Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Feuerdienst“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 204205
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Feuerdienst. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 204–205. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Feuerdienst (Version vom 16.02.2024)

[204] Feuerdienst (Pyrolatrie), die Verehrung des Feuers als einer geheimnisvollen Macht (Urelement, Daseinsprinzip) an sich oder als Symbol und Erscheinungsform übersinnlicher Wesen. In niedrigster, an den Fetischdienst streifender Gestalt, bei welcher die Flamme als ein lebendiges, bald wohlthätiges, bald zerstörendes Wesen betrachtet wird, fand sich diese Verehrung bei den meisten Naturvölkern, die den Gebrauch des Feuers überhaupt besaßen. Man sucht das verzehrende Element zu versöhnen und bei guter Laune zu erhalten, damit es nicht die Wohnungen zerstöre, indem man ihm Fettstoffe etc. zur Nahrung bietet. Eine etwas veredelte Form stellt der auf die meisten indogermanischen Völker übergegangene F. der alten Inder dar: auch hier ist die Flamme der Gott Agni (Ignis) selbst, der, durch Reiben und Quirlen zweier Hölzer zur Erde herabgerufen, in der Hütte der Hirten erscheint, mit tiefer Verehrung empfangen wird und, nachdem er mit Butter erquickt, die Gebete der Frommen entgegennimmt, um sie als Mittler, als Freund der Götter emporzutragen. Immer noch an das Feuer direkt, aber in noch mehr vertiefter Form knüpft sich der griechisch-römische Kult des Feuers als des weltschöpferischen und kulturbringenden Elements an die Verehrung der Gottheit des häuslichen Herdes und des Erdfeuers (Hestia oder Vesta), zu welcher sich die Verehrung des göttergleichen Prometheus gesellte, welcher das Feuer dem Menschen vom Himmel gebracht, d. h. das Feuererzeugen gelehrt, hatte. Als weiteres, sekundäres Erzeugnis der menschlichen Phantasie treten uns dann die im Rate der übrigen Götter sitzenden Personifikationen des Feuers als allgemeinen Naturprinzips entgegen, wobei bald die eine Erscheinungsform, bald die andre in den Vordergrund tritt, so z. B. der Vulkanismus und das Schmiedegewerbe beim Hephästos und Vulkan, die Sonnenglut im Dienste des altmexikanischen und peruanischen Feuergottes, das Blitzfeuer etc. Hierher gehören der ägyptische Phtha, der Baal zu Tyros, der Moloch der Kanaaniter etc., die oft als die ältesten oder Hauptgötter bezeichnet wurden, wie denn bei den Aino der Feuergott es ist, zu dem man sich in allen Angelegenheiten zuerst wendet, der Feuer-Manitu der Delawaren über allen andern Manitus steht etc. Wenn daher auch dem Feuergott als dem furchtbarsten meist die wertvollsten Opfer dargebracht wurden (dem Moloch Menschenopfer) und er bei der Reformation der meisten ältern Kulte in einen feindseligen, aus dem Himmel geworfenen und darum hinkenden, in der Erde angeschmiedeten Dämon verwandelt wurde, wie Ahriman der Perser, Ahi der Inder, Loki der Skandinavier, Luzifer der Christen: so läßt sich nicht leugnen, daß in den Religionen, die sich zum mehr oder weniger reinen Monotheismus aufgeschwungen haben, auch dem höchsten Gott fast stets einige Züge des Feuergottes anhafteten. So erscheint Ormuzd als Feuer und spricht aus der Flamme wie Jehovah, als er die zehn Gebote gab; Jupiter erscheint auf Bitten der Semele als verzehrendes Feuer etc. Die ewigen Feuer der Perser, Ägypter, Chaldäer, Phöniker, Juden etc. in den Tempeln ihrer höchsten Götter erklären sich hiernach von selbst. Auch im Parsismus (s. d.) wird die Flamme ausdrücklich nur als Symbol des Ormuzd angesehen und nur als solches von den Feueranbetern verehrt. Ihr Leuchten, Nach-oben-streben, ihre reinigende Kraft machten sie vor allen andern Dingen geeignet, als Symbol der Gottheit zu dienen. In allen Teilen der Erde, in Mexiko wie in Peru, in Indien wie in Deutschland und Gallien, in Griechenland und Rom, überall ging [205] der F. in gleichen, für seinen Ursprung tief bedeutsamen Formen vor sich; überall nämlich durfte das heilige Feuer des Altars nicht von anderm Feuer genommen werden, sondern wurde durch Quirlen trockner Hölzer, in Griechenland und Rom auch mit Hilfe der Brenngläser, als „jungfräuliches Urfeuer“ erzeugt, und diese Flamme mußte dann mit keuschen Händen gepflegt werden, damit sie nicht erlösche bis zum nächsten Jahresfest, wo unter denselben Zeremonien die Erneuerung vorgenommen wurde. Die Parsen benutzen brennbare Gase und Erdöldünste, die dem Boden entsteigen, als vorzugsweise heiliges Material für solche ewige Feuer und haben an Stätten, wo derartiger Brennstoff dem Boden entquillt, Tempel errichtet, wie z. B. zu Baku auf der Halbinsel Apscheron, wo die ewigen Feuer, weithin leuchtend, aus den Kuppeln der Gebäude hervorbrechen. Mit der größten Sorgfalt wird dieses Feuer vor Verunreinigung gehütet; es darf z. B. nicht mit dem Mund angeblasen werden, und der Priester nähert sich ihm nur mit einem Tuch vor dem Mund. Es ist bekannt, daß bei den Römern das Verlöschenlassen des Vestafeuers, welches angeblich die Unkeuschheit ihrer Hüterin bezeugte, durch Lebend-begraben-werden bestraft wurde, während anderseits die treue Hüterin ein fast königliches Ansehen genoß und unter andern Vorrechten das sonst der Majestät vorbehaltene Begnadigungsrecht ausübte für alle Delinquenten, denen sie auf ihrem Weg begegnete. In Deutschland haben sich Spuren der jährlichen Erneuerung des Opferfeuers in dem durch Reibung von Hölzern entzündeten Oster- und Johannisfeuer sowie dem sogen. heilenden Notfeuer (s. d.), einer an den uralten F. der Inder erinnernden Zeremonie, bis in unser Jahrhundert erhalten. Vgl. Kuhn, Die Herabkunft des Feuers und des Göttertranks bei den Indogermanen (2. Aufl., Berl. 1886). Vgl. auch Schlangendienst.