Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Briefsteller“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 3 (1886), Seite 422
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Briefsteller. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 3, Seite 422. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Briefsteller (Version vom 30.05.2021)

[422] Briefsteller, ursprünglich eine Person, welche für andre Briefe abfaßt. Vor der Reformation war das Schreiben eine Kunst, die verhältnismäßig nur wenige übten; noch zu Luthers Zeit rechnete man auf 200 Landleute erst einen, der seinen Namen zu schreiben im stande war. Im Mittelalter gab es daher überall öffentliche Briefschreiber, d. h. Leute, welche ein Gewerbe daraus machten, den des Schreibens unkundigen Leuten, welche andern briefliche Mitteilungen zu machen hatten, solche abzufassen, und in manchen Ländern waren sie eidlich verpflichtet, die ihnen anvertrauten Geheimnisse nicht zum Schaden ihrer Klienten zu mißbrauchen. In Deutschland starb das Gewerbe allmählich ab in dem Maß, als der Volksunterricht allgemeiner wurde; ebenso in Frankreich, England, Dänemark und Schweden, Ländern, deren Kulturgang mit dem Deutschlands ziemlich auf gleicher Stufe steht. Wenn hier der Landmann das Bedürfnis des Briefschreibens nicht selbst befriedigen kann, so pflegt er sein Vertrauen dem Pfarrer oder Schullehrer zu schenken, und wenn es auch in den Städten noch hier und da Leute gibt, die aus Abfassung brieflicher Aufsätze ein Gewerbe machen, so sind diese doch mit Bitt-, Vorstellungs-, Mahnschreiben etc. meist nur in rechtlicher Beziehung thätig oder beschränken sich auf bloßes Abschreiben. In den Ländern aber, wo die Volksbildung noch so zurück ist, daß die Landbevölkerung der Mehrzahl nach weder des Lesens noch des Schreibens kundig ist, besteht das Gewerbe des öffentlichen Briefstellers noch jetzt, so in Spanien, Portugal, Italien.

B. heißt auch ein Buch, in welchem Anweisung zum Briefschreiben gegeben wird, namentlich in Bezug auf das Formelle. Äußere Einrichtung des Briefs, Beobachtung der Kourtoisie, Belehrung durch Beispiele sind Hauptsache darin. Je nachdem er allgemeine oder besondere Zwecke verfolgt, ist er ein allgemeiner oder ein kaufmännischer, ein militärischer etc. B. Deutschland hat den zweideutigen Ruf, solche Briefformulare in größter Menge zu besitzen. Der erste bekannte Versuch ist vom gelehrten Buchdrucker Anton Sorg (Augsb. 1484); ihm folgten T. Schröder, Talander und viele andre (s. Brief, S. 419). Die bekanntesten neuern B. sind von Moritz, Heinsius, Schlez, Campe, Kiesewetter, Rammler u. a. Auch die Engländer sind reich an Briefstellern; den Reigen führen Richardsons „Familiar letters“, bei den Franzosen aber Jauffrets „L’art épistolaire“. Der zeremonielle und in Förmlichkeiten überschwengliche Morgenländer hat das Briefschreiben zu einer Kunst gemacht, deren Regelgebäude ein wahres Labyrinth ist; der B. ist der Faden, sich darin zurechtzufinden, und für den, der in die Lage kommt, Briefe zu schreiben, ein unentbehrliches Buch. Die meisten orientalischen B. sind in arabischer Sprache abgefaßt.