Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Mährische Brüder“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 107
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Mährische Brüder. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 107. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:M%C3%A4hrische_Br%C3%BCder (Version vom 20.11.2023)

[107] Mährische Brüder, christliche Sekte, aus der später die Brüdergemeinde (s. d.) hervorgegangen ist. Die sogen. Böhmischen und Mährischen Brüder entstammen den Utraquisten (s. Hussiten). Peter v. Chelczicky war ein böhmischer Gutsbesitzer, der sich ein theologisches System gebildet hatte, welches er in zahlreichen Schriften (z. B. „Das Netz des Glaubens“) verbreitete; ihm schloß sich Bruder Gregor an, der die Ansichten Peters läuterte. Die Anhänger beider Männer wurden von der Regierung als angebliche Taboriten verfolgt und sagten sich auf einer Versammlung beim Dorf Chotka (1467) von der katholischen Kirche völlig los. Sie lebten nun in Wäldern und Höhlen, als Grubenheimer verspottet. Gegen eine strengere Partei siegte auf der Synode von Reichenau (1494) die gemäßigte, unter Führung des Lukas von Prag (gest. 1528) stehende „Brüderunität“ (unitas fratrum nannten sie sich). Die Eigentümlichkeiten derselben liegen mehr auf dem ethischen als auf dem rein dogmatischen Gebiet. Als „Brüder des Gesetzes Christi“ hielten sie sich genau an die Vorschriften der Bergpredigt und verboten den Eid, Kriegsdienste, Übernahme von Staatsämtern ihren Zugehörigen. Wie die Waldenser, deren Überreste sie in sich aufnahmen, bewahrten sie mittels einer strengen Kirchenzucht ein sittlich reines und inniges, aber auch beschränktes Leben. Um 1500 mochten sie etwa 400 Gemeinden zählen. Luther tadelte 1522 ihre Sakramentslehre (die Siebenzahl und den geistigen Abendmahlsgenuß) sowie ihre Auffassung von der Heilsamkeit des Cölibats; aber auf ihre dem Markgrafen Georg von Brandenburg 1532 und dem König Ferdinand 1535 überreichten Konfessionen hin wurde sein Urteil anerkennender. Da sie sich im Schmalkaldischen Krieg weigerten, gegen ihre protestantischen Brüder Kriegsdienste zu thun, wurden sie ihrer Kirchen beraubt und vertrieben. Damals fanden ihrer viele in Preußen und Polen Zuflucht. In letzterm Land vereinigten sie sich mit den Reformierten und Lutheranern 1570 auf einer zu Sendomir abgehaltenen Synode und verloren sich allmählich unter ihnen. Die in Böhmen und Mähren Zurückgebliebenen, die sich 1575 mit den Kalixtinern, Lutheranern und Reformierten zur Abfassung eines gemeinsamen Bekenntnisses vereinigten, wurden während und nach dem Dreißigjährigen Krieg, soweit sie sich nicht zur Rückkehr zum Katholizismus zwingen ließen, vertrieben. Johann Amos Comenius (gest. 1671) war der letzte Bischof der ältern Brüdergemeinde, die sich noch zu seinen Lebzeiten vollends auflöste. Erst der Graf Zinzendorf (s. d.) hat ihr Gemeindeleben erneuert. Vgl. Lochner, Entstehung und erste Schicksale der Brüdergemeinde in Böhmen und Mähren (Nürnb. 1832); Gindely, Geschichte der Böhmischen Brüder (Prag 1857, 2 Bde.); Palacky, Über das Verhältnis und die Beziehungen der Waldenser zu den ehemaligen Sekten in Böhmen (das. 1869); Goll, Quellen und Untersuchungen zur Geschichte der Böhmischen Brüder (das. 1878); Zezschwitz, Böhmische Brüder, in Herzogs „Realencyklopädie“, Bd. 2.