MKL1888:Kriegsgefangene

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kriegsgefangene“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 10 (1888), Seite 211212
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Kriegsgefangene. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 10, Seite 211–212. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kriegsgefangene (Version vom 07.10.2023)

[211] Kriegsgefangene, die im Krieg in die Gewalt des Feindes geratenen Militärpersonen. Im Altertum [212] wurden die Kriegsgefangenen regelmäßig von den Siegern zu Sklaven gemacht, wie dies noch jetzt bei den Volksstämmen Mittelasiens und Zentralafrikas gebräuchlich ist. Die Römer führten die kriegsgefangenen Fürsten und Feldherren wie alle bedeutendern Kriegsgefangenen im Triumph auf und töteten sie nicht selten, nachdem dies geschehen war. Die nordischen Völker brachten ihre Kriegsgefangenen in harte Leibeigenschaft, und es dauerte lange, bis die christliche Religion und die fortgeschrittene Bildung mildern Sitten Eingang verschaffte. Bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein wurde jeder Soldat wie auch der Einwohner einer durch Sturm genommenen Festung gewissermaßen als Eigentum des Feindes betrachtet, dem er in die Hände fiel, und er mußte ihm seine Freiheit mit einer Geldsumme (Lösegeld, Ranzion) abkaufen. Die unter zivilisierten Staaten gegenwärtig geltenden völkerrechtlichen Grundsätze über die Behandlung der Kriegsgefangenen sind folgende: Als K. können nicht nur Angehörige der feindlichen Heeresmacht, sondern auch der Souverän selbst, diplomatische Agenten und Verwaltungsbeamte, aber unter Umständen auch Wortführer politischer Parteien und Vertreter der feindlichen Presse behandelt werden. Erklärt im Kampf der Feind durch Worte oder Zeichen, daß er sich ergeben wolle, oder ist er so verwundet, daß er die Waffen nicht mehr zu führen vermag, so ist es Pflicht, seines Lebens zu schonen und ihn als Kriegsgefangenen anzunehmen. Etwa bei der Ergebung verabredete Bedingungen müssen gewissenhaft erfüllt werden; dem Kriegsgefangenen darf nichts von seinem Eigentum, mit Ausnahme der Waffen, genommen werden (s. Beute). Auf verwundete und kranke K. soll gleiche Sorgfalt verwendet werden wie auf die eignen Truppen. Die Waffen der Kriegsgefangenen werden Eigentum des siegenden Staats. Die Kriegsgefangenen werden innerhalb des siegreichen Staats in Festungen oder Lagern unter Bewachung interniert und in der Regel nach den für die eignen Truppen bestehenden Bestimmungen verpflegt. Sie dürfen mit Arbeiten beschäftigt werden. Bei einem Fluchtversuch können K. getötet werden. Im deutsch-französischen Krieg, in welchem nahezu 400,000 französische K. in 195 deutschen Gefangenendepots untergebracht waren, wurden dieselben fünf Stunden täglich für den Militärfiskus mit Barackenbau, Anlage von Exerzier- und Schießplätzen und in Militärwerkstätten beschäftigt. Eine Mehrarbeit wurde besonders vergütet. Die kriegsgefangenen Mannschaften waren in Kompanien von 200–500 Mann eingeteilt. Sie erhielten eine Gefangenenlöhnung. Offizieren wird gewöhnlich gegen Ehrenwort, nicht zu entfliehen, ein Aufenthaltsort angewiesen, wo sie wohl unter Kontrolle, aber nicht unter Bewachung stehen. Haben die Kriegsgefangenen ihr Ehrenwort gegeben, nicht zu entfliehen, oder sind sie auf das Versprechen, eine bestimmte Zeit lang nicht gegen die Macht, deren Gefangene sie sind, zu dienen, freigelassen worden, so haben sie, wenn sie diese Bedingungen brechen und wieder ergriffen werden, das Leben verwirkt. Nicht zum streitbaren Teil einer Armee gehörende K., wie Feldprediger, Ärzte etc., werden seit Abschluß der Genfer Konvention (s. d.), wie oft auch schon früher, ihrem Heer wieder zugeführt. Wenn feindlicherseits die Kriegsgefangenen, dem modernen Völkerrecht zuwider, hart und grausam behandelt werden, so darf man zu Repressalien schreiten. K. dürfen nicht zur Annahme fremden Kriegsdienstes oder sonst zur Treulosigkeit gegen ihren Souverän gezwungen werden. Zuweilen wird noch während des Kriegs eine teilweise Auswechselung der Kriegsgefangenen vorgenommen, z. B. bei Belagerungen wie 1870 in Metz, um die dort befindlichen deutschen Verwundeten in bessere Pflege zu bringen, besonders aber während eines Waffenstillstandes. Es wird dabei Grad gegen Grad ausgewechselt. Wird Friede geschlossen, so sind die Kriegsgefangenen von beiden Seiten freizulassen. Ein Ersatz des Aufwandes für K. findet nicht statt.