Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Wespen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 548
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Wespen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 548. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Wespen (Version vom 15.09.2022)

[548] Wespen (Vespariae Latr.), Familie aus der Ordnung der Hautflügler, den Bienen nahestehende Insekten mit schlankerm, fast nacktem, meist gelb, auch weiß geflecktem Körper, meist deutlich gebrochenen und nickenden Fühlern, nierenförmigen, innen stark ausgeschnittenen Augen, deutlichen Nebenaugen, langgezogenen, hervorstehenden Oberkiefern, mehr oder weniger verlängerten Unterkiefern und Unterlippe, an den Hinterbeinen mit einfacher Schiene und Metatarsus und in der Art zusammenfaltbaren Vorderflügeln, daß diese in der Ruhelage die Hinterflügel teilweise umfassen und zur Seite des Hinterleibs, ohne diesen zu bedecken, Platz greifen. Die Weibchen und, wo sie vorkommen, die verkümmerten Weibchen besitzen einen Wehrstachel. Sie nähren sich von Süßigkeiten, welche sie mit der meist kurzen Zunge auflecken, füttern die Larven aber mit Insekten, welche in zerkauten Bissen verabreicht werden. Man teilt die W., welche namentlich in den wärmern Erdstrichen vertreten sind, in drei Gruppen: 1) Schmarotzerwespen (Masaridae), von denen nur zwei Arten in Südeuropa vorkommen; 2) Lehm- oder Mauerwespen (Solitariae), nur Männchen und Weibchen; letztere bauen in Lehmwänden, steilen Abhängen, bisweilen auch in trocknen Pflanzenstengeln einzelne oder wenige unregelmäßig aneinander haftende Zellen und versorgen die Brut ein für allemal mit dem nötigen Vorrat von Larven; 3) Papierwespen (Vespidae), Männchen, Weibchen und Arbeiter, leben meist gesellig in gemeinsamen Bauten, in welchen die Arbeiter die Brut auffüttern. Die Mauerlehmwespe (Odynerus parietum L., s. Tafel „Hautflügler“), 6,5–13 mm lang, schwarz, an den Hinterleibsringen und am Vorderrand des Thorax gelb gesäumt, am Kopf gelb gefleckt und an den Beinen von der Hinterhälfte der Schenkel an gelb, erscheint Ende Mai, gräbt in einer alten Lehmwand oder in der Wand einer Lehmgrube eine etwa 10 cm tiefe Röhre und bildet aus dem mit Speichel befeuchteten und zu Klümpchen geballten Lehm vor dem Eingang der Wohnung ein sich herabneigendes Rohr. Sie trägt dann Larven von Blattkäfern, kleine Schmetterlingsraupen etc. ein, welche durch einen Stich gelähmt und willenlos werden, legt in die gefüllte Röhre ein Ei und verschließt die Öffnung mit Lehm. Die nach wenigen Tagen ausgeschlüpfte Larve nährt sich von dem vorgefundenen Futter, ist nach 3 Wochen erwachsen, überwintert in einem braunen, ziemlich festen Gespinst, verpuppt sich im Mai und schlüpft bald darauf aus. Die geselligen W. bauen einfache (nicht doppelte), mit den Öffnungen der Zellen nach unten gerichtete, papierartige Waben aus durchkauten und reichlich mit Speichel gemischten Pflanzenteilen. Bauplan und Anheftungsweise der Nester sind höchst mannigfaltig, und die in größern Gesellschaften beisammenwohnenden Arten umschließen in der Regel ihre Waben mit einer Hülle, wobei wieder mehrere Baupläne zu unterscheiden sind. Die Gattung Vespa L. umfaßt wenige bei uns einheimische Arten von sehr übereinstimmender Form und Farbenzeichnung; zahlreichere Arten finden sich in den gemäßigten und kältern Gegenden Amerikas, auch in Asien. Sie besitzen eine länglich viereckige, stumpf zweiteilige Unterlippe, beträchtlich längere Lippentaster, das Kopfschild randet sich oben und unten flach bogenförmig aus, die Kinnbacken sind vorn merklich breiter als hinten, schräg abgestutzt, an der untern Hälfte ihrer Kaufläche gezahnt. Der Hinterleib ist spindelförmig, an der Wurzel wie der Hinterrücken senkrecht abgestutzt. Die Hornisse (V. crabro L., s. Tafel „Hautflügler“), 22–26 mm lang, ist schwarz, mit rostrotem Kopf, rot gezeichnetem Thorax und bräunlichem Hinterleib, dessen Ringe breit gelb gerandet sind. Das überwinterte Weibchen beginnt im Mai den Bau des Nestes an einem Balken, in einem hohlen Baumstamm etc. und benutzt als Baumaterial grüne Rinde, besonders von jungen Eschen, welche sie oft ringsum abschält und dadurch wesentlich beschädigt. Sie baut sechsseitige, nach unten offene Zellen und, wie alle Arten der Gattung, gleichzeitig eine den ganzen Bau umgebende Hülle. Nach Vollendung weniger Zellen legt sie in jede ein Ei und trägt für die nach 5 Tagen ausschlüpfende Larve Futterbrei aus zerkauten Insekten ein, welchen sie gleichmäßig unter die Larven verteilt. Nach weitern 9 Tagen ist die Larve erwachsen, schließt die Zelle selbst mit einem halbkugeligen Gespinst, umgibt sich mit einem glasartigen Gewebe und verpuppt sich. Nach 14 Tagen schlüpft dann die junge Wespe aus. Die zuerst erscheinenden Hornissen sind Arbeiterinnen, welche sich eifrig am Bau des Nestes beteiligen, so daß dieses einen Umfang von ca. 0,5 m erreicht und dann aus mehreren Etagen besteht, die durch Säulchen miteinander verbunden sind. Die Tafeln stehen etwa um eine Zellenlänge voneinander ab, und der ganze Bau ist nahezu kugelförmig, unten und seitlich ein Mantel mit einer Öffnung zum Aus- und Einfliegen, an welcher Wachen stehen, um bei drohender Gefahr die Einwohner zu benachrichtigen, welche sich mit Wut auf den Angreifer stürzen und sehr empfindlich stechen. Im Herbst erscheinen auch Männchen und fruchtbare Weibchen, und nachdem dann die Pärchen sich zusammengefunden, wird die noch vorhandene Brut herausgerissen, und die Gesellschaft zerstreut sich und geht zu Grunde bis auf die befruchteten überwinternden Weibchen. Andre Arten bauen ihre Nester unter der Erde, wieder andre, wie die Waldwespe (V. silvestris Scop.), im Laub der Bäume und Sträucher. Die französische Papierwespe (Polistes gallica L., s. Tafel „Hautflügler“), 13 mm lang, schwarz, matt, am ganzen Körper reichlich, aber veränderlich gelb gezeichnet, fliegt in Südeuropa und Deutschland und baut in einem Busch oder unter einem Mauervorsprung ein aus wenigen Zellen, die zuletzt eine hüllenlose Rosette bilden, bestehendes Nest. Bei dieser Art ist nachgewiesen, daß die Männchen, wie bei den Bienen, durch Parthenogenesis aus unbefruchteten Eiern entstehen. Vgl. de Saussure, Études sur la famille des vespides (Par. 1852–57, 3 Bde.); Möbius, Die Nester der geselligen W. (Hamb. 1856).