MKL1888:Baukunst der Gegenwart

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Baukunst der Gegenwart“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Baukunst der Gegenwart“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 18 (Supplement, 1891), Seite 9194
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: [[{{{Wikisource}}}]]
Wikipedia-Logo
Wikipedia:
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Baukunst der Gegenwart. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 91–94. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Baukunst_der_Gegenwart (Version vom 01.04.2022)

[91] Baukunst der Gegenwart (Berlin). Die zu Anfang der 70er Jahre begründete Herrschaft der Renaissance in der neuern deutschen Baukunst, die für Jahrzehnte gesichert schien, hat nicht so lange gewährt, als nach der allgemeinen begeisterten Aufnahme zu erwarten war, die ihr die Architekten der jüngern Generation als einem Gegengewicht gegen die Trockenheit und Nüchternheit des hellenisierenden Stils Schinkelscher Richtung entgegenbrachten. Schon seit der Mitte der 70er Jahre wandte man sich von der anfangs fast allein angewandten italienischen zur deutschen Renaissance, in der man den eigentlich nationalen Stil gefunden zu haben glaubte. Während [92] sich die einen bemühten, ihn von den Kleinlichkeiten seiner ursprünglichen Lebensbedingungen zu befreien und ihn nach den Anforderungen des modernen Lebens und seiner Verkehrsbedürfnisse umzumodeln, suchten die andern ihre Befriedigung in der Nachahmung und Überbietung seiner phantastischen Launen und barocken Ausschreitungen. Ist schon in der Geschichte der Baukunst des 16. und 17. Jahrh. die zeitliche Grenzlinie zwischen Spätrenaissance und Barockstil nirgends mit Sicherheit zu ziehen, so hat sich der Übergang in unsrer Zeit noch schneller und unmerklicher vollzogen. In dem Grade, als die Prachtliebe und die Repräsentationslust des modernen Lebens wuchsen, nahm auch die Neigung zu den üppigsten Kunstformen zu, und da der Stil der deutschen und italienischen Spätrenaissance dieser Neigung nicht mehr ausreichend entsprechen wollte, suchten die Architekten ihre Vorbilder in den letzten Entwickelungsstufen der Renaissance, im italienischen und französischen Barockstil. Unser geschichtlicher Sinn, unsre Kenntnis der Entwickelungsgeschichte des menschlichen Geistes in seiner künstlerischen Thätigkeit haben sich inzwischen so erweitert, geläutert und gereift, daß wir in den Kunstperioden des Barockstils und des Rokoko, das eigentlich kein Baustil, sondern nur ein neue Grundformen mitbringendes, dekoratives System ist, nicht mehr Zeiten des Verfalls und Sinkens des Kunstgeistes erblicken, sondern gelernt haben, sie als Erscheinungen zu würdigen, die die allgemeine Kultur, aus der sie erwachsen sind, ebenso getreu widerspiegeln, wie die Kunst des Altertums und der Renaissance ihren Nährboden. Unter diesen objektiven Gesichtspunkten ist die Wiederaufnahme des Barockstils in unsrer Zeit, die in keiner andern deutschen Stadt so lebhaft betrieben worden ist wie in Berlin, zu beurteilen.

Wie vor 20 Jahren die Wiedereinführung des italienischen Renaissancestils in Berlin vorzugsweise von Privatarchitekten im Gegensatz zu den in der Schinkelschen Schule gebildeten und an dem hellenischen Klassizismus festhaltenden Staatsbaubeamten betrieben und vertreten wurde, so stehen auch die Träger der neuen Bewegung in der Zeit, die wir hier berücksichtigen (1883–90), zumeist im Dienste der privaten Bauthätigkeit, während die im Auftrag des Staates entwerfenden Architekten wiederum das konservative Element darstellen, indem sie an der italienischen Renaissance festhalten, die ihnen die besten Ausdrucksformen für den Monumentalbau gewährt. Dieser Grundsatz ist während der letzten sieben Jahre sowohl bei den meisten vom Staate unternommenen Bauausführungen als bei den großen Konkurrenzen um Monumentalbauten zur Geltung gebracht worden. In dem Wettbewerb um das Reichstagsgebäude wurden zwei Entwürfe im Stile der italienischen Hochrenaissance mit den ersten Preisen gekrönt, von denen der Paul Wallots zur Ausführung bestimmt wurde. Nach mehrfacher Umarbeitung des ursprünglichen Entwurfs sind die anfangs sehr einfach gehaltenen Architektur- und Schmuckteile kräftiger und reicher entwickelt, aber dabei nirgends die Grenze überschritten worden, die nach unserm modernen Stilgefühl die Hochrenaissance vom Barock trennt. Die Vollendung des gewaltigen Baues, an dessen Ausführung sich zahlreiche neue Kräfte schulen, die sich zum Teil schon an großen Aufgaben bewährt haben, wie z. B. Rettig und Pfann in der Konkurrenz um das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I., wird für das Jahr 1895 erwartet. Auch in dem zweiten großen Wettbewerb, der von Berlin aus den deutschen Baukünstlern während der letzten sieben Jahre geboten wurde und die Forderung von Plänen zu Erweiterungsbauten für die königlichen Kunstmuseen zum Gegenstand hatte, wurden die im Stile der italienischen Renaissance komponierten Entwürfe von den Preisrichtern bevorzugt. Diese Konkurrenz sollte nur Material liefern, und eine vorläufige Entscheidung ist erst 1889 erfolgt, indem Franz Schwechten, Fritz Wolff und Ernst Ihne mit der Ausarbeitung von Plänen zu drei besondern Museen für Gipsabgüsse, antike Skulpturen und die Kunst der Renaissance beauftragt wurden. Auch diese Pläne, deren Ausführung bestimmt in Aussicht genommen ist, bewegen sich in den Stilformen der italienischen Renaissance. Ein dritter großer Monumentalbau, der schon seit länger als 40 Jahren der Gegenstand lebhafter Wünsche ist, ohne daß er über die einleitenden Stadien hinausgedeihen wollte, der Neubau eines protestantischen Doms in Verbindung mit einer Gruft für die Hohenzollernfürsten, ist im Widerspruch zu dem Verlangen der deutschen Architektenschaft, die in einem monumentalen Kirchenbau eine ihrer höchsten Aufgaben sieht, nicht zum Thema eines allgemeinen Wettbewerbs gemacht worden. Auf Grund eines Entwurfs des Kaisers Friedrich, der sich schon als Kronprinz eingehend mit dem Gedanken eines Dombaues beschäftigt und sich in J. C. Raschdorff einen künstlerischen Mitarbeiter erkoren hatte, wurde dieser mit der speziellen Aufstellung der Pläne betraut, nach denen der Dom ausgeführt werden soll. Sein Hauptmerkzeichen ist eine mächtige Kuppel, die sich an das für Kuppelbauten klassisch gewordene Vorbild, die Peterskirche in Rom, anschließt.

Gleich diesen noch im Entstehen begriffenen Monumentalbauten sind auch die übrigen im Laufe der bezeichneten Epoche vollendeten Staats- und öffentlichen Bauten, soweit sie ein künstlerisches Gepräge tragen, im Stile der italienischen Renaissance ausgeführt worden, so das Museum für Naturkunde, das mit den benachbarten Gebäuden der landwirtschaftlichen Hochschule und der Bergakademie zu einer Gruppe vereinigt worden ist, von August Tiede, das Museum für Völkerkunde von H. Ende, die Kriegsakademie von F. Schwechten, mit zwei Fassaden, deren eine in Sandstein ausgeführt ist, während die andre, in ihrer Gliederung und ihrem dekorativen System an die Bauten der lombardischen Frührenaissance erinnernd, aus rotem Backstein mit reichem Terrakottaschmuck errichtet ist, das Gebäude der kaiserlichen Oberpostdirektion von Tuckermann, das Geschäftshaus für das Landgericht und Amtsgericht II. von Hermann und Endell, der neue Packhof von Fritz Wolff, das Gebäude für den brandenburgischen Provinziallandtag von Ende u. Böckmann, das Ständehaus für den Teltower Kreis von F. Schwechten. Eine Ausnahmestellung nimmt das kaiserliche Patentamt von Fr. Busse ein, dessen Fassade, der vom neuern Privatbau eingeschlagenen Richtung folgend, die reichen Formen des Barockstils zeigt. Allen diesen Bauten gemeinsam ist die Gediegenheit des Materials. Ganz in Haustein ausgeführte Fassaden sind nichts Ungewöhnliches mehr, und wo die Mittel nicht zu ganzen Sandsteinfassaden ausreichen, werden die Flächen zwischen den Architekturteilen mit Backsteinen von gefälliger Farbe verblendet, in deren Herstellung die moderne Thonwarenindustrie eine hohe Vollendung erreicht hat, die sich auch auf die Fabrikation von Terrakotten zum Zweck der Ausschmückung von Fassaden mit Gesimsen, Konsolen, Rosetten, Friesen, Bändern, figürlichen Reliefs, Gruppen, Vasen etc. [93] erstreckt. Im Gegensatz zu der frühern Bauperiode wird auch ein stetig wachsender Wert auf die farbige Wirkung der Fassaden gelegt. Bei der ungeheuern Baulast, die die städtische Verwaltung Berlins jährlich zu erledigen hat, können bei Kommunalbauten künstlerische Interessen zur Zeit nur in sehr bescheidenem Maße berücksichtigt werden. Doch hat man sowohl bei den teilweise oder ganz frei stehenden Markthallenbauten als bei dem Polizeidienstgebäude, dessen Entwurf von H. Blankenstein herrührt, nach einer monumentalen Wirkung und einer malerischen Gruppierung der einzelnen Bauteile gestrebt.

Wenn die Lösung der Dombaufrage unter Umgehung eines allgemeinen Wettbewerbs in den beteiligten Kreisen eine starke Mißstimmung hervorgerufen hat, so ist dies zum Teil daraus zu erklären, daß die deutsche Kirchenbaukunst in neuerer Zeit im Anschluß an nationale und lokale Überlieferungen einen Aufschwung genommen hat, dessen Früchte zu dem Wunsch berechtigten, die gewonnenen Kräfte an einer großen Aufgabe zu bewähren. Der Hauptvertreter dieses neuen Aufschwunges, Johannes Otzen, der an die kirchlichen Backsteinbauten des gotischen Mittelalters in Norddeutschland anknüpft, bei der Verwendung seiner Vorbilder aber die modernen Bedürfnisse des protestantischen Kultus nach allen Seiten berücksichtigt und zur Belebung der Flächen wie der konstruktiven Teile auch dekorative Motive aus andern Ländern, besonders aus Italien, heranzieht, hat bisher wenigstens einmal Gelegenheit gehabt, in Berlin in der Kirche zum heiligen Kreuz zu beweisen, wie große malerische Wirkungen sich ohne Preisgabe des monumentalen Charakters diesem Stile abgewinnen lassen. Er und der nach ähnlichen Grundsätzen erneuerte und umgebildete romanische Stil sind auch für acht Kirchen mittlern Umfanges maßgebend gewesen, die zur Zeit im Bau begriffen sind, und zu denen Orth, Spitta, Schwechten u. a. die Entwürfe geliefert haben.

Im Profanbau hat dagegen der gotische Stil keinen Eingang gefunden, vielleicht weil es hier an jeder Spur einer örtlichen Überlieferung fehlt. Ein Gleiches gilt freilich auch von der Renaissance, da Berlin, abgesehen von einigen Teilen des königlichen Schlosses, nur noch ein einziges Haus aus dieser Zeit besitzt, das einen Teil des königlichen Marstalls bildet. Wenn man nach einem Stile sucht, dessen Spuren noch in der Physiognomie des alten Berlins erkennbar sind, so könnte allein der Schlütersche Barockstil in Frage kommen, und er hat auch unzweifelhaft einen Teil dazu beigetragen, daß der Barockstil in den letzten Jahren so stark in Übung gelangt ist. Eine unmittelbare Einwirkung der Denkmäler ist dabei nicht anzunehmen. Wie andre Bewegungen auf dem Gebiet der modernen Kunst, ist auch diese durch litterarische Mittel hervorgerufen worden, zunächst durch die 1876 erfolgte Veröffentlichung des Berliner Schlosses von R. Dohme, die zuerst den Reichtum der repräsentativen Pracht des Schlüterstils erschloß, und dann durch eine Reihe ähnlicher Veröffentlichungen, die sich schließlich auf die Barock- und Rokokodenkmäler des gesamten Deutschland erstreckten und in dem Grade an Zahl zunahmen, als der Denkmälervorrat der deutschen Renaissance in Bezug auf seine praktische Verwendbarkeit erschöpft wurde.

Durch die Örtlichkeit geboten erschien die Anlehnung an den von Schlüter umgebildeten italienischen Barockstil in den von mächtigen Kuppeln überragten Eckbauten der neuen Kaiser Wilhelmstraße und der an sie grenzenden Häuserfronten dieser Straße, die nach den Entwürfen von Cremer und Wolffenstein ausgeführt worden sind. Die Straße führt nämlich von Osten nach Westen in den Lustgarten, dessen Südseite das Schlütersche Schloß einnimmt, mit dessen mächtiger Architektur die Eckbauten der Kaiser Wilhelmstraße in Einklang gebracht werden mußten. Nachdem dieses Beispiel höchster Prachtentfaltung im architektonischen Aufbau wie im bildnerischen Schmuck einmal gegeben war, fand es zahlreiche Nachfolger, die, wenn sie auch nicht gerade im eigentlichen Schlüterstil schufen, doch der italienischen, französischen und deutschen Barockkunst folgten, weil sie in den dekorativen Teilen einerseits der Prunkliebe entgegenkommt, der gegenwärtig sämtliche im Dienste des Baugewerbes thätigen Künste und Industrien huldigen, um ihre hochentwickelte Leistungsfähigkeit zu erproben, anderseits mehr als jede andre historische Stilart die Ausbildung monumentaler Innenräume gestattet. Selbständig, ohne von andern Kunstgenossen beeinflußt zu sein, haben Kayser und von Großheim, die am meisten beschäftigten unter den Privatarchitekten Berlins, die bisher die deutsche und italienische Renaissance bevorzugt hatten, diesen Weg betreten. Schon in ihrem mit einem zweiten Preis gekrönten Entwurf für das Reichstagsgebäude hatten sie sich an die französische Spätrenaissance angeschlossen, und in dem Geschäftshaus für die New Yorker Versicherungsgesellschaft Germania verschmolzen sie Elemente der deutschen Spätrenaissance mit dem Schlüterschen Barockstil, ohne jedoch, zumal bei einem Übermaß von dekorativem Aufwand an Bildwerk, buntem Glasmosaik, verschiedenfarbigem Stein, Bronze und Schmiedeeisen, eine einheitliche Wirkung zu erzielen. Dies ist ihnen viel besser in ihren spätern Schöpfungen, dem Dreherschen Hause in der Leipziger Straße, einem großen Geschäftshaus am Gendarmenmarkt, dem Pschorrbräuhaus, dem Kaufhaus Stuttgart und dem Hause der Versicherungsgesellschaften Concordia und Colonia gelungen, da sie in dem Grade, als sich die Aufgaben mehrten, die Formen des Barockstils beherrschen und immer maßvoller gestalten lernten. Diese und die meisten andern Schöpfungen des Berliner Privatbaues sind danach zu beurteilen, daß sie nicht aus der freien Phantasie der Künstler erwachsen sind, sondern sich in erster Linie den Wünschen und Bedürfnissen der Bauherren und, was noch häufiger ist, den Forderungen der Bauspekulation unterordnen mußten. Soweit man von einem monumentalen Privatbau sprechen kann, wurde er in dem uns beschäftigenden Zeitraum durch das Geschäfts- und Kaufhaus, den Bierpalast und das Hotel vertreten. Mit besonderm Eifer wurde an der Lösung der durch das Geschäftshaus gestellten Aufgabe gearbeitet, die im wesentlichen darauf hinauslief, die Grundstücksfläche zu höchster Rentabilität zu bringen: in den beiden untern Stockwerken Verkaufsläden, Geschäftsräume, Büreaus, in den obern Mietswohnungen, unten breite Schaufenster, Thüren und sonstige Lichtöffnungen, oben Fenster mit gewöhnlichen Abmessungen. Den dadurch entstehenden Zwiespalt zwischen den einzelnen Stockwerken völlig zu lösen und einheitlich wirkende Fassaden zu komponieren, ist keinem der Architekten gelungen, obwohl alle erdenklichen Versuche gemacht worden sind, die verschiedenen Zwecken dienenden Stockwerke zusammenzufassen. Am meisten ist es noch Hans Grisebach in den Geschäftshäusern A. W. Faber und Ascher u. Münchow geglückt, die insofern eine Sonderstellung in der Berliner Architektur einnehmen, als ihr Schöpfer sich an den Stil der deutschen Renaissance anschließt, [94] aber an diejenige nordische Richtung, die, auf den Backsteinbau angewiesen, noch Konstruktionsgrundsätzen des gotischen Stiles folgte. Grisebachs Bauten kennzeichnen sich durch eine stark betonte Höhentendenz, durch reiche Verwendung von Erkern, Giebeln, Spitztürmchen und hohen Dächern und durch reiche Farbenwirkung bei feiner Ausbildung aller ornamentalen Einzelheiten. Gelegentlich komponiert er auch in dem malerischen, jeder Symmetrie spottenden Stile, der jetzt besonders in Süddeutschland beliebt ist, und den man als Münchener Renaissance bezeichnet. Berlin hat schon mehrere Beispiele dieses Stils aufzuweisen, unter denen das phantastische, einer mittelalterlichen Burg nachgebildete Künstlerheim, ein Ateliergebäude mit Restaurant und Wohnungen, von Sehring und das Haus Hohenstein und v. Santen in der Wilhelmstraße, von Zaar erbaut, die bemerkenswertesten sind. Diese Spielart der Renaissance ist in Berlin durch die großen Münchener Brauereibesitzer eingeführt worden, die sich für den Ausschank ihrer Erzeugnisse eigne Bierpaläste erbauen ließen. Zwei von ihnen haben ihre Häuser auch nach den Plänen süddeutscher Architekten errichten lassen: Sedlmayr das Haus Zum Spaten durch Gabriel Seidl in München, Freiherr v. Tucher das seinige durch Professor Walther in Nürnberg. Die Architekturteile sind sehr einfach gehalten, da der Hauptschmuck der Fassaden in figürlichen und ornamentalen Malereien besteht, wozu möglichst große Mauerflächen dargeboten werden mußten.

Den ausschließlichen Charakter eines Geschäfts- und Warenhauses haben Kayser und v. Großheim in dem Kaufhaus Stuttgart und Otto March in dem Kaufhaus Zum Hausvogt zum Ausdruck gebracht, wobei freilich das künstlerische Moment in den Hintergrund treten mußte. Otto March, der Erbauer des Festspielhauses in Worms, hat sich auch im Villenbau durch eigenartige Erfindung und reizvolle malerische Komposition bewährt. Die höchste monumentale Wirkung hat auf dem Gebiet des Geschäftshäuserbaues Karl Schäfer in dem Palast der New Yorker Equitablegesellschaft erreicht, einem Eckhaus, dessen Ecke von einer mächtigen Kuppel mit schlank aufstrebender Laterne gekrönt ist. Die sich an den Barockstil anschließenden Architekturformen wirken zumeist durch sich selbst, da von ornamentalem Beiwerk ein sehr spärlicher Gebrauch gemacht worden ist.

Unter den neuen Hotelpalästen sind die umfangreichsten: das Hôtel Continental, das Hôtel Bellevue und das Hôtel Monopole, alle drei im Stile der Hochrenaissance, bez. im Barockstil von Ludwig Heim erbaut, das Grand Hôtel Alexanderplatz, im Stile der deutschen Renaissance von v. Holst und Zaar, der Habsburger Hof von van der Hude u. Hennicke. Mit Ausnahme des erstgenannten sind alle diese Bauten so angeordnet, daß die Erdgeschosse zur bessern Ausnutzung des teuern Baugrundes zu Restaurants, Cafés und Läden eingerichtet wurden, die vom Hotelbetrieb unabhängig sind. In der Ausschmückung dieser Restaurants und Cafés durch Wand- und Deckengemälde, durch reiche Stuckaturen mit Bemalung und Vergoldung u. a. hat sich schnell ein Wetteifer entfaltet, der eine besondere Spezialität der Innendekoration hervorgerufen und fast alle historischen Stilarten in Bewegung gesetzt hat. Die reichsten Beispiele dieser Art sind das maurische Café im Monopolehotel von Heim und das im üppigsten Rokokostil ausgestattete Café Reichshallen von Fr. Stahn. Wie groß die Bedenken aber auch sind, die man vom Standpunkt der ästhetischen Kritik gegen diese und andre dekorative Überschwänglichkeiten erheben muß, so ist doch anzuerkennen, daß alle mit dem Baugewerbe in Verbindung stehenden Künste durch solche Aufgaben technisch sehr gefördert werden.

Der Bau von Palästen für große Bankinstitute, der während der 70er Jahre der neuern Entwickelung der Berliner Architektur einen charakteristischen Zug gegeben hat, ist in den 80er Jahren zurückgetreten. Von hervorragender künstlerischer Bedeutung sind nur die in italienischem Renaissancestil komponierte, mit vollkommener Harmonie durchgebildete Fassade der Dresdener Bank von Heim und ein Erweiterungsbau der Diskontogesellschaft von Ende und Böckmann, dessen ganz in rotem Sandstein ausgeführte Fassade der Straße Unter den Linden zugekehrt ist.

Ein regere Thätigkeit hat sich im Theaterbau entfaltet. In dem von van der Hude und Hennicke erbauten Lessingtheater, dessen Äußeres eine einfache Renaissance-Architektur mit scharf charakterisierender Unterscheidung der einzelnen Teile des Innern nach außen hin zeigt, während die nach den neuesten Erfahrungen sehr zweckmäßig angeordneten Innenräume (Vestibül, Korridore, Wandelgänge und Zuschauerräume) im Rokokostil dekoriert sind, hat Berlin ein von allen Seiten frei liegendes Theatergebäude erhalten. Das ist ein Vorzug, den es streng genommen nur mit den beiden königlichen Theatern teilt. Eine dekorative Umgestaltung im Innern haben das deutsche (früher Friedrich-Wilhelmstädtische) Theater und das Berliner (früher Walhalla-) Theater erfahren. Letzteres hat auch eine neue, mit einer Säulenstellung u. einem antiken Tempelgiebel darüber geschmückte Fassade erhalten. Mit Benutzung der alten Umfassungsmauern völlig umgebaut und neu dekoriert im Innern sind das Concordiatheater von G. Ebe und das Thomastheater von Oskar Titz. Beide Theater sind durch hohe Mietshäuser von den Straßen getrennt, so daß eine künstlerische Gestaltung der Außenarchitektur ausgeschlossen war. Desto reicher ist die dekorative Ausstattung des Innern, bei der Ebe sich mit Maß und feinem Geschmack an den Rokokostil hielt, während sich Titz in freien Renaissanceformen bewegte.

Bei dem beständigen Steigen der Grundstückswerte im Innern der Stadt wie in den von der wohlhabendern Bevölkerung bewohnten Vorstädten ist der städtische Villenbau wie überhaupt das private Wohnhaus ohne Läden und Geschäftslokale in den Hintergrund getreten. Der Villenbau hat sich fast ganz auf die Vororte zurückgezogen, die freilich insofern zu Berlin gehören, als die große Mehrzahl ihrer Bewohner in Berlin ihre Beschäftigung hat oder dort ihrem Beruf nachgeht. Die Physiognomie der Berliner Vorstädte wird dagegen mehr und mehr von dem Mietskasernenstil beherrscht, der sich ein künstlerisches Gepräge zu geben sucht, indem er die Fassaden immer üppiger mit Bildwerken und Ornamenten in Gips, mit Malereien und Thonzieraten ausstattet und die Vestibüle und Treppenhäuser immer prunkvoller und verlockender gestaltet, ohne daß die Anordnung der innern Räume dieser gleisnerischen Scheinarchitektur entspricht. Eine künstlerische Bedeutung haben diese Spekulationsbauten nicht. Aber sie sind immerhin ein Zeichen einer Zeit, die mit den stärksten Mitteln arbeitet, weil sie sich im Besitz einer zuvor noch nie erreichten technischen Virtuosität weiß.