Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Maske“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 313315
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Maske. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 313–315. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Maske (Version vom 22.05.2024)

[313] Maske (v. mittellat. masca, Hexe), ein künstliches hohles Gesicht, mit dem man das eigne Angesicht bedeckt, um sich unkenntlich zu machen, andre zu schrecken etc. Über den Ursprung und die zu Grunde liegenden Ideen des Maskentragens, das uralt ist und besonders bei den religiösen Zeremonien und theatralischen Aufführungen der Alten eine große Rolle spielte, sind wir erst in der Neuzeit durch anthropologische und ethnologische Studien zu einigem Verständnis gelangt. Hiernach verdanken die Masken oder Larven (v. lat. larva, Gespenst) im wesentlichen religiösen Ideen ihre Entstehung, und zwar erscheinen sie ursprünglich nur als scheußliche Schreckbilder, womit man die bösen Dämonen und Elementargeister, denen alle Widerwärtigkeiten des Lebens zugeschrieben wurden, zu verscheuchen suchte, ähnlich wie man noch heute in Italien und Griechenland z. B. die Wirkung des sogen. bösen Blicks durch Fratzenschneiden abzulenken sucht. Dieser ehemals über die ganze Welt verbreitete Abschreckungskultus hat sich in primitiver Form noch bis heute auf den Inseln des

Fig. 1 u. 2. Neubritannische Masken
(1/8 wirkl. Größe, Berlin).

Stillen Ozeans, z. B. auf Neubritannien (Fig. 1 u. 2), Neuirland, Neuhannover, erhalten, wo, wenn irgend ein Landesunglück, Seuchen, Mißwachs u. dgl., eintritt, ein sogen. Duk-Duk abgehalten wird, d. h. eine in Laub gekleidete und mit einer grell bemalten Maske versehene Person in Begleitung ähnlich Kostümierter durch das Land zieht, Tänze aufführt und dadurch den Dämon, welcher angeblich die Landeskalamität

Fig. 3 u. 4. Totenmasken von Gold aus Mykenä.

verursacht hat, zu vertreiben sucht. Ähnlich veranstalteten die Chinesen am Silvesterabend einen Maskenaufzug, um den Blatterndämon, der sich am letzten Tag des Jahrs seine Opfer für das nächste aussuche, zu verscheuchen. Andre Zeremonien dieser Art hat man ferner bei nordamerikanischen, australischen und afrikanischen Naturvölkern angetroffen, und auch in dem alten Europa waren nachweislich Maskenaufzüge und Tänze zur Abwendung von Unglücksfällen in Übung: man denke nur an die Frühlingsfeste [314] der alten Germanen und Kelten (zur Vertreibung des Winters und der Krankheiten), die noch heute in vielen Gegenden als kaum mehr verstandener Volksgebrauch fortleben. Auch den altmexikanischen Götterbildern legte man bei Landestrauer, Seuchen etc. Steinmasken an, und selbst in dem klassischen Gorgonenmythus zeigt sich der alte Sinn der Abwendung noch unverkennbar: das schlangenumzüngelte Gorgonenhaupt der Athener war nichts andres als eine besonders furchtbare Maske, der jeder Feind erlag, dem sie entgegengehalten ward.

Eine ähnliche Bedeutung muß man dann auch dem ehemals weitverbreiteten Gebrauch der Totenmasken zuschreiben. Die Bewohner der Alëuten erzählten nach Pinard ausdrücklich, daß sie ihre Toten mit Gesichtsmasken versähen, damit sie auf dem Weg nach dem Jenseits nicht durch die begegnenden Dämonen geschädigt werden könnten. Ähnliche Schutzlarven (Anubismasken) gaben die alten Ägypter den Toten mit, und die Goldmasken der Gräber von Mykenä (Fig. 3 u. 4, S. 313), von Kertsch und Kujundschik, die silbernen und hölzernen Masken der Toten von Peru, die polychromen Thonmasken der Gräber von Karthago, die kupfernen und hölzernen von Mexiko etc. verdanken offenbar ähnlichen Ideen ihren Ursprung. Anderseits dienten die Masken auch umgekehrt den Lebenden zum Verscheuchen der Toten, von denen man annahm, daß sie nach der ehemaligen Wohnung als Gespenster zurückkehrten, um die neuen Bewohner zu ängstigen. Wie aber die Schreckmaske zur Vertreibung der bösen Dämonen angewandt wurde, so fand der Gebrauch der Larven bald auch in die höhern, der Verehrung des guten Prinzips gewidmeten Kultusformen als zeremonieller Bestandteil Eingang. Die gegen die Dämonen kämpfenden Maskenträger fühlten sich als Vertreter der guten Götter; sie dachten sich von ihrer Macht erfüllt und mußten sich dazu durch Weihen heiligen, um mit den Göttern, die als persönliche Feinde der bösen Dämonen gedacht wurden, denselben guten Kampf zu kämpfen. Durch diesen Gedankengang wird es verständlich, warum die Gottheiten verschiedener Völker (z. B. der alten Inder und Ägypter) selbst mit Tiermasken versehen dargestellt wurden, die in dem widderköpfigen Jupiter Ammon der Griechen, in dem stierhäuptigen Bacchus etc. ihr Nachspiel fanden. Die Tiermasken bilden eine bei Naturvölkern noch heute weitverbreitete Spezialität und spielen namentlich bei den religiösen Tänzen der nordamerikanischen Indianer und australischen Völker eine Rolle. Das Haupt oder der ganze Körper wurde mit dem abgezogenen Fell eines bestimmten (meist reißenden) Tiers bedeckt, dessen Gangart und Sprünge, Stimme und sonstiges Gebaren der Träger bei den religiösen Aufführungen nachzuahmen hatte. Diese Zeremonien wurden gewöhnlich an geheimen Orten unter Ausschluß von Weibern und Kindern vorgenommen, und man darf annehmen, daß nach Einführung neuer, geläuterter Religionsformen solche altgeheiligte Zeremonien als Geheimbündlereien oder sogen. Mysterien fortdauerten; wenigstens ist bekannt, daß in den Dionysosmysterien die Tiermasken (Stier- und Bocksgesichter, Pans- und Silensmasken) und die Tierfelle einen hergebrachten Bestandteil bildeten.

Daß aber auch die spätere Anwendung der M. auf dem altgriechischen Theater aus diesen religiösen Zeremonien hervorgegangen, wird allgemein zugestanden. Aus den Bocksspielen der Dionysien entwickelte sich die Tragödie; das Mysterium vom Tod und der Auferstehung des Dionysos Zagreus war das erste griechische Drama, dem bald die Komödie oder das Satyrspiel folgte. Da die religiösen Mummereien durchweg von Männern ausgeführt wurden und diese Sitte der Ausschließung der Frauen auch auf das griechische Theater überging, so war die Beibehaltung der altgeheiligten M. auch für die szenische Darstellung unvermeidlich. Verfertigt wurden die Masken bei den Griechen aus Baumrinde, Leder, zuletzt aus Holz, und zwar bedeckten sie den ganzen Kopf und hatten gewöhnlich große, trichterförmige Mundöffnungen, um der Stimme einen durchdringenden Schall zu verschaffen (daher lat. persona, von personare, hindurchtönen). Man unterschied tragische, komische, Satyr- und orchestische Masken; die letztern, für Tänzer bestimmt, hatten schöne und regelmäßige Gesichtszüge, während die tragischen (Fig. 5–7) ein ernstes und imposantes Aussehen

Fig. 5–7. Masken der Tragödie.
Fig. 8–10. Masken der Komödie.

gewährten, die komischen (Fig. 8–10) und Satyrmasken einen burlesken und drolligen Ausdruck erhielten. Später dienten die Masken zugleich als Ausdruck der Hauptverschiedenheiten der Stände und Charaktere sowie der mannigfaltigen Leidenschaften. Symbolisch wurde die ernste und komische M. für die beiden Hauptgattungen der Schauspielkunst gebraucht. Die Römer haben den Gebrauch der M. von den Griechen angenommen und wenig Neues hinzugefügt. Später findet man nur noch vereinzelt in den Mysterien, allgemein in der italienischen Commedia dell’ arte den theatralischen Gebrauch der M., und zwar gehören hierher die Figuren des bolognesischen Dottore (Graziano), des Pantalon, des Harlekins, des Brighella u. der Kolombine, des Kapitäns Spaviento, endlich die des Pulcinello, sämtlich seit dem 15. Jahrh. auf der italienischen Bühne heimisch. Vgl. Ficoroni, De larvis scenicis et figuris comicis (Rom 1754); Sand, Masques et bouffons (Par. 1860); Dall, Masks, labrets and certain aboriginal customs (Washingt. 1885). Heute versteht man in der Schauspielkunst unter M. die gesamte körperliche Erscheinungsform des darzustellenden bestimmten Charakters in Gesichtsausdruck, Haltung, Bewegung und Kostüm. Die neuere Kunst verwarf die Beihilfe der Gesichtsmaske, durch welche das Mienenspiel verloren geht, und zog die Künste des Schminkens und des Frisierens mit heran. Vgl. Altmann, Die M. des Schauspielers (2. Aufl., Berl. 1875).

Nach andrer Richtung sind von den religiösen Maskenaufzügen der Naturvölker endlich die kirchlichen Maskenfeste und Tänze des Mittelalters herzuleiten, die sich in spätern Zeiten mehr und mehr zu einem bloßen Mittel gesellschaftlicher Unterhaltung, den [315] Maskeraden (s. d.), gestalteten, deren Reiz in der sogen. Maskenfreiheit beruht. Aber merkwürdig genug hat die Hauptmaskenfeier in ihrer Beschränkung auf eine bestimmte Zeit des christlichen Festkalenders auch heute noch ein Kennzeichen ihres religiösen Ursprungs bewahrt. Die früher aus Wachs gefertigten Gesichtsmasken, wie man sich deren bei Maskeraden sowie beim Karneval auch auf den Straßen bedient, werden jetzt meist aus Leinwand mit einem lackierten Überzug hergestellt. Man hat sie in den verschiedensten Charakteren, einfarbige (schwarz oder weiß), die meist Halbmasken sind und nur den obern Teil des Gesichts bedecken, und bunte (halbe und ganze) Masken.

In der Baukunst nennt man Masken Menschenköpfe ohne Hinterhaupt, welche, gewöhnlich aus Stein gehauen, zur Verzierung des Schlußsteins von Fenster- und Thürbogen angewandt werden. – In der Befestigungskunst heißt M. eine Brustwehr, ein Verhau oder eine andre Vorrichtung, durch welche ein andres Werk, eine Batterie etc., dem feindlichen Feuer entzogen („maskiert“) wird. S. Maskieren.