Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Diogenes“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 4 (1886), Seite 991992
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Diogenes. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 991–992. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Diogenes (Version vom 22.05.2023)

[991] Diogenes, 1) D. von Apollonia auf Kreta, auch D. von Smyrna und der Physiker genannt, ionischer Philosoph um 450 v. Chr., sah, wie vor ihm Anaximenes, die (atmosphärische, hylozoistisch zugleich als beseelt gedachte) Luft als das Urwesen an, aus welchem und durch welches mittels Verdünnung und Verdichtung alles Besondere und Einzelne entstanden sei. Die Fragmente seiner Schrift haben Panzerbieter (Leipz. 1830) und Mullach (in den „Fragmenta philosoph. graec.“, Bd. 1, Par. 1860) gesammelt.

2) D. von Sinope, der „Hund“, von Platon der „rasende Sokrates“ genannt, griech. Philosoph, einer der originellsten Sonderlinge des Altertums, geboren um 412 v. Chr. zu Sinope am Pontus, nach andern 414 zu Athen, Schüler des Antisthenes (s. d.), den er in der praktischen Durchführung des Grundsatzes, „daß es göttlich sei, nichts zu bedürfen“, bald übertraf. Seine Wohnung war ein Faß, seine Habe ein Mantel, ein Brotsack, ein Stecken und ein hölzerner Becher, und auch diesen warf er weg, als er einen Knaben einst aus der hohlen Hand trinken sah. Völlige Unabhängigkeit des Menschen von der Außenwelt und allen konventionellen Verhältnissen war ihm die Bedingung der wahren Tugend. Er verhöhnte die Grammatiker, welche des Ulysses Irrfahrten untersuchten, um ihre eignen Irrtümer aber sich nicht kümmerten; die Musiker, welche viel Zeit auf die Stimmung ihrer [992] Instrumente verwendeten, aber die Harmonie ihrer Affekte außer acht ließen; die Redner, weil sie sich der Wohlredenheit, nicht aber löblicher Thaten befleißigten. Dem Platon, der einst den Menschen ein zweifüßiges Tier ohne Federn genannt hatte, führte er einen gerupften Hahn vor, den Schülern des Philosophen zurufend: „Seht hier den Platonischen Menschen“. Schon ziemlich vorgerückt in Jahren, ward er auf einer Fahrt nach Ägina von Seeräubern ergriffen und nach Kreta geschleppt, um daselbst als Sklave verkauft zu werden. „Wer braucht einen Herrn?“ rief er auf dem Markt; „wer mich kauft, muß bereit sein, mir zu gehorchen, wie große Herren ihren Ärzten.“ Xeniades, ein Korinther, verstand sich dazu, stellte ihn als Erzieher seiner Söhne an und gab ihm dann die Freiheit. Von da an lebte D. wieder in der alten Weise bald zu Korinth, bald zu Athen. In ersterer Stadt suchte ihn auch Alexander d. Gr. auf. Angenehm unterhalten durch die Erscheinung und durch die geistreichen Antworten des alten, eben sich sonnenden Philosophen, befahl ihm der König, sich irgend eine Gnade auszubitten. „Geh mir aus der Sonne“, entgegnete D. schnell, und Alexander, beiseite tretend, sagte: „Wäre ich nicht Alexander, so möchte ich wohl D. sein“. Auch wird berichtet, daß D. einst am hellen Tag mit einer brennenden Laterne auf dem Markt mitten unter die Leute gegangen sei und auf die Frage: was er suche, geantwortet habe: „Ich suche Menschen“. Bei den Spartanern glaubte er die meiste Anlage zu Menschen nach seinem Sinn zu finden, daher sagte er, Menschen habe er nirgends, aber doch Kinder in Sparta gesehen. Er starb 323, nach andern 324 in Korinth und erhielt hier sowie auch in Sinope eine Bildsäule. Eine antike Statuette des Philosophen enthält die Villa Albani in Rom. Erhalten haben sich unter seinem Namen nur 51 entschieden unechte Briefe, herausgegeben in Herchers „Epistolographi graeci“ (Par. 1873). Die ihm beigelegten Aussprüche und Fragmente finden sich in Mullachs „Fragmenta philos. graec.“, Bd. 2 (Par. 1867). Vgl. Göttling, D. (in „Gesammelte Abhandlungen“, Bd. 1, Halle 1851); Hermann, Zur Geschichte und Kritik des D. (Heilbronn 1860).

3) D. von Babylon, stoischer Philosoph aus Seleukia am Tigris, Schüler des Chrysippos, ward, als Haupt dieser Schule in hohem Ansehen stehend, mit dem Akademiker Karneades und dem Peripatetiker Kritolaos 155 v. Chr. nach Rom gesandt und vermittelte hier mit seinen Genossen die Bekanntschaft der Römer mit griechischer Philosophie. Sein Hauptfach war die Dialektik, in der Karneades sein Schüler war. Seine zahlreichen, verschiedene Fächer betreffenden Schriften sind verloren gegangen.

4) D. von Laerte in Kilikien, daher Laertius genannt, griech. Schriftsteller, lebte zu Ende des 2. und Anfang des 3. Jahrh. n. Chr., nach andern in der Mitte des 3. Jahrh. oder gar erst im Zeitalter Konstantins, schrieb, außer einer nur noch bruchstückweise vorhandenen Sammlung von Epigrammen, unter dem Titel: „De vitis, dogmatibus et apophthegmatibus clarorum virorum“, eine Art Geschichte der Philosophie in zehn Büchern, die nach einer Einleitung über den Ursprung der Philosophie die meisten Ionier, die Sokratiker, Akademiker, Peripatetiker, Cyniker und die Stoiker bis Chrysippos, dann den Pythagoras, Empedokles, Heraklitos, die Eleaten und Atomistiker und zuletzt mit besonderer Ausführlichkeit den Epikureismus behandelt und, wenn auch den Charakter einer geist-, kritik- und ordnungslosen Kompilation an sich tragend, doch bei dem Verlust so vieler andrer hierher gehöriger Werke als die freilich mit großer Vorsicht zu benutzende Hauptquelle für die Geschichte der alten Philosophie von großem Wert ist. Die bemerkenswertesten neuern Ausgaben sind von Hübner (Leipz. 1828–31, 2 Bde.) und von Cobet (Par. 1850); deutsche Übersetzungen von Snell (Gießen 1806, 2. Bde.) und Borheck (Leipz. 1809, 2 Bde.). Vgl. Klippel, De Diogenis L. vita, scriptis atque auctoritate (Nordhaus. 1831).

5) D. Romanos, byzantin. Kaiser, s. Romanos 4).