Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Magenkatarrh“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 6568
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Magenkatarrh. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 65–68. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Magenkatarrh (Version vom 20.11.2023)

[65] Magenkatarrh (Status gastricus, Gastrizismus, verdorbener Magen), Störung der Magensekretion und Steigerung der Schleimabsonderung. Der M. tritt in den verschiedensten Graden und Formen, mit sehr wechselnden Symptomen auf, und zwar richten sich die genannten Momente wesentlich nach der Dauer und den Ursachen der Krankheit sowie nach dem Alter und den sonstigen Verhältnissen des Patienten. Der M. ist bald ein akuter, bald ein chronischer; beide Formen [66] gehören, da sie meist von unzweckmäßiger Nahrungseinfuhr abhängen, zu den häufigsten Krankheiten, besonders der zivilisierten Menschen.

Die Disposition für den akuten M. ist bei verschiedenen Menschen eine sehr verschiedene. Es scheint, als ob eine mangelhafte Absonderung von Magensaft die Disposition für den M. erhöhe, weil dadurch die Bildung abnormer Zersetzungsprodukte im Magen begünstigt wird. So sehen wir z. B., daß alle Fieberkranken sehr zu M. neigen. Wenn daher Fieberkranke die Nahrungszufuhr nicht entsprechend der Verminderung des Magensafts herabsetzen, so bekommen sie M. Auch bei heruntergekommenen und schlecht genährten Individuen, z. B. bei Rekonvaleszenten, scheint die Neigung zu derartigen Erkrankungen in einer mangelhaften Absonderung jenes Verdauungssafts ihren Grund zu haben. Hat jemand wiederholt an M. gelitten, so wird er nur noch mehr zu ähnlichen Affektionen disponiert. Der akute M. wird hervorgerufen durch ungewöhnlich große Quantitäten von Speisen, auch wenn diese an sich leichtverdaulich sind. Der Magensaft reicht dann zur Verdauung nicht aus, und es entstehen abnorme Zersetzungsprodukte. Der M. folgt auf eine solche Überladung des Magens gewöhnlich erst am folgenden Tag. Wird ein Teil des Mageninhalts erbrochen, und reicht der Magensaft hin, den Rest zu verdauen, so kommt es nicht zum Katarrh. M. kann auch durch mäßigen Genuß schwerverdaulicher Speisen hervorgerufen werden, er entsteht häufig auch infolge von Reizung der Magenschleimhaut durch sehr heiße oder sehr kalte Speisen und Getränke, durch manche Arzneien, durch spirituöse Getränke, durch scharfe Gewürze, wenn sie in größerer Menge genossen werden, und Diätfehler jeder Art, daher der Ausdruck verdorbener Magen; auch Erkältungen können M. hervorrufen. Zu gewissen Zeiten treten endlich Magenkatarrhe ohne bekannte Veranlassungen epidemisch auf, so besonders der fieberhafte Magendarmkatarrh, die sogen. Sommercholera oder Cholerine (Cholera nostras).

Tritt der M. nur in geringem Grad mit mäßigem Fieber auf, so geht er meist schnell vorüber. Die Kranken fühlen sich matt, sind verdrießlich, klagen über Frösteln und fliegende Hitze, haben einen heißen Kopf, kalte Hände und Füße, einen drückenden Stirnkopfschmerz, Flimmern vor den Augen; es ist ihnen, als ob der Kopf zerspringen wollte. Auch bei leerem Magen fühlt der Kranke Druck und Schmerz in der Magengegend, der Appetit fehlt, der Durst ist vermehrt, es ist Übelkeit und Widerwille gegen Speisen vorhanden. Von Zeit zu Zeit werden übelriechende oder geruchlose Gase durch Aufstoßen entleert, oft gelangen dabei sauer oder ranzig schmeckende Flüssigkeiten in den Mund. Die Zunge ist schleimig belegt, der Geschmack fade und pappig; es pflegt ein übler Geruch aus dem Mund vorhanden zu sein. Hierzu gesellt sich Poltern im Leib und von Zeit zu Zeit kneipender Bauchschmerz, welcher durch den Abgang übelriechender Blähungen erleichtert wird, endlich ein- oder einigemal breiiger Stuhlgang. Damit ist die Krankheit selbst vorbei, der Kranke kann wieder schlafen, das Allgemeinbefinden ist wieder besser. Gewöhnlich zeigt sich mit Eintritt der Genesung der Harn gesättigt gefärbt und im Nachtgeschirr ein ziegelmehlartiger Bodensatz. Ist der akute M. die Folge einer stärker einwirkenden Schädlichkeit, so tritt stärkere Übelkeit ein, die sich zum Würgen und endlich zum Erbrechen steigert. Die genossenen Speisen werden mit reichlichem Schleim gemischt ausgebrochen und haben meist einen stark sauren Geruch und Geschmack. Es treten hierzu heftige Durchfälle, durch welche wässerige, grün gefärbte Massen mit oder ohne Leibschmerzen entleert werden. Der Kranke fühlt sich fast immer durch das Brechen und Abführen erleichtert und ist nach 2–3 Tagen fast völlig hergestellt. Steigern sich Brechen und Durchfall zu sehr hohem Grad, so entsteht ein choleraartiger Zustand.

Ist der akute M. mit heftigem Fieber verbunden, und nimmt er einen langsamern Verlauf, so stellt er eine schwere Erkrankung dar, welche man als gastrisches Fieber (Febris gastrica, mucosa, biliosa) bezeichnet. Das gastrische Fieber tritt seltener mit einem einmaligen, heftigen Frostanfall, häufiger mit wiederholtem, leichtem Frösteln auf. Der Puls steigt bis auf 100 Schläge in der Minute und höher, die Körpertemperatur kann um mehrere Grade erhöht werden. Das Allgemeinbefinden ist in noch höherm Grad gestört als bei den oben beschriebenen Zuständen. Die Mattigkeit ist so groß, daß die Kranken im Bett bleiben; die Glieder und Gelenke schmerzen, als ob sie zerschlagen wären; der Kopfschmerz ist unerträglich, der Schlaf fehlt oder ist durch unruhige Träume gestört. Dagegen sind die mehr örtlichen Symptome nicht so entwickelt wie die des Allgemeinleidens. Das Fieber und das schlechte Allgemeinbefinden pflegen sich in den ersten Tagen der Krankheit zu steigern. Der Harn ist dunkel und hat einen ziegelmehlartigen Bodensatz. Anfänglich ist Stuhlverstopfung, später wässeriger Durchfall vorhanden. Ist das Fieber sehr heftig, so kann die Zunge trocken, können die Sinne benommen sein; es können Delirien auftreten, und die Krankheit ist dann kaum von einem beginnenden Typhus zu unterscheiden. Indessen pflegt zu Ende der ersten oder zu Anfang der zweiten Woche das Fieber nachzulassen; die früher trockne Haut wird dann feucht, der Durst mäßiger, die Zunge reiner; die Durchfälle werden seltener, endlich stellt sich auch Appetit ein, und es beginnt die Genesung. Die Kranken erholen sich aber nur langsam, bleiben lange Zeit sehr reizbar und bekommen leicht Rückfälle. Eine Modifikation des gastrischen Fiebers ist das sogen. Schleimfieber und das Gallenfieber, eine besondere Form des akuten Magenkatarrhs die Cholerine, der Brechdurchfall (s. Cholera).

Was die Behandlung des akuten Magenkatarrhs anbetrifft, so ist die wichtigste Aufgabe die, den M. zu verhüten. Vor allen Dingen muß die Diät, besonders bei Fieberkranken und Genesenden, bei Neugebornen und Säuglingen, überwacht werden. Wenn schädliche Ingesta oder in Zersetzung begriffene Nahrungsmittel den M. unterhalten, so ist ein Brechmittel am Platz; ist dagegen der Magen leer, so sind Brechmittel zu vermeiden. Wenn der M. sich nicht auf den Darm fortsetzt, so sind Abführmittel nicht am Platz; sind aber Kolikschmerzen, Blähungen etc. vorhanden, so kann man Rhabarber, Sennesblätterabkochung u. dgl. anwenden. Bei abnormer Säurebildung ist gebrannte Magnesia, in Wasser eingerührt, ganz zweckmäßig, ebenso das doppeltkohlensaure Natron, unter Umständen in der Form von Sodawasser. Bei kleinen Kindern thut ein Pulver von Magnesia mit Rhabarber sehr gute Dienste. Es ist durchaus nötig, daß der Patient während eines akuten Magenkatarrhs gänzlich faste oder doch nur milde Nahrungsmittel, am besten einfache Wassersuppe, zu sich nehme. Bei dem Schleimfieber freilich muß man, um die Kräfte des Kranken zu schonen, stets etwas tierische Kost geben, und es eignen sich hier am besten die konzentrierten Fleischbrühen. Um das übermäßige Erbrechen und den Durchfall zu stillen, läßt man den Kranken [67] kleine Eisstückchen verschlucken und gibt ihm Opiumpräparate. Bei choleraartigen Zuständen sind Reizmittel nötig, und zwar sind innerlich Wein, Äther, Kaffee, äußerlich Senfteige anzuwenden.

Der chronische M. entwickelt sich bald aus dem akuten M., wenn dieser sich in die Länge zieht oder häufig Rückfälle macht, bald tritt er von Anfang an als chronische Erkrankung auf. Daher können alle die Schädlichkeiten, welche einen akuten M. hervorrufen, wenn sie lange anhalten oder sich häufig wiederholen, auch Ursachen des chronischen Magenkatarrhs werden. Dies gilt vor allem von dem dauernden mißbräuchlichen Genuß spirituöser Getränke, der bei weitem häufigsten Ursache des chronischen Magenkatarrhs (s. Trunksucht). Außerdem hängt der chronische M. häufig von Stauungen des Bluts in den Gefäßen des Magens ab, wie dies bei Krankheiten der Leber, des Herzens und der Lungen der Fall ist. Lungentuberkulose sowie andre chronische Krankheiten sind sehr häufig, Magenkrebs und andre Entartungen des Magens stets mit chronischem M. verbunden. Bei dem chronischen M. klagen die Kranken meist über ein unangenehmes Gefühl von Druck und Vollsein in der Magengegend, welches nach dem Essen vermehrt wird, sich aber selten zum eigentlichen Schmerz steigert. Die Magengrube ist dabei vorgewölbt, weil der Magen mit Gasen und mit den lange Zeit in ihm verweilenden Speisen erfüllt und ausgedehnt, erweitert ist. Die Gase werden von Zeit zu Zeit durch Aufstoßen entleert, wobei auch geringe Mengen des Mageninhalts von saurem oder ranzigem Geschmack in den Mund gelangen. Häufig entsteht durch diese sauren Massen ein garstiges Gefühl im Schlund und Schlundkopf (Sodbrennen). Verhältnismäßig selten tritt auch Erbrechen auf. Das Erbrochene ist gewöhnlich nur zäher Schleim, welcher nach langem Würgen entleert wird. In andern Fällen wird neben dem Schleim eine fade schmeckende Flüssigkeit ausgeworfen, welche verschluckter Speichel ist. Diese Form des Erbrechens begleitet ganz gewöhnlich den chronischen M. der Säufer und stellt den berüchtigten Wasserkolk (vomitus matutinus) dar. Bei vielen Kranken ist das Hungergefühl, auch wenn sie schon abgemagert sind und der Körper dringend Ersatz bedarf, fast erloschen. In einzelnen Fällen, namentlich bei starker Säurebildung, entsteht zeitweise ein großes Hungergefühl, von schmerzhaften Empfindungen im Magen und Schlund begleitet, der sogen. Heißhunger. Die Zunge ist beim chronischen M. dick belegt, zeigt seitliche Eindrücke der Zähne; der Geschmack ist fade und pappig, der Geruch aus dem Mund mehr oder weniger widerwärtig und stinkend. Gewöhnlich gesellen sich zu den Symptomen des chronischen Magenkatarrhs auch noch die des chronischen Darmkatarrhs: hartnäckige Verstopfung abwechselnd mit dünnen Stuhlgängen, Blähungen, Aufgetriebenheit des Leibes, leichte Gelbsucht. Was das Allgemeinbefinden der Kranken beim chronischen M. anbetrifft, so fehlt gewöhnlich der heftige Kopfschmerz, die schmerzhafte Abgeschlagenheit der Glieder, wie dies beim akuten M. vorkommt; dagegen ist der chronische M. fast immer von psychischen Alterationen mit dem Charakter der Depression begleitet, die man gewöhnlich als Hypochondrie bezeichnet. Die beschriebenen Symptome des chronischen Magenkatarrhs können in größerer oder geringerer Heftigkeit und mit häufigen Schwankungen in ihrer Intensität monate-, selbst jahrelang fortbestehen. Lassen sich die Ursachen des chronischen Magenkatarrhs beseitigen, so endet die Krankheit bei zweckmäßiger Behandlung gewöhnlich mit Genesung. Abgesehen von den Nachkrankheiten des chronischen Magenkatarrhs, ist ein tödlicher Ausgang desselben selten; doch gibt es Fälle, wo die Kranken marantisch und wassersüchtig zu Grunde gehen. Von den Nachkrankheiten sind besonders die Hypertrophie der Magenwände und die Verengerung des Pförtners zu nennen. Dem letztgenannten Leiden erliegen die Kranken stets, wenn auch erst spät, infolge der aufgehobenen Ernährung.

Die Behandlung des chronischen Magenkatarrhs erfordert vor allen Dingen die Beseitigung seiner Ursachen, worüber schon beim akuten M. gesprochen wurde. Nur selten ist ein Brechmittel erforderlich, da fast niemals im Magen schädliche Substanzen vorhanden sind, welche als fortwirkende Ursache der Krankheit angesehen werden könnten. Notwendig ist das Verbot spirituöser Getränke, wenn der anhaltende Mißbrauch derselben die Krankheit hervorgerufen hat und unterhält. Bei den durch Erkältungen und naßkaltes Klima entstandenen chronischen Magenkatarrhen ist die Anregung der Hautthätigkeit durch warme Bekleidung, warme Bäder etc. anzustreben. Die Speisen müssen mit der größten Sorgfalt ausgewählt werden, und der Kranke darf nichts andres, als was der Arzt bestimmt hat, genießen. Erlaubt ist mageres Fleisch, wogegen fettes Fleisch und der Genuß von Saucen zum Braten zu untersagen sind. Die Speisen müssen sehr gut gekaut und immer in kleinen Mengen auf einmal genossen werden. Eine Milchkur bekommt manchen Kranken vortrefflich, andern aber gar nicht. Besser als frische Milch bekommt vielen Kranken die Buttermilch. Von Medikamenten sind besonders die kohlensauren Alkalien von gutem Erfolg. Der Gebrauch des Sodawassers oder der natürlichen Natronsäuerlinge von Ems, Salzbrunn, Selters, Bilin etc. ist daher dem Kranken sehr zu empfehlen. Desgleichen sind die Wirkungen der Karlsbader Wässer ganz außerordentlich günstig. Die Hauptsache bei diesen Brunnenkuren ist aber strenge Diät, und wenn man diese zu Hause hält, hat der kurmäßige Gebrauch von Sodawasser denselben Erfolg wie die Karlsbader Thermen. Die günstige Wirkung des salpetersauren Wismuts und des salpetersauren Silbers ist in zahlreichen Fällen von chronischem M. sicher konstatiert. Die meisten Kranken vertragen diese Mittel ganz gut. Im Verlauf des chronischen Magenkatarrhs tritt zuweilen ein Zustand ein, wo die reizlose Kost wegen einer sogen. Atonie der Magenschleimhaut mit einer mäßig reizenden vertauscht werden muß. Man muß dann zur Anwendung von Eisenpräparaten, Pepsinessenz und leichten Reizmitteln übergehen. In diesem Zustand werden der Franzensbrunnen in Eger, die Stahlquellen in Driburg, Pyrmont, Kudowa besser vertragen und haben bessern Erfolg als die Quellen in Karlsbad und Marienbad. Von Arzneimitteln passen bei Atonie der Magenschleimhaut die Ipekakuanha, Rhabarber, Quassia, Ingwer, Kalmus, welche aber stets nur in kleinen Dosen zu gebrauchen sind. Ist der chronische M. nur eine Teilerscheinung einer hochgradigen Unterleibsplethora, so hat das Ansetzen von Blutegeln an den After oft einen überraschend guten Erfolg. Die Stuhlverstopfung, welche beim chronischen M. fast immer vorhanden ist, muß durch Klystiere oder leichte Abführmittel beseitigt werden. In hartnäckigen Fällen ist die Anwendung von Aloe und Koloquinten angezeigt. Vgl. Brinton, Die Krankheiten des Magens (deutsch, Würzb. 1862); Budd, Die Krankheiten des Magens (deutsch, Götting. 1856); Lebert, [68] Die Krankheiten des Magens (Tübing. 1878); Wiel, Tisch für Magenkranke (6. Aufl., Karlsbad 1884).