Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Mantik“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 206207
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Mantik. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 206–207. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Mantik (Version vom 22.12.2023)

[206] Mantik (Mantie), bei den Griechen die Wahrsagekunst im allgemeinen; im heutigen Sprachgebrauch nur noch die durch künstliche Mittel angestrebte Entschleierung der Zukunft, im Gegensatz zu der durch inneres Schauen (Prophetie) und göttliche Eingebung bewirkten Weissagung. Zu jenen künstlichen Mitteln gehört sowohl das diesem Zwecke gewidmete Studium der Naturerscheinungen (s. Geomantie, Hippomantie, Hydromantie, Pyromantie, Astrologie etc.) als die Deutung der geworfenen Lose, Würfel, Karten und die Befragung der Toten (s. Los und Nekromantie) und Dämonen. Diese mehr der Zauberei sich nähernden, nicht eine freiwillige Offenbarung der höhern Wesen (Divination), sondern eine gewaltsame Aufdeckung des Schicksals anstrebenden Methoden gründen sich auf die Weltanschauung der alten Babylonier, nach welcher [207] die Welt nicht eigentlich von einer Gottheit willkürlich regiert werden, sondern in ihrem Gang einer unabänderlichen und gesetzmäßigen Vorherbestimmung folgen sollte. Da nun alle Dinge der Welt untereinander und insbesondere mit dem Menschen in unmittelbarster Harmonie und Wechselwirkung stehen sollten, so durfte man mit Umgehung der Gottheit aus dem Stand und Wechsel der Naturdinge unmittelbar zu ersehen hoffen, welchen Gang das Welt- und Menschenschicksal nehmen würde. Die meisten der vom Altertum bis auf die Neuzeit gekommenen Methoden der M. waren bereits im alten Chaldäa völlig ausgebildet, und wie die neuern Keilschriftforschungen erwiesen haben, hatten die Griechen und Römer vollkommen recht, diese trügerische Wissenschaft als eine spezifisch chaldäische zu betrachten. Vgl. Fr. Lenormant, La divination chez les Chaldéens (Par. 1875); Boucher-Leclercq, Histoire de la divination dans l’antiquité (das. 1879–81, 4 Bde.). Allerdings berühren sich die hierher gehörigen Methoden ziemlich unmittelbar mit der Deutung des Vogelflugs, der Blitze, der Eingeweide geschlachteter Opfertiere (s. Augurn und Hieroskopie), in welchen man göttliche Fingerzeige voraussetzte, sowie mit der Traumdeutung, die noch unmittelbarer auf der Annahme göttlicher Eingebung fußte. Über die verschiedenen Gattungen der M. hat am eingehendsten Kaspar Peucer, der Schwiegersohn Melanchthons, geschrieben (Wittenb. 1553 u. öfter). Von den unzähligen Methoden der M. sind heute fast nur noch Punktierkunst, Chiromantie (s. d.), vor allem aber Karten- und Kaffeesatz-Wahrsagung im Schwange. Vgl. Weissagung und Orakel.