Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 10 (1888), Seite 944948
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Lübeck. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 944–948. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:L%C3%BCbeck (Version vom 10.07.2023)

[944] Lübeck, deutscher Freistaat, dessen Gebiet, zwischen 53°32′–54° nördl. Br. und zwischen 10°29′ bis 10°53′ östl. L. v. Gr. gelegen, teils aus einem

Wappen von Lübeck.

abgeschlossenen, von der Ostsee, Holstein, dem oldenburgischen Fürstentum L., Lauenburg und Mecklenburg begrenzten Ganzen, teils aus einzelnen Enklaven in Lauenburg, im Fürstentum L. und in Mecklenburg-Strelitz besteht (s. Karte „Schleswig-Holstein“). Es wird eingeteilt in die Stadt L. mit den Vorstädten, die Stadt Travemünde und die Landbezirke. Das Gebiet umfaßt einen Flächenraum von 298 qkm (5,41 QM.) mit (1885) 67,658 Einw., von denen auf die Stadt und Vorstädte 55,399, auf Travemünde 1689, auf die Landbezirke 10,570 Einw. kommen. Dasselbe enthält 2 Städte, 49 Dörfer, 34 Höfe. Der arrondierte Hauptteil des Gebiets bildet eine Ebene, die nur östlich von der Stadt L. durch einen niedrigen Höhenzug ein welliges Ansehen erhält. Diese Ebene wird von der Trave und deren Nebenflüssen Wackenitz und Stecknitz durchflossen. Die Trave bildet an ihrer Mündung mehrere Buchten (Wyken) und steht durch den Stecknitzkanal, die Verbindung der bei Lauenburg in die Elbe mündenden Delvenau mit dem Möllner See, der durch die Stecknitz abfließt, mit der Elbe in Verbindung. Was die Benutzung des Bodens betrifft, so kommen auf Äcker und Gärten 59,9, auf Wiesen 9,2, auf Weiden 2,7, auf Waldungen 13,2, auf Haus- und Hofräume, Wege, Gewässer 15 Proz. des Areals. Die Landwirtschaft wird in derselben Weise wie in Holstein betrieben. In dem die Stadt umgebenden Distrikt ist der Gartenbau nebst Kunst- und Handelsgärtnerei, welche bedeutenden Absatz über die See haben, Hauptbeschäftigung. Nach der Berufszählung von 1882 waren in der Land- und Forstwirtschaft 4484, in der Industrie 9482, im Handel und Verkehr 4522, in der Fischerei 214 Personen erwerbsthätig. Der Handel und die gewerbliche Thätigkeit konzentrieren sich in der Stadt L. Die Verfassung des Freistaats ist eine republikanische und basiert auf der Verfassung vom 7. April 1875. Der Senat und die Bürgerschaft sind die beiden höchsten Staatskörper. Der Senat besteht aus 14 Mitgliedern, von denen 8 dem Gelehrtenstand (davon mindestens 6 Rechtsgelehrte) und unter den übrigen 6 mindestens 5 dem Kaufmannsstand angehören müssen. Wählbar ist jeder Bürger, welcher das 30. Lebensjahr vollendet hat und im vollen Genuß seiner bürgerlichen Rechte sich befindet. Die Wahl geschieht durch eine für jeden Erledigungsfall besonders zu ernennende, aus einer gleichen Zahl von Mitgliedern des Senats und der Bürgerschaft bestehende Kommission. Der Erwählte bekleidet sein Amt lebenslänglich. Der Vorsitzende des Senats, den dieser selbst aus seiner Mitte auf je zwei Jahre wählt, führt während dieser Zeit den Titel Bürgermeister. Dem Senat als Regierungsbehörde steht die Aufsicht über sämtliche Zweige der Verwaltung und über die Justizbehörden zu; ihm und der Stadt leisten die Bürger den Eid der Treue; er bewahrt Siegel und Archive der Stadt; er ernennt und beeidigt den größten Teil der Staatsbeamten, übt das Begnadigungsrecht in Kriminalsachen und unter Mitwirkung der Bürgerschaft das Recht der Gesetzgebung. Die Bürgerschaft besteht aus 120 Mitgliedern; Wähler und wählbar ist jeder im vollen Genuß seiner bürgerlichen Rechte stehende Staatsbürger. Die Bürgerschaftsmitglieder bekleiden ihr Amt sechs Jahre und werden alle zwei Jahre durch Neuwahlen zum dritten Teil ergänzt. Ein von der Bürgerschaft aus ihrer Mitte auf zwei Jahre gewählter und alljährlich zur Hälfte durch Neuwahlen zu ergänzender Ausschuß von 30 Mitgliedern übt die Rechte der Bürgerschaft aus bei Geldbewilligungen bis zur Höhe von 6000 Mk. auf einmal oder 300 Mk. jährlich und bei Fragen über Erwerb oder Veräußerung öffentlicher Grundstücke bis zu einem Wert von 12,000 Mk. Außerdem liegt dem Bürgerausschuß die vorgängige Begutachtung aller an die Bürgerschaft zu richtenden Senatsanträge ob. Für das Gerichtswesen bestehen infolge des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes vom 24. April 1878 unter dem Oberlandesgericht zu Hamburg ein Land- und ein Amtsgericht zu L.; unter dem Landgericht stehen außerdem noch die Amtsgerichte zu Ahrensböck; Eutin und Schwartau im oldenburgischen Fürstentum L. Die hauptsächlichen Zweige der Staatsverwaltung stehen unter der Leitung von sogen. Departements oder Deputationen, zusammengesetzt aus Mitgliedern des Senats, deren eins das Präsidium führt, und aus 6–12 bürgerlichen Deputierten; mehrere Behörden, wie das Polizeiamt, das Medizinalamt und [945] das Stadt- und Landamt, werden ausschließlich aus Mitgliedern des Senats gebildet. Die Ausgaben der Staatskasse beliefen sich 1885 auf 2,621,758 Mk., das Budget für 1886 war in Einnahme und Ausgabe auf 2,959,904 Mk. festgesetzt. Unter den Einnahmen betrugen

Zinsen und Dividenden 782277 Mk.
Direkte Steuern 628300
Indirekte Steuern 569718
Ertrag der Domänen 552202

Hauptsächlichste Steuer ist die 1870 eingeführte direkte Einkommensteuer, deren Ertrag für 1886 auf 576,300 Mk. angesetzt war. Daneben waren die Hafenabgaben auf 188,500, der Anteil an den Zöllen und Stempelabgaben des Reichs auf 212,500 Mk. berechnet. Dagegen hatte L. an Matrikularbeiträgen für 1886/87: 169,142 Mk. zu zahlen. Die Staatsschuld betrug Anfang 1886: 15,473,920 Mk. L. führt eine Stimme im Bundesrat und entsendet einen Abgeordneten zum deutschen Reichstag. Über das gesamte Kirchenwesen übt der Senat die Oberaufsicht aus; die anerkannten Religionsbekenntnisse sind gesetzlich gleichberechtigt. Man zählte 1885: 65,997 Evangelische, 802 Katholiken, 644 Israeliten und 215 sonstige Christen und Einwohner unbekannter Konfession. Das Schulwesen, dessen Verhältnisse durch das Gesetz vom 17. Sept. 1885 neu geregelt worden sind, steht unter der Leitung der Oberschulbehörde. Die Ausgaben für Schulzwecke (Zuschüsse) waren für 1886 auf 484,737 Mk. veranschlagt. Das Wappen Lübecks ist der zweiköpfige Adler mit einem weiß und rot wagerecht geteilten Brustschild. Die Landesfarben sind Weiß und Rot (s. Tafel „Flaggen“).

Die Stadt Lübeck.

Die freie Hansestadt L., einst Haupt des Hansabundes, an der Mündung der Wackenitz in die Trave gelegen, bildet den Knotenpunkt der Eisenbahnen Eutin-L., L.-Büchen, L.-Hamburg und L.-Travemünde sowie der Linie L.-Mecklenburgisch-Preußische Grenze der Mecklenburgischen Friedrich Franz-Bahn und besteht aus der eigentlichen Stadt und drei Vorstädten. Der alte Wall zwischen der Trave und dem frühern Stadtgraben ist seit 1802 zu Promenaden umgeschaffen, zum Teil abgetragen worden. Die Straßen der innern Stadt sind meistens breit und freundlich, gut gepflastert und kanalisiert. Der in der Mitte der Stadt liegende Marktplatz sowie der Klingenberg sind mit sehenswerten Brunnenmonumenten geschmückt worden. Die Häuser haben meist ein altertümliches Ansehen und zeigen oft reiche architektonische Ornamente, doch gibt es auch zahlreiche Gebäude im modernen Stil. Unter den öffentlichen Gebäuden stehen die Kirchen voran. Namentlich ist die Marienkirche, 1163–70 gegründet (der jetzige Bau stammt aus den Jahren 1276–1310), eine der schönsten frühgotischen Kirchen Deutschlands. Sie ist 102 m lang, 56,7 m breit und hat zwei 124 m hohe Türme, drei Schiffe (das mittlere 38,5 m hoch), mehrere sehenswerte Kapellen (darunter eine mit berühmtem Totentanz von 1463) und Grabdenkmäler, einen Hochaltar (1697 von Th. Quellinus gearbeitet), eine Kanzel von schwarzem Marmor, eine Anzahl von Meisterwerken der ältern deutschen Skulptur, ein künstliches Uhrwerk (von 1565), Gemälde von Overbeck

Plan von Lübeck.

(Einzug Christi in Jerusalem und die berühmte Grablegung Christi), von Mostaert (1518) und Orley sowie eine große Orgel. Die Domkirche, 1173 gegründet und im 14. Jahrh. um die Hälfte vergrößert, mit zwei 120 m hohen Türmen, enthält schöne Sarkophage und wertvolle Kunstschätze, darunter ein treffliches Altarbild von Memling (von 1491). Die Jakobikirche (vor 1227 gegründet), mit einem schlanken, 96,6 m hohen Turm, und die Petrikirche (vor 1163 gegründet), mit einem durch vier Nebenspitzen gezierten Turm von fast 87 m Höhe, enthalten ebenfalls gute alte Gemälde und Denkmäler. Die Ägidienkirche, mit 75,6 m hohem Turm, besitzt eine vorzügliche Orgel, die nicht mehr zum Gottesdienst benutzte schöne Katharinenkirche wertvolle Gemälde und Epitaphien sowie eine Sammlung kirchlicher Kunstschätze im Chor. Die St. Jürgenkapelle (von 1645) ist von geringerm Umfang, aber ansprechendem Stil.

Unter den weltlichen Gebäuden ist besonders das Rathaus, ein großes, aus roten und schwarzen verglasten Backsteinen zu verschiedenen Zeiten errichtetes Gebäude, merkwürdig; der an der Westseite belegene Teil desselben ist seit 1673 zur Börse eingerichtet. Unter der Börse und dem Rathaus befindet sich der schon im 13. Jahrh. angelegte, neuerdings umgebaute Ratsweinkeller, ein interessantes Bauwerk [946] mit hohen und weitläufigen Gewölben, von Einheimischen und Fremden viel besucht. Die Kriegsstube im Rathaus sowie das Fredenhagensche Zimmer (im Haus der Kaufmannschaft) enthalten sehenswerte Schnitzwerke aus Holz und Alabaster. Ein zierlicher Bau aus dem 13. Jahrh. ist das Hospital zum Heiligen Geist, mit kunstvollen Holzschnitzereien. Beachtung verdienen ferner das Holstenthor von 1477 und das Burgthor sowie das Haus der Schiffergesellschaft. Von Interesse sind noch das neue Schlachthaus, das städtische Wasserwerk und die Zentralstation für elektrische Beleuchtung. Die Einwohnerzahl beziffert sich (1885) mit der Garnison (ein Infanteriebataillon Nr. 76) auf 55,399 Seelen, meist Evangelische. Die Industrie ist nicht unbedeutend; die Hauptzweige derselben sind: Branntweinbrennerei, Bier- und Essigbrauerei, Zigarrenfabrikation und Seifensiederei. Außerdem gibt es Konservenfabriken, Etablissements für Baumwoll- und Seidenweberei, Tuch- und Weißwarenfabrikation, Eisengießerei, Maschinen- und Schiffbauanstalten, Portefeuille-, Galanteriewaren- und Mineralwasserfabriken sowie mehrere bedeutende Säge- und Hobelwerke. Bei weitem wichtiger aber sind Handel und Schiffahrt. L. ist ein bedeutender Speditionsplatz für die Ostsee und vermittelt in großartigem Maßstab den Handel zwischen Hamburg und dem Innern Deutschlands einer- und den Ostseeküsten anderseits. Nach dem Eintritt der Stadt in den Zollverein (1868) sowie infolge der Ausdehnung ihres Eisenbahnnetzes hat der Handel bedeutend zugenommen. Die Einfuhr betrug:

Jahr Doppel­zentner Wert (Mark)
1870 2463708 91807824
1875 4867566 194435434
1880 5947831 212178802
1883 5991372 211361042
1885 5944879 190690183
1886 6152709 188522814

Die wichtigern Einfuhrartikel sind: aus Rußland Getreide, Butter, Spirituosen, Holzwaren, Pottasche, Teer, Petroleum, Hanf und Hanföl, Kupfer, Talg; aus Schweden Bauholz, Bretter, Eisen, Kupfer, Stahl; aus Preußen Getreide, Spirituosen; aus Dänemark Getreide, Fettwaren, Ölsamen, Butter; aus Großbritannien Steinkohlen, Steingut, Roh- und Stangeneisen, Eisenwaren, Leinöl; aus Frankreich Wein, Spirituosen; aus Nordamerika Petroleum etc. Die Schiffahrt Lübecks geht größtenteils nach den europäischen Ländern, vornehmlich nach Schweden und Rußland, dann nach Großbritannien, Dänemark, Schleswig-Holstein, Preußen und Frankreich.

Es kamen an Es gingen ab
Jahr Seeschiffe Reg.-Tons Jahr Seeschiffe Reg.-Tons
1880 2301 311457 1880 2347 318591
1881 2110 306932 1881 2110 303710
1882 2161 371490 1882 2165 373646
1883 2002 360403 1883 2005 358470
1884 2269 431208 1884 2281 435500
1885 2198 414429 1885 2224 420312
1886 2208 416897 1886 2219 420656

Dampfschiffahrtsverbindung wird durch regelmäßige Fahrten nach verschiedenen Orten der russischen, schwedischen, dänischen und schleswig-holsteinischen Küste unterhalten. Die die Wasserverbindung zwischen L. und der Ostsee vermittelnde Trave ist 1878–82 mit bedeutendem Kostenaufwand bis auf 4,6 m vertieft worden, so daß infolgedessen die größten Seeschiffe an die Stadt gelangen können. Die Hafen- und Kanalanlagen haben in den letzten Jahren großartige Erweiterungen erfahren, an denen im Hinblick auf die projektierte Herstellung einer Wasserverbindung zwischen der Elbe und Trave durch Ausbau des Stecknitzkanals fortgesetzt gearbeitet wird. Die lübeckische Reederei zählte Ende 1885: 35 Schiffe mit einer Tragfähigkeit von 10,401 Reg.-Tons, darunter 31 Dampfschiffe. Zur Unterstützung des Handels dienen: eine Handels- und Gewerbekammer, eine Reichsbankstelle (Umsatz 1886: 2153/4 Mill. Mk.), zwei Privatbanken, zwei Sparkassen, mehrere Versicherungsanstalten etc.; den Verkehr in der Stadt vermittelt eine Pferdebahn.

An Anstalten für Unterricht und Bildung bestehen in L.: das seit alters berühmte Katharineum (im ehemaligen Katharinenkloster, Gymnasium, verbunden mit Realgymnasium), ein Privatprogymnasium, 2 höhere Bürgerschulen (eine davon Privatanstalt), eine Gewerbeschule, eine Privathandelslehranstalt, eine Navigationsschule, ein Schullehrerseminar, eine Taubstummenanstalt etc. Ferner hat L. eine Stadtbibliothek mit 98,000 Bänden, eine Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Thätigkeit, welche treffliche ethnographische und Kunstsammlungen, eine Sammlung prähistorischer Altertümer, ein Handelsmuseum sowie eine Naturaliensammlung (in derselben besonders hervorzuheben die Sammlung von Gorillas, bis jetzt die vollständigste in Europa) besitzt, einen Ärztlichen Verein mit einer Bibliothek von 30,000 Bänden, einen Landwirtschaftlichen Verein, einen Kunstverein, ein Theater etc. Das Armenwesen ist musterhaft geordnet; unter den Wohlthätigkeitsanstalten sind hervorzuheben: die Armenanstalt mit bedeutendem Grundbesitz und einem Kapitalvermögen von etwa 1,450,000 Mk., das St. Johannis-Jungfrauenkloster und die Brigittenstiftung (Versorgungsanstalten für weibliche Personen), das Hospital zum Heiligen Geiste, das Irrenhaus, das Waisenhaus, die Kinderpfleganstalt, das allgemeine Krankenhaus, das Kinderhospital, außerdem zahlreiche Privatstiftungen. Das Gesamtvermögen der letztern (ohne den Grundbesitz) wurde 1885 auf 4,952,022 Mk. berechnet, wogegen das der öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten zu derselben Zeit 4,199,290 Mk. betrug. L. ist Sitz der Staatsbehörden, eines Landgerichts (s. oben), eines Hauptzollamtes und vieler auswärtiger Konsulate.

[Geschichte.] Eine Stadt Namens L. (Liubice) wird zuerst unter dem christlichen Wendenfürsten Gottschalk (gest. 1066) erwähnt; sie lag an der Mündung der Schwartau in die Trave. Unter seinem jüngern Sohn, Heinrich, blühte das alte L. auf, wurde aber in einem spätern Krieg 1138 von Race, Fürsten der Rugier, erobert und verwüstet. Graf Adolf II. von Holstein erbaute 1143 ein neues L. auf einem Werder zwischen Trave und Wackenitz, und dieses gewann durch seine glückliche Lage so rasch eine Bedeutung, daß die Kaufleute aus Bardowiek fortzogen und nach L. übersiedelten. Mit Unwillen sah Heinrich der Löwe dies, da sein eignes Land darunter litt. Nachdem er jedoch 1157 den Grafen Adolf bewogen hatte, ihm L. zu überlassen, widmete er selbst der jungen Ansiedelung eifrige Fürsorge. Er gab ihr städtische Verfassung und ein eignes Recht und sandte Boten an die Städte und in die Reiche des Nordens, um sie zum Handelsverkehr mit L. einzuladen. Auch verlegte er 1163 den Bischofsitz aus Oldenburg dahin und erbaute den Dom. Die Stadt hing mit Treue an ihm auch nach seiner Ächtung, bis Friedrich I. 1181 mit einem Heer erschien und Lübecks Gehorsam erzwang. Er bestätigte und erweiterte die Gerechtsame der [947] Stadt durch eine Urkunde von 1188. Heinrich der Löwe gewann 1189 die Herrschaft noch einmal, konnte sie aber nicht behaupten. Die Eroberung Holsteins durch Waldemar II., König von Dänemark, brachte 1201 auch L. unter dessen Gewalt. Nachdem es der Stadt gelungen war, sich der dänischen Herrschaft zu entledigen (1225), verlieh ihr Kaiser Friedrich II. 1226 die Reichsfreiheit. Der Versuch Waldemars, die nordalbingischen Lande wieder zu gewinnen, wurde durch die Schlacht bei Bornhövede (22. Juli 1227) vereitelt, und einen in Verbindung mit dem Grafen Adolf IV. gegen L. insbesondere gerichteten Angriff wehrte die Stadt selbst ab und gewann an der Mündung der Warnow 1234 den ersten Seesieg über die Dänen. Sie gelangte dann rasch zu großer und dauernder Blüte und trat an die Spitze des allmählich sich bildenden Hansabundes. Unter den Kriegen, welche L. in Verbindung mit der Hansa während des 14. Jahrh. führte, ist der bedeutendste der mit Waldemar IV. von Dänemark. Er begann 1361 und endete mit dem ruhmvollen Frieden zu Stralsund 24. Mai 1370, in welchem der dänische Reichsrat die Wahl eines Königs von der Zustimmung der Hansa abhängig machte. Das Jahr 1408 brachte einen Aufruhr im Innern. Der alte patrizische Rat wurde durch eine Volksbewegung genötigt, sein Amt niederzulegen und die Stadt zu verlassen; ein neuer demokratischer Rat trat an seine Stelle. Als Kaiser Siegmund Ernst machte, die über die Stadt ausgesprochene Acht in Ausführung zu bringen, auch König Erich von Dänemark drohte, trat der neue Rat freiwillig zurück, und der alte Rat, an der Spitze der Bürgermeister Jordan Pleskow, zog 1416 feierlich wieder ein. Der größtenteils aus Patriziern bestehende Rat hat dann noch ein Jahrhundert hindurch die Regierung mit Erfolg geführt, bis die Reformation neue Bewegung brachte. Daß der Bürgermeister Nikolaus Bröms dem jungen Gustav Wasa Schutz zusagte und seine Zusage erfüllte, machte diesen zum König von Schweden; die von den Dänen noch besetzte Stadt Stockholm ergab sich 1523 den Anführern der lübeckischen Flotte, Berend Bomhauer und Hermann Plönnies, und von diesen empfing Gustav Wasa seine Hauptstadt. Durch ein Bündnis mit L. (5. Febr. 1523) glaubte Friedrich I., Herzog von Holstein, sich den Erfolg sichern zu müssen, als er nach Christians II. Vertreibung die Berufung auf den dänischen Königsthron annahm. Gegen Bröms, der zugleich eifrig katholisch war, erhob sich wieder eine Volksbewegung, die ihn zur Flucht nötigte. Die Reformation ward eingeführt (1531), und Jürgen Wullenweber (s. d.) trat auf kurze Zeit an die Spitze der Stadt. Er verfolgte kühne Zwecke, indem er noch einmal die Herrschaft über Dänemark zu gewinnen strebte. Er wurde gestürzt, die Stadt erlangte einen ehrenvollen Frieden (1535), und zugleich wurde die alte Verfassung nochmals wieder eingeführt. Bröms kehrte zurück. Die Verhältnisse mit Dänemark wurden nach der Thronbesteigung Friedrichs II. durch den Vertrag von Odense 1560 nochmals geordnet, und dieser König wurde dann der Verbündete Lübecks in einem Krieg mit Schweden, dessen Könige sich eine Reihe willkürlicher Bedrückungen und Gewaltthätigkeiten erlaubt hatten. Zwar wurde der Stadt im Frieden zu Stettin 1570 eine Entschädigungssumme zugesprochen, sie ist aber niemals bezahlt worden. Seitdem hat L. keinen Krieg mehr geführt, die politische Größe war vorüber. Auch der Handel, die Grundlage der Macht, welcher seine frühere Bedeutung längst verloren hatte, sank mehr und mehr.

In der Mitte des 17. Jahrh. entstanden neue bürgerliche Unruhen, und nun erlangte die Bürgerschaft zuerst durch den Rezeß von 1665 und dann durch den vom 9. Jan. 1669, der unter kaiserlicher Vermittelung abgeschlossen wurde, eine wirkliche Teilnahme an der Regierung der Stadt. Diese litt fortwährend unter den Kriegen der nordischen Mächte und durch die Belästigungen des mächtiger gewordenen Nachbars. Doch schwebte immer noch ein Glanz um den Namen der Hansa und sicherte ihr eine ehrenvolle Stellung. Von der Mitte des 18. Jahrh. an ward der Verkehr wieder lebhafter und erzeugte einen steigenden Wohlstand. Die Blockade der Elbe 1803 zog sogar einen großen Teil des hamburgischen Handels über L. Da trat die Auflösung des Deutschen Reichs ein und, ganz unerwartet, die französische Okkupation. L. bestand als freie Hansestadt fort und suchte, wie in frühern Kriegen, Neutralität zu bewahren. Aber eine Abteilung (20,000 Mann) des bei Jena geschlagenen preußischen Heers, unter Blüchers Führung, nahm 5. Nov. 1806 gewaltsam Besitz von L., ward jedoch schon tags darauf von Bernadotte, Soult und Murat nach hartnäckiger Gegenwehr vertrieben, worauf die mit Sturm genommene Stadt drei Tage lang der Plünderung preisgegeben wurde. 1810 ward dieselbe dem Departement der Elbmündung einverleibt. Im Frühjahr 1813 durch Russen für kurze Zeit befreit, bildete L. die hanseatische Legion mit, wurde jedoch abermals von den Franzosen okkupiert, bis ihm der Kronprinz von Schweden die Selbständigkeit und Freiheit zurückgab, worauf die frühere Verfassung wiederhergestellt wurde. In der folgenden Friedenszeit war das Hauptaugenmerk der Regierung vorzugsweise auf Belebung des Verkehrs zu Wasser und zu Land gerichtet. Die Pariser Februarrevolution ging auch an L. nicht spurlos vorüber. Man ging aus eignem Antrieb an eine Reform der immer noch in Kraft gebliebenen Rezesse von 1665 und 1669. Schon 11. März 1848 ward durch Senatsbeschluß die Preßfreiheit eingeführt, und 8. April trat eine zwischen Senat und Bürgerschaft vereinbarte neue Verfassung in Kraft. Auf Grundlage derselben ward die Bürgerschaft neu konstituiert und zum erstenmal 2. Juni 1848 vom Senat zusammenberufen. Am 30. Dez. 1848 wurde die revidierte Verfassung in ihrer neuen Form publiziert, aber später durch die vom 29. Dez. 1851 (revidiert 7. April 1875) außer Geltung gesetzt. An dem deutsch-dänischen Krieg 1849 nahmen auch Lübecks Truppen teil. Als See- und Handelsstadt mußte es die Rückwirkungen des Kriegs mit Dänemark, mit dem es in besonders lebhaftem Handelsverkehr gestanden hatte, schwer empfinden. Dem Verkehr suchte die Regierung nach außen neue Wege zu bahnen, besonders durch Handelsverträge mit fremden Mächten. Am 18. Aug. 1866 trat L. dem Bündnisvertrag zwischen Preußen und den übrigen Staaten des Norddeutschen Bundes bei; mit seinem Kontingent, einem Bataillon Infanterie, nahm es in der oldenburgisch-hanseatischen Brigade an den Operationen der preußischen Mainarmee Anteil. Am 27. Juni 1867 schloß L. eine Militärkonvention mit Preußen und trat 11. Aug. 1868 in den Zollverein, nachdem ihm vorgängig mehrere Erleichterungen, namentlich für seinen bedeutenden Weinhandel sowie für das nordische Geschäft, vertragsmäßig zugesichert waren. Vgl. Deecke, Die Freie und Hansestadt L. (2. Aufl., Lüb. 1854); Behrens, Topographie und Statistik von L. (das. 1829–39, 2 Bde.; unvollendete 2. Aufl. 1856); „Statistik des Lübeckschen Staats“ (das. 1871 ff.); Becker, [948] Geschichte der Stadt L. (das. 1782–1805, 3 Bde.); „Urkundenbuch der Stadt L.“ (das. 1843–87, Bd. 1–8); Deecke, Geschichte der Stadt L. (das. 1844, 1. Buch); Derselbe, Lübische Geschichten und Sagen (das. 1878); Waitz, L. unter Jürgen Wullenweber (Berl. 1855–56, 3 Bde.); Klug, Geschichte Lübecks in den Jahren 1811–13 (Lüb. 1857); Frensdorff, Stadt- und Gerichtsverfassung Lübecks im 12. und 13. Jahrhundert (das. 1861); Pauli, Lübecksche Zustände im Mittelalter (das. 1872); „Chroniken der deutschen Städte“, Bd. 19 ff. (Leipz. 1884 ff.); „Zeitschrift des Vereins für lübeckische Geschichte“ (Lüb. 1860 ff.).

Lübeck, zum Großherzogtum Oldenburg gehöriges Fürstentum (s. Karte „Oldenburg“), an der Ostsee (Lübecker Bucht) zwischen holsteinischem und lübeckischem Gebiet gelegen, 541 qkm (9,8 QM.) groß mit (1885) 34,721 Einw., bildet eine wellenförmige, größtenteils fruchtbare, von Wäldern, Seen und anmutigen Hügelketten durchzogene Ebene. Die Bevölkerung ist niedersächsischen Stammes und bekennt sich fast ausschließlich zur evangelischen Kirche. Das Fürstentum, von der Ostholsteinischen und der Eutin-Lübecker Bahn durchschnitten, zerfällt in die Stadtgemeinde Eutin und die Ämter Eutin und Schwartau. Hauptstadt und Sitz der Regierung ist Eutin, woselbst sich auch der Provinzialrat von elf Mitgliedern versammelt. Das Land gehörte ursprünglich zum Gebiet des Hochstifts L. Schon König Otto I. gründete 948 in der Stadt Aldenburg (Oldenburg) in Wagrien (dem östlichen Holstein) ein Bistum, das dem Erzstift Bremen untergeben ward. Adalbert von Bremen trennte 1052 die beiden Bistümer Ratzeburg und Mecklenburg (-Schwerin) ab. Der heil. Vicelin, der Apostel der Wagrier und Obotriten, war hier Bischof 1149–54. Im J. 1163 verlegte Heinrich der Löwe den Sitz des Bistums nach L., die Residenz des Bischofs aber war Eutin. Nachdem Heinrich in die Acht erklärt worden, wurde das Bistum reichsunmittelbar. Bischof Heinrich III. konnte 1530 das Eindringen der Reformation in L. nicht verhindern; nach seinem Tod (1535) wurde Detlev v. Reventlow zum ersten evangelischen Bischof erwählt. 1586 erwählte das Domkapitel den Herzog Johann Adolf von Holstein-Gottorp, und weil dieses Haus wesentlich dazu beitrug, daß das Hochstift im Westfälischen Frieden nicht säkularisiert wurde, so verpflichtete sich 1647 aus Dankbarkeit das Kapitel, nach Abgang des regierenden Bischofs und seines Koadjutors noch sechs Bischöfe nacheinander aus dem Haus Holstein-Gottorp zu wählen. Als 1802 durch den Hauptdeputationsrezeß das Bistum nebst dem Domkapitel aufgehoben wurde, erhielt der Herzog von Oldenburg die genannten Besitzungen zur Entschädigung für die Aufhebung des Elsflether Weserzolles als weltliches Fürstentum, wobei man jedoch der Stadt L. die Domgebäude und einige Kapitelsdörfer zum eigentümlichen Besitz zuerkannte. Nachdem schon 1842 das holsteinische Kirchspiel Gleschendorf gegen das Kirchspiel Ratekau durch Vertrag mit Dänemark eingetauscht war, wurde 1866 das holsteinische Amt Ahrensböck von Preußen erworben. Das Wappen ist ein goldenes, schwebendes, mit einer Bischofsmütze bedecktes Kreuz im blauen Feld. Vgl. Laspeyres, Die Bekehrung Nordalbingiens und die Gründung des Wagrischen Bistums Aldenburg-Lübeck (Brem. 1864); „Codex diplomaticus Lubecensis“, Abt. 2, Teil 2 (Oldenb. 1856); Alberts, Das Fürstentum L. (Eutin 1883).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 540
korrigiert
Indexseite

[540] Lübeck, deutscher Freistaat. Während die Reederei sich im Zeitraum 1884–88 von 42 Schiffen zu 11,177 Ton. auf 28 Schiffe zu 9559 T. verminderte, hat sich der Schiffsverkehr gesteigert. Die Zahl der ein- und ausgelaufenen Seeschiffe hob sich von 4618 Schiffen zu 889,044 T. (1887) auf 4896 Schiffe von 978,262 T. (1888). Unter den letztern waren 2756 Dampfschiffe zu 734,728 T. Auf den Verkehr mit deutschen Häfen entfielen vom gesamten Tonnengehalt 1888: 104,311 T., auf den Verkehr mit dem übrigen Europa 870,985 T., auf den mit außereuropäischen Häfen 2966 T. Auf der Trave kamen 1887 an: zu Berg 544 beladene Schiffe mit 33,800 T. Gütern, zu Thal 503 beladene Schiffe mit 24,400 T. Gütern. Das Budget war in Einnahme und Ausgabe für 1889 auf 3,230,309 Mk. festgesetzt. Die gesamte Staatsschuld belief sich auf 13,847,632 Mk.


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 573
korrigiert
Indexseite

[573] Lübeck. Das Budget für 1890 beziffert sich in Einnahmen und Ausgaben auf 3,459,816 Mk. Die ordentlichen Einnahmen betragen in Mark:

Domänen 552751
Zinsen und Dividenden 730069
Reichszölle u. -Steuern 431510
Steuern und Abgaben 1333508
Von Schulen 197042
Verschiedenes 48517
Zusammen: 3293397

Als außerordentliche Einnahmen (aus der Reservekasse) sind 48,517 Mk. aufgeführt. Die Ausgaben sind wie folgt festgesetzt:

Senat und Bürgerschaft 153568 Mark
Reichs- und auswärtige Angelegenheiten 386325
Gerichte und Polizei 448893
Verwaltung 285869
Bauten und Lotsenwesen 504107
Kirche und Schule 631715
Armen- und Krankenpflege 77238
Pensionen 103924
Verschiedenes 59760
Staatsschuld 808415
Zusammen: 3459816 Mark.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 591
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[591] Lübeck. Die Bevölkerung des Gebietes der freien Hansestadt L. betrug nach der Volkszählung vom 1. Dez. 1890: 76,485 Seelen (gegen 67,658 im J. 1885) und hat seit 1885 um 8827 Seelen (13,2 Proz.) zugenommen. Von jener Einwohnerzahl kommen auf die Stadt L. nebst Vorstädten 63,590 (Zunahme seit 1885: 8191 Einw. oder 14,8 Proz.), auf das Städtchen Travemünde 1777 (Zunahme seit 1885 111 Einw. oder 6,7 Proz.), auf die Landbezirke 11,118 (Zunahme seit 1885: 525 Einw. oder 5 Proz.). Die Zunahme der Bevölkerung mit jährlich 2,44 Proz. war stärker als in irgend einer Zählungsperiode seit 1871, nur die Periode 1875–80 kam mit jährlich 2,21 Proz. ziemlich nahe. Die starke Zunahme der Bevölkerung in der Stadt L. ist wesentlich auf die Vorstädte zurückzuführen, in denen sich die Einwohnerzahl um 35,4 Proz. steigerte, während sie in der innern Stadt nur um 3,37 Proz. zunahm. Nach dem Geschlecht kamen auf 100 männliche 104,1 weibliche Personen. Der Handel Lübecks hatte im J. 1889 folgenden Umfang: die Einfuhr hatte einen Wert von 238,180,067 Mk. (seewärts 81,827,847, land- und flußwärts 156,352,220), die Ausfuhr einen Wert von 194,654,701 Mk. (seewärts 109,260,929, land- und flußwärts 85,393,772). Verglichen mit dem Jahre 1888 steigerte sich die Einfuhr um 32,4 Mill., die Ausfuhr um 23,6 Mill. Mk. An der Einfuhr zur See waren besonders beteiligt Rußland (48,3 Mill.) und Schweden (15,1 Mill.), zu Land: Hamburg (62,3 Mill. Mk.); an der Ausfuhr Schweden (38,4 Mill.), Rußland (34,7 Mill.) und Dänemark (13,4 Mill. Mk.). Gegenüber dem Vorjahr hat sich besonders der Handel mit Rußland, Schweden und Hamburg gesteigert. 1889 liefen 2596 Seeschiffe (darunter 1565 Dampfer) von 532,616 Ton. ein, 2604 (darunter 1560 Dampfer) von 535,364 Ton. aus. Auf der Trave kamen 709 beladene Frachtschiffe mit 46,600 T. Ladung auf der Bergfahrt, 612 mit 30,800 T. Ladung auf der Thalfahrt an. L. besaß 1891 37 Seeschiffe von 13,182 T. Die Staatsschuld betrug zu Ende des Jahres 1891: 9,843,361 Mk.