MKL1888:Industriepflanzen

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Industriepflanzen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 940941
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Industriepflanzen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 940–941. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Industriepflanzen (Version vom 02.06.2024)

[940] Industriepflanzen (hierzu die Tafel „Industriepflanzen“), Pflanzen, welche für die Industrie wichtige Rohstoffe liefern. Das Pflanzenreich ist die unerschöpfliche Schatzkammer, aus welcher unzählige Materialien der verschiedensten Art zur Befriedigung der Bedürfnisse des Menschen entnommen werden. Zum Teil verwertet man nur die physikalischen Eigenschaften der vegetabilischen Substanz und benutzt das Material, welches bisweilen eine außerordentliche Härte und Festigkeit besitzt, in mannigfacher Weise. So liefern die zahlreichen stammbildenden Pflanzen eine große Mannigfaltigkeit von Hölzern, welche die Grundlage mehrerer Industriezweige bilden. Fruchtschalen von großer Härte, z. B. diejenigen der Kokospalme, verarbeitet man auf Gefäße, die harten Samen der Phytelephas macrocarpa (s. Tafel) geben ein treffliches Surrogat des Elfenbeins etc. Manche Holzarten werden gespalten und in dieser Form als Flechtmaterial verwandt. In dieser Weise benutzt man namentlich auch die Stämme von Calamus-Arten (aus der Familie der Palmen, s. Tafel), das Spanische Rohr, dann das halmartige Blatt der Stipa tenacissima (Esparto), die Blätter der Carludovica palmata (Panamahüte) etc. Geschmeidigere Fäden liefert der Bast vieler Pflanzen, und diesem reihen sich die zarten Pflanzenhaare (Baumwolle) an, welche, wie die Bastfasern, das Rohmaterial für Spinnerei und Weberei liefern. Die Gewebe, welche als solche verbraucht sind, wandern als Lumpen in die Papiermühlen; der enorm gestiegene Papierbedarf zwingt aber, Pflanzenstoffe direkt auf Papier zu verarbeiten, und in dieser Beziehung sind für uns das Holz, Esparto und Stroh am wichtigsten. Viele Pflanzenfasern sind zu Geflecht und Gespinst weniger geeignet, während sie die tierischen Haare als Polstermaterial vollständig ersetzen und das früher zu diesem Zweck benutzte Seegras mehr und mehr verdrängen. Noch häufiger als die physikalischen Eigenschaften von Pflanzengeweben werden die chemischen Eigenschaften der Pflanzenbestandteile in Anspruch genommen. Früher verbrannte man kolossale Mengen Holz, um aus der Asche das kohlensaure Kali zu gewinnen; diese Industrie ist unter veränderten Verhältnissen fast ganz zu Grunde gegangen, doch werden noch Tange (Fucus, Laminaria) gesammelt, um aus ihrer Asche (Kelp, Varech) Jod darzustellen. Diese Ausnutzung der mineralischen Bestandteile der Pflanzen ist unbedeutend gegenüber der ausgedehnten und vielseitigen Verwertung der organischen Substanz. Die Holzfaser selbst dient zur Darstellung von Oxalsäure und gelegentlich von Spiritus; Knollen, Stämme, Früchte liefern Stärkemehl und sind deshalb als Nahrungspflanzen (s. d.), aber, insofern die Stärke auf Dextrin und Spiritus verarbeitet wird, auch als I. von hoher Bedeutung. In großem Maßstab wird die Stärke auch in Traubenzucker verwandelt; sehr viel bedeutender aber ist die Rohrzuckerindustrie, für welche das Zuckerrohr (Saccharum officinale, s. Tafel), die Runkelrübe (Beta vulgaris), in Nordamerika der Zuckerahorn (Acer saccharinum) und in den Tropen mehrere Palmen, besonders Phoenix sylvestris (s. Tafel), das Material liefern. Auch die Stammpflanzen des Gummi arabikum (mehrere Akazien) sind hier zu erwähnen. Pflanzen sind stets die hauptsächlichsten Öllieferanten gewesen, aber feste Fette entnahm man früher vorwiegend dem Tierreich; erst in neuerer Zeit sind vegetabilische Fette für Kerzen- und Seifenfabrikation wichtig geworden (s. Öle und Fette liefernde Pflanzen). Den Fetten schließen sich die Harze an, welche meist aus den Stämmen von Holzgewächsen gewonnen werden. Für die Harzindustrie kommen in erster Linie die Koniferen in Betracht, von denen die Gattung Pinus das gemeine Harz, Dammara australis (s. Tafel) das Kauriharz liefern. Von den übrigen Harzen ist besonders der Kopal hervorzuheben, dessen Abstammung man übrigens noch nicht sicher kennt; zweifellos ist aber, daß Hymenaea Courbaril (s. Tafel) den südamerikanischen Kopal liefert. Wichtige I. sind auch jene duftreichen Gewächse, deren Blüten, Blätter, Rinden oder Früchte auf ätherisches Öl für Zwecke der Parfümerie verarbeitet werden. Diesen Stoffen stehen endlich in chemischer Beziehung das Kautschuk und die Guttapercha nahe, letztere von Isonandra Gutta (s. Tafel), ersteres von verschiedenen Bäumen, namentlich aber von Hevea guianensis (s. Tafel), stammend. Eine große Gruppe von Pflanzen liefert endlich Farbstoffe

[Ξ]

Industriepflanzen.
(Die Beschreibung der Pflanzen siehe unter den lateinischen Gattungsnamen.)
[oben:] Hevea guianensis (Kautschukbaum). – Dammara australis (Kaurifichte). – Isonandra gutta (Guttaperchabaum. – Hymenaea Courbaril (Kopalbaum).
[unten:] Calamus equestris (Spanisches Rohr). – Phoenix silvestris. – Phytelephas macrocarpa (Elfenbeinpflanze). – Saccharum officinarum, Zuckerrohr. (Art. Zuckerrohr.)

[941] und bildet dadurch die Basis vieler wichtiger Industriezweige, wie die gerbstoffreichen Pflanzen in der Gerberei Verwendung finden. Anreihen kann man schließlich noch jene Pflanzen, welche Nahrungs- und Genußmittel liefern, die erst durch technische Prozesse mannigfacher Art gewonnen werden (Weinstock, Kakao, Tabak), und jene, die eigentümliche, sonst im Pflanzenreich nicht vorkommende Körper enthalten und als Material zur Darstellung von Heilmitteln (Alkaloide) etc. verwertet werden. Die I. sind zum Teil Gegenstand der Kultur, und nur, wo dies der Fall ist, erscheint ihre Erhaltung gesichert; vielfach beschränkt man sich auf Ausnutzung der wild wachsenden Pflanze und hat dabei mehrfach die Erfahrung gemacht, daß bei starker Nachfrage nach einem bestimmten Material das rücksichtslose Vorgehen den Bestand der Art geradezu bedroht. Die Cinchonaceen, der Guttaperchabaum u. a. nahmen in bedenklicher Weise ab, als das Chinin und die Guttapercha in Gebrauch kamen, und erst seitdem die Kultur derartiger Pflanzen Platz gegriffen oder ein mehr schonendes Verfahren bei der Gewinnung des betreffenden Stoffes eingeführt wurde, erscheint die andauernde Beschaffung desselben für die Industrie gesichert. Auch die Kautschuk liefernden Bäume hat man in neuerer Zeit in Kultur genommen.