Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Meteorsteine“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 540542
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Meteorsteine. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 540–542. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Meteorsteine (Version vom 09.03.2022)

[540] Meteorsteine (Meteoriten, Aerolithe, Uranolithe, Luftsteine, Bätylen), Eisen- oder Steinmassen, meist ein Gemenge von beiden in den verschiedensten Verhältnissen, welche in bald größern, bald kleinern Stücken, einzeln oder gleichzeitig in größerer Anzahl (Steinregen) auf die Erde niederfallen, oft von Lichterscheinungen und Getöse begleitet, bisweilen als Feuerkugeln beobachtbar, die mitunter im letzten Moment vor dem Niederfallen in eine Mehrzahl von Fragmenten zerspringen. In keinem der vielfältig untersuchten M. ist ein neues, der Erde und den auf derselben vorkommenden Verbindungen fremdes Element entdeckt worden, und auch die früher als ausschließlich für M. charakteristisch angeführte Gruppierung der Elemente, so namentlich das Vorkommen des Eisens im gediegenen Zustand sowie in Verbindung mit Kobalt und Nickel, hat seine Eigentümlichkeit verloren, seitdem Nordenskjöld 1870 in Grönland (Uifak oder Ovifak auf der Insel Disko) in Basalt eingeschlossene Eisenmassen unzweifelhaft tellurischen Ursprungs entdeckt hat, welche alle bisher für M. ausschließlich charakteristischen Eigenschaften besitzen. Die wichtigsten der aus Meteorsteinen bekannt gewordenen Mineralien sind: Eisen, meist nickelhaltig, Phosphornickeleisen (Schreibersit), Graphit, Schwefeleisen (Troilit und Magnetkies), Schwefelcalcium (Oldhamit), Chromeisen, Magneteisen (selten), eine Modifikation des Kieselsäureanhydrids (Asmanit, vielleicht mit Tridymit identisch),

Fig. 1. Widmanstättensche Figuren im Meteoreisen.

Olivin, Bronzit, Augit, Anorthit, ein zweiter Feldspat, welcher im tesseralen System kristallisiert (Maskelynit), Kohle und Kohlenwasserstoffe. Hierzu kommt für die Meteoreisen ein mitunter sehr hoher, das eigne Volumen oft um ein Vielfaches übertreffender

Fig. 2. Chondrit.

Gehalt an Gasen in komprimiertem Zustand (Wasserstoff, Kohlenoxyd, Kohlensäure), welcher sich durch Erhitzen und Auspumpen unter der Luftpumpe abscheiden läßt. Je nach dem Vorwiegen des einen oder andern der genannten Bestandteile haben Rose, Daubrée, Meunier, Tschermak u. a. Systeme der M. aufgestellt. Sie stimmen sämtlich, unter Wahl verschiedener Namen und Unterabteilungen, darin überein, das Verhältnis zwischen dem Gehalt an gediegenem Eisen und Silikaten als Hauptunterschied unter den Meteorsteinen aufzufassen, wie dies besonders deutlich durch die Bezeichnungen (Holosiderite, Mesosiderite, Sporadosiderite und Asiderite) ausgedrückt [541] wird. Hierzu kommen noch die Kohlenmeteoriten, einige wenige Fälle (Alais in Frankreich 1806, Kapland 1838, Kaba in Ungarn 1857, Orgueil in Frankreich 1864), welche ein lockererdiges Material, reich an Kohle mit Wasser- und Sauerstoff, in noch nicht aufgeklärter Verbindungsweise enthalten. Was von sogen. Gallertmeteoriten berichtet wird, widerspricht den sonstigen, aus zahlreichen Beobachtungen geschöpften Ansichten über die M. so durchaus, daß man wohl vorläufig an Verwechselungen mit Nostokalgen, Froschlaich oder ähnlichen Dingen glauben darf. Eine außerordentlich charakteristische Struktur besitzen sehr häufig die Meteoreisen und die vorwiegend aus Eisen bestehenden M., wie die Pallasite (einzelne Olivinkristalle liegen in Eisen eingebettet), deren Typus das von Pallas 1771 in Sibirien aufgefundene Eisen ist. Zwischen dem gediegenen Eisen und dem eingelagerten Phosphornickeleisen spielt sich eine gesetzmäßige Verwachsung ab, welche besonders deutlich nach dem Anätzen mit Säure zur Geltung kommt, weil der Schreibersit gegen dieses Anätzen widerstandsfähiger ist als das Eisen und deshalb schwach hervorspringende balkenförmige oder linienartige, sich unter rechten oder schiefen Winkeln schneidende Zeichnungen bildet, die nach dem Entdecker genannten Widmanstättenschen Figuren (Fig. 1), welche sich übrigens auch bei dem tellurischen Eisen von Ovifak zeigen. Die wesentlich aus Silikaten zusammengesetzten M. besitzen sehr häufig eine chondritische Struktur: in einer tuffähnlichen Grundmasse liegen kleine Kugeln (Chondren, Fig. 2) neben Körnern von Nickeleisen, Olivin etc. Andre übrigens irdischen, durch Abkühlung aus feurigem Fluß entstandenen Gesteinen nicht fehlende Strukturen sind als Organismen gedeutet worden (vgl. Hahn, Die Meteorite [Chondrite] und ihre Organismen, Tübing. 1880), ohne daß der Entdecker größere Kreise von der Richtigkeit seiner Beobachtungen hätte überzeugen können. Am ähnlichsten mit irdischen Gesteinen ist der sogen. Eukrit, aus Anorthit und Augit bestehend, mit gewissen isländischen Laven fast ganz identisch, und der sogen. Chassignyit, einem Olivinfels nahe verwandt. Was die Häufigkeit der einzelnen Abarten der M. betrifft, so haben die etwa auf 500 zu schätzenden, der Fallzeit nach bekannten Meteoritenfälle nur etwa zehnmal Meteoreisen geliefert, unter denen die Fälle 1751 zu Hraschina bei Agram, 1835 in Tennessee und 1845 zu Braunau in Böhmen und einige neuere (1885 und 1886) in Nordamerika die bekanntesten sind. Alle andern M. bekannter Fallzeit sind Meteorsteine, d. h. aus Silikaten oder doch vorwiegend aus solchen bestehend. Wenn in den Sammlungskatalogen eine größere Anzahl von Meteoreisen unbekannter Fallzeit aufgeführt wird, so hat dies seinen Grund darin, daß ein größeres Stück Eisen selbst nach Jahren bei gelegentlichem Auffinden an typischen Eigenschaften

Fig. 3. Ein Meteorit vom Steinregen bei Stannern. a Ansicht des Rückens, b von der Seite.

auch von Laien rasch bestimmt werden wird, während ein Meteorstein direkt nach dem Fall aufgehoben werden muß, um seiner meteorischen Natur nach erkannt zu werden, wie denn auch fast kein Stein unbekannter Fallzeit in den Sammlungen vorhanden ist.

Die Größe der einzelnen M. ist eine außerordentlich wechselnde, wenn auch meist, abgesehen von einzelnen extremen Fällen, keine bedeutende; als Maximum darf unter den bisher beobachteten ein Gewicht von 300 kg gelten. Nur für einzelne nachträglich aufgefundene Eisenmassen unbekannter Fallzeit werden noch bedeutendere Massen angegeben (so von mehreren Orten in Brasilien, von Liberia in Afrika); doch ist es wenigstens für einige derselben wohl noch eine offene Frage, ob es sich nicht, wie bei dem zuerst auch für meteorisch gehaltenen grönländischen Eisen, um tellurische Materialien handelt. Auf der andern Seite sinkt die Größe der M. bis zu Körnern, ja meteorischem Staub herab, so daß die Auffindung besonders günstige Verhältnisse voraussetzt, wie sie beispielsweise bei dem Fall von Heßle in Schweden herrschten, [542] wo 1. Jan. 1869 neben größern Steinen kleinste Körner und Staub meteorischen Ursprungs auf dem Schnee gesammelt werden konnten. Oft liefert ein Fall nur einen Stein, mitunter mehrere Stücke, die, offenbar erst im Moment des Herabstürzens durch Explosion voneinander gerissen, Fragmente eines ursprünglich zusammengehörigen Stückes darstellen. So ließen sich die drei etwa 3 km voneinander entfernt bei Butsura in Ostindien aufgefundenen Stücke aneinander fügen und zu einem Meteorstein vereinigen. Bisweilen fällt aber auch eine große Anzahl einzelner Steine verschiedener Dimensionen, so 1803 bei L’Aigle in der Normandie gegen 3000, 1808 bei Stannern in Mähren einige hundert, 1882 bei Mocz in Siebenbürgen über 1000, und die Zahl der 1868 zu Pultusk in Polen niedergefallenen Steine wird sogar auf 100,000 geschätzt. Die Gestalt der M. läßt trotz außerordentlicher Verschiedenheit mitunter insofern eine Gesetzmäßigkeit erkennen, als man die Richtung, in welcher der Meteorit die Atmosphäre durcheilte, bestimmen und eine Brust- und Rückenseite unterscheiden kann (Fig. 3). Durch die Verringerung der Geschwindigkeit der M. in der Erdatmosphäre und durch die Kompression der Luft wird eine den Schmelzpunkt der Bestandteile erreichende Steigerung der Temperatur erzeugt; der Stein überzieht sich mit einer dünnen, schwarzen, glasigen Schmelzrinde, welche bisweilen Vertiefungen (sogen. Fingereindrücke) zeigt, wohl teils durch Abtropfen leichter flüssigen Materials hervorgebracht, teils durch die Einwirkung der komprimierten Luft, wie dies von Daubrée ausgeführte Experimente über die Einwirkung stark komprimierter Gase auf feste Körper infolge von Pulver- und Dynamitexplosionen sehr wahrscheinlich gemacht haben. Außerdem bilden sich Schmelzfalten, welche in der Richtung der Bewegung ähnlich in die Länge gezogen sind wie diejenigen auf der Oberfläche der in halb weichem Zustand von den Vulkanen ausgeworfenen Bomben.

Eine so merkwürdige Erscheinung wie das „Niederfallen der Steine vom Himmel“ mußte schon in frühsten Zeiten die Aufmerksamkeit der Beobachter erregen, und so besitzen wir in den Schriften der Chinesen und der antiken Kulturvölker eine Anzahl auf M. bezügliche Stellen. Es ist ferner sehr wahrscheinlich, daß der in der Kaaba zu Mekka verehrte Stein ein Meteorstein ist. Der älteste urkundlich beglaubigte Fall, von dem der Stein noch vorhanden ist, ist der von Ensisheim im Elsaß 7. Nov. 1492; noch heute bewahrt die Gemeinde den Rest des durch mehrere Lostrennungen verkleinerten Steins. Ist so im Volk die Kunde von der Existenz und dem sich immer wiederholenden Niederfallen von Meteorsteinen wohl nie ganz erloschen, so hat sich merkwürdigerweise die gelehrte Welt gegen die Anerkennung des Faktums geradezu gesträubt, und besonders die französische Akademie kam im Ausgang des vorigen und Anfang des jetzigen Jahrhunderts mehrfach in die Lage, gegenüber Berichten über Fälle und Einsendungen von Steinen ihre Zweifel an der meteorischen Herkunft des Steinmaterials mit einer gewissen Feierlichkeit zu formulieren, bis der Steinregen von L’Aigle in der Normandie 26. April 1803, zu dessen näherer Untersuchung sie eine besondere Kommission (mit Biot an der Spitze) absandte, die Zweifel zerstörte, während in Deutschland der berühmte Akustiker Chladni durch eine epochemachende Publikation über das von Pallas 1771 in Sibirien entdeckte Eisen schon 1794 für die meteorische Natur der Stein- und Eisenmassen eingetreten war. In neuester Zeit werden die M. allgemein in den engsten Bezug zu den Meteorschwärmen und Kometen gebracht, eine Theorie, von Schiaparelli und Weiß besonders ausgebaut, nach welcher unter dem Einfluß zu starker Annäherung an die Sonne sich die Kometen zu Meteorschwärmen auflösen, d. h. in eine große Anzahl fester, glühender, die Bahn des ehemaligen Kometen einhaltender, also uns periodisch erscheinender Körper zerfallen. Der Umstand, daß gerade für die bedeutendsten Sternschnuppenschwärme sich keine gleichzeitige Steigerung der Anzahl von Meteoritenfällen nachweisen läßt, wird durch die verschiedene Richtung, in welcher die Schwärme die Erdbahn schneiden, erklärt; nur Schwärme, welche mit der Erde in annähernd gleicher Richtung sich bewegen, werden M. auf die Erde liefern; die Geschwindigkeit, mit welcher in diesem Fall der Meteorstein in die Erdatmosphäre eintritt, ist als die Differenz zwischen der eignen und der der Erde eine geringere, während im Fall der entgegengesetzten Bewegung die enorme Geschwindigkeit, mit welcher der kleine Weltkörper in die Atmosphäre eintritt, eine viel größere Hitzeentwickelung im Gefolge haben muß, die zur Zerstörung des Meteorsteins führt, ohne daß ein Rest desselben die Erdoberfläche erreicht. Ein solcher zwar kleiner Meteorschwarm, dessen Bewegungsrichtung aber für die Lieferung von Steinen günstig ist, ist der im Anfang Dezember die Erdbahn schneidende, und in der That weist die Statistik für die gleiche Zeit besonders viele Meteoritenfälle auf. – Auch zur Begründung einer Hypothese über die Beschaffenheit des Erdinnern hat man die M. herbeigezogen. Aus der Ähnlichkeit gewisser M. mit Gesteinen unsrer Erde, deren Zahl durch Schmelzversuche, welche Daubrée und Meunier mit irdischen Gesteinen anstellten, noch bedeutend vermehrt wird, schloß man auf eine Ähnlichkeit der übrigen, namentlich der viel Eisen enthaltenden, M. mit dem Material des unbekannten Erdinnern und kam durch die Annahme der Existenz solcher eisenführender Gesteine in den Tiefen der Erde zu einer sehr annehmbaren Erklärung des auffallend hohen spezifischen Gewichts der Gesamterde (vgl. Erde, S. 746). Daß diese Hypothese durch die Beobachtung gediegenen Eisens in offenbar aus großen Tiefen der Erde stammenden basaltischen Gesteinen eine wesentliche Stütze gefunden hat, ist leicht erkennbar.

Die vollständigsten Meteoritensammlungen besitzen Wien, Paris, London, Kalkutta, Berlin, München, Tübingen (die einst als Privatsammlung bedeutendste des Freiherrn von Reichenbach), Bonn (die ehemalige Sammlung des bekannten Mineralienhändlers Krantz); berühmte Privatsammlungen besitzen Greg in Manchester und Shepard in New Haven (Nordamerika). Vgl. Chladni, Über den Ursprung der von Pallas gefundenen Eisenmasse (Riga 1794); Derselbe, Über Feuermeteore (Wien 1820); Rammelsberg, Die chemische Natur der Meteoriten (Berl. 1870, 2. Abhandlung 1879); Derselbe, Über M. (das. 1872); Buchner, Die Meteoriten in Sammlungen (Leipz. 1863); Müller, Die M. (Basel 1876); Tschermak, Die mikroskopische Beschaffenheit der M., photographische Abbildungen (Stuttg. 1885); Brezina u. Cohen, Die Struktur und Zusammensetzung der Meteoreisen (das. 1887 ff.).