Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Fayence“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 83
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Fayence. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 83. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Fayence (Version vom 29.11.2022)

[83] Fayence (Faience, franz., spr. fajāngs), allgemeine Bezeichnung für feinere, oft verzierte Thonwaren mit porösem, an der Zunge klebendem Scherben und einer Glasur aus durchsichtigem oder undurchsichtigem Bleiglas, unterscheidet sich vom ordinären Geschirr nur durch feineres Material und sorgfältigere Bearbeitung. Der Name wird von der italienischen Stadt Faenza hergeleitet, wo man im 15. und 16. Jahrh. weiße, glänzende, wie poliert erscheinende Geräte aus porösem Thon fabrizierte. Als diese Fabrikation im 16. Jahrh. zu Nevers in Frankreich eingeführt wurde, soll der Namen F. entstanden sein. Näheres s. Thonwaren.

Fayence (spr. fajāngs), Flecken im franz. Departement Var, Arrondissement Draguignan, mit Fayencefabrikation, welche wahrscheinlich aus Italien (Faenza) hierher verpflanzt wurde und dem Orte den Namen gab, und (1876) 980 Einw.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 292293
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[292] Fayence von St.-Porchaire. Die zierlichsten Erzeugnisse der französischen Keramik des 16. Jahrh., bekannt unter dem Namen der Fayencen von Oiron oder auch als Henri-deux-Ware, haben in letzter Zeit eine neue Bezeichnung erhalten. E. Bonnaffé hat die Frage nach ihrer Herkunft von neuem aufgenommen und ist zu dem Resultat gelangt, daß die Stadt St.-Porchaire in Poitou die Heimat dieser Meisterwerke der Kleinkunst ist. Als man vor 50 Jahren etwa begann, sie zu sammeln, herrschte über ihre Herkunft vollständiges Dunkel; nur das Eine stand fest, daß es französische Arbeiten waren. Die Formen der Kannen, Leuchter und Salzfässer, namentlich aber die auf fast allen Stücken angebrachten Wappen und Symbole ließen darüber keinen Zweifel. Die letztern ermöglichten es auch, die Heimat näher auf die Provinzen Poitou und Vendée zu begrenzen und als Entstehungszeit die erste Hälfte des 16. Jahrh., speziell die Regierung der Könige Franz’ I. und Heinrichs II. zu fixieren. Das häufige Vorkommen der Wappen Heinrichs II. und der Monogramme des Königs und seiner Geliebten Diana von Poitiers war auch der Grund zu der jetzt gebräuchlichen Benennung Henri II-Ware. Die Wertschätzung dieser Kunstwerke stieg schnell; französische und englische Sammler und Museen machten sich den Besitz der seltenen, auf den Kunstmarkt kommenden Stücke streitig. Einige Prachtexemplare haben daher ungeheure [293] Preise erzielt, so auf der Auktion Hamilton eine Schale 32,000 Fr., ein Leuchter mit dem Wappen des Connétable Anne de Montmorency 91,875 Fr. Die Höhe der Preise ist zumeist durch die Seltenheit verursacht, es sind nicht viel mehr als 70 Stück bekannt geworden. Man muß aber auch zugeben, daß diese Fayencen zu den reizvollsten und eigenartigsten Produkten der Keramik überhaupt zu rechnen sind. Ihre feine gelbliche Masse ist mit durchsichtiger Glasur überzögen. Die Ornamente sind vorwiegend Arabesken und Bandverschlingungen, wie sie sich in der Buchausstattung des 16. Jahrh. ausgebildet haben. Sie werden mit großer Genauigkeit und Schärfe in die Masse eingepreßt und mit dunkelbraunem Thon ausgefüllt. Zum Flachornament treten Guirlanden, Engelsköpfe, Kartuschen und Knabenfiguren, die in Relief ausgeführt sind. Allem Anschein nach sind sie nicht frei modelliert, sondern aus Formen gepreßt. Von Bemalung wird nur ganz bescheidener Gebrauch gemacht; in der Regel sind nur die die Wappen umrahmenden Kränze leicht in Grün getönt. Die erste Hypothese über ihre Herkunft stellte B. Fillon 1864 auf. Danach sollen sie in einer urkundlich genannten Töpferei bei Schloß Oiron in Poitou unter der Leitung der Schloßherrin Helene v. Hengist-Genlis und ihres Bibliothekars Jean Bernart nicht für den Gebrauch oder Handel, sondern nur als Geschenke gearbeitet worden sein. Die Mitarbeiterschaft Bernarts erklärte die sonst in der Keramik nicht vorkommenden Buchornamente, der mehr dilettantische Betrieb die geringe erhaltene Zahl und die originellen Formen. Die Schwächen der Oironhypothese, ihren Mangel an strikten Beweisen hat Bonnaffé dargelegt („Gazette des Beaux-arts“, 1888). Er gründet seine neue Annahme auf ein Besitzinventar eines François de la Trémoille vom Jahre 1542. Darin werden Fayencen von St.-Porchaire genannt. In der Gegend von St.-Porchaire wurde die Mehrzahl der heute bekannten Stücke gefunden. Der in St.-Porchaire gegrabene Thon ist mit der Masse der Henri II-Gefäße identisch. St.-Porchaire gehörte zum Gebiete der Herren von Laval-Montmorency, und die ältesten Exemplare tragen die Wappen dieser Familie. Bonnaffé hat daher den überlieferten Namen für kostbare Fayencen aus der ersten Hälfte des 16. Jahrh. mit den namenlosen Fayencen derselben Gegend und Zeit kombiniert. Obwohl hier noch ein fester Beweis fehlt, ist doch die Bestimmung von Bonnaffé vorzuziehen.