Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Magengeschwür“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 6465
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Magengeschwür. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 64–65. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Magengeschw%C3%BCr (Version vom 20.11.2023)

[64] Magengeschwür tritt in verschiedenen Formen auf und hat für die Gesundheit und das Leben des betreffenden Individuums eine sehr verschiedene Bedeutung. Kleine, flache Substanzverluste von Hanfkorngröße mit gerötetem Grund, sogen. hämorrhagische Erosionen, haben keine größere Bedeutung und verheilen meist, ohne eine Spur zurückzulassen. Verschwärungen der geschlossenen Drüsenfollikel der Magenschleimhaut sind an sich selten und heilen mit Zurücklassung einer unbedeutenden Narbe, ohne dem Kranken auf längere Zeit belästigende Symptome zu verursachen. Eine sehr wichtige und schwere Form des Magengeschwürs dagegen ist das sogen. chronische, runde oder durchbohrende M. (Ulcus ventriculi chronicum s. rotundum s. perforans), welches sich durch außerordentlich scharfe Grenzen und dadurch auszeichnet, daß in seiner Umgebung stets Entzündung und Eiterbildung fehlen. Nach Virchows Ansicht entsteht das M. dadurch, daß zunächst eine Verstopfung kranker arterieller Gefäße eintritt, daß infolgedessen die Magenwand, soweit sie das kapillare Stromgebiet der verstopften Arterie bildet, brandig abstirbt, und daß der Magensaft die brandig gewordene Stelle, welche seiner Einwirkung keinen Widerstand leisten kann, zur Erweichung und zum Zerfall bringt. Die Disposition für das chronische M. ist sehr verbreitet, denn unter 20 Leichen ist je eine mit einem M. oder mit der Narbe von einem solchen versehen. Das chronische M. kommt im reifen Alter häufiger als in der Kindheit, bei Frauen und bleichsüchtigen Subjekten häufiger als bei Männern und kräftigen Individuen vor. Häufig werden Diätfehler, Mißbrauch von Spirituosen, kalter Trunk bei erhitztem Körper, sogar Störungen des monatlichen Blutflusses als Ursachen bezeichnet; doch ist es kaum möglich, darüber zu einiger Sicherheit zu gelangen. Das chronische M. hat seinen Sitz am häufigsten in der Pförtnerhälfte des Magens, häufiger an der hintern als an der vordern Magenwand und fast immer an dem kleinen Bogen des Magens oder in seiner Nähe. Selten kommt es im Magengrund vor. Zuweilen ist nur ein Geschwür vorhanden, häufiger zwei oder mehrere, mitunter 30–40, welche sich dann gewöhnlich in verschiedenen Stadien befinden. In besonders ausgeprägten Fällen sieht man am Magen von außen her ein kreisrundes Loch mit scharfem Rand, von innen her gesehen bildet das Geschwür gleichsam Terrassen und stellt einen flachen Trichter dar. Die Größe schwankt zwischen 6 mm im Durchmesser bis zur Größe eines Thalerstücks und darüber. Oft heilt das Geschwür, bevor es alle [65] Magenhäute durchbrochen hat. Es bildet sich dabei eine Narbe in der Magenwand, welche gewöhnlich ein strahlenförmiges Aussehen hat. War das Geschwür sehr groß, so kann die Heilung desselben zu einer Verengerung des Magens führen, indem die anfangs weiche Narbe sich später stark zusammenzieht. Eine solche Verengerung des Magens pflegt seinen Inhaber in hohem Grad zu belästigen. Häufig wird ein M. durch Verwachsung der Magenwand mit dem ihr zunächst benachbarten Organ (Bauchspeicheldrüse, Leber, Zwerchfell etc.) gleichsam verlegt, so daß es nicht nach der Bauchhöhle durchbrechen kann. Während das Geschwür um sich greift, werden durch dasselbe nicht selten größere oder kleinere Blutgefäße des Magens zerstört, und es kommt dann zu bedeutenden Blutergüssen in die Magenhöhle. Die Magenschleimhaut befindet sich übrigens beim chronischen Magengeschwür stets in dem Zustand des chronischen Magenkatarrhs. In manchen Fällen von chronischen Magengeschwüren sind nur so geringfügige Anzeichen einer Magenaffektion vorhanden, daß man die Krankheit ganz übersieht, bis plötzlich durch die Durchbohrung sämtlicher Häute und durch Austritt des Mageninhalts in die Bauchhöhle eine tödliche Unterleibsentzündung entsteht, oder bis durch Anfressung eines größern Blutgefäßes eine das Leben bedrohende Magenblutung eintritt. Merkwürdigerweise scheint es fast, als ob diese versteckten Fälle von chronischen Magengeschwüren am allerhäufigsten zur Durchbohrung der Magenwand und dadurch zum Tod führten, während die mit schweren Symptomen einhergehenden Magengeschwüre, welche übrigens viel häufiger vorkommen, nach längerer Zeit gewöhnlich mit Heilung enden.

Das gewöhnlichste Zeichen des Magengeschwürs sind Schmerzen in der Magengegend. Diese Schmerzen sind andauernd, vermehren sich bei Druck, sind an einer Stelle besonders heftig und steigern sich periodisch zu den heftigsten Anfällen, wobei sie in der Magengegend beginnen und nach dem Rücken hin ausstrahlen. Die Anfälle pflegen fast immer kurze Zeit nach der Mahlzeit sich einzustellen und stehen mit der Schwerverdaulichkeit und der reizenden Eigenschaft der genossenen Speisen in geradem Verhältnis. Durch Erbrechen tritt Erleichterung ein; die Schmerzen dauern aber oft stundenlang fort, wenn sich kein Erbrechen einstellt. In einzelnen Ausnahmefällen treten die Schmerzen gerade bei leerem Magen auf und werden durch Zufuhr von Speisen erleichtert, oder die Kranken bleiben, wenn sie schwerverdauliche Speisen genossen, von Schmerzen verschont, während leichter verdauliche Speisen heftige Schmerzen hervorrufen. Ganz gewöhnlich kommt bei dem chronischen M. auch ein periodisches Erbrechen vor. Dasselbe pflegt durch dieselben Veranlassungen, welche die Schmerzanfälle bedingen, hervorgerufen zu werden. Es erfolgt bald kürzere, bald längere Zeit nach der Mahlzeit, je nachdem das Geschwür näher oder entfernter vom Magenmund sitzt. Wenn zu den heftigen Magenschmerzen und zu dem Erbrechen, welche regelmäßig nach der Mahlzeit eintreten, sich noch Blutbrechen hinzugesellt, so besteht über das Vorhandensein eines chronischen Magengeschwürs kaum ein Zweifel. Manche Kranke leiden an Aufgetriebenheit der Magengegend, an häufigem Aufstoßen und heftigem Sodbrennen, ihr Appetit liegt gänzlich danieder; andre befinden sich in den schmerzfreien Stunden verhältnismäßig wohl, und selbst ihr Appetit ist kaum vermindert. Die Zunge der am chronischen M. Leidenden ist gewöhnlich mit einem dicken weißen Beleg versehen, manchmal auch rot und rissig und der Durst dabei ansehnlich vermehrt. Es ist fast stets eine habituelle Stuhlverstopfung vorhanden. Das chronische M. kann frühzeitig die Ernährung untergraben, in andern Fällen aber leidet die Ernährung weniger oder fast gar nicht. Der Verlauf der Krankheit ist meist ein sehr langwieriger, wenn man von den Fällen absieht, wo die Magenblutung oder die Durchbohrung der Magenwand scheinbar das erste Symptom der Affektion ist. Das Übel kann viele Jahre lang bestehen, während welcher die Beschwerden mannigfache Schwankungen darbieten. Nicht selten tritt mitten in der scheinbaren Genesung plötzlich Blutbrechen auf. Es können auch die Leiden mit aller Heftigkeit wieder zurückkehren, nachdem sie jahrelang ganz verschwunden waren. Am häufigsten endet das chronische M. mit Genesung. Dieselbe ist aber sehr oft unvollständig, wenn nämlich das M. durch eine Narbe heilt, welche die Bewegungen des Magens an einer bestimmten Stelle hemmt, oder wenn der Magen infolge des Geschwürs an ein benachbartes Organ angelötet wurde und nun bei Bewegungen von der Verwachsungsstelle aus gezerrt wird. Solche Störungen bedingen die Fortdauer der Schmerzanfälle, welche zuweilen noch heftiger sind als zuvor. Wenn das chronische M. zum Tod führt, so geschieht dies entweder durch Perforation der Magenwände und Austritt des Mageninhalts in die Bauchhöhle mit nachfolgender allgemeiner Unterleibsentzündung, oder es geschieht durch eine Magenblutung. Selten wird der Tod durch allmähliche Erschöpfung verursacht, wenn eine Verengerung des Magens durch Narbenkontraktion entstanden ist. In letzterm Fall bestehen nicht nur die heftigsten Schmerzen fort, sondern es wird auch alles, was die Kranken genießen, wieder ausgebrochen. Dabei bleibt der Stuhlgang wochenlang aus, die Kranken magern zum Gerippe ab und sterben infolge der unterbrochenen Nahrungszufuhr.

Bei der Behandlung des Magengeschwürs ist vor allen Dingen der daneben bestehende Magenkatarrh zu bekämpfen (s. Magenkatarrh). Ganz besonders empfehlen sich in dieser Hinsicht Milch- und Buttermilchkuren. Da reine Milch im Magen sofort zu festen Massen gerinnt, so ist zu empfehlen, der frischen Milch stets mehlhaltige Substanzen beizumischen. Sehr günstig wirkt der kurmäßige Gebrauch der kohlensauren Alkalien, namentlich die Brunnenkuren in Marienbad und Karlsbad. Reichen diese Mittel nicht aus, so kann man den Höllenstein und das basisch salpetersaure Wismutoxyd anwenden, welche meist selbst in großen Dosen gut vertragen werden; der Erfolg bleibt aber freilich stets ein ganz unsicherer. Die Schmerzanfälle werden durch Narkotika meist leicht und sicher gemildert; man gibt Extrakt von Belladonna oder Opiate. Auch das Erbrechen wird durch Narkotika gehoben; lassen diese aber im Stiche, so nützen zuweilen kleine Portionen Eiswasser oder Eispillen.