Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kriegsrecht“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 216
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Kriegsrecht. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 216. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kriegsrecht (Version vom 10.10.2023)

[216] Kriegsrecht (Kriegsvölkerrecht, Jus belli, Droit de la guerre), die völkerrechtlichen Grundsätze und Formen der modernen Kriegführung. Gewisse Rechtsanschauungen hatten sich in dieser Hinsicht allerdings auch schon im Altertum Geltung verschafft, doch setzte das antike K. der ungebundenen Willkür zur Zeit des Unfriedens nur wenig Schranken. Der Einfluß des Christentums und des Rittertums im Mittelalter verschaffte humanern Sitten und Gebräuchen mehr und mehr Geltung. In der neuern Zeit war es aber namentlich die Wissenschaft, welche durch Entwickelung und Ausbau des Völkerrechts die Härten des Kriegs zu mildern suchte. Namentlich in Ansehung der nicht zur aktiven Armee gehörigen Unterthanen und ihres Privateigentums brach sich eine humanere Anschauung Bahn. Im Landkrieg wenigstens wird jetzt das Privateigentum grundsätzlich und allgemein respektiert. Bahnbrechend waren in dieser Hinsicht die wissenschaftlichen Arbeiten, welche Hugo Grotius in der ersten Hälfte des 17. Jahrh. veröffentlichte. Es ist Thatsache, daß die Wissenschaft auf die humanere Gestaltung des Kriegsgebrauchs von dem erheblichsten Einfluß gewesen ist. Auch für die Kriegsgesetze der zivilisierten Staaten und die Kriegsartikel derselben war die moderne Rechtsanschauung, welche jede Zerstörung im Krieg, die um ihrer selbst willen geschieht, für völkerrechtswidrig und das Motiv der Rache gegen den überwundenen Feind auch im Krieg für unsittlich hält, bestimmend. Auch Staatsverträge und internationale Abmachungen sind auf diesem Gebiet zu verzeichnen, wie z. B. die Vereinbarungen auf dem Pariser Kongreß 1856. Die Petersburger Konvention vom 29. Nov. 1868 untersagt die Verwendung von Explosivgeschossen aus Handfeuerwaffen. Auch der Brüsseler Konferenz von 1874, namentlich aber der Genfer Konvention (s. d.) ist zu gedenken, welche nunmehr alle Staaten Europas und einige außereuropäische umfaßt und die Neutralisation verwundeter und erkrankter Soldaten sowie aller zu ihrer Pflege und Heilung bestimmten Personen und Anstalten bezweckt. Neuerdings hat das Institut für Völkerrecht (l’Institut de droit international), ein Verein von Publizisten, Staatsmännern und Völkerrechtslehrern, eine förmliche Zusammenstellung der Lehren des modernen Kriegsrechts (Landkrieg) in Form eines Gesetzbuchs (Manuel) unternommen; allerdings nur eine Privatarbeit, aber von hoher wissenschaftlicher Autorität und ebendeshalb auch für die völkerrechtliche Praxis bedeutungsvoll. Im einzelnen sind namentlich die kriegsrechtlichen Grundsätze über Beute, Kriegserklärung, Kriegsgefangene, Neutralität und Postliminium von Wichtigkeit. Dazu kommen für den Seekrieg die Normen und Gebräuche bezüglich der Blockade, des Durchsuchungsrechts, der Kaperei, der Konterbande und der Prise (s. die betreffenden Artikel). Vgl. außer den Lehrbüchern des Völkerrechts: „Lois de la guerre sur terre. Manuel publié par l’Institut de droit international“ (Brüssel 1880); Grotius, Recht des Kriegs und des Friedens (deutsch von Kirchmann, Berl. 1869); Bluntschli, Modernes K. (2. Aufl., Nördling. 1874); Gentile, Diritto di guerra (Livorno 1877); Twiß, Rights and duties of nations in time of war (3. Aufl., Lond. 1884); Nys, Droit de la guerre et les précurseurs de Grotius (Brüssel 1883).

In einem andern Sinn versteht man unter K. die auf das Heerwesen überhaupt bezüglichen Gesetzesvorschriften (s. Militärgesetzgebung), und endlich wird der Ausdruck K. auch gleichbedeutend mit Kriegsgericht gebraucht (s. Militärgerichtswesen).