Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Hardenberg“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 154156
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Hardenberg. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 154–156. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Hardenberg (Version vom 30.04.2022)

[154] Hardenberg, 1) Albert, eigentlich Rizäus, geb. 1510 zu Hardenberg in Overyssel, trat ins Kloster Aduard bei Groningen, studierte in Löwen und ward durch Johannes a Lasko (s. d.) für die Reformation gewonnen; 1540 wurde er zu Brüssel wegen Ketzerei angeklagt und 1544 auf Melanchthons Empfehlung von dem reformatorisch gesinnten Erzbischof Hermann von Wied in Köln als Hofprediger und Pastor zu Kempen angestellt. Nach dem Scheitern der Kölner Reform kam H. 1547 nach Bremen als Domprediger, von welcher Stelle ihn 1561 die strengen Lutheraner vertrieben, was jedoch nicht verhinderte, daß seine freiere Anschauung sich in der Bürgerschaft Bahn brach, so daß Bremen die Annahme der Konkordienformel verweigerte. H. starb 1574 als Pastor in Emden. Vgl. Spiegel, Dr. Albert Rizäus H. (Brem. 1869).

2) Friedrich August von, Minister, geb. 30. Okt. 1700 zu Oberwieberstadt, ward in Halle erzogen, wo er auch die Rechte studierte, unternahm 1722 eine längere Reise nach Frankreich, England und Italien, trat nach seiner Rückkehr in fürstliche Dienste, ward erst braunschweigischer, dann württembergischer Kammerjunker, 1727 Regierungsrat, dann Kammerpräsident in Württemberg und bemühte sich mit Eifer und Erfolg, Handel und Finanzen des Landes zu heben. Herzog Karl Alexander ernannte ihn zum Gesandten und Oberhofmarschall; die mächtige Süßsche Partei verdrängte ihn aber aus der Gunst des Herzogs, und H. zog sich 1734 auf sein Gut Schlöben zurück. Nach dem Sturz der Süßschen Partei ward er 1741 wieder in den württembergischen Staatsdienst zurückgerufen und übte bis zu seiner zweiten Entlassung 1755 auch unter Herzog Karl Eugen, den er auf seiner Reise nach Italien begleitete, auf die innern wie auf die auswärtigen Verhältnisse einen großen Einfluß aus. 1755 trat er als Minister in die Dienste des Landgrafen Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel und wirkte in dieser Stellung für eine protestantische, preußische Politik. Nachdem sein Plan, während des Siebenjährigen Kriegs eine Union aller evangelischen Fürsten zu stande zu bringen, gescheitert war, bewog er den Landgrafen zum Bündnis mit Friedrich d. Gr., dem derselbe auf Hardenbergs Rat auch trotz wiederholter Okkupation seines Landes und der französischen Verlockungen standhaft treu blieb. Nach Wilhelms VIII. Tod von dem Nachfolger, Landgrafen Friedrich, 1761 entlassen, ward er vom König Georg III. zum Minister des Kurfürstentums Hannover ernannt. Er starb 15. Sept. 1768 in Hannover. Vgl. „F. A. v. H., ein kleinstaatlicher Minister des 18. Jahrhunderts“ (Leipz. 1877), ein interessantes Buch, das anziehende, wichtige Tagebücher und Briefe Hardenbergs enthält.

3) Karl August, Fürst von, einer der ausgezeichneten preuß. Staatsmänner, geb. 31. Mai 1750 zu Essenroda im Hannöverschen, studierte in Leipzig und Göttingen, ward 1770 als hannöverscher Kammerrat beim Reichskammergericht in Wetzlar beschäftigt, verweilte dann zu Regensburg, Wien und Berlin und besuchte zu seiner weitern Ausbildung Frankreich, Holland und England. Nach seiner Rückkehr (1778) erhielt er den Charakter eines Geheimen Kammerrats und den Grafentitel und ging als Gesandter nach Holland. Infolge eines Privatzwistes mit dem Prinzen von Wales schied er 1782 aus dem hannöverschen [155] Dienst und trat in den des Herzogs von Braunschweig, der ihn zum Wirklichen Geheimen Rat, 1787 zum Präsidenten des Kammerkollegiums und 1789 zum Großvogt des Residenzamtes Wolfenbüttel ernannte. Nach Friedrichs II. Tod überbrachte er das in die Hände des Herzogs von Braunschweig niedergelegte Testament des verstorbenen Königs an Friedrich Wilhelm II., wodurch er dessen Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Von diesem 1790 dem Markgrafen von Ansbach und Baireuth als Minister für seine Länder empfohlen, trat H., als der Markgraf 1791 die Regierung niederlegte, mit Beibehaltung der Verwaltung der fränkischen Fürstentümer in das preußische Staatsministerium ein. Seine Thätigkeit in Ansbach und Baireuth war eine sehr segensreiche, da er ein außergewöhnliches Verwaltungstalent bekundete. 1795 unterhandelte er den Frieden zwischen Frankreich und Preußen zu Basel, vollendete hierauf die Organisation der Fürstentümer Ansbach und Baireuth und erhielt nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. (1797) im Ministerium die Leitung aller fränkischen, auswärtigen, Hoheits- und öffentlichen Angelegenheiten sowie die Lehnssachen, worauf er 1800 Chef des magdeburg-halberstädtischen und 1802 Chef des westfälischen Departements und des von Neuchâtel sowie zugleich Kurator der Kunst- und Bauakademie ward. Als Graf Haugwitz, Minister des Auswärtigen und Urheber der preußischen Neutralität, abdankte, trat H. 1803 provisorisch und 1804 definitiv an seine Stelle und beobachtete ebenfalls, obwohl er sich England mehr zu nähern suchte, eine strenge Neutralität festhaltende Politik. Als indes Preußen sich durch die Verträge vom 15. Dez. 1805 und 15. Febr. 1806 ganz an Frankreich anschloß, wurde H., der sich überdies Napoleons Haß zugezogen, 24. April auf unbestimmte Zeit beurlaubt, und Haugwitz trat wieder an seine Stelle. Nach der Schlacht bei Jena folgte er seinem Monarchen nach Preußen und übernahm im April 1807 an Stelle Zastrows wieder das Portefeuille des Auswärtigen, das er indes bloß bis Anfang Juli behielt, da Napoleon Hardenbergs Entlassung als Vorbedingung des Tilsiter Friedens forderte. Er lebte dann auf seinem Gute Tempelhof bei Berlin, bis er nach Steins Rücktritt 6. Juni 1810 zur Würde eines Staatskanzlers berufen wurde. Hiermit begann die glänzendste Periode seines staatsmännischen Wirkens. Notgedrungen schloß er sich anfangs in seiner äußern Politik möglichst eng an Frankreich an; im Innern aber führte er die Reformen durch, die so segensreich für die spätere Neugestaltung der preußischen Monarchie wurden. Als endlich nach dem Rückzug des französischen Heers aus Rußland der günstige Zeitpunkt für eine Erhebung Preußens gekommen zu sein schien, drängte er vor allem auf eine rasche Entscheidung und einen unbedingten Anschluß an Rußland und versäumte, nur die Hauptsache im Auge, die genauere Festsetzung der Bedingungen für Preußens Wiederherstellung. Während des ganzen Kriegs von 1813 und 1814 leitete er die preußische Politik, unterzeichnete den Pariser Frieden und wurde 3. Juni 1814 in Paris in den Fürstenstand erhoben, wobei ihm zugleich die aus der ehemaligen Komturei Lietzen und dem Amt Quilitz gestiftete Standesherrschaft Neuhardenberg verliehen wurde. Er begleitete darauf die drei verbündeten Monarchen nach London, verteidigte in den Verhandlungen des Wiener Kongresses die Ansprüche Preußens gegen unerwartete Angriffe von seiten Österreichs, Englands und Frankreichs, obwohl nicht immer mit Erfolg, und nahm wesentlichen Anteil an den Verträgen zu Paris von 1815. Im J. 1817 organisierte er den Staatsrat und wurde zum Präsidenten desselben ernannt, wohnte dann den Kongressen zu Aachen (1818), Karlsbad und Wien (1819), Troppau (1820), Laibach (1821) und Verona (1822) bei, machte von hier aus zur Herstellung seiner Gesundheit eine Reise durch Norditalien, erkrankte aber zu Pavia und starb 26. Nov. 1822 in Genua.

Hardenbergs äußere Politik war von richtigen Prinzipien geleitet; ihr Ziel war Preußens Größe und Deutschlands Wiederaufrichtung. Indessen sein Leichtsinn, der auch in seinem Privatleben zu seinem Nachteil hervortrat, seine weltmännische Liebenswürdigkeit, die oft in allzu große Nachgiebigkeit ausartete, beeinträchtigten die Erfolge derselben und führten ihn unter dem Einfluß der Heiligen Allianz und Metternichs zuletzt auf Wege, die er selbst im Grund mißbilligte. Seine innere Politik war eine Politik des Wiederaufbauens, die bis zu einem gewissen Punkt untadelhaft dasteht. Schon auf dem Kongreß zu Wien war H. als eifriger Verteidiger des konstitutionellen Systems aufgetreten. Unter seiner Einwirkung erschien das königliche Edikt vom 22. Mai 1815, worin eine Verfassungsurkunde und die Anordnung einer Volksrepräsentation versprochen ward. Aber auch hier ließ er die nötige Energie zur Durchführung seines Plans vermissen. Die Jahre 1815 und 1816 verflossen, ohne daß das Versprechen gelöst wurde. Der Staatskanzler sicherte zwar den Rheinlanden ihre Institutionen und förderte das Verwaltungswesen der östlichen Provinzen; auch veranlaßte er den Zusammentritt einer Kommission zur Entwerfung der Verfassungsurkunde, doch wurden derselben keine Vorlagen gemacht. H. konnte die reaktionären Strömungen im Rate des Königs nicht überwinden, blieb aber trotzdem, um Schlimmeres zu verhüten, im Amt, wodurch er freilich weder sich selbst noch dem Land Nutzen erwies. Vgl. Klose, Leben Karl Augusts, Fürsten von H. (Halle 1851); Ranke, Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von H. (Leipz. 1877, 5 Bde.); der 1. und 4. Band dieses Werkes enthält eine von Ranke verfaßte Biographie Hardenbergs bis 1813, Band 2 und 3 „eigenhändige Memoiren“ desselben über seine Leitung der auswärtigen Politik Preußens 1803–1807, welche diese jedoch in einem zu günstigen Licht erscheinen lassen und mit den Originalakten nicht durchaus übereinstimmen; der 5. Band enthält Aktenstücke. Ein weitschichtiges Werk Schölls über H. wird im Manuskript im Staatsarchiv zu Berlin aufbewahrt. Vgl. noch E. Meier, Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und H. (Leipz. 1880).

4) Friedrich von, Verwandter des vorigen, als Dichter unter dem Namen Novalis bekannt, geb. 2. Mai 1772 zu Wiederstedt, dem Familiengut im Mansfeldischen, erhielt im elterlichen Haus eine vortreffliche Erziehung, die durch ihren religiösen Grundcharakter (die Eltern gehörten der Brüdergemeinde an) von nachhaltigem Einfluß auf sein Gemütsleben war, besuchte seit 1789 das Gymnasium zu Eisleben, studierte seit 1790 in Jena, wo er Fichte und Schlegel kennen lernte, dann in Leipzig und Wittenberg Rechtswissenschaft und begab sich 1793 zur Übung in den praktischen Geschäften nach Arnstadt. Hier lernte er die in seiner Dichtung gefeierte 13jährige Sophie v. Kühn kennen, mit der er sich 1796 verlobte, nachdem er kurz zuvor als Auditor bei den Salinen nach Weißenfels übergesiedelt war. Nach dem frühen Tod seiner Braut (19. März 1797) widmete er sich dann 1797–99 in Freiberg unter Werner noch dem Studium der Bergwissenschaften und verlobte sich hier im [156] Frühling 1800 ein zweites Mal mit der Tochter des Berghauptmanns Charpentier. Bald darauf wurde er zum Amtshauptmann in Thüringen designiert, konnte aber sein Amt nicht antreten, da er, von Jugend auf kränklich, langsam hinsiechte. Er starb 25. März 1801 in Weißenfels. Schon in Weißenfels war er mit dem Kreis der romantischen Dichter (Schlegel, Tieck etc.), welche damals in Jena lebten, in engern Verkehr getreten. Ein Mensch von seltener Seelenreinheit, ein phantasiereicher und tiefsinniger Theosoph, der als der „Prophet der romantischen Schule“ bezeichnet wird, hat es H. mit der Absicht, Leben und Poesie, Wissenschaft und Religion in eins zu schmelzen, so ernst genommen wie keiner der übrigen Romantiker. Sein Roman „Heinrich von Ofterdingen“ (hrsg. von J. Schmidt, Leipz. 1876), obschon unvollendet geblieben, legt davon Zeugnis ab. Er stellte sich darin die Aufgabe, „mit dem Geiste der Poesie, alle Zeitalter, Stände, Gewerbe, Wissenschaften und Verhältnisse durchschreitend, die Welt zu erobern“. Das Ganze sollte eine Apotheose der Poesie sein. Allein bei der Ausführung versagte ihm die darstellende Kraft und so, wie der Roman vorliegt (nur der erste Teil ist vollendet), treibt er bei schönen Einzelheiten (wir erinnern an die eingestreuten Lieder und die Schilderung von Heinrichs und Mathildens Liebe) ein unerquickliches Versteckenspielen mit der „blauen Blume“ der Poesie, ohne daß man ihren Farbenglanz und Duft jemals recht zu genießen bekommt. Bei H. ist alles in ein dunstiges Dämmerlicht gehüllt; er wendet sich vom hellen und geräuschvollen Tag weg zur Nacht, die er in mystisch-tiefen Hymnen so schön feiert. Am reinsten spricht sich des Dichters Wesen und seine christliche, nicht kirchlich bedingte Richtung in den „Geistlichen Liedern“ aus, dem Einzigen, was er fertig und vollendet hinterlassen hat. Seine „Sämtlichen Schriften“ gaben L. Tieck und Fr. Schlegel heraus (Berl. 1802, 2 Bde.; 5. Aufl. 1838; Bd. 3, 1846); die „Gedichte“ erschienen besonders (das. 1857; hrsg. von Beyschlag, 3. Aufl., Leipz. 1885). Vgl. „Friedrich v. H., genannt Novalis. Ein Nachlaß aus den Quellen des Familienarchivs“ (2. Aufl., Gotha 1883); „Novalis’ Briefwechsel mit Friedrich und Aug. Wilh., Charlotte und Karoline Schlegel“ (hrsg. von Raich, Mainz 1880).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 419
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[419] Hardenberg, 4) Friedrich von (Novalis), Dichter. Sein Leben beschrieb A. Schubart (Gütersl. 1887).