MKL1888:Fahren
[1019] Fahren, die an ein Fuhrwerk gespannten Zugtiere leiten, bedingt eine gewisse Geschicklichkeit, wozu außer einer genauen Kenntnis von dem Bau der Fuhrwerke und Geschirre, um diese im Notfall selbst ausbessern zu können, Ruhe, Besonnenheit und Entschlossenheit unerläßlich notwendig sind. Im Altertum, wo man sich in Schlachten der Streitwagen bediente, von welchen aus selbst Könige und Fürsten kämpften, war das Geschäft des Wagenlenkens besonders unter den Assyrern, Babyloniern, Ägyptern und Griechen ein hochwichtiges, von welchem nicht selten die Freiheit und das Leben des Fürsten abhingen, und dem sich in der Regel die Vornehmsten unterzogen. Im alten Griechenland genoß das Wagenrennen bei den Festspielen hohes Ansehen. Als aber später die Streitwagen abkamen, hörte auch das F. auf, eine Beschäftigung der Vornehmen zu sein, und bei den Römern war es daher nur bei besondern Veranlassungen, wie bei Triumphzügen u. dgl., gewöhnlich, daß der Triumphator die Zügel selbst führte. Dennoch gaben die Wettfahrten in den Zirkussen zu Rom und Konstantinopel der Kunst zu fahren einen bedeutenden Aufschwung. Weniger Bedeutung hatte das F. im Mittelalter, wo das Reiten vor allem geschätzt und das Fuhrwerk in der Regel zu schlecht war, und noch mehr sank das Ansehen dieser Kunst seit dem 17. Jahrh., als es, namentlich unter Ludwig XIV., Mode wurde, sich von bepuderten Kutschern mit hohen Perücken und gewaltigen Haarbeuteln fahren zu lassen, während selbst zu fahren für höchst gemein galt. In England indessen hat sich die Sitte, selbst zu fahren, vorzüglich unter dem Landadel erhalten und von da aus seit Ende des vorigen Jahrhunderts auf dem Kontinent weiter verbreitet, so daß es jetzt für fashionabel angesehen wird, seinen Zug selbst zu leiten und namentlich unter der Aristokratie in Ungarn, Österreich und Deutschland ausgezeichnete Rosselenker zu finden sind. Für die besten Kutscher werden die russischen gehalten, welche mit 3–4 nebeneinander gespannten Pferden, denen sie nur freundlich zureden, über Stock und Stein jagen, ohne anzustreifen oder umzuwerfen; für die schlechtesten gelten die französischen. Über Fahrgeschwindigkeit s. Geschwindigkeit. Vgl. Hamelmann, Die Fahrkunst (3. Aufl., Leipz. 1884); Heinze, Pferd und Fahrer (2. Aufl., das. 1886); v. Heydebrand, Handbuch des Fahrsports (Wien 1883).