Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Mauer“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 349350
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Mauer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 349–350. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Mauer (Version vom 24.03.2022)

[349] Mauer, aus natürlichen oder künstlichen Steinen ohne (Trockenmauer) oder mit Bindemittel hergestellte Wand. Grund- oder Fundamentmauern haben die ganze Gebäudelast auf den Baugrund zu übertragen. Um sie vor Senkungen zu schützen, läßt man sie stets bis zu einer Tiefe reichen, welche der größte Frost nicht erreicht, und die in gemäßigten Klimaten etwa 3/4 m beträgt. Umfangsmauern, welche außer ihrer eignen Last den größten Teil der Dach- und Zwischendeckenbelastung auf die Fundamentmauern zu übertragen haben, erhalten verhältnismäßig größere Dicken als die minder belasteten Scheidemauern. Die Stärke der Mauern hängt von ihrer Art und Größe, von ihrer Belastung sowie von der Festigkeit der Mauermaterialien, insbesondere des Mörtels, ab und wird für Gebäude größerer Städte in der Regel durch baupolizeiliche Vorschriften bestimmt. Sehr langen Mauern gibt man größere Standfähigkeit durch Verstärkungspfeiler, während ihnen bei geschlossenen Gebäuden Querwände und mit Verankerungen eingelegte Gebälke gewöhnlich hinreichende Sicherheit gewähren. Nach dem Material unterscheidet man Backstein-, Lehmstein-, Werkstein- und Bruchsteinmauern; die erstern beiden werden je nach Zweck und Belastung 1/2, 1, 11/2 Stein stark, die Werksteinmauern in beliebiger Stärke, Bruchsteinmauern selten schwächer als 1/2 m ausgeführt. Zu Wohnhäusern und allen solchen Gebäuden, welche stets trocken, im Sommer kühl, im Winter warm sein sollen, verwendet man häufig hohle Backsteine oder hohle, aus zwei parallelen, schwächern mittels zahlreicher Durchbinder vereinigte Mauern. Um den Mauern ein besseres Ansehen zu geben, ohne deren Kosten allzusehr zu erhöhen, verblendet man ihre Außenseite mit Quadern oder bessern Backsteinen, während sie übrigens aus Bruchsteinen oder geringern Backsteinen bestehen. In neuerer Zeit werden Mauern auch mit Gußsteinen aus gutem hydraulischen Kalk aufgeführt, der mit scharfem Sand oder mit Ziegelbrocken vermengt und ähnlich wie Mörtel zubereitet wird. Im weitere Sinn rechnet man zu den Mauern solche aus gestampfter Erde, Lehm etc. oder aus Kalksand (Gußmauern), s. Pisee. Über den Verband der Mauersteine s. Steinverband. Um Mauern vor Feuchtigkeit zu schützen, bringt man Isolierschichten über der Bodenfläche an, welche aus Metallstreifen, Glas oder am besten aus Asphalt bestehen.

In den ältesten Zeiten errichtete man Mauern aus unbehauenen Steinen, legte diese ohne alle Verbindungsmittel übereinander und füllte die Zwischenräume mit kleinern Steinen aus. Später ebnete man die ungleichen Seiten der rohen Steine und bemühte sich, sie so glatt zu behauen, daß sie beim Auflegen aufeinander paßten. Zusammengehalten wurden sie ohne Mörtel bloß durch ihre eigne Schwere. Überbleibsel von solchen alten steinernen Gebäuden findet man in Persien, Ägypten, Griechenland und Italien. In Gegenden, wo keine Steine gebrochen wurden, baute man die Mauern aus Ziegeln mit einem Bindemittel, wozu die Babylonier das in ihrem Land häufig vorkommende Erdpech benutzten. Die Griechen nahmen in der ältesten Zeit zu ihren Gebäuden und Mauern ebenfalls rohe Steine von außerordentlicher Größe, woraus die Sage entstand, daß solche Gebäude Werke der Kyklopen wären (kyklopische Mauern, s. Tafel „Baukunst IV“, Fig. 2). Als man anfing, die Steine zu behauen, gab man ihnen zwar eine verschiedene Gestalt; doch verstand man die Steine so aufeinander zu setzen, daß nirgends ein leerer Zwischenraum blieb. Auf diese Art waren die Mauern um Korinth, um Eretria in Euböa und zu Ostia in Epirus gebaut. In späterer Zeit wurden die Steine von den Griechen rechteckig behauen. Mauern aus Quadersteinen führte man entweder als Isidomum, wenn die verschiedenen Schichten und Lagen der Steine einerlei Höhe erhielten und aus gleich großen Stücken bestanden, oder als Pseudisidomum auf, wenn die Steinschichten und die einzelnen Steine ungleich waren. Im letztern Fall wurden die Steine stets so übereinander gelegt, daß die Fugen, worin zwei Steine zusammenstießen, oben und unten mit einem Stein bedeckt waren. Der erstern Bauart bediente man sich wegen ihres schönen und regelmäßigen Aussehens bei großen, aus Marmor aufgeführten Tempeln. Gewöhnlich bestanden dergleichen Mauern durchweg aus Quadern; wenn sie aber sehr dick waren, stellte man nur die Stirnmauern aus glatt behauenen Quadern her; die Steine der innern M. blieben unbehauen, wurden indes mit den äußern Steinen in Verband gesetzt, und um deren Festigkeit zu vermehren, wurden die Stirnmauern durch einzelne Bindesteine verbunden, welche quer durch die M. gingen. Man nannte diese Bauart Emplekton, die Bindesteine aber Diatonoi. So waren die Stadtmauern von Agrigent gebaut. Mörtel oder ein anderes [350] Verbindungsmaterial brauchte man nicht, da die Steine durch ihre eigne Schwere und wegen des Anschlusses ihrer Seiten einander festhielten. Selbst bei Gewölbebogen wurden die Steine ohne Mörtel zusammengesetzt. Bisweilen stellten die Griechen ihre Mauern von Ziegeln her, besonders in ältern Zeiten; solche Mauern hatten die Städte Mantineia in Arkadien, Bion am Flusse Strymon und zum Teil auch Athen. Auch das berühmte Mausoleum bestand aus Ziegeln und war nur mit Marmor bekleidet. Bei den Etruskern und den Römern wurden schon zu den Zeiten der Könige die Mauern ebenfalls aus sehr großen Steinen aufgeführt. Man benutzte dazu den häufig vorkommenden Tuffstein, der leicht zu bearbeiten war, und den albanischen Stein, der härter als der vorige und von dunkelgrauer Farbe war. Aus diesem Stein bestehen die Cloaca maxima (s. Tafel „Baukunst V“, Fig. 5), das älteste römische Grabmal bei Albano, der Ausfluß des Albanischen Sees und der Grundbau des Kapitols. Mauern von viereckigen Steinen wurden ohne Mörtel gebaut, zu Mauern aus kleinen Steinen nahm man dagegen Mörtel. Vitruv nennt zweierlei Arten von Mauern aus kleinen Steinen, das Reticulatum und das Incertum oder Antiquum. Das letztere bestand aus unregelmäßigen Bruchsteinen, die neben- und übereinander gelegt und genau ineinander gepaßt waren, das Reticulatum aber aus viereckig gehauenen Steinen, die nicht wagerecht, sondern so übereinander lagen, daß ihre Fugen diagonal verliefen, wodurch die M. ein netzförmiges Ansehen erhielt (s. Netzwerk). Außerdem führten die Römer Mauern von Ziegeln auf, wenn man große Gebäude schnell zu vollenden wünschte. Indes wurden bei großen Gebäuden nur die Stirnmauern von Ziegeln aufgeführt, das Inwendige war mit kleinen Steinen, Scherben und zwei Dritteilen Mörtel angefüllt. Die Bekleidung der Mauern, die freilich erst später in Gebrauch kam, war von mancherlei Art. Eine Bekleidung von Kalk und Sand hieß Opus arenatum, eine von Kalk oder Gips Opus marmoratum. S. auch Mauerwerk (im Befestigungswesen).

Mauer, Dorf bei Wien, Bezirkshauptmannschaft Sechshaus, an der Südbahn und dem Dampftramway Wien-Mödling nahe am kaiserlichen Tiergarten gelegen, beliebte Sommerfrische der Wiener, hat ein ehemaliges Kloster (jetzt Kaserne), eine eisenhaltige Mineralquelle, Weinbau und (1880) 2274 Einw.