MKL1888:Hautflügler
[234] Hautflügler (Aderflügler, Hymenoptera, hierzu Tafel „Hautflügler“), Ordnung der Insekten, umfaßt Kerbtiere mit beißenden Mundteilen, unbeweglichem Prothorax, vier häutigen, wenig geäderten Flügeln und vollkommener Metamorphose. Der Körper ist in der Regel langgestreckt, der Kopf auf dem Rumpfe frei beweglich. Der Hinterleib ist meist vorn ganz schmal und sitzt mit diesem sogen. Stiel der Brust an. Beim weiblichen Geschlecht endet er mit einem gewöhnlich eingezogenen Legestachel oder Giftstachel, welcher aus einer äußern sogenannten Stachelrinne, zwei Stachelscheiden und ebenso vielen Stechborsten zusammengesetzt ist (s. Bienen, Fig. 2). An den Fühlern der H. unterscheidet man
meist ein großes Basalglied und 11–12 kürzere Glieder. Die Mundwerkzeuge (s. Abbild.) sind beißend und zugleich leckend, Oberlippe und Oberkiefer (Mandibeln) wie bei den Käfern und Geradflüglern gebildet, Unterkiefer (Maxillen) u. Unterlippe dagegen verlängert, zum Lecken eingerichtet, in der Ruhe häufig knieförmig umgelegt. Bei den Bienen kann ein Teil der Unterlippe, die sogen. Zunge, die Form eines Saugrüssels annehmen. Die Flügel sind durchsichtig, die vordern beträchtlich größer als die hintern, an deren Außenrand kleine, übergreifende Häkchen entspringen, die sich an dem untern Rande der Vorderflügel befestigen, so daß für den Flug eine größere, einheitliche Fläche zu stande kommt. Doch fehlen auch wohl die Flügel einem der beiden Geschlechter oder bei gesellig lebenden Hautflüglern den Arbeitern. Die sehr frei beweglichen Beine besitzen fünfgliederige, meist verbreiterte Tarsen. Die Netzaugen sind meist von beträchtlicher Größe und stoßen beim männlichen Geschlecht fast zusammen; allgemein finden sich drei Einzelaugen (Ocellen). Das Nervensystem besteht aus einem meist sehr komplizierten Gehirn und einem Bauchstrang mit 7–10 Ganglien. Der Darm ist gewöhnlich sehr lang, die Anzahl der Nierenschläuche (Malpighischen Gefäße) groß. Dem ausdauernden Flugvermögen entsprechend, sind die Tracheen sehr entwickelt; ihre Längsstämme bilden blasige Erweiterungen. Wo ein Giftstachel auftritt, sind fadenförmige oder verästelte Giftdrüsen und eine Giftblase vorhanden. Die Larven sind meist fußlos und leben entweder parasitisch im Leib von Insekten oder Pflanzen, oder in Bruträumen sowohl von pflanzlichen als von tierischen Stoffen. Nur die den Schmetterlingsraupen ähnlichen Larven der Blatt- und Holzwespen haben außer den 3 Paar Brustbeinen 6–8 Paar Hinterleibsbeine und leben selbständig von Blättern oder Holz. Die in Bruträumen (Zellen) [235] aufwachsenden Larven der Bienen, Wespen etc. werden zum Teil während des Heranwachsens gefüttert. Ihr sackartiger Magen endigt blind und kommuniziert nicht mit dem Enddarm, so daß eine Absonderung von Exkrementen im Larvenzustand nicht stattfindet. Zur Verpuppung spinnt die große Mehrzahl der Larven einen meist seidenartigen Kokon, die Puppe aber gleicht ganz derjenigen der Käfer. – Die äußerlich meist unscheinbaren und oft winzigen H. zeigen in ihrer Lebensweise die merkwürdigsten Erscheinungen und besonders eine hohe Entwickelung der intellektuellen Fähigkeiten. Sehr verschieden äußert sich namentlich die Sorge für die Brut. Die meisten Weibchen suchen nur passende Orte zum Ablegen der Eier: die Gallwespen durchbrechen die Oberhaut bestimmter Pflanzen und bringen das Ei in das innere Gewebe derselben; die Schlupfwespen stechen die Haut andrer Insekten an und legen die Eier in deren Leibesraum; andre legen die Eier in die Zellen von Bienen, Wespen, Hummeln, wo die ausschlüpfenden Larven entweder von den Bewohnern der Zellen oder von dem darin angehäuften Proviant leben. In vielen Fällen bauen die weiblichen H. Wohnungen für ihre Brut in Erde, Holz etc. und zwar für jedes Ei eine Zelle, welche mit tierischen oder pflanzlichen Stoffen als Lebensmitteln für die Larven gefüllt wird. Die aus letztern hervorgegangene neue Generation zerstreut sich aber bei einigen Arten nicht, sondern gründet gemeinsame Galerien und größere Wohnungen, und diese Arten bilden offenbar den Übergang zu jenen, welche in Gesellschaften mit einer auf Arbeitsteilung gegründeten staatlichen Einrichtung leben, wie Ameisen, zahlreiche Wespen, Hummeln und Honigbienen. Bei diesen reduziert sich die Zahl der eierlegenden Weibchen; dagegen sind geschlechtlich verkümmerte Weibchen (Arbeiter) vorhanden, welchen der Bau der Wohnungen, die Verteidigung, die Herbeischaffung von Nahrungsmaterial etc. obliegen. Die Arbeiter sind meist geflügelt, mit verkümmerten Geschlechts- und Begattungsorganen versehen und bei den verschiedenen Arten mehr oder minder häufig fähig, unbefruchtete, zu Männchen sich entwickelnde Eier zu legen. (Vgl. wegen der Einzelheiten die Art. Bienen, Wespen etc.)
Die Zahl der bis jetzt bekannten, über die ganze Erde verbreiteten H. beträgt etwa 15,000; doch ist dies jedenfalls nur ein geringer Bruchteil der überhaupt existierenden. Man unterscheidet: 1) Hymenoptera terebrantia, Weibchen mit einem meist frei hervorragenden Legebohrer versehen; Hinterleib gestielt oder sitzend; Larven entweder raupenähnlich und pflanzenfressend (Phytophaga), oder fußlos und in pflanzliche Gewebe (Gallen) eingeschlossen (Gallicola), oder endlich in Larven andrer Insekten schmarotzend (Entomophaga). Hierher unter andern die Familien der Blattwespen (Tenthredinidae), Holzwespen (Uroceridae), Gallwespen (Cynipidae), Chalcidier (Chalcididae) u. Schlupfwespen (Ichneumonidae). 2) Hymenoptera aculeata, Weibchen (und Arbeiter) mit einem in den Hinterleib zurückziehbaren Giftstachel versehen; Männchen meist mit 13-, Weibchen mit 12gliederigen Fühlern; Hinterleib gestielt. Die Weibchen (oder Arbeiter) füttern meist ihre fuß- und afterlosen Larven selbst und bauen gewöhnlich für sie eigne Nester oder Zellen. Hierher unter andern die Familien der Grabwespen (Crabronidae), Wespen (Vespidae), Goldwespen (Chrysididae), Bienen (Apidae), zu welchen auch die Hummeln gehören, und Ameisen (Formicidae). Vgl. Fabricius, Systema Piezatorum (Braunschw. 1804); Lepelletier de Saint-Fargeau, Histoire naturelle des insectes. Hyménoptères (Par. 1836–46, 4 Bde.); Dahlbom, Hymenoptera europaea (Lund 1845); Hartig, Die Aderflügler Deutschlands (Berl. 1837); Taschenberg, Die Hymenopteren Deutschlands (Leipz. 1866).
[Ξ]
Hautflügler. |
1 | 4 | 12 | 13 | ||||
5 | |||||||
2 | 6 | 7 | 14 | ||||
8 | |||||||
3 | 15 | ||||||
9 | 10 | 11 |
[WS 1]
[1] Birken-Knopfhornwespe (Cimbex betulae). (Art. Blattwespen.) – Weibchen und geöffneter Puppenkokon. Nat. Gr. – Männchen 3/1. – Larve. Nat. Gr.
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Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Die Nummerierung der Figuren ist in der Vorlage nicht vorhanden und wurde zur Orientierung eingefügt.