Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kadmos“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 352
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Kadmos. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 352. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kadmos (Version vom 08.10.2022)

[352] Kadmos, im griech. Mythus Sohn des phönikischen Königs Agenor und der Telephassa, Bruder der von Zeus in Gestalt eines Stiers entführten Europa. Ausgesandt, um diese zu suchen, kam er nach widrigen Schicksalen über Thrakien nach Delphi, wo er das Orakel um die verlorne Schwester befragte. Hier wurde ihm der Befehl, alle weitern Nachforschungen einzustellen, dagegen einer Kuh, die ihm begegnen werde, zu folgen und da, wo diese sich niederlege, eine Stadt zu bauen. In Phokis findet er die Kuh, die ihn nach Böotien führt, wo er die Burg Kadmeia (Theben) gründet. Zuvor aber wollte er nach Anweisung des Orakels die Kuh opfern und schickte seine Genossen nach Wasser aus. Als diese darauf von einem die Quelle bewachenden Drachen des Ares getötet wurden, erschlug K. den Drachen und säete auf Athenes Rat die Zähne desselben; alsbald wuchsen aus der Saat geharnischte Männer (Sparten), die sich untereinander bekämpften und bis auf fünf töteten. Letztere halfen nun dem K. bei der Gründung der neuen Stadt und wurden die Stammväter der Adelsgeschlechter Thebens. Zur Sühne aber für den Drachenmord mußte K. dem Ares acht Jahre lang dienen, nach deren Verlauf er die Harmonia (s. d.) zur Gattin erhielt, welche ihm vier sagenberühmte Töchter: Semele, Ino, Autonoe und Agave, und den Polydoros gebar. Er selbst soll später, nach einem leidenvollen Leben, mit seiner Gattin Theben verlassen haben und Herrscher von Illyrien geworden sein. Zuletzt wurden beide von Zeus in Schlangen verwandelt und in die Elysischen Gefilde entrückt. Viele Züge des Mythus sind ohne Zweifel uralt, namentlich die Tötung des Drachen, wodurch die natürlichen Hindernisse bezeichnet werden, die sich der Urbarmachung des Landes entgegenstellten; ebenso das Säen der Drachenzähne und das Emporwachsen der geharnischten Männer, wodurch die Thebaner sich als Ureinwohner kennzeichneten. In der spätern Zeit, wo man alles Dunkle der eignen Geschichte und Kultur aus dem Orient herzuleiten suchte, mag sich dann die Sage von einem aus Phönikien eingewanderten K. ausgebildet haben, der fremden Gottesdienst eingesetzt, die Buchstabenschrift, die Bearbeitung des Erzes, überhaupt eine höhere Kultur eingeführt habe. Der Drachenkampf des K. ist häufig auf griechischen Vasen, vereinzelt auch auf Münzen und Gemmen, bildlich dargestellt; seine Hochzeit mit Harmonia findet sich einigemal auf Vasen behandelt.