Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Arbeitsbuch“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 44
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Arbeitsbuch. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 44. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Arbeitsbuch (Version vom 15.06.2024)

[44] Arbeitsbuch.[WS 1] Durch das Gesetz vom 16. Juni 1890 ist in Frankreich das A. (livret d’ouvrier) beseitigt worden. Dieses bestand hier schon seit alter Zeit, und zwar auf Grund von Zunftstatuten schon im 13. Jahrhundert. Gesetzlich wurde es unter Ludwig XIV. für gewisse Handwerke und 2. Jan. 1749 ganz allgemein eingeführt, indem allen in den Werkstätten und Manufakturen des Königreichs beschäftigten Gesellen und Arbeitern streng untersagt wurde, ihre Arbeitsstelle zu verlassen, ohne von ihren Arbeitgebern einen Abkehrschein erhalten zu haben. Die Übertretung dieses Verbots wurde mit der überaus hohen Strafe von 100 Livres bedroht, für deren Bezahlung die Arbeiter mit ihrer Person zu haften hatten. Ausdrücklich aufrecht erhalten wurde das A. durch die Patente vom 8. Jan. 1782; doch wurde dasselbe durch die Revolution (Gesetz vom 17. März 1791) für kurze Zeit beseitigt. Bald wurde darüber Klage geführt, die Industrie werde durch die vielfach vorkommenden Vertragsbrüche der Arbeiter geschädigt, die Unternehmer wagten nicht mehr, dem Gewerbe Kapital anzuvertrauen. Mit Rücksicht hierauf wurde durch Gesetz vom 12. April 1803 das obligatorische A. wieder eingeführt. Die Bestimmungen dieses Gesetzes blieben, modifiziert, im wesentlichen bis 1890 in Kraft. Die Arbeiter hatten sich nach denselben mit einem A. zu versehen; den Besitzern und Leitern von industriellen Anlagen war es untersagt, einen Arbeiter zu beschäftigen, der sich nicht im Besitz eines vorschriftsmäßigen Arbeitsbuches befand. Nachdem eine 1868 angestellte Erhebung ergeben hatte, daß trotz gesetzlicher Vorschrift das A. in vielen Industriebezirken thatsächlich außer Gebrauch gekommen war oder doch in einer nur mangelhaften Weise angewandt wurde, wurde 1869 in einem dem Gesetzgebenden Körper vorgelegten Gesetzentwurf die Beseitigung der veralteten Einrichtung geplant. Doch kam der Entwurf damals nicht zur Erledigung. Erst seit 1881 wurde wiederholt die Aufhebung der auf das A. bezüglichen gesetzlichen Bestimmungen angeregt. Sie scheiterte aber daran, daß Senat und Deputiertenkammer über Umfang und Art derselben sich nicht einigen konnten. Der Senat nahm in den im November 1883 von ihm angenommenen Gesetzentwurf die fakultativen Arbeitsbücher auf. Jeder Arbeiter sollte vom Maire seiner Gemeinde ein A. zu fordern berechtigt sein. Der Inhaber oder Leiter eines Gewerbebetriebs sollte verpflichtet sein, auf Verlangen eines Arbeiters dessen Vor- und Zunamen, Beruf und Wohnort sowie die Zeit vom Eintritt in das Arbeitsverhältnis und des Austritts aus demselben in dem Buch festzustellen. Man glaubte, daß das A. neben seinen schweren Nachteilen für den Arbeiter selbst einige Vorteile biete. Denn durch die einfache Feststellung der Dauer seiner Beschäftigung in den verschiedenen Werkstätten, in denen er gearbeitet habe, sei er in der Lage, seine Ordnungsliebe, Arbeitsliebe und Moralität zu konstatieren; er könne sich vertrauensvoll jeder Werkstätte zuwenden, da der Vorweis seines Arbeitsbuches genüge, ihm dieselbe zu öffnen. Die Deputiertenkammer, welche besorgte, es könne leicht aus dem fakultativen A. ein, wenn auch nicht gesetzlich, so doch thatsächlich obligatorisches werden, stimmte dem Vorschlag des Senats nicht bei. Gegen das A. wurde insbesondere geltend gemacht, daß dasselbe auf Kosten der Rechtsgleichheit lediglich dem Interesse des Unternehmers diene, indem es den Arbeiter fest an denselben kette. Hatte der Unternehmer einem Arbeiter Vorschüsse in Geld gemacht, so konnte er dieselben in dem Augenblick, wo ihn der Arbeiter verließ, in das A. eintragen. Jeder, der nunmehr den Arbeiter beschäftigte, mußte demselben zu gunsten des Gläubigers einen Abzug vom Lohn machen, und zwar nach dem Gesetz vom 12. April 1803 bis zu 20 Proz., nach dem vom 14. Mai 1851 bis zu 10 Proz., und zwar bis zu einem (früher unbegrenzten) Höchstbetrag von 30 Frank. So erwarb der Unternehmer lediglich durch den Eintrag in das A. ein Privileg, während in andern Fällen der Gläubiger kein derartiges Vorzugsrecht genießt und zur Geltendmachung seiner Forderung den Rechtsweg beschreiten muß. Dann genoß der Unternehmer noch einen andern Vorzug. Ist jemand zu einer Leistung verpflichtet, so kann, wenn er seinen Verbindlichkeiten nicht nachkommt, der Berechtigte nach gemeinem Recht auf Schadenersatz klagen. Dagegen bedrohte das Gesetz von 1854 mit Geldbußen oder sogar Gefängnis jeden, welcher einen Arbeiter beschäftigte, solange in dessen A. nicht bescheinigt war, daß er die Leistungen, zu welchen er verpflichtet war, auch erfüllt habe. Im J. 1890 kam eine Vereinbarung zwischen Senat und Deputiertenkammer dahin zu stande, daß das fakultative A. durch ein Zeugnis ersetzt werde. Jeder Arbeiter kann nach dem neuen Gesetz vom 2. Juli 1890 vom Unternehmer bei Strafe des Schadenersatzes ein Zeugnis verlangen, welches lediglich Angaben über die Zeit seines Eintritts in das Arbeitsverhältnis, über die seines Austritts und über die Art seiner Beschäftigung enthält. Im übrigen sind alle auf die Arbeitsbücher bezüglichen gesetzlichen Bestimmungen aufgehoben, mit Ausnahme derjenigen über die Quittungsbücher der Fabrikation zu Lyon, über die Abrechnungsbücher für Spulen und Weben und über die Bücher für gewerblich beschäftigte Kinder und minderjährige Mädchen. Der Arbeitsvertrag unterliegt den Vorschriften des gemeinen Rechtes und kann in den von den Parteien vereinbarten Formen festgestellt werden. Die Wahl zum Mitglied eines Conseil des prud’hommes ist nicht mehr wie früher an den Besitz eines Arbeitsbuches gebunden. Vgl. Block, Dictionnaire de l’administration française (3. Aufl. 1891.); Jay im „Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik“, Bd. 3, 1890.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. Arbeitsbücher in Band 1.