MKL1888:Kuppelgräber in Griechenland
[566] Kuppelgräber in Griechenland. Die griechische Kultur hatte zwei Blütezeiten: die erste, deren Kenntnis durch die Ausgrabungen Schliemanns begann und immer noch wächst, ums Jahr 1500 v. Chr.; die zweite, wohlbekannte, deren Höhepunkt das fünfte vorchristliche Jahrhundert bezeichnet. Jene erste hat uns Vasen in ungezählter Fülle, herrliche Gold-, Silber-, Bronze-, Elfenbeinarbeiten und auf dem Gebiete der Architektur stark befestigte Burgen, Königspaläste und eine Menge von gewaltigen Grabbauten hinterlassen, deren zum Teil wohlerhaltene Wölbungen noch heute die Bewunderung des Wanderers hervorrufen. Da Mykenä, die Hauptfeste Agamemnons, an Denkmälern jeder Art aus dieser Zeit am reichsten ist, so hat die ganze Kultur den Namen der Mykenischen erhalten.
Die Gräber sind alle unterirdisch und meist in den natürlichen Abhang eines Felsens oder eines Erdhügels hineingebohrt. Es gibt eine Unzahl kleiner, von ärmern Leuten benutzter Gräber und eine kleinere Reihe wahrer Riesendome, von denen der größte, der in Mykenä vorhandene, zuerst unter dem Namen „Schatzhaus des Atreus“ (s. die Abbildung, S. 567) bekannt geworden ist. Wenn man in Mykenä an dem langgestreckten Landrücken der Unterstadt hingeht, bemerkt man, wie sich völlig unerwartet am Abhang eine breite Öffnung aufthut, welche direkt in den Hügel hineinführt. Nicht unvermittelt gelangen wir zu dem Grabe selbst, sondern ein breiter Gang führt zwischen [567] senkrecht aufsteigenden Mauern der dunkeln Pforte zu (der sogen. Dromos). Wir schreiten zu ihr hin und stehen bald vor einer hohen Mauer, welche einst mit buntem, reich ornamentiertem Relief von oben bis unten geschmückt war, heute nur durch ihre wohlgegliederten Verhältnisse gefällt und durch die Größe der Steine eine Vorstellung von dem starken Geschlecht erweckt, welches sie erbaute. Das Thor in dieser Mauer selbst ist an der Schwelle breiter als an der Decke; der Thürsturz, die Oberschwelle des Thores, besteht aus zwei kolossalen, wohlbearbeiteten Felsblöcken. Über ihm öffnet sich heute ein leeres Dreieck, welches aus dem technischen Grunde ausgespart wurde, um den Druck des auf der Thür ruhenden Gewölbes von dem hohlen Thürraum weg auf die Thürpfosten überzuleiten. Im Altertum war es durch skulptierte Reliefplatten geschlossen. Wir treten in das Thor, dessen 5 m dicke Seitenmauern einen Gang bilden, welcher aus dem breitern Vorraum auf schmälerm Wege in den eigentlichen Grabraum überleitet. Dieser Thürgang wird das Stomion (Mundstück) genannt und ist an dem größten mykenischen Grabe 5 m lang, 31/2 m breit und nur von zwei Steinen bedacht, welche seitwärts noch sehr tief in die Mauer reichen, alles von wuchtigen, massenhaften Dimensionen. Adler berechnet das Gewicht des sauber behauenen, kolossalen Innensteines der Oberschwelle auf 122,000 kg. Der Innenraum des Grabes (die sogen. Tholos) enttäuscht die erregte Erwartung nicht: ein feierliches Halbdunkel umfängt uns, und es dauert einige Zeit, bis sich das Auge gewöhnt hat, das Einzelne zu unterscheiden. Wir stehen in einem kreisförmigen Raume von ca. 15 m Durchmesser bei ebensoviel Höhe. Aus wohlbehauenen, mächtigen Steinblöcken bauen sich 33 Ringe übereinander auf, von denen jeder nächsthöhere etwas enger wird als der, auf welchem er ruht, so daß an die Stelle des obersten Ringes ein einziger Stein tritt. Doch ist der runde Grabbau kein Gewölbe in neuerm Sinne, sondern die Steinschichten liegen parallel übereinander, jeder Steinring in sich gespannt. Dieser runde unterirdische Dom diente bei den größten Denkmälern dieser Art dem feierlichen Totenkultus, das Grab selbst war besonders gearbeitet. Rechts öffnet sich im Mauerring ein kleineres, aber in seiner Konstruktion der großen Eingangspforte völlig entsprechendes Thor. Es führt in eine viereckige Seitenkammer, in welcher die Toten ruhten. Dieser eigentliche Gräberraum war an den Seiten und der Decke mit Alabasterplatten verkleidet; Schliemann hat die prächtige Decke des Kuppelgrabes von Orchomenos aufgefunden, welche jetzt im Berliner Museum für Völkerkunde in den Schliemannsälen als Decke in Metall nachgebildet ist. Im Altertum drang von außen noch weniger Licht hinein als heute, weil das heute offene Entlastungsdreieck über dem Eingang durch Reliefplatten zugesetzt war; bei reichlichem Fackellicht aber erglänzten von der Wölbung des Domes Hunderte von Bronzerosetten wie ein blinkender Sternenhimmel, die Thürpfosten waren mit Bronze oder noch edlerm Metall verkleidet; das Ganze machte einen erhabenen und prächtigen Eindruck. Nur ein lange herrschendes, mächtiges Fürstengeschlecht auf der Höhe einer reichentwickelten Kultur konnte solche für die Ewigkeit berechnete Riesenbauten planen und errichten. Den ursprünglichen Zweck dieser Bauten kannte man im spätern Altertum nicht mehr, sondern hielt sie für Schatzhäuser; die neuern Ausgrabungen aber, bei welchen in solchen Domen die Gräber mit den Skelettresten gefunden worden sind, belehrten uns über ihre ursprüngliche Bestimmung als Erbbegräbnisse reicher, mächtiger Familien. Neben diesen prächtigsten Exemplaren, deren wir zwei kennen, gibt es eine ganze Skala abwärts bis zum Grabe des armen Mannes; alles in allem ist die oben gegebene Gliederung von Zugangsstraße, Thorgang, Grabbau überall kenntlich, nur daß alles viel kleiner wird.
Die technische Herstellung geschah derart, daß man im Abhang eines Hügels eine tiefe Grube von dem untern Durchmesser des zu bauenden Grabes aushob, und zwar derart, daß man die Seitenwände je nach der Kohärenz des natürlichen Bodens steiler oder flächer böschte. Ein seitlicher, allmählich ansteigender Einschnitt, in der Richtung des abfallenden Terrains geführt, diente zur bequemern Fortschaffung der Erde, welche vorläufig daneben aufgeschüttet wurde. Der Boden der Grube wurde sorgfältig geglättet
Durchschnitt durch das Atreusgrab. | |
und auf diesen direkt ohne tiefere Fundierung der unterste Steinring gestreckt, welcher behufs gleichmäßiger Verteilung des Druckes auf den Boden aus größern Blöcken besteht. Über dieser untersten Schicht beginnt sofort die Aufmauerung aus allmählich kleiner werdenden Steinen, bei den einfachern Gräbern sogar aus ziemlich unregelmäßigen Steinen, ohne jede Spur von Verband. Mit der wachsenden Höhe ging auch die Hinterfüllung des Mauerwerks durch Erde und das Feststampfen derselben zusammen, da nur so allein für die Mauer durch den gleichmäßigen Druck von außen her die nötige Stabilität gewonnen werden konnte. Hierdurch wurde auch ein mit dem Fortschreiten des Baues stetig steigender Standplatz für die Arbeiter gewonnen, ohne daß dadurch von der Innenseite her andre Rüstungen notwendig geworden wären, als eben nur einfache Vorrichtungen, wie z. B. eine radiale Schnur zur steten genauen Fixierung des Horizontalschnittes. Aus dieser Baugeschichte ergibt sich, daß alle diese Bauten unterirdisch sind, höchstens daß einmal die Spitze etwas hervorragte, aber auch dann dicht mit Erde überschüttet wurde.
Nur wenige dieser Bauten waren an der Thürfassade so prächtig verziert wie der oben beschriebene. Bei diesem blieb der Thorgang fortwährend offen, das Thor wurde durch Thürflügel verschlossen; bei den meisten übrigen fehlt die kleinere Grabkammer, die Toten wurden in dem runden Dome selbst beigesetzt, nach jeder neuen Beisetzung wurde das Thor mit Steinen zugesetzt, der Thorgang mit Erde zugeschüttet.
Die großen unterirdischen Kuppelgräber sind bisher nur an der Ostseite Griechenlands gefunden worden, von Thessalien anfangend bis hinab nach Lakonien. Wir kennen ihrer 15. 1) Das nördlichste liegt nahe am Golfe voll Volo und ist gut erhalten. Höhe des Tholos 9 m, unterer Durchmesser 8,50 m, Thürhöhe 3,60 m. 2) Das nächstsüdliche war wohl das prächtigste von allen und steht in dem sagenberühmten böotischen Orchomenos, dem Sitze des reichen Königs [568] Minyas. Es ist nur noch in den untern Schichten erhalten. Thürhöhe 5,46 m, unterer Durchmesser des Tholos ca. 14 m. Nr. 3 liegt in der Nähe von Athen beim Dörfchen Menidi; es ist das am besten erhaltene von allen, wenn auch nicht das prächtigste, etwa von den Verhältnissen des Grabes von Volo. Es war seit der letzten Bestattung im grauesten Altertum bis zum Jahre 1879 nicht wieder berührt worden. Man fand darin die Reste von sechs Leichen mit vielerlei Schmuck. Dadurch wurde gerade das Grab für unsre Kenntnis sehr wichtig. 4) Ein etwas abweichend gebautes liegt an dem Berge, welcher die attische Hafenstadt Thorikos am Ägäischen Meer überragt. 5–11) Die Hauptmasse, eine Gruppe von sieben Kuppelgräbern, liegt auf dem Ruinenfeld von Mykenä zerstreut, darunter das zuerst beschriebene sogen. „Schatzhaus des Atreus“. Das 12. Grab liegt etwa 4 km südöstlich von Mykenä in der Nähe des berühmten argivischen Heratempels. Der untere Durchmesser des Tholos beträgt 9,70 m. Die obern Schichten sind eingestürzt. Das Grab ist eins der ärmlichern. Das 13. liegt bei dem zweiten Brennpunkt der alten mykenischen Kultur, bei Amyklä, nicht weit südlich von Sparta. Auch hier sind nur die untern Schichten erhalten. Man fand darin zwar nur ein einziges Grab, welches aber eine Fülle von geschnittenen Steinen und zwei prachtvolle, mit berühmt gewordenem Reliefschmuck verzierte goldene Becher mit der Darstellung des Fanges wilder Stiere enthielt. Der untere Durchmesser des Tholos beträgt etwa 10 m. Das 14. liegt etwa 6 Stunden südwestlich von Sparta, an dem östlichen Abhang des Taygetos. Es ist das kleinste der bisher bekannten: unterer Durchmesser des Tholos ca. 4,70 m; die obern Ringe sind eingestürzt. Das letzte (15.), erst 1891 entdeckte, liegt am westlichen Abhang des Taygetos, nahe am messenischen Golf bei Abia, etwa von Mittelgröße. Wir haben also Grabdome von ca. 5–16 m unterm Durchmesser. Möglicherweise wird sich ihre Zahl noch vermehren.
Die Zahl der kleinen Gräber, welche nur in der ganzen Anlage gleich, aber in wesentlich kleinern Dimensionen, zum Teil ohne Mauerwerk in den Felsen gearbeitet sind, ist sehr beträchtlich. Eine große Gruppe wurde bei Spata in Attika entdeckt, eine zweite, die bedeutendste von allen, liegt in den Felsabhängen von Mykenä zerstreut; es sind ca. 80 bisher gefunden, gruppenweise zusammenliegend, die einzelnen Gruppen durch weite Zwischenräume getrennt. Wir wissen, daß Mykenä nicht eine geschlossene Stadt bildete, sondern eine Gruppe einzelner Gemeinden; nach ihnen sind die Gräber geordnet. Eine dritte zusammengehörige Masse ist in die Palamidifelsen bei der argolischen Hafenstadt Nauplia hineingearbeitet. Vgl. „Das Kuppelgrab bei Menidi“ (hrsg. vom Deutschen archäologischen Institut in Athen, 1880); Belger, Beiträge zur Kenntnis der griechischen Kuppelgräber (Programm des Berliner Friedrich-Gymnasiums, 1887).