Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kepler“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 683684
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Kepler. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 683–684. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kepler (Version vom 27.12.2021)

[683] Kepler, Johannes, der Entdecker der Gesetze der Planetenbewegung, geb. 27. Dez. 1571 zu Weil der Stadt in Württemberg als Sprößling des herabgekommenen schwäbischen Adelsgeschlechts der Kappel, kam als schwächlicher Knabe nach einer freudlosen, in Weil, Leonberg und Ellmendingen verlebten Jugendzeit 1584 auf die Klosterschule zu Adelberg, 1586 auf die zu Maulbronn und, nachdem er 1588 die Würde eines Bakkalaureus erlangt, 1589 auf das Stift zu Tübingen, um Theologie zu studieren. Von wesentlichem Einfluß auf sein späteres Leben war der Umstand, daß hier Mästlin sein Lehrer in der Astronomie wurde; von ihm erhielt er die erste Kenntnis der Kopernikanischen Lehre. Nach vollendetem Studium nahm er 1594, da seine vom orthodoxen Dogma abweichenden religiösen Ansichten ihn für den Kirchendienst in Württemberg untauglich machten, die Stelle eines Landschaftsmathematikus der protestantischen Stände von Steiermark an, mit welcher das Lehramt für Mathematik und Moral am Provinzialgymnasium in Graz verbunden war. Während er hier durch das Eintreffen verschiedener Prophezeiungen, die er, nach der Sitte der Zeit, dem von ihm veröffentlichten Kalender beigegeben, bei der großen Menge rasch in den Ruf eines ersten Astrologen kam, begründete er gleichzeitig seinen wissenschaftlichen Ruf durch das 1596 unter dem Titel: „Prodromus dissertationum cosmographicarum, continens mysterium cosmographicum de admirabili proportione coelestium orbium etc.“ veröffentlichte tiefsinnige Werk, in welchem er zuerst den während seines ganzen Lebens von ihm festgehaltenen Gedanken entwickelte, daß in unserm Planetensystem ein bestimmter Organismus nachweisbar sein müsse. Insbesondere suchte er hier mit Hilfe der regulären Körper (vgl. Polyeder) die Fragen zu beantworten, warum es nur die sechs damals bekannten Planeten gebe und welchem Gesetz ihre Entfernungen folgen. Durch dieses Werk wurde K. mit Tycho Brahe bekannt, und als nun durch die Aufhebung der Religionsfreiheit in Steiermark (1598) die Stellung Keplers in Graz eine schwierige geworden, folgte er 1600 einer Einladung Brahes, der ihn als Gehilfen nach Prag rief. Doch haben beide Männer nur kurze Zeit zusammengelebt, da Brahe schon 24. Okt. 1601 starb und K. inzwischen zweimal nach Steiermark reisen mußte. Nach Brahes Tod zum Mathematikus und Hofastronomen des Kaisers Rudolf II. ernannt, lag ihm vor allem die Berechnung neuer Planetentafeln (der sogen. Rudolfinischen Tafeln) mit Benutzung des reichen, von Brahe gesammelten Beobachtungsmaterials ob. Die Lösung dieser Aufgabe verzögerte sich dadurch, daß K. zunächst über die Bewegung des Planeten Mars ins klare kommen wollte; gerade diesen Planeten, dessen Bahn eine ziemlich bedeutende Exzentrizität besitzt, hatte Brahe sehr genau beobachtet, und dadurch war K. in den Stand gesetzt, die Gesetze seiner Bewegung zu ermitteln. Nach zahlreichen, außerordentlich mühsamen Versuchen fand er endlich die beiden ersten der nach ihm benannten Gesetze der Planetenbewegung (s. Planeten), die er 1609 in seinem Hauptwerk „Astronomia nova seu Physica coelestis tradita commentariis de motibus stellae Martis“ (Prag) veröffentlichte. Zwei Jahre später erschien seine „Dioptrice“ (Augsb.), welche eine Theorie und mancherlei Verbesserungen des kurz vorher erfundenen Fernrohrs enthält. Inzwischen gestalteten sich die äußern Verhältnisse Keplers sehr trübe: zu der Geldnot, in die er geraten, weil die kaiserliche Kasse ihm seinen Gehalt nie regelmäßig auszahlen konnte, gesellte sich noch häusliches Elend, der Verlust von Frau und Kind, endlich die Absetzung seines Gönners, des Kaisers Rudolf II., der 1611 seine Würden seinem Bruder Matthias abtreten mußte. Unter diesen Umständen bot K. den oberösterreichischen Landständen seine Dienste an und siedelte 1612 nach Rudolfs II. Tod nach Linz über, um an der dortigen Landschaftsschule Mathematik zu lehren, die Landkarte zu revidieren und seine Planetentafeln zu vollenden. Bei allen diesen Arbeiten behielt er das Ziel, welches er sich in seinem „Mysterium cosmographicum“ gestellt, unverrückt vor Augen und suchte insbesondere eine Beziehung zwischen den Geschwindigkeiten oder Umlaufszeiten der Planeten aufzufinden. Die mannigfachsten Versuche wurden gemacht und selbst die harmonischen Verhältnisse nach Weise der Pythagoreer mit herangezogen; so wollte K. gefunden haben, daß sich die Geschwindigkeiten im Aphel und Perihel beim Saturn und Jupiter wie 4:5, beim Mars aber wie 2:3 verhalten, entsprechend den Schwingungszahlen bei der großen Terz und Quinte, und daraus schloß er nun, daß jeder Planet in seiner Bahn ein musikalisches Intervall durchlaufe u. dgl. Endlich, im März 1618, kam er auf das richtige Gesetz, und 15. Mai war dasselbe, nach Beseitigung eines Rechenfehlers, festgestellt. Dasselbe wurde als das dritte der drei Gesetze der Planetenbewegung 1619 in der Schrift „Harmonices mundi libri V“ veröffentlicht. Nachdem K. 1620 und 1621 längere Zeit in seiner Heimat verweilt hatte, um seiner in einen Hexenprozeß verwickelten hochbejahrten Mutter beizustehen, und 1622 vom Kaiser Ferdinand II. nach längerm Zögern in seinem Amt als kaiserlicher Mathematikus bestätigt worden war, vollendete er die Rudolfinischen Tafeln, deren Druck aber bei der Leere der kaiserlichen Kassen nur langsam vorschritt und erst 1627 in Ulm vollendet wurde, wohin sich K. wegen der nun auch in Oberösterreich eingetretenen Protestantenverfolgung zurückgezogen hatte. Die äußern Verhältnisse Keplers waren inzwischen nach wie vor drückende geblieben. Nachdem er die kaiserliche Hofkammer vergeblich um Auszahlung seiner auf 12,000 Gulden angewachsenen Gehaltsrückstände gedrängt hatte, wurde er vom Kaiser an Wallenstein verwiesen und ging deshalb zu diesem nach Sagan. Allein Wallenstein hieß K. wohl als Astrologen willkommen, verhalf ihm aber nicht zu seiner Forderung, und so entschloß sich K., nachdem er eine ihm angebotene Professur zu Rostock abgelehnt, im [684] Herbst 1630 über Leipzig nach Regensburg zu reisen, um dort auf dem Reichstag seine Ansprüche geltend zu machen. Hier langte er 9. Nov. an, erlag aber schon 15. Nov. a. St. einem Fieberanfall, den er sich durch die Anstrengungen der langen, zu Pferde zurückgelegten Reise zugezogen hatte. Seine Witwe erhielt später sämtliche Gehaltsrückstände, eine Summe von 12,694 Gulden, ausbezahlt. Der Fürst von Dalberg ließ ihm 1808 zu Regensburg durch Subskription ein Monument setzen; 1870 ward ihm ein solches (von Kreling) auch in Weil errichtet. Von seinen Schriften sind noch zu erwähnen: „Ad Vitellionem paralipomena, quibus astronomiae pars optica traditur“ (Frankf. 1604); „Ephemerides novae motuum coelestium“ (Linz 1616); „De cometis libri III“ (Augsb. 1619); „Somnium s. opus posthumum de astronomia sublunari“ (Sagan u. Frankf. 1634). Die Herausgabe seiner ungedruckten Werke unternahm Hansch zu Anfang des 18. Jahrh., doch erschien von den in Aussicht gestellten 20 Foliobänden nur ein einziger: „Keplers Briefe“ (1718), und die Manuskripte wurden 1778 von der Kaiserin Katharina II. von Rußland angekauft und der Akademie zu Petersburg geschenkt. Eine neue Gesamtausgabe lieferte Frisch (Frankf. 1858–72, 8 Bde.); die darin nicht enthaltene Korrespondenz mit Herwart v. Hohenburg gab Anschütz in den Sitzungsberichten der Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaft heraus (Prag 1886). Vgl. Brewster, Lives of Galileo, Tycho de Brahe and K. (8. Aufl., Lond. 1874); Reitlinger, Neumann und Gruner, Joh. K. (Stuttg. 1868); Apelt, Joh. Keplers astronomische Weltansicht (Leipz. 1849); H. Müller, Die Keplerschen Gesetze (Braunschw. 1870); Reuschle, K. und die Astronomie (Frankf. 1871); Göbel, Über Keplers astronomische Anschauungen (Halle 1872); v. Hasner, Tycho Brahe und K. in Prag (Prag 1872); Dvorsky, Neues über K. (das. 1880).