MKL1888:Landwirtschaftliche Lehranstalten

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Landwirtschaftliche Lehranstalten“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 484485
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Landwirtschaftliche Lehranstalten. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 484–485. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Landwirtschaftliche_Lehranstalten (Version vom 01.03.2024)

[484] Landwirtschaftliche Lehranstalten sind ein wesentliches und notwendiges Beförderungsmittel der Landwirtschaft. Man unterscheidet höhere, mittlere und niedere l. L. Die Hauptarten sind: 1) landwirtschaftliche Hochschulen, 2) Ackerbauschulen (landwirtschaftliche Mittelschulen), 3) landwirtschaftliche Winterschulen, 4) landwirtschaftliche Fortbildungsschulen, 5) landwirtschaftliche Spezialschulen für einzelne Zweige: Weinbau, Obstbau, Gemüsebau, Wiesenbau, Flachsbau, Brennerei etc. Die landwirtschaftlichen Hochschulen sind wissenschaftliche Lehranstalten für die theoretische Ausbildung solcher Personen, die Eigentümer, Pachter, Verwalter größerer Landgüter werden wollen. Die allgemeine höhere Schulbildung und praktische Erlernung der Landwirtschaft genügen heute nicht mehr für die Ausbildung, welche der landwirtschaftliche Beruf für diesen Teil der Landwirte erfordert. Geboten ist außerdem eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung in der Landwirtschaftslehre, in den für die landwirtschaftliche Produktion wichtigen Naturwissenschaften, in der Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft, im Landwirtschaftsrecht. Wünschenswert ist ferner eine allgemeine wissenschaftliche Ausbildung. Eine solche Ausbildung kann nur auf besondern höhern Lehranstalten gewährt werden, die am besten Universitätsinstitute oder doch mit Universitäten in Verbindung stehende Lehranstalten sind. Die erste höhere landwirtschaftliche Lehranstalt gründete in Deutschland der Begründer des rationellen landwirtschaftlichen Betriebs, Albrecht Thaer. Schon im vorigen Jahrhundert gab es an fast allen deutschen Universitäten Lehrstühle für Landwirtschaft, aber die Landwirtschaftslehre war ein Zweig der Kameralwissenschaft, und der akademische Unterricht in ihr war nur für Kameralisten bestimmt. Als Thaer es unternahm, den landwirtschaftlichen Betrieb auf der Grundlage der neuern Forschungen in der Nationalökonomie und den Naturwissenschaften und der praktischen Erfahrungen zu einem rationellen zu gestalten, fühlte er das Bedürfnis, den zahlreichen Schülern, die zu ihm nach Celle kamen, um seinen Wirtschaftsbetrieb kennen zu lernen, auch theoretischen Unterricht zu erteilen (1802). 1804 siedelte er nach Preußen über und gründete 1806 in Möglin das landwirtschaftliche Institut, seit 1819 königliche akademische Lehranstalt des Landbaues, in welchem nun ein systematischer Unterricht in der Landwirtschaftslehre und in den Naturwissenschaften für Schüler aus den höhern Gesellschaftsklassen, die eine gründliche allgemeine Bildung besaßen und später Großgrundbesitzer oder Bewirtschafter größerer Güter werden wollten, erteilt wurde. Mit dem theoretischen Unterricht war zugleich der praktische auf dem Gut Möglin verbunden. Nach dem Vorbild dieser Lehranstalt entstanden in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts eine Reihe andrer höherer landwirtschaftlicher Lehranstalten, gewöhnlich Akademien genannt: in Hohenheim (1818 durch Schwerz), Idstein (1818 durch Albrecht, 1834 nach Hofgeisberg bei Wiesbaden verlegt), Schleißheim (1822 durch Schönleutner, 1852 nach Weihenstephan verlegt), Jena (1822 durch F. G. Schulze), Tharandt (1829 durch Schweizer), Eldena (1835 durch F. G. Schulze), Regenwalde (1842 durch K. Sprengel), Proskau (1847), Poppelsdorf (1847), Weende bei Göttingen (1851), Waldau bei Königsberg (1858). Alle Anstalten waren mit einer größern rationell betriebenen Gutswirtschaft verbunden, der eigentliche Unterricht aber war ein theoretischer mit praktischen Demonstrationen. Als aber auf den [485] größern Gütern der Betrieb ein rationeller wurde und die jungen Landwirte hinreichend Gelegenheit hatten, während ihrer praktischen Ausbildung auch den rationellen Betrieb kennen zu lernen, fiel der Grund weg, mit der höhern landwirtschaftlichen Unterrichtsanstalt eine Gutswirtschaft zu verbinden, und es traten nun stärker und stärker an den nicht in den Universitätsstädten oder doch in der Nähe derselben gelegenen für Lehrer wie Studierende die Übelstände hervor, welche mit der Isolierung der höhern landwirtschaftlichen Lehranstalt zusammenhingen. Im J. 1861 griff J. v. Liebig in einer Rede die isolierten Akademien an, ihr folgte ein heftiger Streit; aber die Ansicht Liebigs, den höhern landwirtschaftlichen Unterricht an die Universitäten zu verlegen, trug den Sieg davon. Fast alle isolierten Lehranstalten wurden aufgehoben, Möglin (1862), Waldau (1868), Tharandt (1869), Hofgeisberg (1871), Eldena (1877), Proskau (1880), bestehen blieben nur Hohenheim und Weihenstephan. Dagegen wurden neu gegründet die Universitätsinstitute in Halle (1862), Leipzig (1869), Gießen (1871), Königsberg (1876), Kiel (1881), Breslau (1881), die Institute in Jena und Weende wurden Universitätsinstitute, in München wurde an der technischen Hochschule (1874) und in Berlin ein besonderes landwirtschaftliches Institut in Verbindung mit der Universität (1881) errichtet.

Die landwirtschaftlichen Mittelschulen (Ackerbauschulen) sind für künftige mittlere Landwirte bestimmt. Der Unterricht ist ein mehrjähriger; der theoretische erstreckt sich auf landwirtschaftliche und naturwissenschaftliche Disziplinen, häufig ist mit ihm auch noch ein praktischer Unterricht in der landwirtschaftlichen Technik verbunden. Die Ackerbauschulen entstanden in Deutschland zuerst in größerer Zahl in den 50er Jahren (1860 gab es 45) und befanden sich auf dem Land oder in Landstädten inmitten eines landwirtschaftlichen Betriebs. Der Leiter der letztern war auch Dirigent der Anstalt, der Unterricht war stets ein theoretischer und praktischer. Die meisten waren Privatunternehmungen, welche aber vom Staat unterstützt und beaufsichtigt wurden. 1858 wurde in Hildesheim die erste Ackerbauschule gegründet, an welcher nur theoretischer Unterricht, dieser aber gründlicher und umfassender erteilt wurde als in den theoretisch-praktischen Ackerbauschulen. Die Verbreitung rein theoretischer Ackerbauschulen war anfangs eine langsame, seit dem Ende der 60er Jahre vermehrten sie sich aber schneller, der Unterricht wurde ein umfangreicherer und höherer. In Preußen ist für einen Teil derselben, „Landwirtschaftsschulen“, eine generelle Regelung (Reglements vom 10. Aug. 1875 und 9. Mai 1877) erfolgt. Sie bilden eine Mittelstufe zwischen eigentlichen Ackerbauschulen und landwirtschaftlichen Hochschulen. Die Landwirtschaftsschule hat drei Klassen mit je einjährigem Kursus; zur Aufnahme in die untere ist die Reife für die Tertia eines Gymnasiums oder einer Realschule erster Ordnung vorgeschrieben. Der Unterricht erstreckt sich auf Religion, zwei fremde Sprachen, Geographie und Geschichte, Mathematik, Naturwissenschaften (wöchentlich 8–10 Stunden), Landwirtschaftslehre (wöchentlich 4–6 Stunden), Zeichnen, Turnen, Singen. Das Abiturientenzeugnis berechtigt zum einjährigen Militärdienst. Die Zahl dieser Schulen betrug 1883 in Preußen 16. Zu den niedern Schulen gehören die landwirtschaftlichen Winterschulen und landwirtschaftlichen Fortbildungsschulen, beide vorzugsweise für die niedere bäuerliche und landwirtschaftliche Arbeiterbevölkerung bestimmt und lediglich theoretische Lehranstalten. In jenen Schulen wird der Unterricht, welcher ein systematischer ist, nur im Winter erteilt, die Ausbildung dauert einen bis zwei Winter. Der landwirtschaftliche Unterricht wird von einem besondern Landwirtschaftslehrer, dem Vorsteher der Schule, erteilt, für die Elementar- und Realfächer werden andre Lehrer des Ortes in Anspruch genommen. Ende 1883 gab es in Deutschland 57 landwirtschaftliche Winterschulen, davon die kleinere Hälfte in Preußen. Die landwirtschaftlichen Fortbildungsschulen haben den Zweck, den aus der Schule entlassenen Söhnen der kleinen ländlichen Grundbesitzer oder der ländlichen Arbeiter im Winter abends Gelegenheit zu bieten, sich in den Elementarfächern weiter fortzubilden und einige Kenntnisse in der Naturwissenschaft und in der Landwirtschaftslehre zu erwerben. Am verbreitetsten sind diese Schulen in Württemberg (1884: 80 freiwillige, 617 obligatorische, zusammen mit 14,735 Schülern, dazu 96 Sonntagsschulen, in 31 Gemeinden landwirtschaftliche Abendversammlungen, 82 Lesevereine und 1039 Ortsbibliotheken), nächstdem in Bayern und in der Rheinprovinz. Außer den bisher erwähnten landwirtschaftlichen Lehranstalten gibt es in Deutschland noch zahlreiche Spezialschulen, welche lediglich die Ausbildung in bestimmten Zweigen des landwirtschaftlichen Betriebs bezwecken (s. oben Nr. 5). Nicht direkt für den Unterricht, aber doch auch für die Förderung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnis in landwirtschaftlichen Kreisen sind die Landwirtschaftlichen Versuchsstationen (s. d.) bestimmt. Eine genaue Übersicht über die einzelnen in Deutschland vorhandenen landwirtschaftlichen Lehranstalten und Versuchsstationen gibt der zweite Teil des jährlich erscheinenden landwirtschaftlichen Kalenders von Mentzel und Lengerke. – In Österreich existierten Ende März 1886 nach der vom Ackerbauministerium veröffentlichten Zusammenstellung: eine Hochschule (Wien), 15 mittlere Lehranstalten (in Mödling, Tetschen-Liebwerd, Tabor, Chrudim, Raudnitz-Hracholusk, Neutitschein, Prerau, Oberhermsdorf, Czernichow, Dublany, Czernowitz und die önologische und pomologische in Klosterneuburg), 46 niedere Ackerbau- und Winterschulen, 4 Molkerei- und Haushaltungsschulen, 17 niedere Schulen für Garten-, Obst- und Weinbau, 4 für Brauerei und Brennerei, eine für Seidenzucht (in Görz). Vgl. Schinz, Über die Errichtung landwirtschaftlicher Schulen (Aarau 1845); Hosäus, Die Ausbildung junger Landwirte (Jena 1868); Weidenhammer, Die Organisation der landwirtschaftlichen Schulen (Braunschw. 1870); F. G. Schulz, Die theoretische Ackerbauschule (Jena 1869); Derselbe, Welche Schulen hat der Landwirt zu seiner allgemeinen Vorbildung zu besuchen? (2. Aufl., Brieg 1879); Derselbe, Das Wesen der Landwirtschaftsschulen (2. Aufl., Leipz. 1876); Linde, Der landwirtschaftliche Volksunterricht (Berl. 1879); Schacht, Die Ausbildung des Landwirts in Lehre und Studium (Kiel 1884); Rieger, Aufgaben und Bedeutung der landwirtschaftlichen Winterschule als Fachschule (Bresl. 1885); Kulisz, Zeit- und Streitfragen aus dem Gebiet des landwirtschaftlichen Unterrichts in Österreich (Leipz. 1884).