Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Etienne“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 886
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Etienne. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 886. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Etienne (Version vom 05.03.2022)

[886] Etienne, 1) Charles Guillaume, dramatischer und politischer Schriftsteller, geb. 6. Jan. 1778 zu Chamouilly (Obermarne), kam 1796 nach Paris ohne andre Hilfsmittel als sein vorteilhaftes Äußere und seinen glänzenden Esprit, war zuerst als Buchhalter thätig, schrieb dann für Zeitungen und verfaßte endlich teils allein, teils in Verbindung mit andern eine Anzahl Theaterstücke, die eine äußerst beifällige Aufnahme fanden. Dadurch gewann er die Gunst des Herzogs von Bassano, der ihn zu seinem Sekretär und Reisebegleiter machte, wurde dann unter dem Kaiserreich Zensor und Chefredakteur des „Journal de l’Empire“ und Nachfolger Esménards als Chef des Preßbüreaus und 1811 Mitglied der Akademie. Unter der Restauration fiel er in Ungnade und wurde sogar aus der Akademie gestoßen; er nahm von nun an seinen Platz in den Reihen der Opposition, wurde Redakteur des „Constitutionnel“ und schrieb eine Menge der geistreichsten und witzigsten Artikel, besonders die „Lettres sur Paris“. 1822 und 1827 erhielt er ein Mandat als Deputierter und ward der populärste und gefeiertste Kämpfer für politischen Liberalismus; 1829 wurde er wieder in die Akademie aufgenommen und trat sogleich als entschiedener Gegner der romantischen Schule auf; 1830 verfaßte er die Adresse der 221 Deputierten, deren Protestation die Julirevolution veranlaßte; 1839 ward er zum Pair erhoben. Er starb 13. März 1848. Schon sein erstes Lustspiel: „Le rêve“ (1799), noch mehr „La jeune femme colère“ (1804) und „Brueys et Palaprat“ (1807) legen Zeugnis ab von seiner glänzenden Phantasie, seinem eleganten, klaren Stil und seiner großen Kunst im Aufbau und in der Entwickelung der Handlung; dazu wußte er sich ausgezeichnet dem Geschmack seiner Zeit anzupassen. Als direkter Nachfolger Molières aber zeigte er sich in seinem Lustspiel „Les deux gendres“ (1810), dem besten Lustspiel aus der Zeit des Kaiserreichs. Zufällige oder absichtliche, jedenfalls aber höchst geringfügige Anklänge dieser Komödie an ein Stück des 17. Jahrh.: „Conaxa, ou les gendres dupés“, verwickelten E. in einen heftigen litterarischen Streit, den die vielen Neider seiner glänzenden Karriere und die heimlichen Feinde des Kaiserreichs emsig zu schüren wußten. Sein schwaches und frostiges Lustspiel „L’intrigante“ (1813) wurde durch polizeiliche Unterdrückung vor dem natürlichen Tod bewahrt. Dagegen hat er mit seinen kleinen Komödien, Vaudevilles, Operetten und Feerien immer große Erfolge erzielt; seine Opern: „Cendrillon“ (1810) und „Joconde“ (1814) entzückten ganz Paris. Von seinen übrigen Schriften erwähnen wir: „Histoire du théâtre français, etc.“ (Par. 1802, 4 Bde.) und seine litterarhistorischen Arbeiten, besonders die Einleitung zum „Tartuffe“ (1824). Seine „Œuvres“ gab A. François heraus (Par. 1846, 4 Bde.).

2) Michael, österreich. Journalist; geb. 21. Sept. 1827 zu Wien, begann seine litterarische Thätigkeit in den 40er Jahren und trat 1848 als Publizist in in- und ausländischen Journalen auf. Von 1850 bis 1855 lebte er in Paris, als Korrespondent für österreichische und deutsche Blätter thätig. Damals sammelte er reiche Erfahrungen über das Wesen, die Einrichtung, den Stil und die Technik der tonangebenden französischen und englischen Presse, Erfahrungen, welche er später für die Ausbildung der österreichischen Presse verwertete. Nach Wien zurückgekehrt, übernahm er im April 1856 die Chefredaktion der „Presse“, welche unter ihm einen großen Aufschwung nahm. Im Mai 1864 trat er mit seinem Kollegen Max Friedländer von der Leitung der „Presse“ zurück und begründete im September d. J. die „Neue Freie Presse“, welche in kürzester Zeit sich zu einem Weltblatt aufschwang, in welchem die Interessen der Politik, des Handels und Verkehrs, des Unterrichts, der Litteratur und der schönen Künste eine den höchsten Anforderungen entsprechende litterarische Vertretung finden. Nach dem Tod Friedländers (April 1872) führte E. allein die Oberleitung des Unternehmens in deutsch-liberalem Sinn bis zu seinem Tod, 29. April 1879.

3) Buchdruckerfamilie, s. Estienne.