Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 11 (1888), Seite 8392
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Magnetismus. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 83–92. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Magnetismus (Version vom 22.11.2023)

[83] Magnetismus (griech.). Manche Stücke des natürlich vorkommenden Eisenoxyduloxyds (Magneteisensteins) besitzen die Eigenschaft, Eisenteilchen anzuziehen und festzuhalten. Man nennt diese Eigenschaft M., und ein Stück jenes Eisenerzes, welches sie besitzt, heißt ein natürlicher Magnet. Durch Berührung oder Bestreichen mit einem natürlichen Magnet kann man den M. vorübergehend auf Eisen und dauernd auf Stahl übertragen und letztern dadurch zu einem künstlichen Magnet machen. Bestreut man einen magnetisierten Stahlstab (Magnetstab) mit Eisenfeile, so bleibt dieselbe, Bärte bildend, vorzugsweise an seinen beiden Enden hängen, während gegen die Mitte zu immer weniger und in der Mitte selbst gar keine Eisenfeile haftet; die beiden Enden, an welchen sich die Anziehung am kräftigsten äußert, werden die Pole, die Mitte, wo keine Anziehung stattfindet, wird der Äquator oder die indifferente Stelle (Indifferenzpunkt) des Magnets genannt; die Verbindungslinie der beiden Pole heißt seine magnetische Achse. Wird ein Magnetstab in seiner Mitte an einem Kokonfaden aufgehängt, so daß er sich in horizontaler Ebene drehen kann, so stellt sich seine Achse, vermöge einer Einwirkung, welche die Erde als Ganzes auf ihn ausübt, in eine Richtung ein, welche von der Südnordrichtung nur wenig abweicht; derjenige seiner Pole, welcher sich stets nach Norden wendet, heißt deshalb der Nordpol, der entgegengesetzte der Südpol. Nähert man den Nordpol eines in der Hand gehaltenen dem Nordpol eines aufgehängten Magnets, so wird der letztere abgestoßen; ebenso stößt der Südpol des Handmagnets den Südpol des aufgehängten ab. Dagegen wird der Südpol des aufgehängten vom Nordpol des Handmagnets und ebenso der Nordpol des erstern vom Südpol des letztern angezogen. Es ergibt sich also das Gesetz: gleichnamige Pole stoßen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an. Bricht man einen Magnetstab mitten entzwei, so bildet jedes Bruchstück wieder einen vollständigen Magnet mit zwei gleich starken Polen, indem an der Trennungsstelle zwei neue Pole entstehen, von denen jeder dem bereits vorhandenen Pol des entsprechenden Bruchstücks entgegengesetzt ist; wie weit man diese Teilung auch fortsetzen mag, jedes noch so kleine Bruchstück eines Magnets erweist sich wieder als vollständiger Magnet. Dieses Verhalten führt zu der Annahme, daß jedes kleinste Teilchen oder Molekül eines Magnets selbst schon ein Magnet mit zwei entgegengesetzten Polen, ein sogen. Molekularmagnet, sei. Diese Annahme enthält keinen Widerspruch gegen die Thatsache, daß die magnetische Wirkung nur an den Enden eines Magnetstabs sich offenbart, sondern gibt davon in befriedigender Weise Rechenschaft. Denkt man sich nämlich der Einfachheit wegen, ein dünnes Magnetstäbchen bestehe aus einer einzigen Reihe von Molekularmagneten, deren Achsen alle in derselben geraden Linie liegen, und deren gleichnamige Pole alle nach derselben Seite gewendet sind, so werden überall auf der ganzen Länge des Stabes zwei entgegengesetzte Pole der benachbarten Molekularmagnete zusammenstoßen, deren anziehende u. abstoßende Wirkungen sich nach außen hin gegenseitig aufheben; nur an den beiden Enden des Stabes werden die freien Pole der letzten Moleküle wirksam bleiben.

Influenz, Koerzitivkraft, Anker.

Nähert man den Nordpol eines Magnets einem Stück weichen Eisens, so wird dasselbe sofort selbst zu einem Magnet, indem es an seinem nähern Ende einen Südpol, am entferntern einen Nordpol bekommt, und vermag jetzt selbst wieder ein zweites, dieses ein drittes etc. Eisenstückchen anzuziehen und zu tragen. Das Eisen wird vom Magnet ebendarum angezogen, weil es unter seinem Einfluß (Influenz) selbst zu einem Magnet wird, welcher dem genäherten Magnetpol seinen ungleichnamigen Pol zuwendet. Der M. des weichen Eisens verschwindet wieder, und die von [84] ihm getragenen Eisenstückchen fallen sofort ab, wenn der influenzierende Magnetpol entfernt wird, oder überhaupt, sobald die magnetisierende Kraft aufhört. Anders verhält sich der Stahl: er wird nicht so leicht magnetisch; ist er es aber durch anhaltende Einwirkung eines Magnets geworden, so bleibt er magnetisch, auch wenn er von diesem getrennt wird. Die Kraft, mit welcher der Stahl der Magnetisierung widersteht, und welche ihn auch verhindert, den einmal angenommenen M. wieder zu verlieren, heißt die Koerzitivkraft. Am größten ist die Koerzitivkraft des härtesten und sprödesten Stahls, beim Anlassen nimmt sie ab und wird durch Erhitzung bis zur Rotglut und allmähliche Abkühlung so gering wie beim weichen Eisen. Graues Gußeisen, welches hell rotglühend gemacht und dann abgelöscht wird, gewinnt dadurch eine bedeutende Koerzitivkraft.

Um die Erscheinungen der magnetischen Influenz zu erklären, nehmen wir an, daß auch jedes unmagnetische Eisen- oder Stahlstück aus bereits fertig gebildeten Molekularmagnetchen bestehe, welche jedoch derart regellos gelagert sind, daß nach jeder Richtung ebenso viele Nord- wie Südpole sich wenden und deshalb ihre anziehenden und abstoßenden Wirkungen gegenseitig aufheben. Bei Annäherung eines Magnetpols drehen sich nun die Molekularmagnete so, daß sie ihre ungleichnamigen Pole dem influenzierenden Magnetpol zuwenden, und ebendadurch wird das Eisen- oder Stahlstück magnetisch. Während im Stahl die Moleküle der Drehung einen großen Widerstand (Koerzitivkraft) entgegensetzen, dagegen aber auch die neue Lage ebenso hartnäckig behaupten, kehren die Moleküle des Eisens, nachdem die magnetisierende Kraft aufgehört hat, ebenso leicht wieder in ihre frühere Lage zurück, wie sie dieselbe verlassen haben. Jedes Eisen- oder Stahlstück kann nur bis zu einem gewissen Grad, bis zur Sättigung, magnetisch gemacht werden, welche dann eintritt, wenn die Drehung sämtlicher Molekularmagnete erreicht ist.

Die gebräuchlichsten Formen der Stahlmagnete sind: der geradlinige Magnetstab, die Magnetnadel, ein dünnes Magnetstäbchen, welches gewöhnlich die Form einer langgestreckten Raute hat und in der Mitte mit einem Hütchen aus Achat oder Stahl versehen

Fig. 1. Magnetnadel.

ist, welches auf eine Stahlspitze aufgesetzt werden kann (Fig. 1); ferner der Hufeisenmagnet, dessen Pole, um sie gleichzeitig wirken lassen zu können, nebeneinander liegen. An die Pole wird ein Stück weiches Eisen, der Anker (die Armatur mm, Fig. 2), gelegt, welches selbst zu einem Magnet wird, der an den Polen des Hufeisenmagnets mit seinen ungleichnamigen Polen anliegt; da zur Bildung des Südpols des Ankers nicht nur der Pol N, sondern auch der Pol S des Magnets beiträgt, so ist die Magnetisierung

Fig. 2. Magnetisches Magazin mit Anker.

des Ankers ungleich stärker, als wenn sie nur von dem einen Pol des Magnets bewirkt worden wäre. Da jeder Pol des Ankers bestrebt ist, nicht nur die bereits gedrehten magnetischen Moleküle in ihrer Richtung zu erhalten, sondern auch die noch nicht gedrehten zu richten, so ist der angelegte Anker ein Mittel, nicht nur eine Schwächung des Magnets zu verhindern, sondern sogar eine allmähliche Kräftigung nicht gesättigter Magnete zu erzielen. Um denselben Vorteil auch bei Magnetstäben zu erreichen, legt man zwei gleiche Stäbe parallel so nebeneinander, daß der Südpol des einen nach derselben Seite gekehrt ist wie der Nordpol des andern, und verbindet ihre Enden durch zwei weiche Eisenstücke derart, daß sie mit den Stäben ein Rechteck bilden. Um stärkere Wirkungen zu erzielen, als durch einzelne Stäbe oder Hufeisen möglich ist, vereinigt man mehrere vorher magnetisierte Stahllamellen zu einem magnetischen Magazin (Fig. 2), indem man sie so aufeinander schichtet, daß ihre gleichnamigen Pole aufeinander zu liegen kommen, und sie durch Schrauben in dieser Lage befestigt.

Tragkraft, Strichmethoden.

Um die Tragkraft eines Hufeisenmagnets zu erproben, hängt man ihn an seiner Biegung auf und belastet den Anker mit Gewichten. Infolge der Influenz, welche beide Pole des Magnets auf den Anker ausüben, vermag ein Hufeisenmagnet weit mehr zu tragen als das Doppelte von dem, was ein Pol für sich tragen würde. Die Tragkraft wächst jedoch keineswegs im nämlichen Verhältnis wie die Masse eines Magnets, sondern ist nach Häcker der Kubikwurzel aus dem Quadrat seines Gewichts proportional. Ein Magnet von 60 g trägt das 25fache seines Gewichts, ein 100pfündiger nicht einmal das Dreifache und ein 1972pfündiger nur noch sein eignes Gewicht. Durch Abreißen des Ankers wird die Tragkraft bedeutend geschwächt, und nach öfterm Abreißen bleibt nur ein Anteil, die konstante Tragkraft, zurück, welche aber durch Stoßen, Fallenlassen etc. ebenfalls noch bedeutend geschwächt werden kann.

Wegen der großen Koerzitivkraft des Stahls reicht die bloße Berührung mit einem Magnet zu seiner Magnetisierung nicht hin, sondern öfteres Bestreichen ist erforderlich, indem man z. B., in der Mitte anfangend, mit der einen Hälfte des zu magnetisierenden Stabes oder Hufeisens 10–20mal über den Nordpol, mit der andern Hälfte ebenso oft über den Südpol eines kräftigen Magnets hinstreicht; natürlich erhält die am Nordpol gestrichene Hälfte einen Südpol und umgekehrt. Die verschiedenen künstlichen Strichmethoden, welche ersonnen wurden, um Stahlstäbe bis zur Sättigung zu magnetisieren, haben ihre Bedeutung verloren, seit man nach Entdeckung des Elektromagnetismus (s. d.) über ungleich größere magnetisierende Kräfte als früher gebietet. Ein Stahlstab kann sehr kräftig magnetisiert werden, indem man ihn in der oben angegebenen Weise an den Polen eines Elektromagnets streicht. Man kann einen Stahlstab [85] aber auch unmittelbar mit Hilfe des Stroms magnetisieren, indem man ihn in eine Drahtrolle steckt und ihn darin, während der Strom durch den Draht fließt, einigemal hin- und herzieht, endlich aber, wenn der Stab sich gerade wieder mit seinem mittlern Teil in der Rolle befindet, den Strom öffnet und den Stab herausnimmt. Wenn die Magnetisierung nicht richtig ausgeführt wird, bekommt der Magnet nicht bloß an seinen Enden, sondern auch an beliebigen Zwischenpunkten Pole, welche man Folgepunkte nennt.

Astasie, Erdmagnetismus, Deklination.

Hängt man in einiger Entfernung über einer Magnetnadel, welche sich unter dem Einfluß der Erde in die Südnordrichtung eingestellt hat, einen Magnetstab auf, so wird sich derselbe zur Nadel parallel stellen, und beide, Stab und Nadel, werden mit ihren Nordpolen nach Norden weisen. Wird die Nadel aus ihrer Stellung seitlich abgezogen und dann losgelassen,

Fig. 3. Astatisches Nadelpaar.

so kehrt sie rasch wieder dahin zurück. Senkt man nun den Magnetstab allmählich herab, so bemerkt man, daß bei einer gewissen Höhe des Stabes über der Nadel letztere das Bestreben, sich einzustellen, verliert und, wenn sie seitwärts abgezogen wird, nicht mehr in ihre frühere Stellung zurückkehrt. Senkt man den Magnetstab noch tiefer, so kehrt die Nadel ihre Stellung um und zeigt mit ihrem Nordpol nach Süden. Aus diesem Versuch geht hervor, daß die Wirkung der Erde auf die Magnetnadel durch einen in geeigneter Entfernung angebrachten Magnet neutralisiert werden kann. Nähert man nun von untenher der Magnetnadel einen Magnetstab, dessen Südpol nach Norden gerichtet ist, so bemerkt man, daß ihr Bestreben, sich mit dem Nordpol nach Norden zu wenden, zurückkehrt und bei einer gewissen Entfernung dieses zweiten Stabes dieselbe Größe erlangt wie bei alleiniger Wirkung der Erde. Daraus geht hervor, daß die Erdwirkung genau dieselbe ist wie die eines Magnets, dessen Nordpol nach Süden gewendet ist, und daß die Erde hinsichtlich ihrer Wirkung auf eine Magnetnadel

Fig. 4. Deklinationsnadel.

durch einen solchen Magnet repräsentiert werden kann und demnach selbst als ein großer Magnet anzusehen ist.

Eine Magnetnadel, welche in der vorhin angegebenen Weise durch Annäherung eines Magnets mit gleichliegenden Polen der Wirkung des Erdmagnetismus entzogen ist, so daß sie nun jedem Impuls frei zu folgen vermag, heißt astatisch. Denselben Erfolg erreicht man auch dadurch, daß man zwei ziemlich gleich starke Magnetnadeln (Fig. 3) so übereinander befestigt, daß die ungleichnamigen Pole übereinander liegen, und dieses astatische Nadelpaar nun frei schweben läßt.

Denkt man sich durch die magnetische Achse einer in horizontaler Ebene drehbaren Magnetnadel (Fig. 4), nachdem sich dieselbe unter dem Einfluß des Erdmagnetismus eingestellt hat, eine Vertikalebene (a b) gelegt, so ist diese der magnetische Meridian; derselbe

Fig. 5. Deklinationskarte für 1860.

macht mit dem astronomischen Meridian (s n) des Beobachtungsorts einen Winkel, welchen man die magnetische Deklination oder Abweichung nennt; die Deklination hat an verschiedenen Orten der Erdoberfläche ungleiche Werte und ist östlich oder [86] westlich, je nachdem das Nordende der Nadel östlich oder westlich vom astronomischen Meridian liegt. In unsern Gegenden ist die Deklination westlich und beträgt gegenwärtig in Berlin ungefähr 12°. Einen Überblick über die Deklinationsverhältnisse der Erdoberfläche gewährt die Deklinationskarte (Fig. 5), auf welcher alle Orte gleicher Abweichung durch krumme Linien verbunden sind; diese Kurven gleicher magnetischer Deklination heißen Isogonen. Alle Isogonen

Fig. 6. Deklinationsbussole.

laufen in zwei Punkten zusammen, von denen der eine im nordamerikanischen Eismeer in der Nähe der Melvilleinsel, der andre im Südlichen Eismeer südlich von Neuholland liegt, und welche als die magnetischen Pole der Erde anzusehen sind; der im N. gelegene ist ein magnetischer Südpol, der südliche ein magnetischer Nordpol. Eine Linie ohne Abweichung, d. h. eine solche, auf welcher die Richtung der Magnetnadel

Fig. 7. Inklinations­nadel.

überall mit dem astronomischen Meridian zusammenfällt, schneidet die östliche Spitze von Brasilien ab, läuft im O. von Westindien durch den Atlantischen Ozean, um in der Gegend von Philadelphia in den Kontinent von Nordamerika einzutreten und durch die Hudsonbai hindurchzulaufen. Dann geht sie durch den magnetischen Südpol und den geographischen Nordpol, durch das Weiße und Kaspische Meer, durchsetzt westlich von Vorderindien den Indischen Ozean, wendet sich sodann nach Neuholland, um endlich durch den magnetischen Nordpol und geographischen Südpol der Erde in sich selbst zurückzulaufen. Auf dem Atlantischen Ozean, in Europa u. Afrika ist die Deklination überall eine westliche; auf der andern, durch die beschriebene Linie bezeichneten Erdhälfte ist die Deklination eine östliche, mit Ausnahme einer kleinen Strecke im östlichen Asien und dem angrenzenden Meer, wo eine zweite, in sich selbst zurücklaufende Linie ohne Abweichung vorkommt, in deren Innerm die Deklination wieder eine westliche ist.

Jeder zur Messung der Deklination bestimmte Apparat heißt Deklinatorium oder Deklinationsbussole. Einen einfachen Apparat dieser Art zeigt Fig. 6. Inmitten eines horizontalen, geteilten Kreises ist eine Magnetnadel auf eine Spitze aufgesetzt; an der Seite des Gehäuses, welches um eine vertikale Achse gedreht werden kann, ist ein Fernrohr angebracht, dessen Achse mit dem Durchmesser 0–180° des Teilkreises parallel läuft. Hat man den Apparat so gestellt, daß die Nadel über 0–180° steht, so fällt die Achse des Fernrohrs in den magnetischen Meridian; bringt man dagegen das Fernrohr in den astronomischen Meridian, so gibt die Nadel die Deklination an. Das Instrument kann natürlich auch zum Messen beliebiger Winkel benutzt werden (Feldbussole). Die zum Schiffsgebrauch dienende Deklinationsbussole heißt Kompaß (s. d.). Zu sehr genauen Deklinationsbestimmungen gebraucht man das Magnetometer und den magnetischen Theodolit (s. Magnetometer).

Inklination.

Wird eine Magnetnadel, welche um eine horizontale, durch ihren Schwerpunkt gehende Achse drehbar ist (Fig. 7), so aufgestellt, daß ihre Drehungsebene

Fig. 9. Inklinationsbussole.

in den magnetischen Meridian fällt, so nimmt ihre Achse eine zum Horizont geneigte Stellung an, und zwar neigt sich auf der nördlichen Halbkugel der Nordpol, auf der südlichen der Südpol der Nadel nach abwärts. Der Winkel, welchen die Achse der Nadel mit der Horizontalen bildet, heißt die magnetische Neigung oder Inklination. Dieselbe beträgt in Berlin gegenwärtig 67° und nimmt nach N. hin zu, bis sie am nördlichen Magnetpol selbst, welcher von Kapitän Roß unter 70° 5′ nördl. Br. und 96° 46′ westl. L. v. Gr. wirklich erreicht worden ist, = 90° wird; an den magnetischen Polen der Erde stellt sich also die Magnetnadel vertikal, weshalb der Schiffskompaß in hohen Breiten unbrauchbar wird. Die Verteilung der Inklination über die Erdoberfläche wird veranschaulicht durch die Inklinationskarte (Fig. 8), auf der die Orte mit gleicher Inklination durch je eine krumme Linie verbunden sind; diese Linien werden Isoklinen genannt. Die Nullisokline, längs welcher die Inklinationsnadel horizontal steht, verläuft in der Äquatorialzone teils diesseit, teils jenseit des geographischen Äquators; sie wird der magnetische Äquator der Erde genannt. Zur Bestimmung der Inklination kann die Inklinationsbussole [87] (Fig. 9) angewendet werden, deren Einrichtung ohne weitere Erläuterung verständlich ist. Die Stellung der Inklinationsnadel gibt die Richtung an, nach welcher an jedem Orte die totale erdmagnetische Kraft wirkt. Die Wirkung des Erdmagnetismus auf eine Magnetnadel ist nur eine richtende und

Fig. 8. Inklinationskarte für 1860.
Fig. 10. Isodynamische Linien für 1835.

keineswegs eine fortbewegende; denn die entgegengesetzten Kräfte, welche jeder Erdpol auf die beiden Pole der Nadel ausübt, sind wegen der ungeheuern Entfernung des Erdpols von der Nadel einander gleich und parallel und bilden sonach ein Kräftepaar, welches nur eine drehende, nicht aber eine fortschreitende Bewegung hervorzubringen vermag. Entfernt man eine Magnetnadel, sei es eine Inklinations- oder Deklinationsnadel, ein wenig aus ihrer Gleichgewichtslage, so kehrt sie dahin zurück vermöge einer Reihe von Schwingungen, welche genau dieselben Gesetze befolgen wie die Schwingungen eines Pendels. Läßt man eine und dieselbe Magnetnadel an verschiedenen Orten der Erdoberfläche schwingen, so kann man aus der Anzahl der Schwingungen, welche sie in einer Sekunde macht, auf das Verhältnis der erdmagnetischen Kräfte an diesen Orten schließen; diese Kräfte verhalten sich nämlich wie die Quadrate der beobachteten Schwingungszahlen. Aus den Schwingungen einer Inklinationsnadel würde man auf diese Weise die ganze erdmagnetische Kraft oder die totale Intensität kennen lernen, während auf [88] die Deklinationsnadel nur die horizontale Komponente der totalen Kraft oder die horizontale Intensität einwirkt. Da jedoch die Deklinationsnadel genauere Beobachtungen gestattet als die Inklinationsnadel, so zieht man es vor, mit Hilfe der erstern nur die horizontale Intensität direkt zu bestimmen, woraus sich alsdann die totale Intensität, wenn die Inklination bekannt ist, leicht berechnen läßt. Die Verteilung der totalen erdmagnetischen Kraft über die Erdoberfläche wird zur Anschauung gebracht durch die Linien gleicher Intensität oder die Isodynamen; das Kärtchen (Fig. 10) zeigt, daß die magnetische Intensität im allgemeinen vom Äquator gegen die Pole hin zunimmt; den größten Wert erreicht sie jedoch nicht an den magnetischen Polen selbst, sondern auf der nördlichen Halbkugel finden wir zwei Punkte höchster magnetischer Kraft, den einen in Nordamerika etwas westlich von der Hudsonbai, den andern im nördlichen Asien. Den beigeschriebenen Zahlen ist eine willkürliche Einheit zu Grunde gelegt.

Intensität, Potenzial, Variationen.

Die drei Größen: Deklination, Inklination und Intensität werden die Elemente des Erdmagnetismus genannt, weil durch sie Richtung und Größe der erdmagnetischen Kraft vollständig bestimmt sind. Gauß hat nun einen mathematischen Ausdruck aufgestellt, das magnetische Potenzial, aus welchem sich sämtliche drei Elemente mit Leichtigkeit berechnen lassen. Auch geben die Linien gleichen Potenzials oder die magnetischen Gleichgewichtslinien das einfachste Bild von den magnetischen Verhältnissen unsrer Erdoberfläche; aus ihrem Lauf läßt sich z. B. die Richtung der Deklinationsnadel an jedem Ort leicht erkennen, indem dieselbe stets rechtwinkelig zu den Gleichgewichtslinien steht. Denkt man sich auf diesem Kärtchen (Fig. 11) ein System von Linien gezogen, welche die Gleichgewichtslinien senkrecht durchschneiden, so erhält man die magnetischen Meridiane, während die Gleichgewichtslinien selbst als magnetische Parallelkreise aufgefaßt werden können.

Sämtliche Elemente des Erdmagnetismus behalten auch an einem und demselben Ort nicht den nämlichen Wert, sondern sind fortwährenden Schwankungen unterworfen, welche teils unregelmäßig und plötzlich, teils regelmäßig und periodisch eintreten; erstere heißen Störungen, letztere Variationen. Die täglichen Variationen der Deklination zeigen in unsern Gegenden im allgemeinen folgenden Gang. Um 8 Uhr morgens hat die Magnetnadel ihre östlichste Stellung, dann bewegt sich ihr Nordende ziemlich rasch gegen W. und erreicht seinen westlichen Wendepunkt zwischen 1 und 2 Uhr nachmittags, um sodann wieder nach O. zurückzugehen, was in den Nachmittags- und Abendstunden rascher geschieht als in den Nachtstunden. Der Winkel zwischen dem östlichsten und westlichsten Stande der Magnetnadel beträgt

Fig. 11. Magnetische Gleichgewichtslinien für 1835.

nur wenige Bogenminuten und ist im Sommer (13–15′) größer als im Winter (8–10′). Abgesehen von diesen täglichen Variationen, sind aber auch die Mittelwerte der erdmagnetischen Elemente noch säkularen Variationen unterworfen, welche zwar sehr langsam erfolgen, aber, indem sie im Lauf der Jahre in gleichem Sinn fortschreiten, allmählich zu beträchtlicher Größe anwachsen. So war z. B. in Frankreich 1580 die Deklination 11° 30′ östlich, nahm sodann beständig ab und wurde 1663 gleich Null; von jener Zeit an wurde sie wieder westlich, bis sie 1814 mit 22° 34′ ihr westliches Maximum erreichte; seitdem nimmt die westliche Deklination wieder ab. In Deutschland beträgt ihre jährliche Abnahme im Durchschnitt 61/2 Minuten; in Berlin war sie während des vorigen Jahrhunderts im Zunehmen begriffen, erreichte 1805 ihren größten westlichen Wert von 18° und beträgt gegenwärtig nur noch 12°. Auch die Inklination zeigt sowohl tägliche als säkulare Änderungen; in Paris betrug sie 1671 noch 75°, seitdem hat sie fortwährend abgenommen bis zu ihrem gegenwärtigen Wert von 661/2°. Ebenso ist auch die Intensität sowohl täglichen als säkularen Variationen unterworfen. Die Variationen der Deklination werden mittels des Magnetometers, diejenigen der Intensität mittels des Bifilarmagnetometers bestimmt; beide Instrumente wurden von Gauß angegeben (s. [89] Magnetometer). Die täglichen Variationen stehen offenbar mit dem täglichen Gang der Sonne in Beziehung; die Ursache der säkularen Variationen kennt man nicht. Von den Störungen weiß man, daß sie mit Erdbeben und vulkanischen Ausbrüchen, namentlich aber mit der Erscheinung des Nordlichts in innigem Zusammenhang stehen. Dieselben treten oft über weite Ländergebiete gleichzeitig ein, was namentlich durch die Beobachtungen des von Humboldt angeregten und von Gauß geleiteten Magnetischen Vereins bestätigt wurde, dessen Mitglieder an verschiedenen Orten an vorausbestimmten Terminen 24 Stunden lang den Gang der Deklinationsinstrumente von 5 zu 5 Minuten nach Göttinger Zeit beobachten.

Eine Eisenstange, welche man in die Inklinationsrichtung hält, wird durch den Einfluß des Erdmagnetismus magnetisch, und zwar bekommt sie oben einen Südpol, unten einen Nordpol. Kehrt man die Stange um, so sind auch sogleich die Pole umgekehrt. Gibt man dem Stab eine andre Richtung, so ist die auf ihn ausgeübte magnetisierende Wirkung der Erde um so geringer, je größer der Winkel ist, den er mit der Inklinationsrichtung bildet, und verschwindet ganz, wenn er auf ihr senkrecht steht. Auf vertikale Stäbe, deren Richtung in unsern Gegenden von derjenigen der Inklinationsnadel nur wenig abweicht, ist der magnetisierende Einfluß der Erde noch ziemlich bedeutend. Stahlstäbe, in der Richtung der Inklinationsnadel oder auch nur vertikal gehalten, werden dauernd magnetisch, namentlich wenn man sie in dieser Stellung hämmert. Erschütterungen scheinen nämlich die Drehung der Molekularmagnetchen zu befördern. Daraus erklärt es sich, daß fast alle Werkzeuge in der Werkstatt eines Schlossers Magnete sind. Auch chemische Einwirkungen scheinen das Magnetischwerden zu begünstigen; Eisenstangen, welche in vertikaler Stellung rosten, werden dauernd magnetisch.

Coulombs Gesetz.

Die Kraft, mit welcher zwei Magnetpole sich gegenseitig anziehen oder abstoßen, ist dem Quadrat ihrer Entfernung umgekehrt proportional. Dieses Grundgesetz des M. wurde von Coulomb nach zwei Methoden experimentell nachgewiesen. Erstlich durch die Schwingungen einer kleinen Magnetnadel, welche an einem Kokonfaden aufgehängt war; bringt man dieselbe ein wenig aus ihrer Gleichgewichtslage, so schwingt sie unter dem Einfluß des Erdmagnetismus. Nähert man nun ihrem Südpol den Nordpol eines sehr langen Magnetstabs, dessen Südpol demnach so weit entfernt ist, daß seine Wirkung auf die Nadel außer acht gelassen werden kann, so schwingt sie jetzt unter dem vereinigten Einfluß der Erde und des genäherten Magnetpols. Bestimmt man die Schwingungszahlen bei verschiedenen Abständen des Pols und berechnet daraus nach dem bereits oben angeführten Gesetz die jedesmal wirksame Kraft, so findet man, daß die vom Pol allein geübte Anziehung bei doppelter Entfernung nur noch 1/4, bei dreifacher nur 1/9 etc. beträgt. Bei der zweiten Methode kam die Drehwage (s. d.) zur Anwendung. Ein Magnetstäbchen hängt an einem Drahte, dessen oberes Ende durch Umdrehung einer Scheibe um einen meßbaren Winkel gedreht werden kann. Wäre das Stäbchen nicht magnetisch, so würde es der Drehung folgen, ohne daß der Draht eine Drillung oder Torsion erleidet. Da aber das Stäbchen seiner Entfernung aus dem magnetischen Meridian widerstrebt, so erleidet der Draht eine Torsion, und das Stäbchen nimmt stets diejenige Stellung an, daß sein magnetisches Moment dem Torsionsmoment des Drahts das Gleichgewicht hält. Nähert man nun seinem einen Pol einen gleichnamigen Magnetpol, der es in die Gleichgewichtslage zurückzutreiben strebt, so muß man, um dies zu verhindern, dem Draht eine neue Torsion erteilen. Bestimmt man die hierzu nötige Torsion für verschiedene Entfernungen des Magnetpols, so läßt sich, da die Kraft, mit welcher der Draht in seine Gleichgewichtslage zurückzukehren strebt, stets der Größe der Torsion proportional ist, die in jedem Fall wirksame Abstoßungskraft leicht berechnen. Auch diese Versuche bestätigen die Richtigkeit des obigen Gesetzes. Aus diesem Gesetz, welches für die Wechselwirkung zweier Pole gilt, folgt, daß die gegenseitige Einwirkung zweier vollständiger Magnete, deren Entfernung im Verhältnis zu ihren Dimensionen so groß ist, daß die Wechselwirkung aller vier Pole in Betracht kommt, der dritten Potenz ihrer Entfernung umgekehrt proportional ist. Die leicht durchzuführende experimentelle Bestätigung dieser Folgerung liefert einen neuen Beweis für die Richtigkeit des Grundgesetzes.

Befindet sich eine Magnetpol in der Nähe eines Magnets, so werden dessen beide Pole, der eine mit einer anziehenden, der andre mit einer abstoßenden Kraft, auf ihn wirken, welche sich zu einer resultierenden Kraft vereinigen, deren Richtung und Größe von der Lage jenes Pols in Beziehung auf den Magnet abhängig ist. Die verschiedenen Richtungen der magnetischen Kräfte in der Nähe eines Magnets können in anschaulicher Weise sichtbar gemacht werden, indem man auf ein über den Magnet gelegtes Blatt steifen Papiers Eisenfeilspäne siebt. Diese ordnen sich zu

Fig. 12. Magnetische Kurven.

regelmäßig gestalteten Kurven (Fig. 12), welche beide Pole miteinander verbinden, und deren Richtung in jedem Punkte die Richtung der magnetischen Kraft angibt. Diese Linien heißen magnetische Kurven oder (nach Faraday) Magnetkraftlinien. Die Linien, welche wir im vorigen Abschnitt als magnetische Meridiane bezeichneten, sind die Magnetkraftlinien der Erde.

Theorien.

Zur Erklärung der magnetischen Erscheinungen hat man angenommen, daß es zwei unwägbare magnetische Flüssigkeiten (Fluida), eine nordmagnetische und eine südmagnetische, gebe, denen man die Eigenschaft zuschreibt, daß die Teilchen derselben Flüssigkeit einander abstoßen, daß dagegen Anziehung stattfindet zwischen den Teilchen der einen und denjenigen der andern Flüssigkeit. Diese Hypothese kann nicht den Anspruch erheben, über die Natur des M. Aufschluß zu geben; sie hat vielmehr nur die Bedeutung einer bildlichen Ausdrucksweise, welche uns den Überblick über die Erscheinungen und die Beschreibung derselben erleichtert, und wird von den Physikern heutzutage auch nur noch in diesem Sinn angewendet.

[90] Eine andre Theorie des M., welche alle magnetischen Erscheinungen auf die Wirkungen elektrischer Ströme zurückführt, hat Ampère aufgestellt. Nachdem derselbe nämlich erkannt hatte, daß zwei Stromleiter sich anziehen oder abstoßen, je nachdem sie in gleicher oder entgegengesetzter Richtung vom Strom durchflossen werden, und daß eine von Elektrizität durchströmte Drahtspirale (Solenoid) sich einem Magnet, der Erde oder einer zweiten durchströmten Spirale gegenüber ganz wie ein Magnetstab verhält, nahm er an, daß jedes Eisenmolekül unaufhörlich von einem kleinen Kreisstrom umflossen werde, von denen jeder nach den Gesetzen der Elektrodynamik (s. d.) einen kleinen Magnet darstellt, dessen Pole zu beiden Seiten des Kreisstroms in der Achse liegen, die man sich senkrecht durch die Mitte des Kreises gelegt denken kann. In einem unmagnetischen Eisenstab haben die Ebenen dieser Kreisströme die verschiedensten Lagen und heben deswegen ihre Wirkungen nach außen gegenseitig auf. Führt man nun einen elektrischen Strom um den Eisenstab, so richtet derselbe die Molekularströme gleichlaufend mit sich und folglich deren Achsen parallel zur Achse des Eisenstabes; der Stab ist jetzt magnetisch (zu einem Elektromagnet, s. d.) geworden und hat seinen Südpol nach der Seite gewendet, von welcher aus betrachtet sowohl der magnetisierende Strom als auch die Molekularströme des Eisens in der Richtung des Uhrzeigers kreisen. Während die Molekularströme des weichen Eisens nach Aufhören der magnetisierenden Ursache in ihre frühern Lagen zurückkehren, behaupten diejenigen des Stahls dauernd die ihnen einmal gegebene Richtung. Die Ströme, welche die innern Moleküle eines Magnets umkreisen, können nach außen keine bemerkbare magnetische Wirkung ausüben, weil in Bezug auf jeden solchen innern Kreisstrom alle benachbarten Ströme so laufen, daß sie die Wirkung desselben aufheben; vielmehr können nur die Ströme, welche die an dem Umfang des Stabes liegenden Moleküle umfließen, und zwar nur in den nach auswärts gewendeten Teilen ihrer Bahn die vom Stab ausgehende magnetische Wirkung verursachen. Diese Ströme kann man sich aber ersetzt denken durch geschlossene Ströme, welche den ganzen Stab rings umlaufen, und sonach wäre ein Magnetstab vergleichbar mit einer vom Strom durchlaufenen Drahtspirale. Das Gesetz der Pole erklärt sich alsdann aus dem Bestreben der Ströme in den beiden aufeinander wirkenden Magneten, sich parallel und

Fig. 13. Erklärung des Magnetismus nach Ampère.

gleichzurichten (Fig. 13). Ebenso wird eine Magnetnadel durch den elektrischen Strom abgelenkt, weil die sie umkreisenden Ströme sich parallel mit dem Strom im Leitungsdraht zu stellen suchen. Auch der Erdmagnetismus ist nach dieser Theorie nichts weiter als die Wirkung von elektrischen Strömen, welche die Erde in stets veränderlicher Richtung und Stärke, aber im allgemeinen von O. nach W. umkreisen. Die tägliche Periode der magnetischen Variationen scheint darauf hinzudeuten, daß diese Erdströme thermoelektrischen Ursprungs sind.

Diamagnetismus.

Bringt man ein Stäbchen von Wismut, welches, an einem Kokonfaden aufgehängt, horizontal schwebt, zwischen die Pole eines sehr kräftigen Elektromagnets (Fig. 14, von oben gesehen), so wird es von beiden

Fig. 14. Diamagnetismus.

Polen abgestoßen und stellt sich daher rechtwinkelig (ab) zur Verbindungslinie der beiden Pole (äquatorial), während ein Eisenstäbchen sich natürlich in die Verbindungslinie (NS) der beiden Pole (axial) gestellt hätte. In Bezug auf dieses Verhalten lassen sich alle Körper in zwei Gruppen teilen: die magnetischen (auch „paramagnetische“ genannt) werden vom Magnet angezogen und stellen sich axial, die übrigen werden abgestoßen und stellen sich äquatorial; letztere wurden von Faraday, der diese Erscheinung entdeckte, diamagnetisch genannt. Außer Eisen, Nickel und Kobalt, deren magnetische Eigenschaften schon längst bekannt waren, erwiesen sich noch Mangan, Chrom, Cer, Titan, Palladium, Platin, Osmium sowie fast alle Eisenverbindungen als magnetisch, als diamagnetisch dagegen vorzüglich Wismut, sodann Antimon, Zink, Zinn, Blei, Silber, Kupfer, Gold etc. Um Flüssigkeiten zu prüfen, füllt man sie in dünnwandige Glasröhren, oder man stellt sie in einem Uhrglas über die sehr genäherten Pole eines starken Elektromagnets; im letztern Fall bilden sie unebene Oberflächen, und zwar häufen sich magnetische Flüssigkeiten über den Kanten der Pole an und bilden kleine Hügel, während diamagnetische Flüssigkeiten sich nach der axialen Richtung ausdehnen und nach der äquatorialen zusammenziehen; in der Mitte zwischen den beiden Polen bildet sich alsdann statt des frühern Bergrückens ein in der äquatorialen Richtung sich hinziehendes Thal. Kerzenflammen sind in höherm Grade diamagnetisch als die umgebende Luft; sie werden von den Magnetpolen abgestoßen und nehmen in äquatorialer Richtung eine verbreiterte Gestalt an. Die Gase sind diamagnetisch, Sauerstoffgas aber verhält sich gegen alle andern Gase magnetisch, d. h. es ist weniger diamagnetisch als sie. Wie Plücker zuerst gezeigt hat, üben die Kristallisationsverhältnisse auf die diamagnetischen Erscheinungen einen wesentlichen Einfluß aus. Eine parallel zur Kristallachse geschliffene Turmalinplatte stellt sich axial, wenn jene Achse senkrecht steht, dagegen äquatorial, wenn ihre Achse horizontal liegt. Aus Versuchen mit kristallisiertem Wismut ergab sich, daß die Hauptspaltungsebene sich äquatorial zu stellen strebt, so daß ein Stäbchen aus kristallisiertem Wismut, dessen Längsrichtung auf dieser Ebene senkrecht steht, sich axial stellt. Faraday nennt diese Richtung des kristallisierten Wismuts, welche sich axial zu stellen strebt, die Magnetkristallachse. Plücker bezeichnet als magnetische Kristallachsen solche durch die Kristallform bedingte feste Richtungen, nach welchen die magnetische oder diamagnetische Polarität unabhängig von der Lage der magnetisierenden Pole auftritt.

Weber erklärt den Diamagnetismus durch molekulare Ströme, welche aber nicht, wie diejenigen der [91] magnetischen Körper, bereits fertig gebildet sind und durch einen genäherten Magnet bloß seinen eignen Strömen gleichgerichtet werden, sondern welche durch den genäherten Magnet erst hervorgerufen oder, wie man sagt, induziert werden. Nähert man einem Magnetpol einen Leiter, z. B. einen Kupferstab, so werden in diesem Ströme induziert, welche den Ampèreschen Strömen entgegengesetzt sind. Diese Ströme sind jedoch von sehr kurzer Dauer, denn indem sie durch die Masse des Kupfers von Molekül zu Molekül übergehen, haben sie einen Leitungswiderstand zu überwinden, durch welchen ihre Energie sehr bald erschöpft wird. Außer diesen durch die Masse des Leiters sich fortpflanzenden gewöhnlichen Induktionsströmen erregt der Magnet aber auch noch kleine Kreisströme um dessen Moleküle, welche den Molekularströmen des Magnets ebenfalls entgegengesetzt sind, aber, weil sie beim Umkreisen des Moleküls keinem Widerstand begegnen, so lange fortdauern, bis infolge einer neuen Induktion neue entgegengesetzte Molekularströme entstehen, welche die ältern aufheben. Da nun diese Molekularströme denjenigen des Magnets entgegengesetzt sind, so sieht man, daß nach den elektrodynamischen Gesetzen Abstoßung eintreten muß. Die induzierten Molekularströme können sich auch in Nichtleitern bilden, welche einen Übergang der Elektrizität von einem Molekül zum andern und daher das Entstehen gewöhnlicher Induktionsströme nicht gestatten; Glas, Schwefelkohlenstoff und andre Nichtleiter zeigen sich in der That stark diamagnetisch. Die erste diamagnetische Erscheinung, welche Faraday beobachtete, war die Drehung der Polarisationsebene des Lichts (s. Polarisation) durch den M. Bringt man nämlich zwischen die Halbanker eines kräftigen Elektromagnets

Fig. 15. Diamagnetische Drehung der Polarisationsebene des Lichts.

(Fig. 15), welche in axialer Richtung (a d), um hindurchsehen zu können, durchbohrt sind, ein Stück (g) von Faradays „schwerem Glas“ (kieselborsaurem Blei), so erleidet die Polarisationsebene eines durch dies Glasstück hindurchgeschickten linearpolarisierten Lichtstrahls eine Drehung und zwar in der Richtung, nach welcher der positive Strom den Elektromagnet umkreist. Auch an andern durchsichtigen, festen und flüssigen Körpern beobachtet man die magnetische Drehung der Polarisationsebene, wenn auch in geringerm Grade. Denselben Erfolg erzielt man auch ohne Magnet, wenn man einen elektrischen Strom in Spiralwindungen um die durchsichtigen Körper herumleitet. Zwischen der magnetischen Drehung der Polarisationsebene und derjenigen Drehung, welche manchen Körpern (den zirkularpolarisierenden) von Natur eigen ist, besteht übrigens ein wesentlicher Unterschied. Geht nämlich ein Strahl durch ein von Strömen umkreistes diamagnetisches Mittel, so wird die Polarisationsebene, wie erwähnt, nach der Richtung der Ströme gedreht, und man erhält mithin eine Drehung nach rechts oder nach links, je nachdem der Strahl in der einen oder in der andern Richtung durch das Mittel hindurchgeht. Bei zirkularpolarisierenden Körpern erhält man dagegen stets eine Drehung nach derselben Seite, gleichviel nach welcher Richtung man durch den Körper hindurchblickt. Wird daher der einfallende Strahl am andern Ende des zirkularpolarisierenden Mittels so reflektiert, daß er auf demselben Weg zurückkehrt, so beobachtet man gar keine Drehung, weil die beiden hintereinander erfolgten Drehungen, absolut genommen, entgegengesetzt waren. Bei der Drehung durch den Strom werden dagegen beide Drehungen, wieder absolut genommen, in gleichem Sinn erfolgen, und der Effekt wird durch die Reflexion verdoppelt. Nach Wiedemanns Untersuchungen ist die Drehung der Polarisationsebene der Stärke des Stroms oder der magnetisierenden Kraft proportional und nimmt zu mit der Brechbarkeit der Strahlen. Bei gleicher magnetisierender Kraft ist die Drehung in verschiedenen Stoffen sehr verschieden: in Lösungen von Salzen mit diamagnetischem Radikal ist das Drehungsvermögen fast durchgängig größer als für Wasser, dagegen ist es kleiner als für Wasser in Lösungen von Salzen mit magnetischem Radikal, so daß letztern Salzen ein negatives Drehungsvermögen zuzuschreiben ist.

Geschichtliches.

Der Magnetstein hat nach Lukrez seinen Namen von der Stadt Magnesia, wo ihn die Griechen zuerst gefunden haben sollen. Plinius erzählt von einem Hirten, Magnes, der auf dem Berg Ida mit den eisernen Nägeln seiner Sohlen und der eisernen Spitze seines Hirtenstabes auf einem magnetischen Stein festgehalten wurde. Die Alten scheinen die Kunst verstanden zu haben, den natürlichen Magnet zu armieren und dadurch zu verstärken. Das Geheimnisvolle, welches in dem Stein liegt, wurde namentlich von den Priestern vielfach ausgenutzt. Die Richtkraft des Magnets war wenigstens den Chinesen schon sehr lange bekannt; sie benutzten magnetische Wagen, auf denen der magnetische Arm einer Menschengestalt unausgesetzt nach Süden wies, um sicher den Landweg durch die Grasebenen der Tatarei zu finden. Im 3. Jahrh. nach unsrer Zeitrechnung segelten schon chinesische Fahrzeuge im Indischen Ozean nach magnetischer Südweisung. 400 Jahre vor Kolumbus kannten die Chinesen bereits die Deklination. In Europa wird der Magnetstein zuerst gegen Ende des 11. Jahrh. von Are Frode in seiner Geschichte von der Entdeckung Islands erwähnt; man scheint den natürlichen Magnet an einem Faden aufgehängt zu haben und nannte ihn Leitstein (engl. leadstone). Gilbert erzählt, daß nach Flavius Blondus zuerst ums Jahr 1300 die Amalfitaner in Neapel den Schiffskompaß konstruiert und angewendet hätten, und zwar nach der Anleitung des Flavio Gioja; doch sei es wahrscheinlicher, daß die Kenntnis des Kompasses ums Jahr 1260 durch Paulus Venetus aus China nach Italien gebracht sei. Jedenfalls war der Seekompaß im südlichen Europa schon zu Anfang des 13. Jahrh. bekannt. Im J. 1266 kannte man auch in Norwegen die Magnetnadel, und wenige Jahre später wußte man, daß ungleichnamige Pole sich anziehen. In einem Briefe von Peter Adsiger wird ausführlich von der Deklination gesprochen, die später Kolumbus mit großer Bestürzung 200 Leguas von der Insel Ferro entfernt von neuem entdeckte. Kolumbus war der erste, welcher die Beobachtung machte, daß die Deklination an verschiedenen Orten ungleich stark ist. Genauere Bestimmungen der Deklination wurden erst um die Mitte des 16. Jahrh. gemacht, und 1543 entdeckte Georg Hartmann in Nürnberg die Inklination. Er [92] fand auch das Gesetz der ungleichnamigen Pole und das Magnetischwerden eines Eisenstäbchens unter dem Einfluß des Erdmagnetismus. 1590 beobachtete Cäsar in Rimini den M. einer auf einem Kirchturm verrosteten Eisenstange. Um den M. zu erklären, hat man lange abenteuerliche Vorstellungen gehegt, und besonders glaubte man an nordische Magnetberge, denen kein Schiff sich nähern dürfe, ohne zu zerschellen, indem die Nägel durch den Magnet aus dem Holz herausgezogen würden. Erst Gilbert verwies 1600 diese Vorstellung ins Reich der Fabeln. Daß die Deklination sich an demselben Ort mit der Zeit ändere, wurde in London und Paris nachgewiesen, und 1722 entdeckte Graham auch die täglichen Variationen. Halley, der sich um die Theorie des M. sehr verdient gemacht hat, entwarf 1699 die isogonischen Linien, die übrigens schon Burrus gezogen haben soll. Die neuern Arbeiten über den M. knüpfen sich an die Namen Euler, Humboldt, Hansteen, Gauß, Weber, Lamont. Der Diamagnetismus wurde 1845 von Faraday entdeckt, neben welchem als Forscher auf diesem Gebiet noch Plücker, Weber, Tyndall, Wiedemann und Verdet zu nennen sind. – Über den sogen. tierischen oder Lebensmagnetismus s. Magnetische Kuren. Vgl. Lamont, Handbuch des M. (Leipz. 1867); Airy, Über den M. (a. d. Engl., Berl. 1874); Ferrini, Technologie der Elektrizität und des M. (deutsch, Jena 1878); Hoh, M. und Elektrizität als kosmotellurische Kräfte (Wien 1887).