Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Geiserich“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 7 (1887), Seite 2627
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Geiserich. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 26–27. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Geiserich (Version vom 16.02.2023)

[26] Geiserich (auch Genserich), König der Vandalen, unechter Sohn des Königs Godegisel aus dem Haus der Asdingen, der 406 fiel, ward, obgleich nur von mittlerer Statur und hinkend, wegen seiner kriegerischen Tüchtigkeit 427 vom Heer als Nachfolger seines Bruders Guntherich auf den Thron erhoben. Der Einladung des afrikanischen Statthalters Bonifacius, der sich gegen seinen am römischen Hof mächtigen [27] Feind Aetius dadurch zu verstärken suchte, Folge leistend, führte G. (429) 50,000 Mann nach Afrika über, wo er sogleich Mauretanien in Besitz nahm und die Gründung einer eignen Herrschaft begann. Vergeblich suchte jetzt Bonifacius seiner Festsetzung und seinem weitern Umsichgreifen Einhalt zu thun; nach wiederholten Niederlagen, und nachdem er die Stadt Hippo Regius 14 Monate verteidigt hatte, mußte er Afrika G. überlassen, der das Land auf das furchtbarste verwüstete und gegen die römischen Einwohner grausam wütete. Der römische Hof schloß 435 mit G. einen Vertrag, durch welchen dieser Westnumidien und Mauretanien erhielt; nur Karthago blieb den Römern, bis G. 18. Okt. 439 auch diese Stadt mitten im Frieden wegnahm und zum Mittelpunkt seiner Herrschaft machte. Binnen kurzer Zeit schuf er sich nun eine furchtbare Seemacht, mit der er Raub- und Plünderungszüge nach allen Seiten unternahm, und erschien, von der Kaiserin Eudoxia, welche Maximus, den Mörder ihres Gemahls Valentinian III., zu heiraten gezwungen worden war, nach Italien gerufen, 12. Juni 455 vor Rom. Papst Leo I., der dem Sieger bittend entgegenging, erhielt zwar das Versprechen der Schonung für die Kirchen und das Leben der Einwohner, konnte aber die Stadt nicht vor 14tägiger Plünderung schützen, welche G. eine ungeheure Beute einbrachte. Eudoxia selbst ward mit ihren Töchtern gefangen nach Afrika geführt und in einem Kerker zu Karthago bis 462 gefangen gehalten; ihre Tochter Eudocia vermählte G. mit seinem Sohn Hunerich. In den folgenden Jahren unterwarf er seiner Herrschaft auch die Inseln des Mittelmeers, Sizilien, Sardinien, Corsica und die Balearen, von denen er nur Sizilien gegen einen Tribut 476 Odoaker wieder abtrat. Selbst die Küsten Thrakiens, Ägyptens und Kleinasiens verheerte er, schlug die Armee des Kaisers Leo und verbrannte 468 seine Flotte, worauf Leos Nachfolger Zeno 475 mit G. Frieden schloß. G. starb im Januar 477, beladen mit dem Fluch seiner Zeitgenossen. Er war zwar klug und energisch, ein großer Kriegsheld und ein bedeutender Politiker: aber er erhob sich nicht über das wilde und barbarische, jeder feinern Kultur abholde Wesen seiner Volksgenossen, den „Vandalismus“. Nicht selten ein grausamer Wüterich, wenn auch gewiß nicht aus Grundsatz, so doch aus Leidenschaft, ließ er die vor ihm reichen und blühenden Distrikte Nordafrikas verfallen; in der rohen Wildheit seines Volkes sah er das beste Mittel gegen die verkommene Zivilisation der römischen Welt, die er verachtete. Mad. Deshoulières wählte ihn zum Helden einer Tragödie.