Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kanzler“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 478
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Kanzler. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 478. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kanzler (Version vom 23.07.2021)

[478] Kanzler (lat. Cancellarius, franz. Chancelier, engl. Chancellor), derjenige Beamte, welcher die Ausfertigung der Staatsurkunden zu besorgen hat. Die Kanzlerwürde war anfänglich eine der höchsten in den europäischen Reichen, welche regelmäßig mit Geistlichen besetzt wurde, da diese fast allein im Besitz litterarischer Kenntnisse waren. In Deutschland führte der Erzbischof und Kurfürst von Mainz den Titel Erzkanzler des heiligen römischen Reichs deutscher Nation. Der von ihm ernannte Vizekanzler war der eigentliche Reichsminister und mußte stets um den Kaiser sein. Auch die Kaiserin hatte ihren Erzkanzler, den Abt zu Fulda. Der Erzbischof von Köln führte den Titel eines Erzkanzlers in Italien, der von Trier war Erzkanzler in Burgund. In Frankreich wurde der K. aus dem Stande der Rechtsgelehrten genommen; er war der oberste Staatsbeamte und wurde lebenslänglich ernannt. Da dies jedoch zu Unzuträglichkeiten führen konnte, wurde neben ihm noch ein Siegelbewahrer (Garde des sceaux) ernannt, welcher der eigentliche Justizminister war. In England ist der Großkanzler oder Lord-Kanzler (Lord High Chancellor) der erste Staatsbeamte, Präsident oder Sprecher des Oberhauses, Chef der Reichskanzlei, Justizminister und Vorsitzender des in dem obersten Gerichtshof bestehenden Appellationsgerichts (Court of appeal). Außerdem hat man in England noch einen K. des Herzogtums Lancaster und einen K. des Lehnshofs und der Finanzkammer (Chancellor of the Exchequer); letzterer ist der Finanzminister von England. Irland hat wieder seinen besondern Reichskanzler. In Deutschland wurden seit dem 15. Jahrh. auch die Präsidenten der obersten Gerichtshöfe K. genannt. In Preußen errichtete König Friedrich II. 1746 die Würde eines Großkanzlers, der an der Spitze der Justiz stand. Der erste Träger dieser Würde war der um das preußische Justizwesen sehr verdiente Samuel v. Cocceji; später wurde der Fürst von Hardenberg zum Staatskanzler ernannt, nach dessen Tod aber diese Stelle nicht wieder besetzt. Nach der Verfassung des nunmehrigen Deutschen Reichs steht an der Spitze der Reichsverwaltung der Reichskanzler (s. d.), welcher den Vorsitz im Bundesrat führt und vom Kaiser ernannt wird. In Österreich führte eine Zeitlang Graf Beust den Titel „Reichskanzler“; außerdem wurden wiederholt Ministerpräsidenten zu Staatskanzlern ernannt. In der Schweiz ist der Bundeskanzler der Vorstand der Bundeskanzlei (s. Kanzlei). Auch die Büreauchefs der Konsuln führen zuweilen den Titel K.; so ist z. B. dem Gouverneur von Camerun ein K. beigegeben. Endlich kommt die Bezeichnung K. als bloßer Titel vor. So gehört z. B. der „K. im Königreich Preußen“ zu den vier großen Landesämtern des Königreichs Preußen und zu den erblichen Mitgliedern des preußischen Herrenhauses. Auch führt bei manchen Universitäten der Kurator den Titel K.

Kanzler, Hermann, General im Dienste des Papstes, geb. 1822 zu Baden, trat 1845 in päpstlichen Militärdienst, kämpfte 1848 gegen Österreich, ward 1859 zum Obersten des 1. Regiments der päpstlichen Armee ernannt und von Lamoricière zum General befördert als Auszeichnung für sein kühnes Durchbrechen von Pesaro nach Ancona durch das piemontesische Korps. Seit Oktober 1865 Oberkommandant der päpstlichen Streitkräfte und päpstlicher Prominister der Waffen, befehligte er die päpstlichen Truppen 3. Nov. 1867 bei Mentana, leitete die Scheinverteidigung von Rom im September 1870 und bekleidet seitdem seine Ämter weiter, die natürlich durch die Einverleibung des Kirchenstaats in Italien jegliche Bedeutung verloren haben.