Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Brünn“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Brünn“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 3 (1886), Seite 516517
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: Brünn
Wikipedia-Logo
Wikipedia: Brünn
Wiktionary-Logo
Wiktionary: Brno
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Brünn. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 3, Seite 516–517. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Br%C3%BCnn (Version vom 14.04.2021)

[516]

Wappen von Brünn.

Brünn (tschech. Brno), Hauptstadt des österreich. Kronlandes Mähren, liegt zwischen dem Schwarzawa- und Zwittawafluß in fruchtbarer Gegend, am Fuß des 300 m ü. M. hohen Spielbergs (s. unten) sowie im Kreuzungspunkt der Österreichischen Staatsbahn (Wien-B.-Prag), der Kaiser Ferdinands-Nordbahn (B.-Wien), der Mährisch-Schlesischen Nordbahn (B.-Olmütz), der Mährischen Transversalbahn (Wlarapaß-B.-Iglau) u. der Lokalbahn nach Tischnowitz. Die bis 1860 befestigt gewesene Stadt ist ihrer Mauern und Wälle entkleidet, an deren Stelle sich eine breite Gürtelstraße, mit schönen neuen Gebäuden eingerahmt, und Promenadenanlagen befinden, so daß die innere Stadt mit den außerhalb der frühern Mauern gelegenen 30 ehemaligen Vorstädten vollständig verbunden ist. B. zerfällt gegenwärtig in vier Bezirke. Unter den öffentlichen Plätzen sind der Große Platz mit einer Mariensäule, der Krautmarkt mit schönem Springbrunnen und der Dominikanerplatz bemerkenswert. B. hat 17 Kirchen und 6 Kapellen; von erstern sind hervorzuheben: die Kathedralkirche zu St. Peter (aus dem 15. Jahrh.) mit schönen Altarblättern, guter Orgel und steinerner Kanzel an der nördlichen Außenseite; die Stadtpfarrkirche zu St. Jakob (aus dem 14. Jahrh.), eins der schönsten Denkmäler der gotischen Baukunst im Land, in neuester Zeit restauriert, mit 93 m hohem, kühn zugespitztem Turm, schönen Gemälden und Glasmalereien; die Stadtpfarrkirche zu St. Johann oder Minoritenkirche mit Freskomalereien, schönen Altarblättern, Skulpturen und trefflicher Orgel; die Augustiner-Pfarrkirche zur Himmelfahrt der Mutter Gottes in Alt-B., ein gotischer Bau aus dem 14. Jahrh., mit einem Hochaltarbild von Rotter; die Pfarrkirche in Obrowitz, mit schönen Skulpturen und Fresken; die Kapuzinerkirche (1651 begonnen) mit Hochaltarbild von Sandrart und dem Grabmal des bekannten Pandurenobersten v. d. Trenck; die Garnisonkirche (1602 vollendet) mit schönen Stuckarbeiten und Fresken und die neue, im gotischen Stil aufgeführte evang. Christuskirche; endlich die prachtvolle Synagoge. Unter den sonstigen Gebäuden sind bemerkenswert: das Statthaltereigebäude (ehemals Augustinerkloster) mit Gartenanlagen; das 1878 vollendete prachtvolle Landhaus, Sitzungslokal des mährischen Landtags; das gotische Rathaus (1511 vollendet) mit reichem Portal und Antiquitäten; das Militärmonturdepot; die sogen. Jesuitenkaserne (ehemals Jesuitenkloster); das Gebäude des adligen Damenstifts zu Mariaschul; das Augustinerkloster in Altbrünn; die neuen Gebäude des Polytechnikums, der städtischen Oberrealschule und des deutschen Gymnasiums; das Gebäude des Landesgerichts; die höhere Töchterschule; der Stadthof; das 1882 eröffnete neue Stadttheater (das erste Theater auf dem Kontinent mit elektrischer Beleuchtung) etc. Die Zahl der Einwohner betrug Ende 1880 mit der 3440 Mann starken Garnison 82,660, darunter 60 Proz. Deutsche, 40 Proz. Tschechen und 5498 Juden. B. ist eine der bedeutendsten Fabrikstädte der österreichischen Monarchie und behauptet insbesondere einen sehr hohen Rang in der Schafwollindustrie, welche in mehr als 100 Fabriken (Spinnereien und Webereien) jährlich etwa 100,000 metr. Ztr. Wolle verarbeitet und ca. 90 Dampfmaschinen mit 2300 Pferdekräften in Thätigkeit setzt; die Zahl der in den einschlägigen Etablissements beschäftigten Personen beläuft sich auf etwa 20,000. Außerdem produziert die Stadt in größern Mengen Leder, Handschuhe, Hüte, Maschinen (9 Fabriken), Eisengeschirr, Kratzen und Webekämme, Zuckerformen und Eisenblech, musikalische Instrumente, Chemikalien, insbesondere Kali, fette, ätherische und Extraktöle, Leim, Stärke, Zucker, Malz, Spiritus, Kaffeesurrogate, Likör und Rosoglio, Leinenwaren, künstliche Blumen, Wagen, Galanteriewaren, Dachpappe, Papier, Bretter, Bau- und Möbeltischlerarbeiten. Auch sind zahlreiche Färbereien, Appreturanstalten, Farbholzschneide- und Stampfwerke, Dampfmühlen, mehrere Bierbrauereien, Branntweinbrennereien und Ziegeleien im Betrieb. Im ganzen stehen etwa 200 Dampfmaschinen mit 4500 Pferdekräften der Industrie zu Gebote. Die Stadt hat eine Wasserleitung, eine Gasanstalt und Dampftramway. Die Jahrmärkte der Stadt (vier im Innern der Stadt, drei in Alt-B.) gehören zu den bedeutendsten Österreichs. An Unterrichtsanstalten besitzt die Stadt eine theologische Lehranstalt, eine technische Hochschule, 3 Obergymnasien (2 mit deutscher, 1 mit [517] slawischer Unterrichtssprache), eine Staats- und eine Kommunaloberrealschule, je eine deutsche und je eine slawische Lehrer- u. Lehrerinnenbildungsanstalt, eine Staatsgewerbeschule, eine Web-, eine Zeichen-, eine gewerbliche Fortbildungs- und 2 Handelsschulen, ein bischöfliches Knabenseminar (mit Privatgymnasium), ein Taubstummen- und Blindeninstitut. Es bestehen daselbst 4 Mönchs- und 3 Nonnenklöster, welche sich zumeist mit Schulunterricht und Spitalpflege befassen; viele Wohlthätigkeitsanstalten, namentlich eine Kranken- und eine Irrenanstalt, ein Armenhaus, eine Gebäranstalt, ein Siechenhaus; ein Zwangsarbeitshaus. Endlich befinden sich hier noch die Mährisch-Schlesische Gesellschaft zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde und das Landes-(Franzens-)Museum, ein Gewerbemuseum, eine Handels- und Gewerbekammer, ein Musik- und Kunstverein, die Mährische Eskomptebank, die Hypothekenbank der Markgrafschaft Mähren, eine wechselseitige Versicherungsanstalt, Filiale der Österreichisch-Ungarischen Bank, eine bedeutende Sparkasse mit über 12 Mill. Gulden Einlagen, eine Leihbank und ca. 140 Vereine. B. ist der Sitz der k. k. Statthalterei, der Finanzlandesdirektion, des Oberlandesgerichts, der Post- und Telegraphendirektion, des 10. Korpskommandos sowie des Landwehrkommandos für Mähren und Schlesien, ferner einer Bezirkshauptmannschaft, eines Landgerichts, eines Hauptzoll- und eines Steueramtes, eines deutschen Konsuls und eines katholischen Bischofs etc. Die Stadt B. hat seit 1850 ein eignes Gemeindestatut und eine autonome Repräsentanz mit einem aus der Mitte der letztern gewählten Bürgermeister an der Spitze.

Im NW. der Stadt erhebt sich der Spielberg mit der gleichnamigen Citadelle, ursprünglich Festung und markgräfliches Schloß, das seit 1740 als Hauptstaatsgefängnis diente, gegenwärtig jedoch als Kaserne benutzt wird. Die Festung galt lange für unüberwindlich, bis sie 1809 die Franzosen nahmen, die vor ihrem Abzug den größten Teil der Vorwerke sprengten (vgl. Trapp, Der Spielberg in B., historisch beschrieben, Brünn 1873). Außer den Promenaden am Spielberg und auf den Glacisgründen sind noch als schöne Anlagen zu erwähnen: im SW. der Franzensberg mit einem 1818 zum Andenken an die Leipziger Völkerschlacht errichteten Obelisken; ferner der Augarten, ein großartiger englischer Park, von Kaiser Joseph II. dem Publikum gewidmet; der Schreibwald in der Nähe von Alt-B. mit der bürgerlichen Schießstätte. In der Umgebung von B. befinden sich mehrere Ortschaften, welche große industrielle Etablissements von Brünner Firmen enthalten und zum Teil als Vororte der Stadt gelten können, darunter Königsfeld (4428 Einw.), Hussowitz (5542 Ew.), Schimitz, Obergerspitz u. a. 12 km nördlich von B. liegt an der B.-Prager Eisenbahn im romantischen Waldthal der Zwittawa das Dorf Adamsthal mit fürstlich Liechtensteinschem Schloß, Parkanlagen und Tiergarten, Hochofen, Eisengießerei u. Maschinenfabrik.

Geschichte. B. führt den von Haus aus slawischen Namen von der lehmigen Bodenbeschaffenheit seines Gründungsplatzes (brno, altslawisch gleich Lehm, Kot), daher noch heute ein Teil Altbrünns die Lehmstätte heißt. Die Altstadt, Alt-B., erscheint schon unter Konrad Otto, dem Sohn Břetislaws I. (gest. 1055), als Sitz eines mährischen Teilfürstentums. Im 13. Jahrh. entwickelte sich unter der Burg auf dem Spielberg, wo 1226 ein Kastellan von B. vorkommt, die größere, von flandrisch-sächsischen Ansiedlern und wallonischen Kolonisten (Gallici) bewohnte Stadt B. (Neu-B., im Gegensatz zu Alt-B.) und erhielt 1243 von König Wenzel I. ein wichtiges Stadtrecht, welches 1268–76 unter Ottokar II. und 1292–1300 unter Wenzel II. weiter ausgebildet wurde. 1278 verlieh ihr Kaiser Rudolf I. reichsstädtische Freiheiten. 1350 nennt Markgraf Johann Heinrich, der Luxemburger, B., dessen Handelsbedeutung schon hervorragend war, die „Hauptstadt“ seines Landes. Das Brünner Schöffenbuch von 1353 ist eins der wichtigsten Rechtsdenkmäler des Mittelalters. 1364 wurde im Vertrag von B. die Abtretung Tirols an Österreich von Kaiser Karl IV. bestätigt. 1428 belagerten die Taboriten mit großer Macht die Stadt vergeblich. Nachdem sich dieselbe 1467 dem König Matthias Corvinus von Ungarn angeschlossen hatte, wurde sie wieder von dem böhmischen König Georg Podiebrad hart belagert. 1620 blieb B. als Stadt dem Aufstand fern. 1636 wurde hier ein königliches Tribunal errichtet, das 1637 nach Olmütz verlegt, 1641 aber wieder zurückverlegt wurde. 1645 belagerten die Schweden unter Torstensson B. fast den ganzen Sommer hindurch vergeblich; wegen dieser tapfern Verteidigung wurden der Stadt damals vom Kaiser Ferdinand III. bedeutende Privilegien verliehen. Im österreichischen Erbfolgekrieg ward B. 1742 von den Preußen kurze Zeit belagert, 1805 und 1809 von den Franzosen heimgesucht und im Juli 1866 von den Preußen besetzt. Vgl. Rößler, Deutsche Rechtsdenkmäler Böhmens und Mährens, Bd. 2: Die Brünner Stadtrechte (Prag 1853); d’Elvert, Beiträge zur Geschichte der königlichen Städte Mährens, insbesondere Brünns (Brünn 1860, Bd. 1); Derselbe, Versuch einer Geschichte Brünns (das. 1828); Schram, Brünner Chronik 1800–1850 (das. 1885).