Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 2 (1885), Seite 850856
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Bevölkerung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 850–856. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Bev%C3%B6lkerung (Version vom 30.11.2024)

[850] Bevölkerung, die einem bestimmten Gebiet (Land, Provinz, Wohnort, Stromgebiet etc.) angehörende Volksmenge. Dieselbe wird gewöhnlich nur für ein geschlossenes Staatsgebiet oder einen administrativen Teil desselben statistisch erhoben und zwar als innerlich durch Abstammung, Sprache, Sitte und andre Gemeinsamkeiten verbundene Einheit, deren Glieder nach physiologischen und sozialen Merkmalen, wie Geschlecht, Alter, Familienstand, Wohnplätzen etc., sich gruppieren lassen. Größe der B. und ihrer Unterabteilungen sowie deren Änderungen sind nicht allein praktisch für Staatsleben und Volkswohlfahrt von Wichtigkeit, sondern es sind auch diese Änderungen, da sie gewisse teils auf bestimmte Ursachen zurückführbare, teils noch der Aufklärung harrende Regelmäßigkeiten aufweisen, von hoher wissenschaftlicher Bedeutung. Infolgedessen ist die B. Gegenstand einer besondern Wissenschaft, der Bevölkerungslehre, geworden. Dieselbe zerfällt in: 1) die Bevölkerungsstatistik, welche sich mit Erhebung und Zusammenstellung der die B. betreffenden statistischen Thatsachen befaßt und nicht allein, weil die B. den Mittelpunkt des Staatslebens bildet, sondern vorzüglich auch deshalb, weil die B. reiches, zu Vergleichungen brauchbares und kontrollfähiges Material liefert, den wichtigsten Teil der Statistik ausmacht; 2) die Theorie der B. (Bevölkerungslehre im eigentlichen Sinn oder Populationistik), welche die aus [851] den statistischen Thatsachen sich ergebenden allgemeinen Gesetze und Regelmäßigkeiten aufstellt und begründet; 3) die Bevölkerungspolitik, welche die Aufgaben behandelt, die sich aus jenen Thatsachen und Regelmäßigkeiten für das öffentliche Leben, insbesondere für ein ordnendes Eingreifen der Staatsgewalt, ergeben.

Die ersten Keime dieser Wissenszweige reichen zum Teil bis in das Altertum zurück. Man suchte zu bestimmten Zwecken (Besteuerung, politische Verfassung etc.) die Volkszahl zu ermitteln. Mit fortschreitender politischer Entwickelung erkannte man nicht allein in der Volkszahl eine wichtige Bedingung für Kraft und Wohlstand des Staats, sondern man war auch mit weiterer Ausbildung des Verkehrs genötigt, die einzelne Person als Trägerin von Rechten und Pflichten bestimmt zu bezeichnen. So entstanden die Listen für Geburten, Heiraten und Sterbefälle. Die ersten Zivilstandsregister sollen in Frankreich unter Franz I. in der ersten Hälfte des 16. Jahrh., gleichzeitig unter Heinrich VIII. in England, in Deutschland erst 1573 durch Kurfürst Johann Georg von Brandenburg eingeführt worden sein. Die mit Hilfe dieser Listen gewonnenen Erfahrungen, welche schon frühzeitig zur Errichtung von Rentenanstalten Veranlassung gaben, wurden durch fortgesetzte Beobachtungen und Untersuchungen, insbesondere durch Berechnungen bedeutender Mathematiker, wie Euler, Laplace, vervollständigt.

Bevölkerungsstatistik.
(Hierzu die vier bevölkerungsstatistischen Kärtchen, nebst Tabelle.)

Die erste praktische Anwendung solcher Berechnungen, welche einen wichtigen Abschnitt der politischen Arithmetik bilden, machte der Lord-Mayor von London, John Graunt, in einer 1662 erschienenen Schrift. Er fand bald Nacheiferer in seinen Landsleuten Petty, Shorts, King, Davenant u. a. In Holland wendeten vornehmlich Kerseboom und Struyck, in Schweden Wargentin, in Frankreich Déparcieux und Duvillard dieser Wissenschaft ihre Bemühungen zu. In Deutschland geschah dies vorzüglich erst in den Zeiten der Physikotheologie, welche alle Erscheinungen in der Natur auf die Absichten der Allweisheit Gottes bei der Schöpfung zurückzuführen suchte und nun auch in den arithmetischen Lebensgesetzen hauptsächlich die lenkende Hand Gottes und einen neuen Beweis seiner Herrlichkeit erblickte. So entstand das berühmte Werk Süßmilchs: „Die göttliche Ordnung in denen Veränderungen des menschlichen Geschlechts etc.“ (Berl. 1742; 4. Aufl. von Baumann, das. 1775), welchem sich die Arbeiten von Schlözer, v. Justi, Biester u. a. anreihten. Insbesondere lieferten schätzbare Beiträge: Odier in Genf, Finlaison in England, Châteauneuf und Villermé in Frankreich, Friedländer, Butte („Grundriß der Arithmetik des menschlichen Lebens“, Landsh. 1811), Casper („Lebensdauer des Menschen“, Berl. 1835), Chr. Bernoulli („Handbuch der Populationistik“, Ulm 1840 u. 1843) in Deutschland. Eine echt wissenschaftliche Bearbeitung erfuhr die Bevölkerungslehre vorzüglich durch die belgischen Statistiker Quételet („Sur l’homme, ou essai de physique sociale“, Par. 1835; deutsch von Riecke, Stuttg. 1838; neu bearbeitet unter dem Titel: „Physique sociale“, Brüss. u. Par. 1869, 2 Bde.), Heuschling und Vischers, in Deutschland durch Engel (bis 1882 Direktor des königlich preußischen Statistischen Büreaus), dann durch Wappäus („Allgemeine Bevölkerungsstatistik“, Leipz. 1859–1861, 2 Bde.), R. Böckh („Der Deutschen Volkszahl und Sprachgebiet in den europäischen Staaten“, Berl. 1870), G. F. Knapp („Theorie des Bevölkerungswechsels“, Braunschw. 1874), Lexis („Einleitung in die Theorie der Bevölkerungsstatistik“, Straßb. 1875), G. Mayr („Die Gesetzmäßigkeit im Gesellschaftsleben“, Münch. 1877), H. Schwabe u. a., E. Behm und H. Wagner („Die B. der Erde“, Gotha 1872 ff., bis jetzt 7 Bde., als Ergänzungshefte zu „Petermanns Geographischen Mitteilungen“).

Die Wissenschaft der B. befaßt sich zunächst mit der Ermittelung des derzeitigen Zustandes einer bestimmten Volksmenge, ihrer Zahl und Eigenschaften (Stand der B.), dann mit Erforschung und Erklärung der Veränderung dieses Zustandes (Gang, Bewegung, Wachstum der B.).

Die Ermittelung von Stand und Bewegung der B. erfolgt teils direkt durch systematische Aufzeichnungen (Zivilstandsregister, Steuerkataster etc.) und Zählungen, teils indirekt durch Schätzung und Berechnung. Die indirekte Methode knüpft an Verhältnisse an, welche zur Zahl in Beziehung stehen (Zahl der Familien, Wohnhäuser, der Geburten, Sterbefälle etc.). Dieselbe führt nur unter bestimmten Voraussetzungen (Unveränderlichkeit der gesamten Volkszahl, genaue Ermittelung von Aus- und Einwanderung etc.) zu richtigen Ergebnissen und bildet, wenn sie sich nicht auf vorausgegangene Zählungen stützen kann, einen wenig brauchbaren Notbehelf. Ganz unzuverlässig ist das Verfahren, nur einen Teil des zu beobachtenden Gebiets auszuzählen und das gewonnene Ergebnis auf das ganze Gebiet nach dem Verhältnis seiner Größe anzuwenden. Denn die Voraussetzung, auf welche es sich stützt, daß der Teil gleichsam eine Verjüngung des Ganzen darstelle, wird in der Praxis nicht erfüllt. Sonach bildet eine unumgängliche Grundlage der Bevölkerungsstatistik die direkte Auszählung, welche von Zeit zu Zeit zu wiederholen und inzwischen durch fortlaufende Aufzeichnungen und Berechnungen zu ergänzen ist (s. Volkszählungen).

Zu unterscheiden sind absolute und relative B. Die erstere, welche die Einwohnerzahl eines ganzen Zählgebiets angibt, ist von Bedeutung für Beurteilung der volkswirtschaftlichen, militärischen und finanziellen Leistungsfähigkeit eines Volkes. Schwierig ist bei der heutigen Verkehrsentwickelung die Ermittelung der rechtlichen (ortsansässigen, am Zählungsort heimatsberechtigten, bez. staatsangehörigen) B., weil hierbei Abwesende zu berücksichtigen und die Angaben der Anwesenden richtig zu stellen sind; dieselbe hat eine besondere Bedeutung, wenn sie als Maßstab der politischen Rechte und Pflichten dient. Leichter ist die Zählung der faktischen oder thatsächlichen B. Als solche gilt einmal die Wohnbevölkerung, d. h. diejenige, welche sich regelmäßig dauernd an einem Ort aufhält, dann die rein faktische, d. h. diejenige, welche augenblicklich sich am Ort befindet. Letztere wird in Deutschland gezählt, wobei jedoch neben der rein faktischen auch die Wohnbevölkerung ermittelt werden kann; erstere zählen die Niederlande, wobei freilich die Bestimmung des Begriffs „dauernde Anwesenheit“, die Zuzählung abwesender Ortsangehörigen und die Ausscheidung von anwesenden Fremden große Schwierigkeiten bereiten.

Volksdichtigkeit. Übervölkerung.

Die relative oder spezifische B. gibt das Verhältnis der Volkszahl zum Flächeninhalt des Zählgebiets (durchschnittliche B. der Flächeneinheit) oder die Volksdichtigkeit an. Dieselbe ist von Land zu Land, dann in einzelnen Teilen eines und desselben Landes sehr verschieden, wie folgende Tabelle zeigt.

[Beilage]

[Ξ]

BEVÖLKERUNGSSTATISTISCHE KARTEN.
[oben:] Bevölkerungsdichtigkeit der Erde.
Bevölkerungsdichtigkeit von Europa.
[unten:] Religionen der Erde.
Staats- und Regierungsformen der Erde.
[I]
Bevölkerung, Staatsformen und Religionen der Erde.
I. Bevölkerungsdichtigkeit.
Länder Areal Bevölkerung
QKilom. insgesamt auf 1 qkm
Europa.
     
Belgien (1886) 29457 5909975 200
 Brabant 3283 1074765 328
 Luxemburg 4418 216289 49
Niederlande (1886) 33000 4390857 133
 Südholland 3022 911534 302
 Drenthe 2663 127309 48
Großbritannien und Irland (nebst Malta etc.; 1881) 314956 35418539 112
 England 131628 24613926 187
 Wales 19069 1360513 71
 Irland 84252 5174836 61
 Schottland 78895 3735573 47
Italien (1886) mit Monaco und San Marino 288621 29963995 100
 Ligurien 5407 924934 175
 Basilicata 10354 546982 51
 Sardinien 23842 717740 29
Deutsches Reich (1885) 540597 46855704 87
 Sachsen 14993 3182003 212
 Hessen 7682 956611 124
 Mecklenburg-Schwerin 13304 575152 43
 Mecklenburg-Strelitz 2929 98371 34
Luxemburg (1885) 2587 213283 82
Frankreich (1886) 528572 38218903 72
 Depart. Seine (mit Paris) 479 2961089 6182
 „ Nord 5681 1670184 294
 „ Rhône 2790 772912 277
 „ Oberalpen 5590 122924 22
 „ Niederalpen 6954 129494 18
Schweiz (1880) 41347 2846102 69
 Genf 279 101595 364
 Graubünden 7133 94991 13
Österr.-Ungarn (1880) 622310 37882712 61
 Kaisertum Österreich 300024 22144244 74
 Niederösterreich 19823 2330621 117
 Salzburg 7152 163570 23
 Länder der ungar. Krone 322285 15738468 49
Liechtenstein (1880) 157 9124 58
Dänemark (exkl. Island und Färöer; 1880) 38302 1969089 51
 Dänische Inseln 13017 865678 66
 Jütland 25265 868511 34
 Dazu Färöer und Island 106118 83665
Portugal (mit Azoren; 1881) 91260 4575955 50
 Provinz Minho 7273 1014768 139
 Provinz Alemtejo 24390 367169 15
Rumänien 129947 5376000 41
Serbien (1886) 48586 1970032 40
Spanien (mit Andorra; 1885) 497696 16924511 34
 Provinz Barcelona 7690 858097 109
 Provinz Ciudad Real 19607 280642 13
Griechenland (1879) 64689 1979561 30
 Zakynthos 438 44522 102
 Akarnanien und Ätolien 7489 138444 19
Türkei (mit Bulgarien, Bosnien) 326375 8987000 28
 Bulgarien 63972 2007919 31
 Unmittelbare Besitzungen 165438 4500000 27
 Ostrumelien 35900 975030 27
 Bosnien und Herzegowina 61065 1504091 24
Montenegro 9080 236000 26
Rußland und Finnland 5389628 88356572 16
 Rußland mit Polen (1883) 5016024 86153214 17
 Gouv. Warschau 14562 1345887 92
 „ Piotrkow 12249 865777 71
 „ Kalisch 11373 784939 69
 „ Wologda 402725 1172253 3
 „ Olonez 148761 327043 2
 „ Archangel 858560 318429 0,4
 Finnland (1885) 373604 2203358 7
Schweden (1886) 450574 4717189 10
 Län Malmöhus 4795 362572 76
 „ Gotenburg u. Bohus 5101 284694 56
 „ Westerbotten 59098 114937 1,9
 „ Jemtland 52219 95320 1,8
 „ Norrbotten 106818 96912 0,9
Norwegen (1875) 325422 1806900 6
 Stift Christiania 26653 489915 18
 Stift Tromsö 111609 182245 1,6
Europa: 9879231 338691628 34
Amerika.
     
San Salvador (1885) 18720 634120 34
Haïti 23911 550000 23,9
Westindien ohne Haïti und San Domingo (1881) 167224 3947838 23,6
 Barbados 430 171860 400
 Bahamainseln 13960 43521 3,1
Guatemala (1886) 121140 1357900 11
San Domingo (1887) 53343 504000 9
Vereinigte Staaten von Nordamerika (1880) 9212270 50445336 5,5
 Rhode-Island 3237 276531 86
 Alaska 1376292 33426 0,03
Mexiko (1882) 1946292 10447974 5
 Tlaxcala 3902 138478 36
 Baja California 155200 30198 0,2
Costarica (1885) 51760 213785 4
Kolumbien (1870) 830700 3000000 3,6
Chile (1885) 753216 2526969 3,4
 Provinz Valparaiso 4297 203320 47
 Gebiet Antofagasta 158000 21213 0,1
Uruguay (1885) 186920 582858 3,1
Honduras (1884) 120480 323274 3
Peru 1049270 3000000 2,8
 Depart. Apurimac 15207 119246 7,8
 Depart. Loreto 448165 61125 0,14
Nicaragua (1884) 133800 259794 2
Bolivia 1139250 2308000 2
Neufundland, Bermudas, St.-Pierre und Miquelon 110955 214457 2
Paraguay (1886) 238290 430000 1,8
Ecuador nebst Galapagos 650938 1100000 1,7
Brasilien inkl. 600000 wild. Indianer (1883) 8337218 12933375 1,5
 Prov. Rio de Janeiro 68982 938831 13,6
 „ Amazonas 1897020 80942 0,04
Brit.-Honduras (1881) 19585 27452 1,4
Argentinische Republik (1882) 2835970 2942000 1,4
 Staat Tucuman 31166 178000 5,8
 Patagonien 693035 24000 0,04
Venezuela (1886) 1639398 2198320 1,3
 Staat Carabobo 7132 167469 21
 Amazonas und Oberer Orinoko 545876 38340 0,07
Guayana (1885) 461977 370676 0,8
Dominion of Canada (1881) 8822583 4324810 0,5
 Prinz Edward-Insel 5524 108891 20
 Nordwest-Territorien 6612873 56446 0,01
Falklandinseln (1884) 12532 1553 0,1
Grönland 2169750 10000 0,005
Arktisches Amerika 680000
Kanadische Seen 238971
Amerika: 42026463 104649491 2,5

[II] [Tabelle fehlt noch]


II. Staats- und Regierungsformen.
I. Völker ohne ausgebildete Staatsformen
(ca. 521/2 Millionen).

Wo der Raum weit und die Bevölkerung spärlich ist, ohne alle Regierungsform oder unter Familienhäuptern; — wo die Bevölkerung dicht zusammenlebt, in Stämmen unter Häuptlingen mit bestimmter, oft autokratischer Gewalt.

1) Europa (5000 Seelen).
Samojeden an der Petschora (Fischer, Jäger).
2) Asien (8 Millionen).
Aino, Jakuten, Jukagiren, Kamtschadalen, Korjaken, Ostjaken, Samojeden, Tungusen, Tschuktschen in Sibirien (Fischer, Jäger).
Barabinzen, Kirgisen im zentralasiatischen Steppengebiet (Hirten, Jäger).
Stämme im Himalaja und auf dem Pamirplateau (Hirten, Jäger).
3) Afrika (411/2 Millionen).
Buschmänner, Hottentoten.
Bantuvölker: Kaffern, Sambesivölker im Osten, Basuto, Betschuanen in der Mitte, Dama, Congo im Westen.
Galla- und Somalstämme im östlichen Zentralafrika.
Negerstämme in Guinea (Senegambien, Sudân).
Berberstämme (Schilluk, Tuareg) und Tibbu im nördlichen Sudân und der Sahara.
4) Amerika (2 Millionen).
Eskimo an den arktischen Küsten und in Labrador (Fischer).
Indianer in Alaska, den Hudsonbailändern, Labrador, den Vereinigten Staaten von Nordamerika; in Kolumbien, Venezuela, Guayana, Brasilien, Peru, Bolivia; in Patagonien und Feuerland (Viehzucht, Fischerei, Jagd).
5) Australien (1 Million).
Australier des Kontinents.
Papua auf Neuguinea und dem freien Melanesien.

[III]
II. Völker mit festen Wohnsitzen, in Staaten geordnet (14421/2 Millionen).
A. Reine Autokratien ohne geschriebene Gesetze.
(1331/2 Mill. Bewohner.)
1) Asien.
Chanat Chiwa 700000
  Bochara 2130000
Staaten in Kafiristan 500000
Malaienstaaten auf Malakka und Sumatra 300000
2) Afrika.
Kaisertum Marokko 10000000
Abessinien 3000000
Reiche im Sudân und Oberguinea 101000000
   in Südafrika 16000000
Zusammen: 133630000
B. Autokratien mit bestimmten Gesetzen und geregelten Staatsformen.
(5971/2 Mill. Bewohner.)
1) Europa.
Russisches Reich (Kaiserreich) in Europa und Asien 104785761
2) Asien.
Afghanistan 4000000
Anam (Kaiserreich), französischer Schutzstaat 6000000
Belutschistan 350000
Bhutan (Herrscher: Radscha) 200000
China (Kaiserreich) 402735000
Japan (Kaiserreich) 38151217
Korea (Königreich) 10518937
Nepal (Herrscher: Radscha) 3000000
Persien (Herrscher: Schah) 7653600
Siam (Kaiserreich) 5750000
Samos (Fürstentum), türkischer Schutzstaat 40513
3) Afrika.
Ägypten (Vizekönigreich), türkischer Schutzstaat 6817265
Tunis (Regentschaft), französischer Schutzstaat 1500000
Zusammen: 597502293
C. Konstitutionelle Monarchien.
(239 Mill. Bewohner.)
1) Europa.
Belgien (Königreich) 5909975
Bulgarien (Fürstentum, inkl. Ostrumelien), türkischer Schutzstaat 2982949
Dänemark (Königreich) mit Färöer und Island 2052705
Deutsches Reich (Kaiserreich) 46855704
Griechenland (Königreich) 1979561
Großbritannien (Königreich) 35418539
Italien (Königreich) 29943607
Liechtenstein (Fürstentum) 9124
Monaco (Fürstentum) 12548
Montenegro (Fürstentum) 236000
Niederlande (Königreich) 4390557
Österreich-Ungarn (Kaiserreich-Königreich) 37882712
Portugal (Königreich) mit Azoren und Madeira 4550699
Rumänien (Königreich) 5376000
Schweden-Norwegen (Königreich) 6524089
Serbien (Königreich) 1970032
Spanien (Königreich) inkl. Kanarische Inseln 16918511
Türkei in Europa (mit Bosnien und Herzegowina) 6004091
   in Asien und Afrika (ohne Ägypten) 17133000
2) Amerika.
Brasilien (Kaiserreich) 12933375
3) Australien.
Hawai (Königreich) 80578
Tonga (Königreich) 22937
Zusammen: 239187293
D. Freistaaten.
(1251/2 Mill. Bewohner.)

Republikanische Staatsform; Präsident, Gesetzgebender Körper (meist zwei Kammern).

1) Europa.
Andorra 6000
Frankreich 38218903
San Marino 7840
Schweiz (Bundesstaat) 2846102
2) Amerika.
Argentinische Republik 2942000
Bolivia 2303000
Chile 2526969
Costarica 213785
Ecuador 1100000
Guatemala 1357900
Haïti 550000
Honduras 323274
Kolumbien 3000000
Mexiko 10447974
Nicaragua 259794
Paraguay 430000
Peru 3000000
San Domingo 504000
San Salvador 637120
Uruguay 582858
Venezuela 2198320
Vereinigte Staaten von Nordamerika 50445336
3) Afrika.
Liberia 1068000
Oranjefreistaat 133518
Südafrikanische Republik 374848
Zusammen: 125474541
E. Kolonialländer.
(347 Mill. Bewohner.)
1) Britische Kolonialländer.
In Asien: Cypern, Kaisertum Indien, Ober-Birma, Ceylon, Aden, Straits Settlements, Hongkong, Labuan, u. a. 262153926
In Afrika: Gambia, Goldküste, Lagos, Kapkolonie, Natal, Mauritius und andre Inseln 3213423
In Amerika: Kanada, Neufundland, Bermudas, Honduras, Westindien, Guayana, Falklandinseln 6096844
In Australien: Der Kontinent, Tasmania, Neuseeland, Fidschiinseln, Südost-Neuguinea u. a. 3853111
2) Dänische Besitzungen.
In Amerika: Grönland, Westindien 43763
3) Deutsche Besitzungen.
In Afrika: Kapitai- und Kobaland, Togoland, Camerun, Dama- und Namaquaküste, Angra Pequena (Lüderitzland), Usagara, Nguru, Useguha, Ukami an der Ostküste ?
In Ozeanien: Kaiser Wilhelms-Land (Nordostküste von Neuguinea, Bismarck-Archipel (Neubrit.) oder Neubritannia-Archipel 377000
4) Französische Kolonialländer.
In Asien: Etablissements in Indien, Kotschinchina, Tongking, Anam, Kambodscha 18568200
In Afrika: Algerien, Tunis, Senegambien, Goldküste, Gabun, Réunion, Madagaskar 9284690
In Amerika: St.-Pierre und Miquelon, Westindien, Guayana 383132
In Australien: Neukaledonien, Tahiti, Markesas, Tuamotu 79397
5) Italienische Besitzungen.
In Afrika: Assab und Massaua 9100
6) Niederländische Kolonialländer.
In Asien: Java und Madura, Sumatra, Sudhälfte von Borneo, Celebes, Molukken u. a. 29070000
In Amerika: Surinam und Curassao 118866
In Ozeanien: Westhälfte von Neuguinea 258000
7) Portugiesische Kolonialländer.
In Asien: Diu, Goa, Damao, Osthälfte von Timor, Macao 848500
In Afrika: Kapverdische Inseln, Guinea, Sao Thome, Principe, Angola, Mosambik 4136700
8) Spanische Kolonialländer.
In Asien: Philippinen und Suluinseln 5634020
In Afrika: Presidios, Kanarische Inseln, Fernando Po, Annobom, Corisco u. a. 388615
In Amerika: Cuba, Puerto Rico 2275997
In Ozeanien: Marianen, Karolinen, Palauinseln 44665
Zusammen: 346837949




[IV]
III. Verbreitung der Religionen auf der Erde.


[Tabelle]


Zusammen: 1361/2 Mill. evangelische Christen verschiedener Kirchen (inkl. Sekten); 221 Mill. römisch-katholische Christen; 99 Mill. griechische Christen morgenländischer Kirchen (im ganzen 4561/2 Mill. Christen); 7,6 Mill. Israeliten; 2171/2 Mill. Mohammedaner; 682 Mill. Verehrer des Brahma und Buddha; 131 Mill. Bekenner andrer, weniger entwickelter heidnischer Religionen (im ganzen 1088 Mill. Nichtchristen).




[852] Es kamen auf 1 qkm Einwohner in

Belgien (1883) 194
Niederlande (1880) 123
Großbritann. u. Irl. (1881) 112
Italien (1879) 96
Deutsches Reich (1880) 84
Frankreich (1881) 71
Schweiz (1880) 69
Österreich-Ungarn (1880) 61
Dänemark (1880) 51
Portugal (1878) 48
Rumänien (1878) 41
Serbien (1879) 34
Spanien (1878) 33
Griechenland (1879) 33
Europäische Türkei 26
Europäisches Rußland 14
Schweden (1879) 10
Norwegen (1875) 6
Europa 33
Mitteleuropa 80
Amerika 3
Australien 0,4
Asien 19
Afrika 7
Ausführlichere Angaben enthält die unsrer Karte beigegebene Tabelle.

Eine große Dichtigkeit der B. ist im allgemeinen möglich bei großer Fruchtbarkeit des Landes, einfachen Bedürfnissen der B. (Java), intensiver Bodenwirtschaft (China, Lombardei), hoher Entwickelung des Verkehrswesens und der Industrie (England, Belgien, Sachsen) etc. Sie kann aber auch entstehen, ohne daß das Gebiet, auf welchem sie sich befindet, ausreichende Unterhaltsmittel für dieselbe zu liefern vermag. Wie eine große Stadt ihre Nährmittel aus einem großen Umkreis bezieht, ohne dieselben immer direkt durch Gegenleistungen aus dem Gebiet von Handel und Industrie zu vergüten (Rentner, Beamte, persönliche Dienstleistungen etc.), so kann auch die B. eines größern Landes sich erhalten, ohne gerade auf dem Boden, auf welchem sie lebt, alle Vorbedingungen einer dauernden Existenz zu finden, sei es, daß ihr der Zwischenhandel genügenden Erwerb verschafft, oder daß ihr Kolonialländer mit oder ohne Vergeltung die nötigen Mittel liefern (Verzehrung von in der Kolonie durch Industrie, Handel oder in öffentlichen Stellungen erworbenem Vermögen, Tribute etc.), oder daß ihr das Ausland Zinsen zu zahlen hat. Es kann aber auch eine sehr dichte B. die Folge von leichtfertiger Eheschließung und Kinderzeugung sein. Fehlt es in einem solchen Fall an genügender wirtschaftlicher Rührigkeit und Thatkraft, so bildet sich eine Übervölkerung. Ganz allgemein spricht man von Übervölkerung, wenn das eigne Wohngebiet nicht die genügenden Nährmittel liefern kann. Da aber auch in einem solchen Fall eine sehr dichte B. nicht allein dauernd ihren Unterhalt finden, sondern selbst in Wohlstand leben kann, so bezeichnet man als Übervölkerung im engern und eigentlichen Sinn eine solche B., welche so dicht ist, daß ein Teil derselben keine Gelegenheit zu genügendem Erwerb zu finden vermag. Allgemeine Symptome derselben sind eine verhältnismäßig große Zahl von Armen, von Auswanderungen, Vergehen gegen das Eigentum etc. Nun ist der Spielraum der Ernährungsmöglichkeit ein verschiedener je nach natürlichen Verhältnissen, nach dem Stande der Kultur und des Verkehrs. Hiernach ist der Begriff der Übervölkerung ein durchaus relativer. Sind bei ungünstigem Klima, bei ungünstiger Lage und Beschaffenheit des Bodens (Gebirgsland, Wüste), bei geringer Entwickelung von Transport und Handel, von industrieller und landwirtschaftlicher Technik (Jägervölker, Nomadentum) nur wenig Menschen auf gegebener Fläche sich zu ernähren im stande, so kann auf gleichgroßer Fläche unter den entgegengesetzten Verhältnissen eine sehr dichte B. allenfalls einen reichlichen Unterhalt finden (fruchtbare Ebene, Flußniederung, lebhafter Handel, industrielle Blüte). Eine gewisse Dichtigkeit der B. mit städtischen Zentralpunkten ist allerdings Vorbedingung für Entwickelung der Kultur; bei zu dünner B., möge sie unter günstigen oder ungünstigen natürlichen Verhältnissen leben, können wichtige geistige und wirtschaftliche Kräfte überhaupt nicht zur Ausbildung kommen. Innerhalb gewisser Grenzen ist daher auch die Dichtigkeit der B. ein Maßstab für die Kulturhöhe derselben. Bei Vergleichung der Dichtigkeit der B. verschiedener Ländergebiete ist selbstverständlich auf die Beschaffenheit des Wohnraums und auf die Art der auf demselben gebotenen Erwerbsbedingungen Rücksicht zu nehmen. Die Zahlen an und für sich, insbesondere Durchschnittszahlen aus großen Ländern, gewähren zur Vergleichung kein richtiges Bild. Bei Ländern mit großen unbewohnbaren Flächen ergibt leicht die Durchschnittszahl ein zu ungünstiges, die Betrachtung von Stadtgebieten (London, Paris, Insel Malta), welche in engster Beziehung zu einem größern Hinterland stehen und mit demselben ein wirtschaftliches Ganze bilden, ein zu günstiges Bild. Im übrigen ist bei Betrachtung der Dichtigkeit einer B. immer der Zweck im Auge zu behalten, für welchen Vergleichungen vorgenommen werden (verwaltungsrechtliche, politische, Einfluß des Zusammenlebens auf Stand der Moral, der Bildung, der Vermögensverteilung, wirtschaftliche, politische Kraft etc.).

Geschlechter, Familienstand, Wohnplätze etc.

Die Verteilung der Geschlechter, welche für wichtige Kulturfragen, wie Ehe, Arbeitskraft des Volkes etc., von Bedeutung ist, weist eine in den meisten Ländern wiederkehrende, noch nicht genügend erklärte Erscheinung auf. Schon seit Süßmilch beobachtete man bei den Geburten ein Übergewicht des männlichen Geschlechts über das weibliche. So kamen (meist für den Durchschnitt der Jahre 1865–78) auf je 100 Mädchen 111 Knaben in Serbien, 106 in Österreich, Schottland, Irland, Schweden, Norwegen, 105 in Sachsen, Thüringen, Rußland, Rumänien, 104 in Deutschland, Preußen, England, Italien, Dänemark, Ungarn, Spanien, 103 in Bayern, Baden, Frankreich, Finnland, 102 in Württemberg, Belgien, Niederlande; unter 100 stellte sich die Zahl in der Schweiz mit 99, in Griechenland mit 94. Im Verlauf längerer Zeit fand man für etwa 200 Mill. Geburten das Verhältnis 106 : 100. Diese Erscheinung suchten der Engländer Sadler, der Tübinger Professor Hofacker („Über Eigenschaften, welche sich bei Menschen und Tieren vererben“, Tübing. 1828), in der neuern Zeit Göhlert („Statistische Untersuchungen über die Ehen“, Wien 1870) mit dem Altersvorsprung des Vaters vor der Mutter und dessen Maß zu erklären; doch ist die Richtigkeit dieser sogen. Hofacker-Sadlerschen Hypothese, welche sich auf die Untersuchung einer begrenzten Zahl von Ehen stützte, in der neuern Zeit in Zweifel gezogen worden. Mit wachsendem Alter tritt nun das umgekehrte Verhältnis ein. Das männliche Geschlecht weist eine größere Zahl von Früh- und Totgeburten und eine größere Kindersterblichkeit auf. Dazu kommt später der Einfluß der männlichen Beschäftigungen (aufreibende Unternehmungen, gefährliche Gewerbe, Kriege), von Trunksucht, Ausschweifungen, Auswanderungen etc., während die Sterblichkeit des weiblichen Geschlechts mit seinem regelmäßigern Leben trotz der Entbindungsgefahren auch in höherm Alter eine geringere ist. So kamen auf 1000 männliche Personen weibliche

in den Altersklassen Deutsch­land Öster­reich Frank­reich England und Wales
unter 15 Jahren 997 1007 971 997
von 15 bis 70 Jahren 1054 1061 1015 1082
über 70 Jahre 1132 988 1134 1222
überhaupt 1036 1041 1008 1054

[853] Zwischen 15 und 20 Jahren tritt Gleichgewicht ein, später überwiegt das weibliche Geschlecht. Für ganz Europa ergeben sich im großen Durchschnitt aller Altersklassen 1024 weibliche Personen auf 1000 männliche. Die Geschlechterverteilung im ganzen und in den einzelnen Altersklassen ist von Land zu Land verschieden. Das männliche Geschlecht nimmt einen größern Bruchteil der B. in den Ländern und Distrikten ein, in welche sich Ströme von Auswanderern ergießen (Australien, Vereinigte Staaten), einen geringern in solchen, welche viele Auswanderer abgeben.

Die Gestaltung der Altersklassenverteilung oder Altersgliederung ist ein charakteristisches Zeichen für die gesellschaftliche Entwickelung. Ein Teil der B., die produktive Klasse, etwa die Alter 15–65 oder 20–70 umfassend, muß den jüngern und ältern ernähren. Nun standen von je 1000 Personen im Alter von

  0–15 Jahren 15–65 Jahren über 65 Jahre 0–20 Jahren 20–70 Jahren über 70 Jahre
in Deutschland 347 610 43 443 531 26
   Österreich 339 627 34 432 549 19
   Frankreich 270 662 68 356 600 44
   England u. Wales 361 595 44 457 516 27
   den Verein. Staaten 392 578 30 492 489 19

50–60 Proz. der B. (ersteres in Amerika für die Altersklassen von 20 bis 70, letzteres in Frankreich für die Alter von 15 bis 65 Jahren) stehen hiernach im produktiven Alter. Die Höhe dieses Prozentsatzes ist bedingt durch Geburtenfrequenz und Sterblichkeit. Bei einer stabilen oder nur langsam anwachsenden B. mit natürlicher Absterbeordnung (Frankreich) ist die Relativzahl der Erwachsenen größer als da, wo die Zahl der Geburten die der Sterbefälle überwiegt (Deutschland, England), wo ungünstige Ereignisse (Kriege) starke Lücken gerissen und eine erhöhte Sterblichkeit zur Nachwirkung haben (Deutschland nach 1870), wo ferner durch Zuwanderung junger Kräfte und reiche Gelegenheit für Verwertung derselben (Kolonisation) die Geburtenfrequenz eine große Höhe erreicht (Australien, Amerika).

Der Familienstand, ein wichtiger Gegenstand der Bevölkerungsstatistik, ist in sittlicher, kultureller und wirtschaftlicher Beziehung von hoher Bedeutung. Die Zahl der Familien und deren durchschnittliche Stärke ist nur aus den sogen. Familienregistern zu entnehmen, da bei Volkszählungen meist nur die „Haushaltungen“ von zwei und mehr Personen gezählt werden. Im J. 1875 lebten in Deutschland 97 Proz. der B. in Haushaltungen und 3 Proz. vereinzelt. Die Monogamie erhält zwar in der Gleichzahl der Geschlechter ihre natürliche Berechtigung; doch können auch bei ihr nicht alle Frauen zur Verheiratung kommen, zunächst weil das weibliche Geschlecht das männliche an Zahl fast überall überwiegt, dann weil das durch Eintritt der Geschlechtsreife, wirtschaftliche Kultur und Sitte bedingte heiratsfähige Alter, welches im allgemeinen mit wachsender Entfernung vom Äquator steigt, beim männlichen Geschlecht höher liegt als bei dem weiblichen. Dazu kommt, daß viele Männer wegen der Schwierigkeit, eine Familie zu erhalten, überhaupt ledig bleiben. Der Prozentsatz der Verheirateten von der Gesamtbevölkerung ist natürlich unter sonst gleichen Umständen da am größten, wo die Anzahl der Unerwachsenen am kleinsten ist. Für ganz Europa ergeben sich im Durchschnitt 34–35 Proz., für Frankreich 39 Proz. (bei 27 Proz. Unerwachsenen unter 15 Jahren), für Deutschland 33,5 Proz. (bei 35 Proz. unter 15 Jahren). Wichtiger als das Verhältnis der Verheirateten zur Gesamtbevölkerung ist ihr Verhältnis zur Zahl der Heiratsfähigen. Unter den letztern werden, da die Frauen jünger heiraten als die Männer, ihre Mortalität eine geringere ist und mehr Witwen sich wieder verheiraten, mehr Witwer als Witwen gezählt. In den 70er Jahren kamen auf 1000

  männliche weibliche
Personen über 15 Jahre
Verheiratete Witwer Verheiratete Witwen
in Deutschland 525 53 497 120
   Frankreich 564 77 550 147
   England u. Wales 559 57 522 116

8 Proz. der Männer, 12 Proz. der Frauen, welche in die mittlern Jahre gelangen, bleiben überhaupt ledig.

Die Verteilung der B. nach den Wohnplätzen, welche durch Entwickelung der Kultur und des Verkehrs, durch die Besonderheit des Berufs etc. bedingt wird, ist von hoher Bedeutung für das gesamte Volksleben. Die Ackerbaubevölkerung ist naturgemäß und zwar je nach der Eigenart der Entwickelung von Sitte, Recht und Wirtschaft teils in Dörfern, teils in Höfen über das ganze Land zerstreut. Besitz und Beschäftigung prägen ihr ihren eigentümlichen, der konservativen Gesinnung geneigten Charakter auf. Ziehen auch dem Landwirt viele Gewerbtreibende nach, und können heute bei dichterer B. und vervollkommtem Transportwesen viele Industrien auf dem Land gedeihen, so haben doch Gewerbe und Handel ihren Hauptsitz in der Stadt. Letztere wird durch Konzentration der B. auf kleiner Fläche, welche geistige und wirtschaftliche Kraft ungemein steigert und dadurch immer neue Bewohner (Rentner, Künstler, Beamte) anlockt, leicht tonangebend für das gesamte Leben eines Volkes und zwar im Guten wie im Schlechten. Dicht neben Überfluß und feiner Bildung häufen sich Elend und Roheit an. Schlechte Wohnung, Mangel an Luft und Licht, aufreibender Kampf ums Dasein erhöhen bei einem großen Teil der städtischen B. bedeutend die Sterblichkeit. Auch Kriminal- und Selbstmordstatistik finden bei ihr ein ergiebiges Feld. Trotzdem wächst in vielen Ländern seit einer Reihe von Jahren die B. der Städte rascher an als die des flachen Landes, indem ihr letzteres einen Teil seines Zuwachses abgibt (s. Stadt). In den meisten Ländern überwiegt die ländliche B. Rechnen wir zu letzterer die Bewohner aller Orte von weniger als 2000 Einw., so umfaßt sie Prozente von der gesamten B. in

Schweden 89
Frankreich 70
Deutschland 60
Italien 57
Spanien 57
Großbritannien u. Irland 55
Belgien 36
Niederlande 20

Auf geistiges und physisches Leben der B. ist ferner von Einfluß die Wohnungs- und Behausungsziffer, d. h. die Zahl der Personen, welche auf ein Haus entfällt. Am größten ist diese Ziffer in den Städten. Es wohnten in den 70er Jahren in einem Haus Personen in

London 9–10
Hamburg 13–14
Stuttgart 20
Paris 38
Berlin 48
Petersburg 60
Deutschland 8–9
 Preußen 8,4
 a) in der Stadt 12,7
 b) auf dem Land 7,3

Bei Würdigung dieser Ziffern ist freilich auf Größe und Beschaffenheit der Wohnungen, Art des Zusammenwohnens etc. Rücksicht zu nehmen. Die Gruppierung [854] der B. nach Berufsklassen erfolgt meist auf Grund besonderer Zählungen (Gewerbezählung 1875, Berufsstatistik im Deutschen Reich 1882). Dieselbe bietet jedoch, da eine scharfe, überall passende Begriffsbestimmung unmöglich, große Schwierigkeiten und ist insbesondere bei Vergleichungen zwischen verschiedenen Ländern nur mit Vorsicht zu benutzen. Das Gleiche gilt von der Ermittelung der ökonomischen Lage, wie sie aus Steuerlisten, insbesondere aus Listen der Einkommensteuer, ermöglicht wird. Dieselbe gewährt nur ein in großen Zügen richtiges Bild. Dagegen können gewisse Eigenschaften der B. oder eines Teils derselben, wie geistige und körperliche Gebrechen (Geisteskranke, Blinde, Taubstumme, Bucklige etc.), Farbe der Haare, Wuchs etc., dann die Gebürtigkeit (Ort der Geburt) etc., mit genügender Sicherheit erhoben werden. Die Verteilung der B. nach der Religionsangehörigkeit u. nach den Regierungssystemen ist auf beifolgenden statistischen Kärtchen (nebst tabellarischer Übersicht) dargestellt.

Bewegung der Bevölkerung.

Die Bewegung der B. (Gang der B.), unter welcher man die in der Zahl und in der Verteilung der Klassen vor sich gehenden Veränderungen versteht, bezeichnet man als natürliche (innere Ursachen), sofern sie durch Geburten und Todesfälle bedingt wird, als räumliche (äußere Ursachen), wenn Umzug, Aus- und Einwanderung Ursachen derselben sind. Wesentlichen Einfluß auf die natürliche Bewegung der B., insbesondere bei monogamischer Rechtsordnung, üben die Heiratsfrequenz (Trauungsziffer), d. h. die Zahl der jährlich neugeschlossenen Ehen im Verhältnis zur Volkszahl, das Heiratsalter und die mittlere Dauer der Ehen und der ehelichen Fruchtbarkeit. Die Trauungsziffer ist zunächst bedingt durch Geschlechts- und Altersgliederung. Nehmen mir als heiratsfähiges Alter der Männer die Zeit von 25 bis 30 Jahren an, so könnte unter Einrechnung der zweiten Ehen die Trauungsziffer in England, Deutschland, Frankreich etwa 8,5 pro Mille erreichen. In Wirklichkeit ist sie von dieser Zahl nicht sehr verschieden. Sie war in den 70er Jahren in Deutschland 8,9, in der Schweiz 7,6, in England 7,3, Belgien 7,3, Norwegen 7, Schweden 6,6 und in Frankreich, wo die jüngern Altersklassen schwach vertreten sind, 8 pro Mille. Abweichungen von diesen Zahlen, welche übrigens auch von klimatischen Verhältnissen, Sitte, Rechtsordnung etc. abhängen, werden insbesondere durch Wechsel in Gunst und Ungunst der Wirtschaftsverhältnisse bedingt. Im allgemeinen sind Ehelosigkeit und spätes Heiraten ein Zeichen ungünstiger wirtschaftlicher Lage, sie können jedoch auch eine Folge sinkender Moralität sein, ebenso wie eine starke Zunahme der Heiratsfrequenz, welche meist ein Zeichen wirtschaftlicher Besserung ist, auch durch wachsenden Leichtsinn oder durch die Aufhebung gesetzlicher Ehebeschränkungen (Deutschland, Gesetz vom 4. Mai 1868 und seine Wirkung) veranlaßt sein kann. Auf 10,000 Seelen kamen Heiraten

  1872: 1877:
in Deutschland 103 80
   Frankreich 098 75

Die mittlere Dauer einer Ehe schwankt zwischen 21 und 26, sie berechnet sich für Mitteleuropa auf 24–25 Jahre, die der ehelichen Fruchtbarkeit auf 12 Jahre. Das Durchschnittsalter der heiratenden Männer plus der Hälfte der Fruchtbarkeitsperiode der Ehe (mittlerer Altersabstand zwischen Vater und Kindern) beziffert sich auf 34–35 Jahre (gleich einer Generation).

Die Geburtenfrequenz (Geburtenziffer, Nativität), welche das Verhältnis der Volksmenge zur Zahl der Geburten angibt, hängt zunächst von der Zahl der im gebärfähigen Alter stehenden Frauen ab. Die Geschlechtsreife beginnt in wärmern Ländern früher (mit 9–10 Jahren im tropischen und subtropischen Klima, mit 13–15 in Südeuropa, mit 17–18 Jahren in der nördlichen gemäßigten Zone), endigt aber auch früher als in kältern. In Mitteleuropa umfaßt sie die Altersklassen von 18 bis 40 Jahren mit 16,5 Proz. der B. Würde jede dieser Frauen alle 2 Jahre gebären, so käme jährlich auf 12 Einw. eine Geburt. Diese Ziffer wird in der Wirklichkeit nicht erreicht, einmal schon deshalb, weil viele Frauen, weil unfruchtbar oder unverheiratet, kinderlos bleiben, dann weil die durchschnittliche Fruchtbarkeit der Ehen eine weit geringere ist als die bezeichnete. Mit Einschluß der Totgebornen kamen im Durchschnitt von 1872 bis 1877 auf 1000 Einw. Geborne:

in Österreich auf 40,1
   England 37,3
   Italien 38,1
   Frankreich 27,3
im Deutschen Reich 41,7
in Belgien 34,0
   der Schweiz 32,4
   Schweden 31,6

Am geburtenreichsten sind die slawischen Länder, insbesondere Rußland; denselben folgen die germanischen, dann die romanischen Länder. Allgemeine Gesetze über die Abhängigkeit der Geburtenfrequenz von Klima, Stand, Beruf, Wohnort etc. lassen sich nicht aufstellen; dagegen wird dieselbe unzweifelhaft beeinflußt von nationalen Anschauungen und Sitten (Sparsamkeit und Willenskraft im Gegensatz zu einer indolenten, entsittlichten B.), vom Wechsel der wirtschaftlichen Existenzbedingungen, Leichtigkeit des Erwerbs (insofern auch von der Volksdichtigkeit) etc., indem hierdurch auch die Heiratsfrequenz bedingt wird. Oft läßt sich eine Wechselwirkung zwischen Fruchtbarkeit und Kindersterblichkeit nachweisen, indem eine hohe Geburtenziffer mit Leichtsinn und mangelhafter Kinderpflege Hand in Hand geht und so die Sterblichkeit vergrößert (insbesondere große Kindersterblichkeit bei unehelichen Geburten, deren Zahl wesentlich durch Sitte, Erbordnung, gesetzliche Ehebeschränkungen etc. bedingt wird), eine große Sterblichkeit aber wieder leicht eine große Geburtenzahl zur Folge hat, durch welche entstandene Lücken ausgefüllt werden. Im übrigen kann eine hohe Geburtenziffer an und für sich weder als günstig noch als ungünstig betrachtet werden. Ihre Bedeutung läßt sich nur beurteilen im Zusammenhalt mit den gesamten sittlich-sozialen Verhältnissen, dann insbesondere auch mit der Sterblichkeits- oder Mortalitätsziffer (s. Sterblichkeit) der ganzen B. und ihren einzelnen nach Geschlecht, Alter, Wohlstand etc. gebildeten Gruppen. Neben der Geburtenziffer ist die Sterblichkeit ein wichtiger Faktor des Ganges der B., welche zu- oder abnimmt, je nachdem die Zahl der Geburten die der Todesfälle übersteigt und umgekehrt, wobei von großer Wichtigkeit, wie sich infolge derselben die Gliederung der B. gestaltet. Durch die räumliche Bewegung der B. (Aus- und Einwanderung) wird in vielen Fällen nur der augenblickliche Stand derselben geändert. Insbesondere füllen sich in vielen Ländern die durch Auswanderung entstandenen Lücken sehr rasch wieder durch den Überschuß der Geburten über die Sterbefälle aus (Deutschland, England), und nur in abnormen Fällen reicht ein solcher Überschuß, wenn überhaupt vorhanden, hierfür nicht aus (Irland nach 1840, die Massenwanderungen des Altertums und Mittelalters). Von [855] größerm Einfluß als für Länder, welche Auswanderer abgeben, ist die räumliche Bewegung für die Länder junger Kultur, welche den Auswandererstrom, meist jugendliche, frische Kräfte, empfangen und mit diesem nicht allein direkt einen starken Bevölkerungszuwachs, sondern auch die Anwartschaft auf starken Nachwuchs erhalten (vgl. Auswanderung und Kolonien).

Das wirkliche Wachstum der B. größerer Länder weist innerhalb längerer Perioden eine gewisse Stetigkeit auf. Diese Gesetzmäßigkeit ist darin begründet, daß die wichtigsten Ursachen der natürlichen und räumlichen Bewegung sich nicht in kurzer Frist ändern. Fast in allen Kulturstaaten hat sich die B. im Lauf dieses und zum Teil auch des 18. Jahrh. vermehrt. So war durchschnittlich jährlich die Zunahme in

Pro Mille
Sachsen 1816–80: 13,3
England und Wales 1831–81: 12,6
Preußen (Alt-) 1816–80: 12,1
Norwegen 1835–75: 10,5
Dänemark 1831–80: 10,1
Deutsches Reich 1816–80: 9,4
Schweden 1830–79: 9,4
Schottland 1831–81: 9,1
Niederlande 1839–79: 8,7
Österreich 1850–80: 7,7
Großbritannien und Irland 1851–81: 7,3
Belgien 1846–76: 6,9
Baden 1816–80: 6,9
Italien 1833–78: 6,8
Österr.-Ungarn 1850–80: 6,7
Schweiz 1837–79: 5,9
Bayern 1816–80: 5,9
Ungarn 1850–80: 5,6
Württemberg 1816–80: 5,2
Frankreich 1821–76: 3,9

In Rußland ist die Ziffer vermutlich höher als in den meisten dieser Länder. Die Schnelligkeit der Zunahme war allerdings in den einzelnen Jahren und Perioden nicht immer gleichgroß. So war die Zunahme in Preußen 1830–61: 11,6 pro Mille und 1861–77: 9,6 pro Mille, in Frankreich 1800–1860: 4,8 pro Mille und 1860–76: 0,7 pro Mille. Ein sehr starkes Wachstum weisen die Vereinigten Staaten auf. Die B. derselben war 1790 (auf 40,000 QM.) 3,9 Mill., 1880 (auf 170,000 QM.) 50,4 Mill.; sie hatte sich also um 28,8 pro Mille vermehrt, was im wesentlichen der Einwanderung zu verdanken ist. Die gesamte europäische B. ist 1820–80 um 8 pro Mille, diejenige Schwedens 1751–1879 um 7,3 pro Mille gewachsen. Eine fortwährend anwachsende B. muß in bestimmter Zeit sich verdoppeln. Diese Zeit, die Verdoppelungsperiode (für 1, 2, 4 Proz. je 69,6, 35, 17,6 Jahre), läßt sich jedoch für die Zukunft auf Grund eines seither wirklich stattgehabten Wachstums nicht berechnen, da aus der seitherigen Bewegung der B. nicht auf diejenige eines längern Zeitraums der Zukunft geschlossen werden kann, wenn auch anzunehmen ist, daß eine Bewegungstendenz unter Schwankungen eine Reihe von Jahren anhalten dürfte, sofern nur keine außerordentlichen störenden Ursachen dazwischentreten.

Eine Abnahme der B. ist in den letzten Jahrzehnten nur in wenigen Ländern eingetreten. Sie verminderte sich im Durchschnitt jährlich in Irland 1831–81 um 9,3 pro Mille (1841–51 um 22,3 pro Mille), dann 1871–75 in Elsaß-Lothringen um 29 pro Mille, Mecklenburg-Strelitz um 34 pro Mille, in Waldeck um 67 pro Mille. Ursache hiervon war die starke Auswanderung. Bei unzivilisierten Völkerschaften kann diese Erscheinung bis zu vollständiger Vernichtung durch Mangel an Lebenskraft (weniger Geburten, größere Sterblichkeit bei nachteiliger Lebensweise) hervorgerufen werden (Aussterben von Indianerstämmen, Bewohnern einiger Südseeinseln). Insbesondere ist dies der Fall, wenn sich mit denselben kräftigere Völker vermengen (Kolonisation). Bei unentwickeltem Verkehr sowie mangelhaften Kenntnissen und Anstalten für Gesundheitspflege können einzelne widrige Ursachen plötzlich starke Verminderungen hervorrufen und so auch für längere Zeit einen ungünstigen Einfluß ausüben. Epidemien, Kriege, Mißwachs und Teurung rafften früher oft einen großen Teil der B. hinweg. Nach Epidemien (Pest), die im Mittelalter (1347–51 etc.) heftig wüteten, trat zwar eine größere Heirats- und Geburtenfrequenz ein; doch füllte sich die Lücke oft nur langsam, zumal wenn lange dauernde Kriege und Mißwachs noch dazukamen. Letztere wirkten weniger durch direkte Tötungen und Hungertod als dadurch, daß sie durch Mangel an Nahrung und Pflege, Krankheiten etc. Siechtum und Sterblichkeit zunächst in den Reihen des schwächern Teils der B. erhöhten. Wirkten mehrere solcher mächtigen Ursachen zusammen, wie Armut, Krankheit, Entsittlichung, harter politischer Druck, so konnten sie geradezu eine Entvölkerung hervorrufen (Persien, Kleinasien).

Im Mittelalter war Europa nach allen Anzeichen wohlbevölkert. Später trat jedoch entschieden Rückgang und Verfall ein (Spanien nach der Zeit der Araber, Italien, im Osten die Mongolen- und Türkenwirtschaft). Insbesondere in Deutschland hatte der Dreißigjährige Krieg die B. um 50 Proz. vermindert (1618: 25 Mill. gegen 12 Mill. Einw. 1648), viele Landstriche waren vollständig verheert und menschenleer. Eine günstigere Entwickelung brachte die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Gute Ernten, Fortschritte der Landwirtschaft, Entwickelung von Handel und Industrie, zumal in England bei freier wirtschaftlicher Bewegung, beförderten das Wachstum der B. und die Bildung von industriellen städtischen Zentralpunkten, damit aber auch die Anhäufung von Not und Elend auf kleinem Raum.

Bevölkerungstheorie.

Diese Erscheinungen übten einen mächtigen Einfluß auf die allgemeinen Anschauungen und die Regierungspolitik aus. Die Populationisten des Merkantilsystems (s. d.) wollten durch Förderung der Ehen, Prämiierung des Kinderreichtums, Anreiz zum Einwandern etc. eine Mehrung der gesunkenen Volkszahl veranlassen. Ein Rückschlag machte sich dagegen in dieser Beziehung bemerklich, als Ende des vorigen Jahrhunderts das Wachstum der B., zumal in Städten, die Angst vor Übervölkerung an Stelle der frühern Überschätzung der Volkszahl treten ließ. Jener Zeit verdankt die Bevölkerungstheorie von R. Malthus (s. d.) ihre Entstehung. Nach Malthus ist die Vermehrung der B. von der Menge der zu beschaffenden Unterhaltsmittel abhängig. Letztere lassen sich nun nicht beliebig mehren. Wenn auch noch unbebauter Boden vorhanden ist und Verbesserungen möglich sind, so gibt es doch jeweilig eine vom Stande der Technik und der Kultur abhängige unüberschreitbare Grenze für die Vermehrung. Eine unbedingte Zunahme der B. würde demnach schließlich zu einem Mißverhältnis zwischen B. und Nährmitteln führen. Zur Veranschaulichung seiner Grundgedanken bediente sich Malthus mathematischer Formeln, ohne sie jedoch selbst für genau zu halten. Die Nahrungsmittel können in arithmetischer Progression zunehmen, während die B. die Neigung hat, sich in geometrischer Reihe zu vermehren. Dieselbe nimmt auch unfehlbar zu, sobald ihr mehr Unterhaltsmittel geboten werden können. Dem natürlichen Vermehrungstrieb der B. stehen nun verschiedene Hemmnisse (checks) entgegen, welche teils in menschlichen Handlungen (sittlich zulässige und unsittliche), teils in Wirkungen der Natur bestehen. Dieselben sind präventive, [856] indem sie die Entstehung einer größern B. verhüten (Erwägungen der Sittlichkeit oder Klugheit, Vorsicht in der Eheschließung, späteres Heiraten, geringere eheliche Fruchtbarkeit, unnatürliche Laster, Prostitution, geschlechtliche Ausschweifungen), oder repressive, indem sie eine bereits vorhandene B. vermindern (Auswanderung, Krieg, Mangel, Elend, Krankheit, Fruchtabtreibung, Kindertötung, Kinderaussetzen). Die repressiven Hemmnisse machen sich in erster Linie bei den schwächern Elementen der Gesellschaft geltend, insbesondere bei den Kindern der Armen, deren Sterblichkeit durch Mangel an Nahrung und Pflege erhöht wird. Den Wirkungen derselben soll aber der Mensch durch sittlich-vernünftiges Verhalten vorbeugen, wobei Malthus auch der Anschauung Raum gibt, daß in diesem Fall auch die Lage der untern Klassen sich verbessere.

In der neuern Zeit wurde die Lehre von Malthus unter dem Titel „Neumalthusianismus“ in eigenartiger Weise von einer Gesellschaft, der Malthusian League, vertreten, welche im Interesse der Erleichterung für Eltern und Volk (Last des Haushalts, kleine Erbteile bei großer Kinderzahl) bewußte Beschränkung der Kinderzahl in der Ehe durch präventiven Geschlechterverkehr (Zweikindersystem) predigt, ohne jedoch zu bedenken, daß ihre Lehren gerade bei dem Teil der B. unwirksam sind, von welchem die eigentliche Volksvermehrung ausgeht, bei den untern Klassen, während uns von seiten des besser situierten Teils nie eine eigentliche Übervölkerung droht. Eine Bevölkerungspolitik, welche auf Wachstum der B. bedacht ist und durch verkehrte Maßregeln (falsche Armenpflege) leicht nur zur Entstehung einer unselbständigen, krankhaften B. (Proletariat) Veranlassung gibt, wird von Malthus als unnütz und schädlich verworfen. Die Natur sorge schon von selbst für eine genügende B. Darum solle der Staat nur gegen drohende Übervölkerung einschreiten durch Beschränkung leichtsinniger Eheschließungen, vernünftige Armengesetze etc., welchen Forderungen die praktische Politik durch verschiedene Beschränkungen auch vielfach entsprochen hatte (Heiratserschwerung durch Verpflichtung zum Nachweis genügender Erwerbsfähigkeit, durch Festsetzung eines hoch gegriffenen Normaljahrs, Förderung der Auswanderung etc.). Die gegen Malthus erhobenen Einwendungen waren meist verfehlt. Die optimistisch-utilitaristische Weltanschauung der Theologen begnügte sich mit dem Hinweis auf das biblische Wort: „Seid fruchtbar und mehret euch“; Sozialisten vermeinten, eine bessere Organisation der Gesellschaft werde auch schon alle nötigen Existenzmittel liefern, eine optimistische und unerwiesene Behauptung, welche erst in der Ansicht eine beachtenswerte Stütze erhielt, eine Zügelung in der Volksvermehrung trete ohne Mitwirkung des menschlichen Willens von selbst durch ein Naturgesetz ein, da die Fruchtbarkeit der Menschen um so mehr abnehme, je besser sie sich nährten (Doubleday, Sadler), bez. da die Entwickelung des Nervensystems und der geistigen Thätigkeit im umgekehrten Verhältnis zur Fortpflanzungsfähigkeit stände und die Menschen sich um so weniger vermehrten, je mehr sie sich geistig entwickelten (Carey, Spencer). Die Richtigkeit dieser Theorien bedarf jedoch noch der Bestätigung, während die Hauptzüge der Malthusschen Bevölkerungslehre mit den nötigen Verbesserungen, wie sie Psychologie und Statistik an die Hand geben, allgemein anerkannt sind. Nicht so die Folgerungen, welche Malthus aus seiner Lehre für die praktische Politik gezogen hat. Die Frage, woran eine wirklich bedenkliche Übervölkerung zu erkennen (intensiver Bodenbau, Auswanderung, hohe Preise der Lebensmittel sind hierfür keine zureichenden Symptome), und wie ihr zu begegnen, ist überhaupt keine so einfache. Kann auch durch wirtschaftliche und soziale Mißstände sich eine örtliche Übervölkerung mit Massenarmut bilden, so ist dieselbe doch meist nur von temporärer Bedeutung. Änderungen in der Technik (Industrie, Landwirtschaft, Transportwesen) und in der Rechtsordnung können leicht wieder für eine größere B. Raum schaffen oder eine angemessene örtliche Ausgleichung ermöglichen, ohne daß es neomalthusianischer Rezepte bedarf. Dazu kommt, daß bis zu einer gewissen veränderlichen Grenze die zunehmende Dichtigkeit der B. selbst Bedingung für Mehrung der Unterhaltsmittel ist. Auch zeigt die Wirklichkeit, daß bei gesitteten Völkern keineswegs eine Steigerung des Wohlstandes eine solche Volksvermehrung hervorzurufen pflegt, daß die wirtschaftliche Lage wieder auf den alten Stand herabgedrückt wird. Alle Spekulationen auf dem gedachten Gebiet sind darum eitel, weil man nicht im stande ist, zu ermessen, welche B. etwa eine den Verhältnissen der Zukunft entsprechende ist, und weil überdies die Erde noch so viel Raum für Besiedelung bietet, daß wenigstens praktisch die Angst vor Übervölkerung illusorisch ist. Die Thätigkeit des Staats wird sich im wesentlichen auf Regelung von Versorgungspflichten, Versicherungswesen, Armenpflege, Medizinal-, Sittenpolizei, Auswanderung und Kolonisation zu beschränken haben, dann überhaupt auf Hebung der Gesamtwohlfahrt. Im übrigen aber werden Gesittung und wirtschaftlicher Trieb der Gesellschaft das Meiste und Beste thun müssen, indem das Anpassen der B. an die jeweilen produzierbare Menge von Nahrungsmitteln wenn auch teils unter fortwährenden und damit weniger fühlbaren Einschränkungen, so doch auch teils ohne eigentlichen Druck stattfindet. Vgl. außer den oben (S. 851) angeführten Werken namentlich Malthus, An inquiry into the principles of population (Lond. 1798, 7. Aufl. 1872; deutsch, Berl. 1878); Garnier, Du principe de population (2. Aufl., Par. 1885); Sadler, The law of population (Lond. 1830); Doubleday, The true law of population (2. Aufl., das. 1854); Alison, The principles of population (das. 1840, 2 Bde.); Spencer, Theory of population (das. 1852); Guillard, Éléments de statistique humaine, etc. (Par. 1855); Gerstner, Bevölkerungslehre (Würzb. 1864); Schmoller, Die Resultate der Bevölkerungsstatistik (Berl. 1870); Kautsky, Der Einfluß der Volksvermehrung auf den Fortschritt der Gesellschaft (Wien 1880).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 129130
korrigiert
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[129] Bevölkerung. Die Geburtsziffer, d. h. das Verhältnis der Anzahl der Geburten eines Jahrs zu derjenigen des mittlern Standes der B., war, bezogen auf 1000 Personen im Durchschnitt der Jahre 1873 bis 1886, in

Ungarn 44,1
Österreich 39,4
Preußen 38,6
Italien 37,0
Niederlande 35,7
England und Wales 34,5
Schottland 34,1
Dänemark 32,0
Belgien 31,5
Norwegen 31,0
Schweden 30,1
Schweiz 29,9
Frankreich 25,2
Irland 25,0

In vorstehenden Zahlen sind nur die Lebendgebornen berücksichtigt. Über die Totgebornen liegen nicht aus allen Ländern statistische Beobachtungen vor. In der gleichen Zeit starben durchschnittlich jährlich von je 1000 Personen der mittlern B. in

Ungarn 38,7
Österreich 30,9
Italien 28,7
Preußen 25,7
Niederlande 22,6
Frankreich 22,4
Schweiz 22,2
Belgien 21,2
Schottland 20,6
England und Wales 20,4
Dänemark 19,1
Schweden 18,2
Irland 18,2
Norwegen 16,9

Der Unterschied zwischen der Geburts- und Sterblichkeitsziffer jedes Landes ergibt die jährliche natürliche Bevölkerungsvermehrung für je 1000 Personen. Dieselbe war in

England und Wales 14,1
Norwegen 14,1
Schottland 13,5
Niederlande 13,1
Preußen 12,9
Dänemark 12,9
Schweden 11,9
Belgien 10,3
Österreich 8,5
Italien 8,3
Schweiz 7,7
Irland 6,8
Ungarn 5,4
Frankreich 2,8

Mit der natürlichen Bewegung der B. stimmen indessen nicht die thatsächlich stattgehabten Änderungen der Volkszahl überein. Denn zu den Geburten und Sterbefällen treten noch Ein- und Auswanderungen. In den meisten europäischen Ländern überwiegt die letztere, während die Vereinigten Staaten von Nordamerika alljährlich einen erheblichen Zuwachs durch Einwanderung erhalten. So hat Deutschland 1881 durch Wanderung rund 0,47 Proz. seiner B. verloren, 1877 dagegen nur 0,05 Proz. Sehr groß ist dieser Verlust durch Wanderung seit 1841 besonders in Irland gewesen.

Über die wirkliche Vermehrung der letzten Jahrzehnte gibt für die Hauptländer Europas und die Nordamerikas die nachstehende Tabelle Auskunft. Es betrug [130] die Volkszahl in Millionen, die Dichtigkeit u. die jeweilige jährliche Vermehrung der B. in Prozenten in

Jahr Volks­zahl Auf 1 QKil. Mehr Proz.
Deutschland:
1816 24,83 46,3
1820 26,29 49,1 1,43
1825 28,11 52,5 1,34
1830 29,52 55,1 0,98
1835 30,94 57,7 0,94
1840 32,79 61,2 1,16
1850 35,40 66,0 0,76
1860 37,75 70,4 0,64
1870 40,82 76,1 0,79
1880 45,23 83,7 1,03
1885 46,86 86,7 0,70
Österreich:
1857 18,22 60,7
1869 20,39 67,9 0,97
1880 22,14 73,7 0,78
1885 22,87 74,0 0,63
Ungarn:
1857 13,77 42,6
1869 15,51 48,0 1,05
1880 15,73 48,1 0,13
Frankreich:
1806 29,11 53,1
1821 30,47 55,6 0,31
1831 32,57 59,4 0,69
1841 34,23 62,4 0,51
1851 35,78 65,3 0,45
1861¹ 36,71 67,0 0,26
1872² 36,10 67,7
1876 36,91 70,0 0,55
1886 38,22 72,3 0,35
England und Wales:
1801 8,89 59,0
1811 10,16 67,3 1,43
1821 12,00 79,9 1,81
1831 13,90 92,0 1,58
1841 15,91 105,3 1,45
1851 17,93 118,7 1,26
1861 20,07 132,8 1,19
1871 22,71 150,4 1,32
1881 25,97 171,9 1,43
1886 27,87 184,7 1,36
Schottland:
1801 1,61 20,3
1811 1,81 22,8 1,23
1821 2,09 26,5 1,58
1831 2,36 30,0 1,30
1841 2,62 33,2 1,08
1851 2,89 36,6 1,02
1861 3,06 38,8 0,60
1871 3,36 42,6 0,97
1881 3,73 47,3 1,11
1886 3,95 50,1 1,09
Irland:
1801 5,22 61,8
1811 5,96 70,6 1,42
1821 6,80 86,8 1,44
1831 7,77 92,1 1,42
1841 8,18 96,9 0,52
1851 6,55 77,7 −1,98
1861 5,80 68,8 −1,15
1871 5,41 64,2 −0,66
1881 5,16 61,2 −0,47
1886 4,89 58,0 −1,11
Schweiz:
1860 2,51 60,6
1870 2,67 64,4 0,63
1880 2,85 69,0 0,66
Belgien:
1831 3,79 122,9
1846 4,34 140,8 0,97
1856 4,53 147,0 0,44
1860 4,67 151,6 0,78
1870 5,09 165,1 0,89
1879 5,54 179,7 0,98
1885 5,85 198,0 1,14
Niederlande:
1829 2,61 79,2
1839 2,86 86,6 0,94
1849 3,06 92,6 0,69
1859 3,29 100,0 0,77
1869 3,58 108,5 0,87
1879 4,01 122,0 1,24
1885 4,34 135,0 1,24
Italien:
1788 17,70 61,3
1812 19,80 68,6 0,56
1861 25,02 86,7 0,54
1871 26,80 92,9 0,71
1879 28,44 98,6 0,76
1885 29,70 100,0 0,85
Spanien:
1787 10,41 20,5
1832 11,16 21,9 0,16
1846 12,16 23,9 0,64
1857 15,46 30,4 2,47
1860 15,67 30,8 0,45
1877 16,63 32,7 0,85
1884 16,96 33,4 0,25
Schweden:
1751 1,79 3,9
1800 2,35 5,2 0,61
1810 2,38 5,3 0,13
1820 2,58 5,7 0,87
1830 2,89 6,4 1,17
1840 3,14 6,9 0,86
1850 3,48 7,7 1,09
1860 3,86 8,5 1,08
1870 4,17 9,2 0,80
1880 4,57 10,1 0,95
1885 4,64 10,2 0,50
Norwegen:
1815 0,89 2,9
1825 1,05 3,4 1,87
1835 1,19 4,0 1,36
1845 1,33 4,4 1,12
1855 1,49 4,9 1,22
1865 1,70 5,6 1,41
1875 1,81 6,0 0,62
1880 1,93 6,1 1,23
Europ. Rußland:
1858 66,89
1867 72,20 14,0 0,88
1879 83,63 15,0 1,32
1883 87,85 16,7 1,96
Verein. Staaten v. N.-Amer.
1790 3,93
1800 5,31 3,50
1810 7,24 3,61
1820 9,64 3,31
1830 12,87 3,31
1840 17,07 3,26
1850 23,19 3,58
1860 31,14 3,55
1870 38,56 2,37
1880 50,16 2,96
¹ Ohne die 1860 erworbenen Gebiete. – ² Exkl. Elsaß-Lothringen.

Zur Litteratur: Jastrow, Die Volkszahl deutscher Städte zu Ende des Mittelalters etc. (Berl. 1886); Beloch, Historische Beiträge zur Bevölkerungslehre, 1. Teil: „Die B. der griechisch-römischen Welt“ (Leipz. 1886).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 102
korrigiert
Indexseite

[102] Bevölkerung, s. Illegitimität und Konfessionsänderungen.