[747]

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Arbeit“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 746750
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Arbeit. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 746–750. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Arbeit (Version vom 24.04.2022)

[746] Arbeit, in der Mechanik die Leistung einer Kraft, welche sie in Überwindung eines Widerstandes bethätigt. Wenn wir ein Kilogrammgewicht 1 m hoch in die Höhe heben, so leisten wir damit eine A. von ganz bestimmter Größe; wir leisten offenbar eine doppelt so große A., wenn wir das Kilogramm 2 m hoch, oder auch, wenn wir 2 kgm hoch heben, und die sechsfache A., wenn wir 3 kgm hoch emporschaffen. Die geleistete A. ist hiernach um so größer, je größer der überwundene Widerstand oder die ihm gleiche, zu seiner Überwindung aufgewendete Kraft und je größer der Weg ist, der hierbei in der Richtung der Kraft zurückgelegt wurde. Nehmen wir daher als Arbeitseinheit jene A. an, welche eine Kraft von 1 kg (die Krafteinheit) leistet, indem sie einen ihr gleichen Widerstand durch eine Weglänge von 1 m (die Längeneinheit) überwindet, und nennen dieselbe Meterkilogramm (auch Kilogrammmeter), so erhalten wir die von irgend einer Kraft geleistete A. in Meterkilogrammen, wenn wir die Zahl der Kilogramme, durch welche die Kraft ausgedrückt ist, mit der Zahl der Meter multiplizieren, durch welche der vom Angriffspunkt in der Richtung der Kraft zurückgelegte Weg gemessen wird.

Nach diesen Meterkilogrammen wird nun auch die Quantität mechanischer Arbeit, welche von Menschen und Tieren in einer bestimmten Zeit geleistet werden kann, die Arbeitsleistung, gemessen. Wählt man als Zeiteinheit die Sekunde, so bildet die Maßeinheit für die Leistungsfähigkeit das Sekundenmeterkilogramm (E) oder die Pferdekraft (H) = 75 E. Die Leistungsfähigkeit eines Menschen, der während einer längern Zeit im stande ist, pro Sekunde 10 kg 0,6 m hoch zu heben, beträgt daher E oder H. Die Pferdekraft als größere Arbeitseinheit benutzt man gegenwärtig allgemein zur Messung der Leistung von Maschinen, macht hierbei aber noch gewisse Unterschiede, welche für die Beurteilung der Angaben von großer praktischer Bedeutung sind (vgl. Pferdekraft). Der in einer Sekunde zurückgelegte Weg führt, vorausgesetzt, daß die Bewegung eine gleichförmige ist, den Namen Geschwindigkeit. Man erhält daher die Leistungsfähigkeit pro Sekunde, wenn man die Geschwindigkeit mit der Kraft multipliziert, und man bekommt die in einer nach Sekunden gemessenen Zeit geleistete A. oder hervorgebrachte Leistung, wenn man das aus Geschwindigkeit und Kraft erhaltene Produkt noch mit der Zeit multipliziert. Die Leistungsfähigkeit der Menschen oder Tiere ist abhängig: 1) von der Beschaffenheit der die A. verrichtenden Individuen (also von Klima, Rasse, Geschlecht, Alter, Nahrung und Übung, ferner beim Menschen von der Willenskraft und beim Tier vom Ansporn); 2) von der Art der zu verrichtenden A. (also von der Lage des Körpers, den bei der A. beteiligten Muskeln, ferner von der Form und Größe der auszuführenden Bewegung sowie der dabei aufzuwendenden Kraft); 3) von der täglichen Dauer der A. Die belebten Motoren unterscheiden sich von den unbelebten besonders dadurch, daß sie während der A. ermüden, also nach einer gewissen Arbeitszeit der Ruhe bedürfen, um Kräfte zu sammeln. Da nun ein Mensch oder ein Tier nur einen Bruchteil (in der Regel ein Drittel) des ganzen Tags arbeiten kann, so ist es zweckmäßig, die Leistungsfähigkeit derselben, außer durch die während der Arbeitszeit erzielte sekundliche Leistung, noch durch das Arbeitsquantum auszudrücken, welches pro Arbeitstag verrichtet werden kann. Durch Beobachtungen hat man gefunden, daß die Leistungsfähigkeit eines bestimmten Individuums bei Verrichtung einer speziellen Arbeitsart am größten wird unter Innehaltung einer gewissen mittlern oder normalen täglichen Arbeitszeit und einer ganz bestimmten mittlern oder normalen Geschwindigkeit und unter Aufwendung einer entsprechenden mittlern oder normalen Kraft (beim Ziehen am horizontalen Seil, z. B. beim Schiffziehen, leistet ein Mensch am meisten, wenn er täglich 8 Stunden arbeitet und während dieser Zeit einen Zug von 10 kg ausübt und eine Geschwindigkeit von 0,8 m innehält; s. die Tabelle S. 747, in welcher die mittlern Werte für Arbeitsdauer, Kraft und Geschwindigkeit bei verschiedenen Arbeitsverrichtungen zusammengestellt sind). Wenn man nun bei einer bestimmten A. von einem der zu ihr gehörigen mittlern Werte abweicht (etwa statt 8 Stunden nur deren 6 arbeitet), so kann man den höchsten überhaupt möglichen Grad oder das absolute Maximum der täglichen Arbeitsleistung durch Veränderung der beiden andern Größen (hier der Geschwindigkeit und Kraft) nicht wiederherstellen, wohl aber unter den verschiedenen Werten dieser beiden Größen zwei so wählen, daß sie unter Beibehaltung des angenommenen anormalen Werts der ersten Größe eine höhere Leistung als alle andern Werte, also ein relatives Maximum der Tagesleistung, ergeben. Da man häufig durch eigentümliche Verhältnisse gezwungen ist, von den die absolut größte Tagesleistung ergebenden Mittelwerten abzuweichen, so ist es von Wichtigkeit, für jeden angenommenen anormalen Wert einer der drei Größen diejenigen Werte der beiden andern finden zu können, mit welchen ein relatives Maximum erreicht wird. Unter den verschiedenen Formeln, welche diesem Zweck dienen, ergeben die Maschek-Launhardtschen die brauchbarsten Resultate. (Vgl. „Die Steigung der Straßen“ in der „Zeitschrift des Architekten- und Ingenieurvereins zu Hannover“ 1880, S. 345.)

Die nebenstehende Tabelle gibt einige der am häufigsten vorkommenden Verhältnisse und ist mit großem Vorteil für praktische Zwecke verwertbar. Soll z. B. eine Quantität von 486 Ton. à 1000 kg Erde auf eine Höhe von 8 m gehoben werden, und hat man dazu 10 Arbeiter zur Verfügung, so muß man dieselben, um von ihnen das Maximum ihrer Leistungsfähigkeit zu erreichen, so übereinander stellen, daß sie sich das Material auf je 1,6 m Höhe zuwerfen, also in 5 Etagen zu je 2 Mann übereinander stehen. Die 486,000 kg Erde, auf 8 m gehoben, repräsentieren dann eine mechanische A. von Meterkilogramm oder, da für das Erdeheben mit der Schaufel 38,880 Meterkilogramm die Tagesleistung eines Menschen sind, 100 Tagesleistungen für 1 Arbeiter oder 10 Tagesleistungen für 10 Arbeiter; d. h. die 10 Arbeiter brauchen zum Heben der besagten Quantität Erde 10 Tage.

Tabelle über die mittlern oder normalen Werte für Kraft, Geschwindigkeit und tägliche Arbeitszeit sowie über die absoluten Maxima der Leistungsfähigkeit animalischer Motoren bei verschiedenen Arbeitsarten.
Motor Art der Arbeit Nor­male Kraft in Kilo­gram­men Nor­male Ge­schwin­dig­keit in Me­tern Nor­male täg­liche Ar­beits­zeit Ab­so­lu­tes Maxi­mum der Lei­stungs­fä­hig­keit Anmerkungen
pro Se­kun­de pro Ar­beits­tag in Meter­kilo­gram­men
in Stun­den in Se­kun­den in Se­kun­den­meter­kilo­gram­men in Pferde­stär­ken
Mann mit mittl. Kör­per­ge­wicht von 70 kg Geht auf annähernd horizontaler Bahn 6 1,5 10 36000 9,0 0,120 324000 Nach Weisbach beträgt der Widerstand, welchen ein Mensch beim Gehen zu überwinden hat, 1/12 seines Eigengewichts und 1/12 der Last, welche er trägt
desgl. Trägt auf horizontaler Bahn eine Last von 18 kg:
1) wenn das Körpergewicht mitgerechnet wird
7,5 1 8 28800 7,5 0,100 216000
2) wenn nur die Nutzlast gerechnet wird 1,5 1 8 28800 1,5 0,020 43200
desgl. Zieht oder drückt im Fortschreiten nach horizontaler Richtung (am Handwagen, Schiffseil etc.) 10 0,8 8 28800 8 0,107 230400  
desgl. Steigt auf einer Treppe mit einer Last von 50 kg 120 0,04 8 28800 4,8 0,065 138240  
und nur die Last gerechnet 50 0,04 8 28800 2,0 0,027 57600
desgl. Beim Bergsteigen mit einer Last von 12 kg 82 0,11 10 36000 9,0 0,120 324000   Leistung der Alpenführer
und nur die Last gerechnet 12 0,11 10 36000 1,3 0,017 46800
desgl. Hebt Gewichte mit den Händen 20 0,17 6 21600 3,4 0,047 73440  
desgl. Hebt Erde mit einer Schaufel bis zu einer Höhe von 1,6 m 2,7 0,40 10 36000 1,08 0,014 38880  
desgl. Hebt Lasten durch Ziehen am vertikalen, über eine Rolle gelegten Seil 18 0,2 6 21600 3,6 0,048 77760   Wegen des fortwährenden Griffwechsels ist die Geschwindigkeit gering
desgl. Arbeitet allein an einer Handkurbel von 0,4 bis 0,45 m Radius 8 0,8 8 28800 6,4 0,085 184320 Für Hebe- u. andre Maschinen mit stark unterbrochenem Betrieb darf die normale Kraft bis zu 16 kg angenommen werden
desgl. Arbeitet mit einem andern an einer Doppelkurbel, deren Arme um 135° verstellt sind 12,5 0,7 8 28800 8,75 0,117 252000 Diese Leistung gilt für jeden Mann einzeln
desgl. An der Handpumpe:
mit beiden Armen
16 1,7 27,2 0,360 Arbeitsdauer je 5–10 Minuten nach sehr langen Ruhepausen
mit einem Arm 10 1,7 17 0,226
desgl. An der Feuerspritze:
nach Weisbach
10,53 1,57 16,5 0,220 Arbeitsdauer nur 2 Minuten mit langen Ruhepausen
  Rühlmann 8,77 1,94 17,0 0,226
  Hartig 12,8 1,77 22,6 0,300
Weib   Leistet etwa 2/3 der Arbeit des Mannes
Pferd Am Wagen ziehend 60 1 8 28800 60 0,800 1728000 Bei gleichzeitigem Vorspann von 2 Pferden sinkt die Leistung des Pferdes auf 0,95, bei 4 Pferden auf 0,8, bei 12 Pferden auf 0,5 des Werts herab, der für die Einzelverwendung gilt
desgl. am Göpel 45 0,9 8 28800 40,5 0,540 1166400
desgl.   Tretgöpel 48 1 8 28800 48 0,640 1382400
Ochs Am Wagen ziehend 60 0,8 8 28800 48 0,640 1382400  
desgl. am Göpel 65 0,6 8 28800 39 0,520 1123200
Esel Am Wagen ziehend 40 0,8 8 28800 32 0,427 921600  
desgl. am Göpel 14 0,8 8 28800 11,2 0,149 322560

 

[748] Arbeit. Im Sinn der Nationalökonomie ist A. jede auf Wertschaffung gerichtete menschliche Thätigkeit; im gewöhnlichen Leben wird mit dem Wort A. nicht allein der Akt der Leistung, sondern oft auch das Resultat derselben bezeichnet. Für den Begriff sind Art und Erfolg der Thätigkeit gleichgültig, insbesondere ist es nicht nötig, daß die Thätigkeit für die Gesellschaft nützlich sei oder von derselben als zulässig erklärt werde; es gibt auch schlechte Arbeiten und Arbeiten der Zerstörung, welche einem gewollten, wenn auch nicht gerade für andre dienlichen Zweck entsprechen können. Den Begriff auf das Gebiet der körperlichen Thätigkeiten oder Handarbeiten zu beschränken, scheitert praktisch schon an der Unmöglichkeit, die geistige und physische A. überhaupt scharf voneinander zu trennen. Die einfachste Handarbeit bedarf einer wenn auch nicht sehr anstrengenden geistigen Überlegung, und die Kopfarbeit, welche, wenn sie nachhaltig nützlich wirken soll, sich äußerlich immerhin objektivieren muß, kann den Körper ebensosehr und selbst stärker angreifen als schwere Handarbeit. Jedoch ist es üblich geworden, den Begriff Arbeiter etwas enger zu fassen, als es obiger Definition entsprechen würde, indem man unter denselben die Klasse der Lohnarbeiter im Gegensatz zu den selbständigen wirtschaftlichen Existenzen, insbesondere zu den Unternehmern und Kapitalisten, zu verstehen pflegt. In diesem Sinn wird das Wort „Arbeiter“ von Sozialisten genommen, deshalb ist es verfehlt, ihre Forderungen mit dem Einwand bekämpfen zu wollen, daß andre Mitglieder der Gesellschaft ebenfalls arbeiteten. Jede A. ist mit mehr oder weniger Mühe verbunden. Teils hierdurch unterscheidet sich die A. vom Spiel, teils dadurch, daß letzteres nicht ernster Wertschaffung, sondern der Erheiterung und angenehmen Zerstreuung dient.

Die Bedeutung der A. ist eine doppelte. Zunächst ist sie ein wichtiger Faktor der Produktion und damit auch aller menschlichen Kultur. Was uns die Natur mühelos bietet, reicht nicht aus zur Fristung der bescheidensten physischen Existenz. Es bedarf der stufenweise fortschreitenden A. vieler Generationen, von denen die vorhergehende der folgenden die unentbehrlichen geistigen und materiellen Hilfsmittel für weitere Vervollkommnung überliefert, um Zustände höherer gesellschaftlicher Entwickelung zu erzielen. Nicht nur sind die brauchbaren Naturstoffe zu gewinnen, sondern die Rohstoffe sind umzuwandeln in Genußgüter und Hilfsmittel der A. Dazu kommen Schutzarbeiten, Arbeiten der Versendung, der zeitlichen und örtlichen Verteilung, der Erziehung, Erfindung, Entdeckung, die in den mannigfachsten Gestaltungen auf den verschiedensten Gebieten (Staats-, Gemeindeverwaltung, Privatwirtschaft etc.) dazu dienen, positiv unser Wohlbefinden zu erhöhen oder dasselbe gegen drohende Widerwärtigkeiten zu schützen. Aber die A. schafft uns nicht allein nutzbare Werte, sie übt auch einen wohlthätigen Einfluß auf den Menschen selbst aus, indem sie als Mittel physischer Vervollkommnung, Stählung und Abhärtung des Körpers und geistig-sittlicher Veredelung dient. Genuß ohne A. führt erfahrungsgemäß zur Erschlaffung, zu Blasiertheit und zum Überdruß. Erst die A., welche sich immer neue Aufgaben setzt und zu lösen sucht, ermöglicht eine nachhaltige dauernde Befriedigung. Darum versuchte Fourier (s. d.), sie als Bestimmung des menschlichen Glücks und als Ziel menschlicher Vollendung zu erfassen, und ein deutscher Philosoph meinte, für einen noch einigermaßen willenskräftigen Menschen werde die Verdammung zur Arbeitslosigkeit die härteste aller Strafen sein, und es würde der Mensch, wenn ihn nicht das Leben schon zu Kräftereibungen zwänge, sich die Bewältigung von Hindernissen im Interesse voller Befriedigung suchen müssen. Jener gute Einfluß der A. wird freilich nicht bedingungslos erfüllt, sondern nur unter der Voraussetzung, daß die A. in quantitativer und qualitativer Beziehung gewisse Grenzen nicht überschreite. Überarbeitung, zumal erzwungene, welche den Menschen zum Lasttier herabdrückt, führt zu geistiger und körperlicher Abstumpfung und Verkümmerung; ebenso kann die ununterbrochene, eintönige A., welche für den Geist keine Nahrung bietet oder einzelne Organe angreift, die menschliche Entwickelung bedenklich gefährden. Ruhepausen sind darum unerläßlich zur Erholung, Zerstreuung, Bildung, für allseitige Erregung der Geistes- und Körpervermögen und ein gedeihliches, segensreiches Familienleben. Darum hat auch neben der Nachtruhe die Sonntagsheiligung eine eminent wirtschaftliche Bedeutung. Je eintöniger die A., um so größer das Bedürfnis nach Unterbrechungen.

Der Erfolg der A. und zwar der A. des Einzelnen wie der Gesamtheit wird bedingt teils durch Kräfte und Triebe des Arbeiters selbst, teils durch äußere Umstände, wie Beschaffenheit der anzuwendenden Hilfsmittel, soziale Verhältnisse etc. Er ist insbesondere abhängig vom Trieb zur A. Derselbe ist um so größer, je mannigfaltiger und zahlreicher die Bedürfnisse sind, welche nur durch A. befriedigt werden können. Wo die Natur verhältnismäßig viel bietet und außerdem wenig Aufwand zur Ernährung und zum Schutz gegen die Unbilden der Witterung nötig ist, verfällt der Mensch leicht der Gefahr der Erschlaffung. Die harte Notwendigkeit, durch angestrengte A. die ersten Lebensbedingungen zu schaffen, weckt Eifer und Rührigkeit; die steigende Kultur mit ihren wachsenden Bedürfnissen bildet einen weitern gewaltig wirkenden Sporn zur A. Dazu kommt, daß mit zunehmender Kultur und Bildung auch die A. an und für sich einen größern Reiz bietet. Sie wird mehr geachtet und geehrt, während früher einzelne bevorrechtete Stände (Freie, Adel) es ihrer für unwürdig hielten, zu arbeiten. In dieser Beziehung übt auch einen vorteilhaften Einfluß aus die Möglichkeit der freien Wahl der unter den gegebenen Umständen der eignen Kraft und Neigung am meisten zusagenden Beschäftigung, um in der A. selbst einen Genuß zu finden. Je mehr die A. mit Beschwerden und Unannehmlichkeiten verbunden ist, um so geringer der Trieb zu derselben; dagegen wird der letztere um so kräftiger wirken, je günstiger die Aussicht auf eine angemessene Vergeltung ist. Zwar fördert übergroße Leichtigkeit reichlichen Erfolgs die Sorglosigkeit; doch wird die Arbeitslust verkümmert, und der Mensch wird mutlos, wenn Ungunst der Natur und Rechtsunsicherheit unzureichende Resultate in Aussicht stellen, oder wenn die Früchte eigner A. andern in den Schoß fallen. Je größer die Hoffnung, durch A. seine Lage zu verbessern, je größer die Furcht, daß dieselbe ohne A. sich verschlechtere, um so schärfer auch der Sporn zur schaffenden Thätigkeit. Aus diesen Gründen ist auch von hoher Wichtigkeit das System der Auslohnung. Bei gezwungener und nicht genügend vergoltener A., wie bei derjenigen des Sklaven und des Leibeignen, sind Eifer und Reiz, sich größere Geschicklichkeit zu erwerben, an Stoffen und Geräten zu sparen und dieselben schonend zu behandeln, nicht groß. Es können deshalb nur einfachere Arbeiten verrichtet werden, welche Aufsicht [749] und Kontrolle hinreichend gestatten und Mehrleistungen wirklich erzwingen lassen. Qualifizierte Arbeiten sind nur in bescheidenem Grade durch Zwang zu erzielen, sie sind echte Kinder der Freiheit. Bei dem freien Arbeitsvertrag wird der Trieb zur A. ein verschiedener sein je nach der Art des Lohnsystems. Je mehr sich der Lohn nach der Leistung richtet, um so größer der Fleiß und der Trieb, sich Fertigkeiten anzueignen, die besten Arbeitsmethoden und Instrumente in Anwendung zu bringen. Durch Stücklohn, wo er angängig ist, werden deshalb größere Erfolge erzielt als durch Zeitlohn, welcher innerhalb gewisser Grenzen feststeht und durch die Einzelleistung nicht bedingt wird. Und wo das Interesse durch Beteiligung am Gewinn des Geschäfts eng an das letztere gefesselt wird, da wird nicht allein der Reiz groß sein, durch positive Leistungen, sondern auch negativ durch Ersparungen das Geschäftsresultat zu erhöhen.

Nun ist der Trieb zur A. für sich allein nicht genügend. Demselben muß auch entsprechen ein hinreichender Fonds von Arbeitskraft und zwar nicht allein der rohen Körperkraft, der mechanischen Geschicklichkeit, Beweglichkeit und Fertigkeit, sondern auch der intellektuellen und moralischen Eigenschaften. Umsicht, Raschheit der Auffassung, Kombinationsgabe, Fähigkeit, eine richtige Arbeitsdisposition zu treffen, Vielseitigkeit, Akkommodationsvermögen, ein hohes Maß positiven Wissens sind für schwierigere, qualifizierte Arbeiten unentbehrlich, aber auch für die einfachern von großem Vorteil. Nicht minder wichtig sind die sittlichen Eigenschaften. Mäßigkeit erhält die Arbeitskraft, unregelmäßiges Schwanken von einem Extrem zum andern, ausschweifendes Leben zerrütten dieselbe, Ausdauer, Eifer und Fleiß erhöhen ihre Wirkung. Viele Arbeitsarten (Arzt, Advokat) erheischen ein hohes Maß von Vertrauenswürdigkeit; aber auch in allen andern Fällen spielen Treue, Redlichkeit, Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit eine sehr große Rolle. Unser heutiges ganzes soziales Leben, Tauschgetriebe und Kreditsystem stellen hohe Anforderungen an diese Eigenschaften. Und wo denselben nicht genügt oder eine Gefahr durch Unredlichkeit oder Mangel echt humaner Gesinnung befürchtet wird, da treten wirtschaftliche Störungen mit weittragenden materiellen und immateriellen Schädigungen ein, oder es werden kolossale Aufwendungen für Kontrolle, Aufsicht und Abwehr nötig (Militär, Polizei, Rechtspflege, Schutz und Kontrolle im Finanzwesen wie in allen privaten Produktionszweigen). Die Arbeitskraft des einzelnen Menschen ist bedingt durch den Stand der Gesamtkultur, dann aber auch durch alle konkreten Einflüsse, unter denen er sich entwickelt hat, und zwar spielen hier nicht allein die natürlichen Anlagen, welche der Mensch von Geburt aus mitbringt, sondern auch die während seines Lebens auf ihn statthabenden Einwirkungen in Schule und Haus wie überhaupt alle äußern Einflüsse, materielle und immaterielle, eine wichtige Rolle. Klima, religiöse Anschauungen, Rassenangehörigkeit, welche den einen oder den andern Grundzug im Charakter bald vorwiegen, bald mehr zurücktreten läßt, wie Energie, Zähigkeit, Pünktlichkeit, Geschmack, Sauberkeit etc., dann die Art der Beschäftigung, der Ernährung, Wohnung wie die ganze Lebensweise sind für Erhaltung und Steigerung der Arbeitskraft bald mehr, bald weniger günstig.

Die gesamte Leistungsfähigkeit eines Volks ist außerdem abhängig von der Altersklassenverteilung, Mortalität, Morbilität und Verteilung der Geschlechter. Im Leben des Menschen lassen sich drei Perioden unterscheiden: a) die Periode der Bildung und Erziehung, b) die der Invalidität, c) die der vollen Arbeitskraft. Was in der letztern erworben wird, muß zureichen, um den Unterhaltsbedarf während des ganzen Lebens zu decken, oder mit andern Worten, es müssen jeweilig die Arbeitsfähigen so viel erarbeiten, daß außer ihnen auch der andre Teil der Bevölkerung erhalten werden kann. Die erwerbslose Periode der Erziehung und Ausbildung dauert bei manchen Ständen bis über das 20. Jahr hinaus, bei andern bis zum 12. und 15.; die der Invalidität beginnt mit dem 60. und 70. Lebensjahr. Im Alter zwischen 20 und 60 Jahren stehen von 100 Personen in England und Wales 46,9, in Deutschland 48, in Österreich 50,2 und in Frankreich 62,8, und im Alter zwischen 15 und 70 je 61,1, 62,6, 64,3 und 68,6 Proz. Frankreich ist also in dieser Beziehung am günstigsten gestellt, was eine Folge verhältnismäßig kleiner Geburts- und Sterblichkeitsziffer ist. Für Deutschland dürfen wir 50–60, rund 55 Proz. der Bevölkerung als im arbeitskräftigen Alter stehend betrachten. Hiervon geht ab die Zahl der durch Krankheit zur A. Unfähigen. Die Morbilität ist ein Produkt mannigfaltiger und zahlreicher Faktoren, wie Alter, Geschlecht, Beruf, Art und Dauer der A., Wohnort, Lebenslage, Lebensweise etc. Nach den Erhebungen verschiedener englischer Hilfskassen macht ein Mensch vom 15. bis zum 70. Lebensjahr im Durchschnitt 790 Krankheitstage durch. Hiernach wäre anzunehmen, daß etwa 4, nach andern gar bis zu 6 Proz. der entsprechenden Bevölkerung ständig krank sind, also von 55 Arbeitsfähigen etwa 2–3 Personen. Hierzu kommen noch Geisteskranke und mit organischen Fehlern Behaftete, welche sich nicht selbst zu erhalten vermögen. An erstern, deren Statistik freilich keine sehr scharfe ist, soll im Durchschnitt für ganz Europa eine Person auf 478 arbeitsfähige Erwachsene entfallen, also auf 55 etwas über 0,1. An Taubstummen, die in den jüngern Altersklassen verhältnismäßig am zahlreichsten sind, an Blinden, deren Relativzahl bei ältern Leuten größer ist, und an sonstigen ganz oder teilweise Arbeitsunfähigen kann man nach verschiedenen Angaben in Deutschland 0,5–0,9 auf 55 Erwachsene rechnen. Hierzu kommt noch die stets unter den Waffen stehende Armee mit 1 Proz. der ganzen Bevölkerung. So blieben denn rund 50 Personen übrig, welche sich und die übrigen 50 zu erhalten haben. Thatsächlich ist aber die Zahl der wirklichen und erwerbenden Arbeiter nicht so groß, insbesondere aber ist weit kleiner die Zahl derjenigen Personen, welche mit solchen Arbeiten beschäftigt sind, deren Ergebnis zum Unterhalt der Gesamtheit und zur direkten Steigerung ihrer Wohlfahrt dient. So würde als sich nicht mit positivem Erwerb befassend ein großer Teil des weiblichen Geschlechts in Abzug kommen. Die Zahl der Frauen überwiegt fast in ganz Europa die der Männer, trotzdem daß bei der Geburt im Durchschnitt 106 Knaben auf 100 Mädchen kommen. Berücksichtigen wir, daß viele Männer unverehelicht bleiben, daß die Ehemänner durchschnittlich älter sind als die Frauen, daß die Sterblichkeit des weiblichen Geschlechts gerade in der Zeit der Geburten sehr groß ist, so folgt, daß viele Frauen ihren Beruf in der Ehe nicht finden können und für einen großen Teil dieser „Überzähligen“ die Eröffnung von Erwerbsquellen eine Notwendigkeit und auch ein sittlicher Segen ist. Nun sind auch viele Mädchen vor der Verheiratung und viele Frauen [750] während der Ehe erwerbthätig, bez. mit der Herstellung von Sachgütern beschäftigt. Im großen Ganzen dürfen wir annehmen, daß mit der Schaffung von Gütern, welche für unsern Unterhalt erforderlich sind und direkt oder durch Vermittelung des Haushalts zur Verzehrung gelangen, von jenen 55 Personen etwa 33 oder, hoch gerechnet, 40, d. h. ebensoviel Prozente von der gesamten Bevölkerung, beschäftigt sind. Mit vollständiger Genauigkeit läßt sich diese Zahl natürlich nicht feststellen, zumal auch eine scharfe Grenze zwischen Haushalt und der übrigen schaffenden Thätigkeit nicht gezogen werden kann. Auch ist sie schon aus den oben erwähnten Gründen, dann auch wegen der verschiedenartigen historischen politisch-sozialen Entwickelung nicht die gleiche bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten.

Von großem Einfluß auf den Erfolg der A. sind ferner die Intensität und Dauer der Beschäftigung. Überanstrengung und A. ohne genügende Erholungspausen können trotz Ausdehnung der Arbeitszeit die durchschnittliche Leistung erheblich vermindern, was durch die Erfahrung bereits hinlängliche Bestätigung gefunden hat. Bekannt ist das Resultat, welches ein humaner Unternehmer, Dollfus (s. d.), dadurch erzielte, daß er die Arbeitszeit von 12 auf 11 Stunden täglich herabsetzte. Es stiegen infolgedessen Lust und Freudigkeit an der A., Energie und Aufmerksamkeit, und es erhöhten sich nicht allein die Leistungen, sondern es verringerten sich auch durch Sparung an Heizung, Beleuchtung etc. die Kosten. Die günstigste Dauer der Arbeitszeit wird eine verschiedene sein je nach der Art der Beschäftigung und der Lebensweise des Arbeiters. Auch individuelle Anlagen, wie Körperkonstitution, Willenskraft, Verantwortlichkeitsgefühl etc., sind hier von Bedeutung.

Der Erfolg der A. ist weiter bedingt durch die Hilfsmittel der A. und zwar sowohl durch die künstlichen (s. Kapital) als auch durch diejenigen, welche die Natur uns bietet mit ihren verschieden verteilten Kraftquellen, ihrer ungleichen Bodenergiebigkeit etc.

Endlich ist für denselben von Wichtigkeit die ganze Organisation der A., ihre volkswirtschaftliche wie privatwirtschaftliche Gliederung (s. Arbeitsteilung, über Organisation der A. im sozialistischen Sinn s. Sozialismus), insbesondere aber auch die Gestaltung der gesellschaftlichen Verfassungszustände, die Art der Rechtsordnung und des gesamten Staatslebens. Politisch-religiöser Druck, extreme Verteilung von Besitz und Einkommen, Gebundenheit an die Scholle, Beschränkungen in der Wahl der Beschäftigung etc. können die Arbeitskraft außerordentlich lähmen und ihre Erfolge beeinträchtigen, während letztere bei günstiger Lebenslage u. Zufriedenheit der untern Klassen, bei religiöser und politischer Friedfertigkeit und tüchtiger Staatsverwaltung das beste Gedeihen versprechen. (Über Recht auf A. s. Sozialismus.)