis ablegen, so ist ihnen doch beim Mangel eines spezifisch kirchlichen Geistes eine epochemachende Bedeutung, wie sie den Werken Bachs und Händels zukommt, nicht beizulegen. Auch auf dem Gebiet des Liedes konnte er nicht bahnbrechend wirken, weil die lyrische Dichtkunst seiner Zeit noch zu unentwickelt war, um ihm den nötigen Spielraum für seine Kunst zu gewähren; doch zeigt seine Komposition des Goetheschen „Veilchen“ deutlich genug, was er als Liederkomponist geschaffen haben würde, wenn ihm ein solcher Schatz lyrischer Dichtungen zur Verfügung gewesen wäre, wie ihn einige Jahrzehnte nach seinem Tod Franz Schubert vorfand. Dagegen leistete M. wiederum das Höchste auf dem Felde der reinen Instrumentalmusik. Zwar hat er die Formen derselben, wie er sie aus den Händen Emanuel Bachs und J. Haydns empfangen, nicht wesentlich verändert oder erweitert; auch war es ihm nicht beschieden, die absolute Musik über die Sphäre des geist- und sinnvollen Tonspiels hinaus zu jener Höhe zu erheben, auf welcher sie, wie bei Beethoven, zum Ausdruck eines bestimmten dichterischen Gedankens befähigt war. Gleichwohl war die Förderung, welche die Instrumentalmusik hinsichts ihrer innern Entwickelung M. verdankt, eine so bedeutende, daß nicht nur Beethoven als sein Schüler gelten kann, sondern auch Haydn, auf dessen spätere Arbeiten die seinigen einen rückwirkenden Einfluß ausübten, wie Haydns nach Mozarts Tod komponierte Symphonien deutlich beweisen. Die Meisterschaft, mit welcher er das Orchester zum ausdrucksvollen Organ seiner künstlerischen Stimmungen machte, bewährt sich namentlich in seinen schon erwähnten drei Symphonien: Es dur, G moll und C dur, in denen er, wie R. Wagner („Gesammelte Schriften“, Bd. 3) sagt, „seinen Instrumenten den sehnsuchtsvollen Atem der menschlichen Stimme einhauchte, der sein Genius mit weit vorwaltender Liebe sich zuneigte. Den unversiegbaren Strom reicher Harmonie leitete er in das Herz der Melodie, gleichsam in rastloser Sorge, ihr, der nur von Instrumenten vorgetragenen, ersatzweise die Gefühlstiefe und Inbrunst zu geben, wie sie der natürlichen menschlichen Stimme als unerschöpflichem Quell des Ausdrucks im Innersten des Herzens zu Grunde liegt.“ Die gleichen Vorzüge zeigen seine Streichquartette, unter denen die sechs J. Haydn gewidmeten obenan stehen, sowie, wenn auch nur in beschränktem Maß, seine zahlreichen kleinern Orchesterwerke: Kassationen, Serenaden, Divertimenti für Saiten- und Blasinstrumente. Von unvergänglichem Wert sind endlich noch Mozarts Arbeiten für Soloinstrumente, besonders die für das Klavier. Schon im Jünglingsalter stand er als Virtuose auf drei Instrumenten, dem Klavier, der Orgel und der Violine, den größten Meistern seiner Zeit ebenbürtig da; später aber widmete er sich vorwiegend dem Klavier, und seine Lehrthätigkeit nicht minder als seine Kompositionen für dies Instrument bildeten den Ausgangspunkt für die nach seinem Tod unter der Führung seines Schülers Hummel weltberühmt gewordene Wiener Klavierschule. – Eine vollständige, kritisch durchgesehene Ausgabe der Werke Mozarts haben seit 1876 Breitkopf u. Härtel in Leipzig in Angriff genommen. Ein „Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Mozarts“ lieferte v. Köchel (Leipz. 1862). Mozarts Leben beschrieben Niemtschek (Prag 1798), Nissen (Leipz. 1828), Ulibischew (Mosk. 1843; deutsch, 2. Aufl., Stuttg. 1859, 4 Bde.), Holmes (Lond. 1815, neue Ausg. 1845), O. Jahn (das Hauptwerk über M., Leipz. 1856–59, 4 Bde.; 2. Aufl. 1867, 2 Bde.), Nohl (2. Aufl., das. 1877) und Meinardus (Berl. 1882). Nohl gab auch die Briefe Mozarts (2. Aufl., Leipz. 1877) und „M. nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen“ (Leipz. 1879) heraus.

Mozarts Schwester Maria Anna, geb. 30. Juli 1751, war ebenfalls ein musikalisches Talent, trat auf den Kunstreisen der Familie 1762–66 als Klaviervirtuosin auf, lebte dann bei ihrer Mutter in Salzburg und verheiratete sich 1784 mit dem Freiherrn Johann Baptist v. Sonnenberg. Nach dessen Tod (1801) kehrte sie nach Salzburg zurück, wo sie, seit 1820 erblindet, 29. Okt. 1829 starb. Mozarts ältester Sohn, Karl, geb. 1784, starb 1859 in Mailand als Steuerbeamter. Sein zweiter Sohn, Wolfgang Amadeus, geb. 26. Juli 1791 zu Wien und von Neukomm und Albrechtsberger in der Musik gebildet, trat im 14. Jahr zum erstenmal als Virtuose und Komponist auf, ging dann 1808 nach Galizien, wo er als Privatlehrer auf dem Land, seit 1823 zu Lemberg wirkte, gründete daselbst 1826 einen Cäcilienverein und übernahm später die Kapellmeisterstelle am dortigen Theater. Er starb 30. Juli 1844 in Karlsbad. Seine Kompositionen (zwei Klavierkonzerte, ein Streichquartett, Sonaten, Variationen etc.) sind nicht von Bedeutung.


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 588
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[588] Mozart, Wolfgang Amadeus (der Sohn). Seine Biographie schrieb Jos. Fischer (Karlsbad 1888).