Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Hiëroglȳphen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 516522
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Hiëroglȳphen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 516–522. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Hi%C3%ABrogl%C8%B3phen (Version vom 20.05.2021)

[516] Hiëroglȳphen (griech., „heilige Skulpturen oder Inschriften“), Bezeichnung der Bilderschrift, deren sich die alten Ägypter fast 4000 Jahre hindurch zur Aufzeichnung namentlich religiöser Texte bedienten. Die Anfänge dieser Schrift fallen mit den Anfängen der ägyptischen Geschichte zusammen, und erst in der zweiten Hälfte des 3. Jahrh. n. Chr. machte die merkwürdigste und älteste aller Schriften in Ägypten der koptischen Platz, welche als die christliche Schrift das griechische Alphabet gebraucht. Kaiser Decius (gest. 251) ist der letzte römisch-ägyptische König, dessen Namen wir in den H. finden. Das Material an hieroglyphischen Schriften ist ein so unendlich reiches, daß das Studium derselben mit den darauf gegründeten historischen, chronologischen und geographischen Forschungen eine eigne, umfangreiche Wissenschaft ausmacht: die Ägyptologie.

I. Die hieroglyphische Schrift.

Die hieroglyphische Schrift, die während des langen Zeitraums ihres Bestehens im allgemeinen keine, im besondern aber vielfache Veränderungen und Bereicherungen erfahren hat, besteht aus etwa 2–3000 Zeichen oder Bildern, welche das etwas komplizierte Schriftsystem bilden. Die 25 Klassen der Schriftbilder sind folgende: a) Männer, stehend, knieend, hockend, sitzend; b) Frauen, stehend, hockend, sitzend; c) Götter und phantastische Figuren; d) menschliche Glieder; e) Säugetiere und zwar Haustiere (Pferd, Rind, Widder, Schaf, Ziege, Schwein, Esel, Hund, Affe) oder wilde Tiere (Löwe, Panther, Katze, Fuchs, Hase, Elefant, Rhinozeros, Nilpferd, Gazelle, Giraffe); f) Teile von Säugetieren; g) Vögel (Raubvögel, Sumpfvögel, Enten, kleine Vögel); h) Teile von Vögeln; i) Amphibien (Schildkröte, Eidechse, Frosch, Schlange); k) Fische; l) Gliedertiere (Insekten, Spinnen, Würmer); m) Vegetabilien (Bäume und ihre Teile, Pflanzen und Früchte); n) Himmel, Erde und Wasser; o) Gebäude und ihre Teile; p) Schiffe und ihre Teile; q) Hausgerät (Sitze, Tische, Kasten u. dgl.); r) Tempelgerät; s) Kleidungsstücke und Schmucksachen; t) Waffen und Kriegsgerät; u) Werkzeuge und Ackergerät; v) Flechtwerk (Stricke, Netze, Pakete); w) Gefäße (Töpfe, Körbe, Gemäße); x) Opfer- und Festgegenstände; y) Schreib-, Musik- und Spielgerät; z) geometrische, unbekannte und zweifelhafte Figuren. Die Männer und Tiere wenden für gewöhnlich den Kopf nach der rechten Seite, der Schrift entgegen; denn diese, mag sie nun, wie das Chinesische, in Kolumnen oder, wie die meisten Schriften, in Reihen geschrieben sein, ist von rechts nach links zu lesen. Nur ausnahmsweise ist eine umgekehrte Richtung angewandt, wo der Text das Pendant zu einem andern bildet; in diesem Fall wenden sich die Figuren mit ihrer Vorderseite nach der Linken.

Die H. sind entweder eingeschnitten, sei es einfach oder als sehr flaches Relief ausgearbeitet, bald mit größerer, bald mit geringer Sorgfalt in der Ausführung, oder sie sind gemalt und dann mitunter in verschiedenen Farben, von welcher Art künstlerischer Arbeit das Grab Setis I. in Bibán el Meluk ein wahrhaft bewunderungswürdiges Beispiel ist. Figuren, die nur in Umrissen gezeichnet sind, heißen lineare; dieser Art pflegen die zu sein, welche in Publikationen von Texten und ägyptologischen Schriften gebraucht werden. Die Denkmäler der ältesten Zeit, der Pyramidenzeit, zeigen uns die H. von hervorragender Schönheit; die eigentliche Blütezeit des ägyptischen Schriftwesens fällt aber unter die 18. Dynastie, um 1600 v. Chr. Danach sank die Kunst allmählich, hatte eine neue Blüte im Zeitalter der Psammetiche und verfiel wieder, bis sie endlich ganz erlosch. Die Ägypter schrieben auf Stein, Holz und Papyrus; ihre Bücher waren Papyrusrollen; der Brauch, auf Leder zu schreiben, scheint früh bei ihnen abgekommen zu sein; nur wenige ägyptische Pergamenthandschriften haben sich bis auf unsre Tage erhalten. Die Ägypter waren das schreibseligste aller alten Völker; mit H. bedeckt sind die Wände ihrer großartigen Tempel innen und außen sowie die Kammern ihrer weiten Gräber; beschrieben sind die Obelisken, Gedenktafeln, Stelen, Statuen, Götterbilder, Sarkophage, Kasten und Gefäße; ja, selbst Schreibzeuge und Stöcke pflegen den Namen des Eigentümers und ein kurzes Gebet zu tragen. Deshalb ist das Material der ägyptologischen Wissenschaft ein ungeheures, und wer z. B. die Inschriften des Tempels von Edfu abschreiben wollte, würde jahrelang daran zu thun haben. Viele altägyptische Schriftdenkmäler werden jetzt in den ägyptischen Museen zu Paris, London, Edinburg, Leiden, Berlin, Petersburg, Wien, Miramar, Turin, Bologna, Florenz, Rom, Neapel, Bulak etc. aufbewahrt, und manches ist davon schon veröffentlicht; aber an eine Erschöpfung ist in unserm Jahrhundert nicht zu denken.

Neben der Hieroglyphenschrift bestand bei den alten Ägyptern eine Kurrentschrift, die sich zu jener verhält wie unser Geschriebenes zum Gedruckten; man nennt sie nach den alten Schriftstellern die hieratische Schrift, d. h. Priesterschrift (welcher Name aber nicht genau zu nehmen ist, da das Hieratische die eigentliche im alten Ägypten übliche und in den Papyrus vorwaltend angewandte Schrift ist), von welcher fast die ganze zivilisierte Welt ihre Schrift ableitet. Denn nach der ägyptischen Schrift, wie de Rougé ziemlich überzeugend nachwies, bildeten die Phöniker ihr Alphabet; von den Phönikern nahmen es die Griechen, von den Griechen die Römer, von den Römern fast ganz Europa an. Unser a z. B. ist schließlich nur die zusammengeschrumpfte Gestalt eines Adlers, d. h. [517] eines ägyptischen a, entstanden aus dem griechischen α, phönikisch , hieratisch , hieroglyphisch ; ähnlich ist es mit den übrigen Buchstaben. Eine weitere Verkürzung der hieroglyphischen Schrift bildet die etwa im 8. Jahrh. v. Chr. aufgekommene enchorische (wie sie Herodot nennt) oder demotische Schrift (wie sie Clemens von Alexandria nennt). Zunächst für den alltäglichen Verkehr bestimmt, daher auch wohl epistolographische Schrift genannt, ist diese Schreibart noch verkürzter, flüchtiger und schwieriger als die hieratische; aber auch die Sprache, welche mit ihr geschrieben wurde, ist nicht mehr das Altägyptische, sondern ein Volksdialekt, der zwischen jenem und dem Koptischen in der Mitte steht. In den 1000 Jahren, während deren das Demotische bestand, war die altägyptische Sprache bereits eine tote, deren man sich noch zu religiösen Zwecken oder in öffentlichen Urkunden bediente, wie ähnlich die spätern Inder noch Sanskrit, die Juden Hebräisch, die Araber die Sprache des Korans und das Abendland Lateinisch schrieben. Wie hochgeschätzt aber auch bei den alten Ägyptern Wissenschaft und Schriftwesen waren, so scheint die Hieroglyphenkunde doch immer Eigentum der vornehmern Kasten geblieben, niemals allgemein geworden zu sein, wie denn nur Könige, Priester und Krieger an den geistigen Gütern teilgehabt haben. Wenigstens wird in altägyptischen Schriften der Handwerker und Bauern kaum gedacht. Wir lesen wohl die hochtönenden Titel der Könige, die tapfern Thaten der Kriegsmänner, die vielen Würden und Verdienste der Priester; aber von der niedern Volksklasse ist weder in den Gräbern noch in den Tempeln die Rede. Als daher die phantastische Götterlehre der alten Ägypter, an welcher griechische Philosophie noch in letzter Stunde auszubessern versuchte, vor dem Anprall des Christentums ohnmächtig zusammenbrach, da war es auch mit den Hierogrammaten zu Ende; die mystische Wissenschaft, mit welcher sie umgingen, wurde verachtet, ihre lange gepflegte Kunst war nutzlos geworden und wurde rasch vergessen.

Die alten Schriftsteller, welche über Ägypten geschrieben haben, konnten sich nur unvollkommene Auskunft verschaffen, haben auch ihre ägyptischen Quellen mitunter durch Gräzisierung getrübt. Bei Herodot, Diodoros von Sizilien und Plutarch in dem wertvollen Traktat „De Iside et Osiride“ sowie in den „Stromata“ des Clemens von Alexandria finden sich manche Winke über das hieroglyphische Schriftsystem, aber keiner ist auf dasselbe näher eingegangen. Nach ihnen unternahm es ein gewisser Horapollon (Horos Apollon), ein eignes Werk über die H. in ägyptischer Sprache abzufassen, das uns in einer griechischen Übersetzung erhalten ist. Gerade diese Schrift hat aber die Veranlassung zu einer unrichtigen Deutung der H. gegeben, weil sie dieselben als reine Bilderschrift, in der jedes einzelne Zeichen einen selbständigen Begriff darstelle, betrachtet wissen wollte und daher die wunderlichsten Erklärungen einzelner Schriftbilder gab. Die Angaben des Horapollon beruhen auf einem Schriftsystem, das in später Ptolemäischer Zeit vielfache Anwendung fand, und das man um seiner Gesuchtheit und Kompliziertheit willen das änigmatische genannt hat. Ein tiefer Kenner der spätern Hieroglyphenschrift findet viele von Horapollons Deutungen bestätigt; für die Entzifferung und Erklärung sind sie aber fast ganz unfruchtbar. Der letzte klassische Schriftsteller, welcher über die Hieroglyphenschrift Auskunft gibt, ist Ammianus Marcellinus (4. Jahrh. n. Chr.), welcher in seinem Geschichtswerk (XVII,4) die von einem ägyptischen Priester herrührende Übersetzung der Inschrift des Obelisken gibt, welchen Konstantin nach Rom hat bringen lassen. Infolge des Eindringens des Christentums verlor sich das Verständnis der Hieroglyphenschrift immer mehr, und mit dem letzten ägyptischen Götzenpriester ward der lange bewahrte Schlüssel dieser Schrift zu Grabe getragen.

II. Entwickelung der Ägyptologie.

Was nun die Entzifferung der Hieroglyphenschrift betrifft, welche nach Verlauf eines Jahrtausends von neuern Kulturvölkern wieder aufgenommen ward, so ging die Meinung der meisten frühern Gelehrten dahin, daß jene Schrift für Bilderschrift und symbolische Schrift zu halten sei. Da es aber an jeder festen Grundlage für die Erklärung der einzelnen Zeichen fehlte, so überließ sich jeder seiner mehr oder minder besonnenen Phantasie, und je mehr Erklärer endlich seit der ersten Hälfte des 17. Jahrh. aufstanden, um so viel größer wurde die Zahl der willkürlichen Annahmen und Hypothesen. Zu den ersten Erklärern dieser Art gehören Pierius Valerius („Hieroglyphica“, Leid. 1629) und Michel Mercati („Degli obelischi di Roma“, Rom 1589). Athanasius Kircher („Obeliscus pamphilius“, Rom 1650, und „Oedipus aegyptiacus“, das. 1652–54, 3 Bde.) hinterließ Foliobände von Übersetzungen ägyptischer Inschriften; da er aber in engem Anschluß an Horapollon jedem hieroglyphischen Zeichen einen abgeschlossenen Begriff, entweder mittels natürlicher oder mittels symbolischer Erklärung, unterlegte, so ist es ihm nicht gelungen, auch nur eine einzige Hieroglyphengruppe richtig zu deuten. Am besonnensten gingen zu Werke Will. Warburton („On the divine legation of Moyses“, Bd. 2) und Zoëga, indem sie sich damit begnügten, die Nachrichten über die H. bei den alten Schriftstellern zu sammeln und zu kommentieren. Letzterer brachte in seiner Schrift „De obeliscis“ (Rom 1797) die aus den Denkmälern aufgezeichneten 958 Charaktere in sieben Ordnungen und stellte auch verschiedene Epochen der Ausbildung, Veränderung und Anwendung der H. auf; Erklärungsversuche machte er jedoch nicht. Eine neue Epoche für diese Forschungen brach infolge der Expedition Napoleon Bonapartes an, indem man einerseits durch das große von den Mitgliedern der französischen Expedition herausgegebene Werk „Description de l’Égypte“ mit den altägyptischen Denkmälern vertrauter wurde, anderseits ein unschätzbarer Fund, ein in drei Sprachen abgefaßtes Dekret, die richtige Entzifferung der H. ermöglichen zu wollen schien. Dieses wichtige Denkmal, die „Inschrift von Rosette“, befindet sich auf einer Granittafel, welche, 1799 durch einen französischen Ingenieur, Namens Bouchard, bei Rosette aufgefunden, beim Transport nach Frankreich den Engländern in die Hände fiel und jetzt im Britischen Museum aufbewahrt wird. Sie besteht aus drei Abteilungen, von denen die obere, nur halb erhaltene, hieroglyphische, die mittlere demotische und die untere griechische Schrift enthält. Die griechische Inschrift meldet, daß dem König Ptolemäos Epiphanes im 9. Jahr seiner Regierung (ca. 197 v. Chr.) von der ägyptischen Priesterschaft gewisse Ehrenbezeigungen bewilligt worden seien, und daß diese Bewilligung mit heiliger, demotischer und griechischer Schrift auf diesen Stein geschrieben worden sei. Hieraus ergab sich, daß die beiden obern Abteilungen in ägyptischer Schrift denselben Sinn ausdrückten wie die griechische, und man hatte nun einen festen Punkt, von welchem man bei Entzifferung der obern Abteilungen [518] ausgehen konnte. Man unternahm zuerst die Erklärung der mittlern Abteilung, welche die demotische Schrift enthält. Silvestre de Sacy, welcher in der „Lettre au citoyen Chaptal“ (Chaptal war damals Minister des Innern) die Resultate seiner Vergleichung des griechischen und demotischen Textes mitteilte, hielt die hieroglyphische Schrift für durchgängig ideographische oder Wortschrift, die hieratische, die er in Papyrusrollen richtig erkannt hatte, für syllabisch oder alphabetisch, die demotische aber für eine Buchstabenschrift; doch konnte er noch nicht die einzelnen Lautzeichen entziffern und unterschied nur eine Anzahl Gruppen, welche die Namen Ptolemäos, Arsinoe, Alexander enthielten. Der schwedische Diplomat Åkerblad („Lettre au citoyen Silvestre de Sacy sur l’inscription de Rosette“, Par. 1802) bestimmte darauf die phonetische Bedeutung der einzelnen Schriftzeichen in den Namen Ptolemäos, Alexander, Arsinoe, Berenike und noch sechs andern.

Einen weitern Schritt zum Verständnis der Hieroglyphenkunde that 1814 der englische Arzt Thom. Young, der 1815 in dem Cambridger „Museum criticum“ eine mutmaßliche Übersetzung des ganzen demotischen Teils der Inschrift von Rosette, die Entzifferung sämtlicher darin vorkommender Eigennamen und außerdem die Erklärung von 80 andern Wörtern und ein aus diesen Erklärungen sich ergebendes demotisches Alphabet veröffentlichte. Da aber noch immer der größere Teil der demotischen Schriftzeichen unlesbar blieb, so kam Young zu der Ansicht, daß viele Wörter nicht alphabetisch geschrieben seien, sondern symbolisch, durch Abkürzung oder flüchtige Zeichnung der gleichbedeutenden hieratischen und hieroglyphischen Schriftgruppen. Aber alle diese Versuche zur Entzifferung der geheimnisvollen Schrift waren immer noch sehr unvollkommen und wenig förderlich; die H. waren und blieben ein ungelöstes Rätsel, und kein Mensch hätte auch nur annähernd zu sagen vermocht, was die zahllosen ägyptischen Schriften enthielten. Da bemächtigte sich im Anfang der 20er Jahre dieser Frage J. François Champollion der jüngere (s. d.), der durchdringenden Scharfsinn mit rastlosem Fleiß verband. Er wurde der Entzifferer der Hieroglyphenschrift, indem er erkannte, daß dieselbe aus alphabetischen oder phonetischen und ideographischen Zeichen gemischt ist; er fand das Alphabet und den Schlüssel für die Mehrzahl der Zeichen und erlangte so den Zutritt zum letzten und ältesten Gemach im Tempel der Geschichte. Epochemachend war seine berühmte „Lettre à M. Dacier relative à l’alphabet des hiéroglyphes phonétiques“ (Par. 1822), worin er auf Grund der Analyse einer Reihe von Königsnamen ein hieroglyphisches Alphabet aufstellte, welches, wenn es auch noch unvollständig war, sich doch bei der Erklärung von Inschriften, auf denen dieselben Zeichen vorkamen, als richtig bewährte. Sehr förderlich war für Champollions Untersuchungen die von Bankes 1821 nach England gebrachte hieroglyphische und griechische Inschrift des 1815 aufgefundenen Obelisken von Philä. Die hieroglyphische Inschrift enthält hier zwei von Ringen (cartouches) eingeschlossene Schriftgruppen, deren eine schon aus der Rosetteschen Inschrift als der Name Ptolemäos bekannt war; die andre erkannte Champollion, von der griechischen Inschrift am Fußgestell des Obelisken geleitet, für den Namen Kleopatra. Von seiner irrigen, noch in der „Lettre à M. Dacier“ festgehaltenen Meinung, daß die phonetische Bedeutung der einzelnen H. sich nur auf die Eigennamen beschränke, der übrige Text aber aus rein ideographischen Zeichen bestehe, kam Champollion erst in seinem „Précis du système hiéroglyphique“ (Par. 1824) zurück, indem er darin nachwies, daß das in den Eigennamen aufgefundene Alphabet auch auf andre Hieroglyphengruppen anwendbar sei, in denen dieselben Zeichen wiederkehren. Die vollständigen Resultate seiner Untersuchungen enthält die erst nach seinem Tod erschienene „Grammaire égyptienne“ (Par. 1836–41), eine Darlegung des Systems der hieroglyphischen Schrift und der Grundzüge der darin erhaltenen Sprache. In diesem und den gleichfalls posthumen Werken Champollions: „Dictionnaire égyptien en écriture hiéroglyphique“ (Par. 1841–44), den „Notices“ und den „Monuments“, in denen die Resultate einer wissenschaftlichen Reise nach dem Nilthal niedergelegt sind, sehen wir den ganzen Reichtum von Erkenntnis, den dieser erste Hierogrammat der Neuzeit sich zu eigen gemacht hatte. Den zu früh verstorbenen Meister überholten bald, sich ihm anschließend, in Italien I. Rosellini, welcher ein wertvolles Werk: „Monumenti“ mit Kommentar herausgab, in den Niederlanden Konr. Leemans, welcher die reiche Leidener Sammlung ägyptischer Altertümer durch Veröffentlichung zugänglich machte, in Deutschland Rich. Lepsius, der Begründer einer kritischen Methode und der Grundleger der ägyptischen Geschichte und Chronologie, in England Sam. Birch, der alsbald längere Texte, hieroglyphische und hieratische, übersetzte und das erste vollständigere Wörterbuch verfaßte, in Frankreich Eman. de Rougé, der zuerst genaue grammatische Analysen lieferte und ein vielfach berichtigtes Verzeichnis der Charaktere mit ihren Lautwerten aufstellte. Die vom König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1842–45 unter Lepsius’ Leitung nach Ägypten entsandte wissenschaftliche Expedition ergab als bedeutende Resultate eine wertvolle Sammlung von Altertümern, die dem ägyptischen Museum in Berlin einverleibt wurde, und die Veröffentlichung der Denkmäler Ägyptens und Nubiens in einem Prachtwerk.

Auf die Arbeiten der unmittelbaren Nachfolger Champollions stützten sich die spätern Ägyptologen, welche teils durch Veröffentlichung neuer Texte, teils durch Übersetzungen und grammatische Untersuchungen, teils durch sachliche Kommentare die Wissenschaft erweiterten und bereicherten. Es sind hier besonders die folgenden deutschen, österreichischen, schweizerischen, französischen, italienischen, niederländischen, englischen und russischen Gelehrten zu nennen: Baillet, v. Bergmann, Bouriant, Brugsch, Chabas, Cooke, Devéria, Dümichen, Ebers, Eisenlohr, Erman, Gensler, Golenischew, Goodwin, Grébaut, Green, Guiyesse, v. Gumpach, de Horrack, Krall, Lanzone, Lauth, Lefébure, Le Page Renouf, Levi, Lieblein, Lincke, Loret, Lushington, Mariette, Maspero, Meyer, Naville, Piehl, Pierret, Pietschmann, Pleyte, Reinisch, Révillout, Romieu, Rossi, Jacques de Rougé, Schiaparelli, Sharpe, Stern, Wiedemann. Nachdem das wahre System der Hieroglyphenschrift entdeckt war, wurde es später leichter, auch die aus ihr abgeleitete hieratische und demotische Schrift zu lesen. Es versteht sich von selbst, daß es andre Wege der Entzifferung als den von Champollion betretenen nicht gibt. So sind die von Röth gemachten Übersetzungen ganz unbegründet und phantastisch, und ebenso findet sich in den frühern Schriften von Gulianow, Spohn, Seyffarth, Uhlemann keine richtige Deutung der Hieroglyphenschrift. Die Richtigkeit der Methode, welche die Champollionsche Schule befolgte, wurde 1866 auf das glänzendste durch den ganz unerwarteten Fund eines neuen umfangreichen Dekrets in [519] drei Sprachen bestätigt. Auf einer Reise durch das Nildelta fand nämlich Lepsius unweit des heutigen San, des alten Zoan oder Tanis, einen Stein, der einen und denselben Text unversehrt in hieroglyphischer, demotischer und griechischer Fassung enthielt. Diese Inschrift („Dekret von Kanopos“, 1866), von deren hieroglyphischem Teil man 1881 ein Duplikat bei Damanhûr gefunden hat, ist für die ägyptologische Wissenschaft von großer Bedeutung gewesen. Sie erschien in einer neuern Ausgabe von P. Pierret: „Le décret trilingue de Canope“ (Par. 1881).

III. Das System der hieroglyphischen Schrift,

wie es nun sich immer deutlicher und klarer enthüllt hat, ist deshalb so lange verborgen geblieben, weil es ein mannigfaltiges Gemisch aus lautlichen und stummen oder figürlichen Zeichen ist. Mag immerhin der Anfang der Schrift ein ideographischer gewesen sein, so daß man z. B., um das Wort Krokodil zu schreiben, das Tier zeichnete, so mußte sich doch solche Art der Schrift sehr bald als unzulänglich erweisen, auch zu fortwährenden Zweideutigkeiten Anlaß geben. Soweit wir auch die Hieroglyphenschrift verfolgen können, ist sie eine wesentlich phonetische Schrift, d. h. eine solche, welche zunächst und vorwaltend den Laut der Wörter ausdrückt. Die Entwickelung der hieroglyphischen Schrift ist folgendermaßen zu erklären. Ihre Grundlage bildet ein Alphabet von etwa 25 Buchstaben, das mit dem semitischen ziemlich übereinstimmt; neben jedem alphabetischen Zeichen existieren noch einige Varianten, welche mitunter eine Modifikation der Aussprache des folgenden Vokals bedingen. Die kurzen Vokale nämlich, welche im Inlaut zu sprechen sind, werden gewöhnlich, wie im Semitischen, nicht geschrieben; wollte man zod schreiben, so setzte man nur zd. Die einfache alphabetische Schrift genügte den Ägyptern aber nicht; denn da die Sprache eine kurze, meist noch einsilbige war, so würde eine rein alphabetische Schrift, die noch dazu die Vokale meist unbestimmt ließ, sehr häufig an erheblicher Unklarheit und Vieldeutigkeit gelitten haben, zumal wo nicht der Accent und der Vortrag des Sprechenden der Auffassung zu Hilfe kam. Daher fügte die Schrift hinter den Buchstaben der Wörter meist ein bestimmendes ideographisches Zeichen hinzu (ein Determinativ). Auch setzte man wohl mehrere Determinative zu einem Wort, um den Begriff noch genauer zu bestimmen; z. B. set, schießen, hat außer einem vom Pfeil durchbohrten Tierfell noch einen mit einem Instrument versehenen Arm zum Determinativ, um eine Handlung zu bezeichnen; das gleiche Zeichen findet sich bei den meisten Verben. Zod, sagen, determinierte man durch einen Mann, der die Hand an die Lippen hält; am, essen, sura, trinken, desgleichen, und dem letztern Wort fügte man außerdem noch drei Wellenlinien bei, um zu bezeichnen, daß der Begriff des Wortes mit dem Wasser in Verbindung stehe. Manche von diesen Determinativen sind ganz speziell und bezeichnen den Begriff des Wortes selbst, wie z. B. das Krokodil hinter msah den Namen dieses Tiers; andre sind generell und bezeichnen nur eine Kategorie von Begriffen, in welche auch der fragliche fällt, wie z. B. der bewaffnete Arm, oder der Sperling, der sich hinter allen Wörtern befindet, welche klein, elend, krank, schwach, traurig, einsam, schlecht, boshaft, arm u. dgl. bedeuten. Diese Methode der Determination ist im hieroglyphischen Schriftsystem allgemein geworden, so daß fast nur grammatische Partikeln eines Determinativums entbehren. Zur weitern Vereinfachung dieses deutlichen, aber etwas umständlichen Systems ließ man die alphabetischen Zeichen bei vielen sehr bekannten Wörtern fort und schrieb also z. B. nur das Tierfell mit dem Pfeil, wo man set, schießen, schreiben wollte, mit Hinzufügung des bewaffneten Arms; man zeichnete nur den Säemann, wo man set, säen, ausdrücken wollte, etc. Höchstens fügte man noch das anlautende s oder das auslautende t hinzu, um recht deutlich zu sein, und endlich gebrauchte man das ursprünglich nur Einen Begriff determinierende Zeichen überhaupt und in vielen Wörtern, welche die Aussprache set hatten, allerdings unter Hinzufügung andrer determinierender Zeichen, namentlich der generellen Art. Weiter geschah es, daß selbst generelle Determinative, die an sich vielen Wörtern zukamen, wo ihre Bedeutung aus dem Zusammenhang ersichtlich war, als Abkürzung des ganzen Wortes gesetzt wurden, wie z. B. der Sperling sich gelegentlich für das Wort schera, klein, findet. Auf diesem fortwährenden Übergang ideographischer Zeichen in phonetische beruht das Wesen der Hieroglyphenschrift; es ist unmöglich, eine Klasse von phonetischen und eine Klasse von ideographischen Charakteren aufzustellen, weil jene aus diesen fortwährend entstehen und es zufällig ist, wenn etwa ein ideographisches Zeichen nicht in phonetischer Verwendung vorkommen sollte. Insofern die Zeichen phonetisch sind, d. h. gesprochen werden, sind sie entweder primär (die alphabetischen Zeichen), oder sekundär (die aus speziellen Determinativen entstandenen Silbenzeichen), oder tertiär (die aus generellen Determinativen entstandenen Wortzeichen). Die Schrift aller Epochen führt uns alle Stadien dieses Systems gleichmäßig vor, und wenn wir die Buchstaben eines Wortes mit a und b bezeichnen, das spezielle Determinativ mit x, das generelle mit y, so könnte dies Wort auf sechs Weisen geschrieben werden: 1) ab, 2) ab + x + y, 3) a + x + y, 4) x + b + y, 5) x + y, 6) y. Freilich werden nicht bei allen Wörtern diese sechs Möglichkeiten durchgeführt; bei den meisten hat die Praxis sich vielmehr für die eine oder die andre entschieden. Anderseits kommen aber von vielen Wörtern mehrere Varianten vor, und es leuchtet ein, daß dieselben für die rasche Entwickelung der Wissenschaft von großem Nutzen waren. In den Zeiten der Ptolemäer mehrte sich die Zahl der Zeichen außerordentlich, da man weniger Sorgfalt auf die Ausführung als auf Mannigfaltigkeit und Künstlichkeit verwandte; man ließ jetzt die alphabetischen Zeichen entweder ganz aus, oder erfand neue alphabetische Zeichen nach einem willkürlichen System, welches man das akrophonische nennen kann. Nach demselben verwandte man die speziellen Determinative und selbst auch die generellen phonetisch für den anlautenden Buchstaben ihres Wortes. Man ließ also (um bei jenem Beispiel zu bleiben) x nicht ab bezeichnen, sondern vielmehr nur ein einfaches a, und da ein Determinativzeichen nicht selten mehreren Wörtern verschiedenen Lauts zukam, also polyphones Phonetikum werden konnte (wie x z. B. auch für ba stehen könnte), so konnte es auch für b eintreten. Dies machte die Texte sehr dunkel und schwierig zu entziffern; der Tempel von Esneh, der späteste, liefert eine Fülle rätselhafter Texte dieser Art.

IV. Die altägyptische Sprache.

Die Entzifferung der Schrift ist natürlich nur der erste Schritt im Studium der H., der zweite und schwierigere ist die Erklärung der Sprache. Das Altägyptische ist eine vielfach noch einsilbige Sprache und steht zwischen den isolierenden Sprachen (wie dem Chinesischen) und den agglutinierenden (wie dem Türkischen) in der Mitte. Es hat noch nicht eigentliche [520] Formen, wie die flektierenden Sprachen; die Wurzel kann meist noch nominal, verbal oder adverbial aufgefaßt werden. Es gibt im Altägyptischen nicht besondere Formen für die Tempora, Modi und Kasus; auch wird das Aktiv kaum vom Passiv unterschieden; die grammatischen Beziehungen werden nur durch Partikeln ausgedrückt; die ägyptische Grammatik ist vorwaltend Syntax. Die ägyptische Sprache hat während der langen Dauer ihres Bestehens einige Veränderungen erfahren; einen von dem altägyptischen abweichenden Sprachcharakter zeigen schon die profanen Schriften der hieratischen Papyrus, welchen man neuägyptisch genannt hat. Weiter entwickelt ist die demotische Tochtersprache, die gleichfalls vorwaltend zu profanen Schriften verwandt wurde; aber erst im Koptischen, der Sprache der christlichen Ägypter, gelangt die Sprache zu der vollsten Entfaltung ihrer diakritischen Fähigkeiten. In der wissenschaftlichen Behandlung sind jedoch kaum die ersten Anfänge gemacht worden; die nötigsten Regeln gaben E. de Rougé in seiner „Chrestomathie égyptienne“ (Par. 1868), H. Brugsch in seiner „Hieroglyphischen Grammatik“ (Leipz. 1872) und P. Le Page Renouf in der seinigen („An elementary grammar of the ancient Egyptian language“, Lond. 1875). Eine Erklärung der den hieroglyphischen entsprechenden hieratischen Schriftzeichen veröffentlichte S. Levi („Raccolta dei segni ieratici egizj nelle diverse epoche con i correspondenti geroglifici e di loro differenti valori fonetici“, Tur. 1880). H. Brugsch hat auch eine „Grammaire démotique“ (Berl. 1855) veröffentlicht, das erste eingehendere Werk über diesen Dialekt, welches die vorangegangenen Arbeiten Youngs, Kosegartens, Leemans’, Hincks’, de Saulcys und de Rougés weit übertrifft. Erfreuliche Fortschritte in der Erkenntnis der altägyptischen Sprache wurden neuerdings von E. Révillout in seinen genialen demotischen Forschungen und von A. Erman in seiner „Neuägyptischen Grammatik“ (Leipz. 1880) gemacht. Neue Gesichtspunkte für die Behandlung der ägyptischen Sprache nach streng wissenschaftlicher Methode suchte die „Koptische Grammatik“ von L. Stern (Leipz. 1880) zu gewinnen. Die koptische Sprache ist das wichtigste Hilfsmittel zur Erklärung der H., da sie den nämlichen Wortschatz hat, der uns namentlich aus der Bibelübersetzung bekannt geworden ist. Theodor Benfey („Über das Verhältnis der ägyptischen Sprache zum semitischen Sprachstamm“, Leipz. 1844) wies nach, daß diese Sprache mit dem Semitischen Verwandtschaft und einen gemeinsamen Ursprung hat. Obwohl nun das Ägyptische sich vom Semitischen früh getrennt und einen andern Weg eingeschlagen hat, so bietet es doch in den Wurzeln und in der Bildung der Stämme so große Analogien mit dem asiatischen Sprachstamm, daß dieser, wenn mit Sachkenntnis und Mäßigung verglichen, ein Hilfsmittel bei der Interpretation der H. werden kann. Ob auch die indogermanischen Sprachen mit dem Ägyptischen und Semitischen verwandt sind, ist noch fraglich; beim heutigen Stande dieser Untersuchungen sind Vergleichungen auch dieses Sprachstammes mit dem Altägyptischen nicht angebracht. Den allmählichen Übergang des Altägyptischen zum Demotischen und weiter zum Koptischen in seinen drei Dialekten (dem unter-, ober- und mittelägyptischen) zur Anschauung zu bringen, bleibt einem künftigen Grammatiker noch vorbehalten. Vorläufig scheint die hieroglyphische Sprache noch alle Kräfte in Anspruch zu nehmen; die Schwierigkeiten derselben sind immer noch sehr erhebliche, denn obwohl man durch die Arbeiten Goodwins, Chabas’, Masperos, Brugsch’, Dümichens u. a. in den letzten Jahren sehr bedeutende Fortschritte gemacht hat, so ist doch fast kein Text ohne irgend eine crux interpretum, und zwar liegt die ganze Schwierigkeit im Wörterbuch. Das von Champollion zusammengestellte ist ein rühmlicher Anfang, der aber heute nicht mehr auf der Höhe der Wissenschaft steht; das von Birch veröffentlichte (in Bunsens „Egypt’s place in universal history“, Bd. 5, Lond. 1867) ist eine fleißige Arbeit, welche, kurz gefaßt, über 4000 Wörter nachweist; das von Brugsch herausgegebene „Hieroglyphische Wörterbuch“ (Leipz. 1867–68 und Fortsetzung 1880–82), den Wortschatz in ziemlicher Vollständigkeit umfassend und durch zahlreiche Beispiele erläuternd, ist vom größten Nutzen gewesen; auf diese beiden stützt sich in der Hauptsache das „Vocabulaire hiéroglyphique“ von Pierret (Par. 1875). Daß im einzelnen noch manches zweifelhaft bleibt, bedarf kaum der Erwähnung.

V. Altägyptische Litteratur.

Was nun die Litteratur betrifft, welche uns die Entzifferung der H. zugänglich gemacht hat, so ist sie durchaus so beschaffen, wie sie von einem so alten, am Althergebrachten zäh festhaltenden, in Aberglauben gebannten und ernsten Volk zu erwarten war. Die ganze Litteratur ist von der Religion oder Theologie so durchdrungen, daß sie fast unzertrennlich davon erscheint. Die Inschriften aller Tempel und die Texte der bei weitem meisten Papyrusrollen sind religiösen Inhalts und zwar theologisch oder mythologisch oder hymnologisch oder liturgisch. Die ältern Tempel sind die von Abydos, Theben, Abu Simbal in Nubien; die jüngern und an Inschriften fast unerschöpflichen die in Philä, Kom Ombo, Dendrah, Edfu, Esneh. Diese Tempel sind die Bethäuser der Könige; die verschiedenen Könige, welche einen Tempel erbaut oder ausgebaut haben, werden hier unzähligemal vor der Gottheit opfernd dargestellt; erläuternde Texte schließen sich an, und wir werden aufs genaueste über die Gründung und Weihung des Baues, über den Tempelritus und die priesterlichen Gebräuche unterrichtet. Dümichen („Altägyptische Tempelinschriften“, Leipz. 1867–68, 2 Bde.; „Resultate einer wissenschaftlichen Expedition“, Berl. 1871), Naville („Textes relatifs au mythe d’Horus“, Genf 1870), Mariette („Abydos“, Par. 1869–80, 2 Bde.; „Denderah“, das. 1870–73), de Rougé („Inscriptions hiéroglyphiques recueillies à Edfou“, das. 1880) und Brugsch („Reise nach der großen Oase El Khargeh in der Libyschen Wüste“, Leipz. 1878) haben viele dieser Inschriften veröffentlicht. Vgl. auch Dümichen, Baugeschichte des Denderah-Tempels und Beschreibung der einzelnen Teile des Bauwerkes (Straßb. 1877). Mariette, lange Jahre hindurch Direktor der Ausgrabungen in Ägypten und des Museums in Bulak, hat viele von Sand und Schutt bedeckte Denkmäler wieder an das Tageslicht gebracht, und vieles steckt wohl noch unter der Erde. Einen besonders reichen Ertrag hat ihm die Durchforschung der Nekropole von Abydos geliefert („Catalogue général des monuments d’Abydos découverts pendant les fouilles de cette ville“, Par. 1880). Die Darstellungen und Inschriften in den weiten, in die Felsen gehauenen Grabkammern, in welchen die Überlebenden Totenfeiern zu begehen pflegten, beschäftigen sich vorwaltend mit dem Leben nach dem Tod und mit der Unterwelt, so namentlich die riesigen Königsgräber in Theben (Bibán el Meluk); die Gräber der Privatleute der ältern [521] Zeit dagegen bis zur 18. Dynastie, in Gizeh, Sakkâra, Sauiet el Meitin, Qasr el Sayyād, Meidūm, Abd el Qurna, El Kab, gedenken in ihren Wandgemälden häufiger des irdischen Lebens des Verstorbenen; die Inschriften geben seine Biographie und rühmen seine Tugenden. Die Darstellungen aus dem Privatleben mit den dazu gehörigen Inschriften haben manchen sachlichen und sprachlichen Aufschluß gegeben. Die Inschriften der Sarkophage sind dagegen wieder durchaus religiösen Charakters; meist sind es Gebete über den Verstorbenen, oder sie behandeln, wie namentlich in späterer Zeit, die ganze Lehre von der „Amenthes“, der Unterwelt.

Von den zahlreichen religiösen Büchern der alten Ägypter waren einige im alten Ägypten, nach der Menge der auf uns gekommenen Exemplare zu schließen, außerordentlich verbreitet. Das bedeutendste und umfangreichste derselben ist das „Totenbuch der alten Ägypter“, welches Lepsius schon 1842 nach der vollständigsten Turiner Handschrift auf 79 Tafeln herausgab. Sein ägyptischer Titel ist „Per m heru“ („Der Ausgang aus dem Tag“, d. h. aus dem Leben); dieses Buch, von den Franzosen weniger passend als „Rituel funéraire“ bezeichnet, enthält 165 Kapitel. Der Verstorbene, dem der das Totenbuch enthaltende Papyrus in den Sarg beigegeben wurde, ist selbst die handelnde und redende Person darin, und der Text betrifft nur ihn und seine Begegnisse auf der langen Wanderung nach dem irdischen Tod. Es wird entweder erzählt und beschrieben, wohin er kommt, was er thut, was er hört und sieht, oder es sind die Gebete und Anreden, die er selbst zu den verschiedenen Göttern spricht, zu welchen er gelangt. Einige Teile des Totenbuchs sind sehr alt und reichen bis in die ersten Königsdynastien; sie bieten eine kürzere und korrektere Fassung und finden sich auf den Sarkophagen jener Epoche (vgl. Lepsius, Älteste Texte des Totenbuchs, Berl. 1867); die Texte der 18. Dynastie sind schon ausführlicher, aber noch ziemlich korrekt; danach kommen die spätern Texte, welche umfangreicher, mit vielen Glossen und Interpolationen versehen und wegen der Nachlässigkeit der Schreiber meist sehr fehlerhaft sind. S. Birch versuchte die erste vollständige Übersetzung dieses Buches („Egypt’s place“, Bd. 5); eine neuere hat P. Pierret („Le livre des morts“, Par. 1882) geliefert. Die Herausgabe der ältern (thebaischen) Redaktion des Totenbuchs wurde auf Vorschlag des Londoner Orientalistenkongresses von 1875 von E. Naville übernommen; seine Ausgabe: „Das ägyptische Totenbuch der XVIII. bis XX. Dynastie“ erschien mit Einleitung in 2 Foliobänden (Berl. 1886). Die religiösen Texte, welche sich in den Grabkammern der 1881 geöffneten Königspyramiden bei Sakkâra angeschrieben finden, bilden die sprachlich und inhaltlich wichtige älteste Form des Unsterblichkeitsglaubens der alten Ägypter, das altmemphitische Totenbuch. Einen Auszug aus dem Totenbuch bildet das „Schai n sinsin“ („Das Buch vom Atmen oder von der Wiederbelebung“), welches viel kürzer ist und namentlich in späterer Zeit an die Stelle des umfangreichern Werkes trat; das Berliner Museum hat drei Exemplare dieses Büchleins. Die erste Ausgabe desselben veröffentlichte H. Brugsch („Schai en sinsin“, Berl. 1848), eine neuere de Horrack („Schâ en sensen, le livre des respirations“, Par. 1877). Die demotische Version des Totenbuchs, welche in einem Pariser Papyrus erhalten ist, hat E. Révillout teilweise ediert („Le rituel funéraire de Pamonths“, Par. 1880). Das dritte verwandte Buch enthält die eigentliche Lehre von der Unterwelt und ist betitelt: „Am-tuat“, welches gleichfalls in Papyrusrollen erhalten ist; es wurde veröffentlicht von Lanzone („Le domicile des esprits“, Tur. 1879). Aus den Königsgräbern stammen die von E. Naville unter dem Titel: „La litanie du soleil“ (Leipz. 1875) veröffentlichten Texte. Ein liturgisches Buch über gewisse Bestattungsgebräuche ist das von E. Schiaparelli veröffentlichte „Libro dei funerali“ (Tur. 1881). Vgl. auch O. v. Lemm, Das Ritualbuch des Ammondienstes (Leipz. 1882). Diese Werke sind durchweg mystischen Charakters und ohne ausführliche Kommentare schwer verständlich. Von der gesamten religiösen Litteratur sagen unserm Geschmack am meisten die vielen Hymnen an die Götter zu, deren poetischer Schwung nicht selten an die Sprache der Psalmen erinnert; sie finden sich auf Grabsteinen und in Papyrusrollen.

Die historischen Denkmäler, welche die Thaten der Könige berichten, sind entweder öffentliche Denksteine oder Inschriften an den Tempeln oder in den Gräbern der Privatleute. Lepsius, der Herausgeber der „Denkmäler aus Ägypten u. Äthiopien“ (Berl. 1859–60, 12 Bde.), hatte bei der Auswahl des Stoffes besonders auf Inschriften dieser Gattung sein Augenmerk gerichtet, und so ist denn dieses Werk eine wahre Fundgrube für die Geschichte der Pharaonen geworden. Eine sehr wertvolle Ergänzung dazu sind die „Historischen Inschriften“ von Dümichen (Leipz. 1867–69) und die Texte aus Karnak von Mariette Bei (das. 1875), ebenso die aus Dêr el Bahari (das. 1877) und die von E. de Rougé gesammelten Inschriften („Inscriptions hiéroglyphiques, copiées en Égypte“, Par. 1877 ff.). Die längste aller Papyrusrollen, der große Papyrus Harris im Britischen Museum, aus der 20. Dynastie, dessen Inhalt zuerst A. Eisenlohr (Leipz. 1872) bekannt machte, und der von S. Birch herausgegeben und übersetzt wurde („Facsimile of an Egyptian hieratic papyrus of the reign of Ramses III.“, Lond. 1876), ist für die Geschichte dieser Epoche von Bedeutung. Die Geographie des alten Ägypten behandelte Brugsch („Geographische Inschriften altägyptischer Denkmäler“, Leipz. 1857–60), ebenso den Kalender („Matériaux pour servir à la reconstruction du calendrier des anciens Égyptiens“, das. 1864). Weitere nützliche Publikationen dieser Art sind: Dümichens „Kalenderinschriften“ (Leipz. 1866), „Geographische Inschriften“ (das. 1866–85) und „Kalendarische Opferfestlisten im Tempel von Medinet Habu“ (das. 1881), E. v. Bergmanns „Hieroglyphische Inschriften“ (Wien 1879) und Mariettes „Listes géographiques“ (Leipz. 1875). Die Zahl der Dekrete, der Triumphsteine, der geographischen und der kalendarischen Listen ist eine sehr erhebliche.

Den anziehendsten Teil der ägyptischen Litteratur bilden aber die nicht religiösen Papyrusrollen, die sämtlich hieratisch geschrieben sind. Einige derselben enthalten Erzählungen oder Märchen, welche für die Geschichte dieser Dichtungsgattung wegen ihres Alters von größter Wichtigkeit sind, oder sie feiern die Thaten der Könige; andre geben nur Briefe, in welche nicht selten ethische Betrachtungen eingekleidet sind; auch fehlt es nicht an Schriften, welche die Lebensweisheit der alten ägyptischen Philosophen zur Anschauung bringen. Vgl. Maspero, Les contes populaires de l’Égypte ancienne (Par. 1882). Der in der Wissenschaft als „Papyrus Prisse“ (Par. 1857) bekannte Papyrus enthält eine Sammlung moralischer Betrachtungen, welche den Sprichwörtern Salomos ähnlich sind; Chabas hat zuerst dieses „älteste [522] Buch der Welt“ zu interpretieren versucht („Revue archéologique“ 1859). Ein ähnliches, aber viel jüngeres Werk, die Maximen des Schreibers Ani, hat derselbe Gelehrte in seiner Zeitschrift „L’Égyptologie“ (Châlon sur Saône 1876–78) analysiert. Von den veröffentlichten hieratischen Papyrussammlungen verdient außer den in Lepsius’ „Denkmälern aus Ägypten und Äthiopien“ faksimilierten besonders genannt zu werden: „Select papyri in the hieratic character from the collections of the British Museum“ (Lond. 1841–60). Die von Mariette besorgte Ausgabe der „Papyrus du Musée de Boulaq“ (Par. 1871–72) und die von Rossi und Pleyte edierten „Papyrus de Turin“ (Tur. 1869–76) lassen es leider mitunter an der bei dieser Schriftgattung unumgänglich notwendigen diplomatischen Treue fehlen. Vgl. noch A. Lincke, Korrespondenzen aus der Zeit der Ramessiden (Leipz. 1878); A. Wiedemann, Hieratische Texte (das. 1877); G. Maspero, Romans et poésies du papyrus Harris 500 (Par. 1880). Von wissenschaftlichen Werken, deren die alten Ägypter nach dem Zeugnis des Clemens von Alexandria viele hatten, sind uns nur wenige erhalten. Ein mathematischer Papyrus im Britischen Museum enthält die Anfangsgründe der Geometrie und Arithmetik; er stammt aus der Regierungszeit des Hyksoskönigs Raāa-us Apophis; herausgegeben und interpretiert wurde er von Eisenlohr („Ein mathematisches Handbuch der alten Ägypter“, Leipz. 1877). Besonders gepflegt wurde im alten Ägypten die Medizin; medizinische Papyrusrollen befinden sich in London, Leiden, Berlin und die umfangreichste und in jeder Hinsicht vortrefflichste auf der Leipziger Universitätsbibliothek. Dieser sogen. „Papyrus Ebers“ enthält auf 108 Seiten ein vollständiges Handbuch altägyptischer Arzneimittellehre vermutlich aus der 18. Dynastie; er gehört zu den eigentlichen „hermetischen“ Büchern und gewährt uns einen Einblick in die anatomischen, pathologischen und therapeutischen Kenntnisse des merkwürdigen Volkes. Er ist vollständig erhalten, in schönstem Hieratisch geschrieben und wurde herausgegeben von G. Ebers, mit einem Glossar versehen von Ludw. Stern (Leipz. 1875). Neben den medizinischen Schriften spielen bei den alten Ägyptern die magischen oder Zauberpapyrus eine wichtige Rolle; statt vieler erwähnen wir nur den einen von Chabas edierten „Papyrus magique Harris“ (Châlon sur Saône 1860). Die demotische Litteratur ist ärmer als die hieroglyphische. Einige demotische Papyrus sind religiösen Inhalts, wie z. B. der „Papyrus Rhind“, in dem die demotische Übersetzung dem hieratischen Text gegenübersteht; einige enthalten Erzählungen, deren eine, in einem Bulaker Papyrus befindliche von H. Brugsch bekannt gemacht („Revue archéologique“ 1867), dann aber von E. Révillout im einzelnen interpretiert ist („Le roman de Setna“, Par. 1877). Die Mehrzahl der demotischen Papyrus enthält geschäftliche Urkunden oder Kauf- und Ehekontrakte; die vollständige Übersetzung und Erläuterung der letztern ist wiederum E. Révillout gelungen („Chrestomathie démotique“, Par. 1880, u. „Nouvelle chrestomathie démotique“, das. 1878). Derselbe hat auch in einem Pariser Papyrus eine mit Manetho gleichzeitige Chronik der letzten einheimischen Herrscher (28.–30. Dynastie) in demotischer Sprache entdeckt und in der „Revue égyptologique“ veröffentlicht. Übersetzungen ägyptischer Schriften jeder Art sind vereinigt in den von Birch herausgegebenen „Records of the Past“ (Bd. 2, 4, 6, 8, 10, 12).

Keine historische oder linguistische Wissenschaft hat in den letzten 30 Jahren solche Fortschritte gemacht wie die Ägyptologie, und doch bleibt noch vieles in ihr zu thun übrig. Man überblickt das Material fast vollständig, und die nächsten Forschungen müssen auf das einzelne gerichtet sein. Was aber die übrigen Gebiete der alten Geschichte, namentlich der hebräischen und assyrischen, vom Studium der H. zu erwarten haben, ist unberechenbar. Seit man die H. zu Rate ziehen konnte, hat die Behandlung der frühern Geschichte der alten Völker ein ganz andres Aussehen gewonnen. Nach Bunsens Werk „Ägyptens Stelle in der Weltgeschichte“ (Hamb. 1844–57, 6 Tle.) sind es besonders Lepsius’ „Chronologie“ (Berl. 1849) und „Königsbuch“ (das. 1858), welche für die folgenden Untersuchungen die Grundlage bildeten. Über die altägyptische Geschichte nach den Denkmälern handeln: H. Brugsch, Histoire d’Égypte (2. Aufl., Leipz. 1875) und „Geschichte Ägyptens“ (das. 1877); F. Chabas, Études sur l’antiquité historique (2. Aufl., Par. 1872); G. Maspero, Histoire des peuples de l’Orient (das. 1875; deutsch von Pietschmann, Leipz. 1877); S. Birch, Ancient history from the monuments: Egypt (Lond. 1875); J. Dümichen, Geschichte des alten Ägypten (Berl. 1878–82, 3 Lfgn.); A. Wiedemann, Geschichte Ägyptens von Psammetichos I. bis auf Alexander d. Gr. (Leipz. 1880); E. Meyer, Geschichte des Altertums, Bd. 1 (Stuttg. 1887); A. Erman, Ägypten u. ägyptisches Leben im Altertum (Tübing. 1885). Insofern die geschichtlichen Fragen die übrigen mit Ägypten in Berührung getretenen Völker angehen, namentlich die Hebräer, darf nichts übereilt werden; denn bis jetzt hat man weder den Namen des Hebräers Joseph noch auch, wie es scheint, den des Moses in den H. gefunden. Vgl. dagegen Lauth, Moses der Ebräer (Münch. 1869), und „Moses-Hosarsyphos-Salichus“ (Straßb. 1877). Ein Organ der ägyptologischen Forschungen nach jeder Richtung bildet in Deutschland die seit 1863 in Leipzig erscheinende, von H. Brugsch begründete „Zeitschrift für ägyptische Sprache u. Altertumskunde“; in Frankreich führte Maspero, nachdem das Journal „L’Égyptologie“ von Fr. Chabas und die „Mélanges d’archéologie égyptienne et assyrienne“ eingegangen waren, den „Recueil de travaux relatifs à l’archéologie égyptienne et assyrienne“ weiter, und E. Révillout rief seine „Revue égyptologique“ ins Leben. In England erfüllen die „Proceedings“ und „Transactions of the society of biblical archeology“ in ähnlicher Weise die Zwecke der Ägyptologie und Assyriologie. – Über Chittitische H. s. d.