Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Helĭos“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 357358
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Helĭos. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 357–358. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Hel%C4%ADos (Version vom 15.03.2022)

[357] Helĭos (bei den Römern Sol), in der griech. Mythologie Gott der Sonne, Sohn des Titanen Hyperion und der Theia oder Euryphaessa, Bruder der Selene und Eos, wird bei Homer mit seinem Vater identifiziert. Bei den östlichen Äthiopen steigt er am Morgen aus dem Okeanos auf und senkt sich im westlichen Okeanos abends wieder zu den Fluten herab. Nach andern besteigt er dann seinen goldenen Nachen und fährt über den Okeanos hin zum heiligen Wohnsitz der Nacht, zu seiner Mutter, Gemahlin und seinen Kindern. Diesen goldenen Nachen lieh Herakles von ihm, um nach den Gärten der Hesperiden zu gelangen. Am Westende der Erde hat H. (bei spätern Dichtern) ein Haus und einen Stall für seine goldenen und geflügelten Rosse (welche bei Homer nicht erwähnt sind), wo er sich mit Ambrosia stärkt und die Rosse mit Gras von den Inseln der Seligen nährt, nachdem Nereïden und Horen sie abgeschirrt haben. Im Westen hat er ferner Gärten unter der Obhut der Hesperiden und auf der Insel Thrinakia oder in Erytheia schöne, teils von seinen Töchtern, teils von Geryon bewachte Rinderherden, die sich nie mehren, noch mindern (350 an der Zahl, Symbol der Anzahl der Tage des Mondjahrs). Er freut sich der letztern beim Hinauf- und Hinabsteigen am Himmel, und seine Rache trifft den Odysseus, dessen Gefährten einige davon auf Thrinakia geschlachtet hatten. Die Gemahlinnen und Geliebten des H. waren die Okeanide Klymene, Gemahlin des Äthiopenkönigs Merops, welche ihm den Phaethon und die Heliaden (s. d.) gebar, Iphinoe, mit welcher er den Augias, und die Okeanide Perseïs, mit welcher er den Äetes, die Pasiphae und die Kirke zeugte. In Kolchis, wo die letztere Zauberfamilie zu Haus war, befand sich der Sonnenteich, wo H. seine Rosse badete, und in dessen Nähe er die Nacht über ruhte. Die Kraft der dort wachsenden Zauberkräuter ist eine Folge der Sonnennähe. H. sieht und vernimmt alles und galt deshalb für einen Späher der Götter und Menschen. Er war es, welcher dem Hephästos die Liebe des Ares und der Aphrodite entdeckte, weshalb Ares seine ganze Nachkommenschaft verfolgte. Mit Poseidon stritt er um den Besitz der korinthischen Landenge, die Briareos als Schiedsrichter dem erstern zusprach; H. erhielt dafür den Berg oberhalb Korinth (Akrokorinth). Der Demeter entdeckte er den Räuber ihrer Tochter. Als der Allwissende wurde er bei Eidschwüren angerufen. Der Hauptsitz der weitverbreiteten Verehrung des H. war die Insel Rhodos, welche er aus der Tiefe des Meers emporsteigen gesehen hatte (Pindar, Olymp., VII, 54 ff.). Außerdem hatte er zu Korinth und Argos, in Megalopolis und Trözen Altäre. Alle auf H. bezüglichen Fabeln wurden dann (namentlich durch Ovid in seinen „Metamorphosen“) auf den italischen, besonders bei den Sabinern verehrten Sol übertragen. Hier galt er auch als Beschützer der Wagenlenker und wurde im Zirkus verehrt, so daß sein Tempel in Rom mitten in demselben stand. Abgesehen von dem Sol Phöbus der römischen Zeit, war H. nur in Rhodos ein bedeutender Gegenstand der Plastik, wo ihn Lysippos auf einem Viergespann, in kolossaler Größe (70 Ellen hoch) aber sein Schüler Chares von Lindos bildete (der berühmte „Koloß [358] von Rhodos“ am Eingang des Hafens). Auf rhodischen Münzen ist sein Kopf meist von vorn gebildet, mit runden Formen und strahlenförmig flatterndem Haar. In ganzer Figur erscheint er oft mit fliegendem Mantel, auf dem Wagen, die Rosse antreibend und stets jugendlich, so auf dem Relief einer von Schliemann in Troja gefundenen Metope (s. Abbildung).

Helios (Metope von Troja).

H., aus dem Meer auftauchend, findet sich im Ostgiebel des Parthenon zu Athen. Vgl. auch Eos.