Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Anpassung“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 611
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Anpassung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 611. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Anpassung (Version vom 17.03.2023)

[611] Anpassung (lat. Adaptatio), die Fähigkeit der lebenden Wesen, ihren Körperbau und ihre Lebensthätigkeiten veränderten Bedingungen der Lebensweise, Ernährung, des Klimas, der Bodenbeschaffenheit, des Zusammenlebens mit andern Tieren etc. anzubequemen, mag dies nun in direkter oder indirekter Weise, durch in dem Organismus selbst liegende Kräfte oder durch Mitwirkung äußerer Faktoren zu stande kommen. Unter direkter A. versteht man die unmittelbar durch die veränderte Lebensweise selbst herbeigeführte zweckentsprechende Veränderung der Organisation, namentlich die sogen. funktionelle A., welche in der bekannten Thatsache ausgedrückt ist, daß ein stärker in Anspruch genommenes Organ gekräftigt, ein außer Gebrauch gesetztes bis zur Verkümmerung geschwächt wird. Man hatte sich diese Thatsache, auf welcher unter anderm die gymnastische Erziehung der Jugend und die Möglichkeit der Erwerbung vieler körperlicher Fertigkeiten beruhen, früher dadurch zu erklären gesucht, daß man annahm, den mehr in Anspruch genommenen Organen fließe ein stärkerer Nahrungsstrom zu; allein Roux hat in neuerer Zeit zu zeigen gesucht, daß diese Auffassung nicht erschöpfend und besser so umzugestalten ist, daß jedes Organ wesentlich nur in seiner Funktion lebt, daher durch stärkere Inanspruchnahme (soweit dieselbe, ohne die Harmonie des Ganzen zu stören, ausgedehnt werden kann) intensiver lebt und besser assimiliert, während unbenutzte Organe ein Scheinleben führen, schwächer assimilieren und endlich zu Grunde gehen. Da dieser Prozeß sich bis in die kleinsten aufbauenden Teilchen fortsetzt, so wird dadurch verständlich, wie unter Umständen die gesamte Elementarstruktur eines Organs durch funktionelle A. verändert werden kann, wenn z. B. in einem Knochen die bis ins einzelne den mechanischen Gesetzen entsprechende statische Struktur desselben infolge eines nicht völlig regelrecht geheilten Bruches später in einer etwas veränderten Druck- oder Zurichtung in Anspruch genommen wird. Es verschwinden sodann ziemlich schnell diejenigen tragenden Knochenbälkchen, welche infolge der veränderten Bedingungen nicht mehr in Anspruch genommen werden, und es bilden sich an ihrer Stelle neue unter dem Einfluß des veränderten Bedarfs. Da somit bei der funktionellen A. Neubildung und Ausmerzung von Elementarteilen Hand in Hand gehen, so nennt Roux das Prinzip, nach welchem sie wirkt, einen „Kampf der Teile im Organismus“, was so zu verstehen ist, daß ein Kampf um den Raum und das Baumaterial dabei stattfindet. Durch diesen Prozeß erklärt sich die der Funktion entsprechende höchste Zweckmäßigkeit der Anordnung aller Teile in jedem Organ. Lamarck hatte geglaubt, mit diesem Prinzip der funktionellen A. die Veränderungen der lebenden Wesen in der Zeit überhaupt erklären zu können; allein Darwin zeigte, daß man eine große Reihe von Abänderungen der Lebewesen nur durch die Annahme einer indirekten A. unter dem Einfluß der natürlichen Zuchtwahl erklären könne, sofern von den nach den verschiedensten Richtungen sich verändernden Organismen einzelne den in einer bestimmten Art, z. B. durch Auswanderung oder Klimawechsel, veränderten Lebensbedingungen besser standhalten können als andre, z. B. weiß gewordene Tiere den Verhältnissen der Polarländer und gelb gewordene denen der Wüste, sofern die einen dort, die andern hier von ihren Feinden weniger gut aus der Ferne erkannt werden können, während die anders gefärbten der Ausrottung verfallen (s. Darwinismus). Ebenso widerstehen bestimmte Abarten besser als andre der Kälte, Hitze, Nässe, Trockenheit und der besondern Nahrung bestimmter Gebiete und überleben dieselben. Diese indirekte A. durch die natürliche Zuchtwahl wird dann durch eine Reihe von Generationen fortschreiten, bis das vollkommenste Maß der A. an die Lebensbedingungen der neuen Umgebung etc. nach allen in Betracht kommenden Richtungen, z. B. auch eine relative Immunität gegen die herrschenden lokalen Krankheiten, erreicht ist, wobei die Organisationshöhe des Körpers vor- und zurückschreiten kann. Die A. an eine sitzende Lebensweise ist z. B. für die Tiere fast immer eine rückschrittliche, weil mit dem Verlust der Bewegungsorgane verknüpft, und noch mehr ist dies der Fall bei einer A. von Pflanzen und Tieren an eine schmarotzende Lebensweise (s. Entartung). Beide Arten der A., die direkte wie die indirekte, wirken im Lauf der Generationen akkumulativ, solange die höchste mit den andern Bedingungen verträgliche Zweckmäßigkeit nicht erreicht ist, da das Erreichte vererbt wird und die erzeugenden Bedingungen fortwirken (progressive A.). Mitunter kann die A. auf das eine Geschlecht, dem dieselbe allein nützlich ist, beschränkt sein (geschlechtliche A.), z. B. die Pollensammelapparate mancher Bienen. Vgl. Roux, Der Kampf der Teile im Organismus (Leipz. 1881).


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 2325
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[23] Anpassung. So viel auch in den letzten Jahren gegen die Erblichkeit durch äußere Umstände und Lebensverhältnisse veranlaßter Änderungen von Gestalt und Entwickelung der Organismen gelehrt und geschrieben worden ist, bleibt die Thatsache der erblichen A. in so vielen gleichmäßigen Wirkungen (z. B. in der Übereinstimmung der Organisation der festwachsenden [24] Tiere, der Höhlenbewohner und Tiefseetiere, der Wüstenpflanzen und -Tiere, der Schmarotzerpflanzen und Tiere) so augenfällig erkennbar, daß schon dadurch jene Theorie in eine sehr schwierige Lage gerät (vgl. Erblichkeit). „Über den Einfluß der festsitzenden Lebensweise auf die Tiere und über den Ursprung der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Teilung oder Knospung“ hat Arnold Lang (Jena 1888) eine größere Abhandlung veröffentlicht, die manche neue Gedanken und Thatsachen bringt. Festwachsende Tiere gibt es nur im Wasser, da nur dieses bewegliche Element einesteils die erforderliche Nahrung herbeizuführen, anderseits die Befruchtung und Neuansiedelung von Keimen zu bewirken im stande ist und die Gefahren des Verdurstens und Austrocknens ausschließt. Festsitzende Tiere finden sich daher unter allen Klassen von Süßwasser- und Meerestieren mit Ausnahme der Wirbeltiere, es gehören hierher die Vorticellen unter den Infusorien, die Schwämme, Korallen und Hydroidpolypen unter den Cölenteraten, die Röhrenwürmer, Moostierchen und Manteltiere unter Würmern und Wurmverwandten, mit Schalen oder Byssus festwachsende Muscheln unter den Weichtieren, die Haarsterne und Seelilien unter den Echinodermen und die Rankenfüßer unter den Krebsen. Da man alle festgewachsenen Tiere von frei lebenden Ahnen ableitet, wie ja auch der junge Keim und bei vielen selbst die ersten Larvenstadien freilebend sind, so muß ein gewisser Vorteil mit der Anheftung für diese Tiere verbunden sein, der hauptsächlich in der Sicherung ihres Aufenthalts an der nahrungsreichern Küste und in der Tiefsee, wo ein beständiger Nahrungsregen von oben herab stattfindet, bestehen mag, sofern Sturm und Wogen ihre fortreißende Gewalt an ihnen verlieren. Die gleichmäßigen Veränderungen bestehen dabei hauptsächlich in folgenden Punkten:

1) Verlust der Bewegungsorgane, die nun überflüssig werden. Hier ist besonders das Verhalten der Muscheln lehrreich, die sich sonst ihres muskulösen Fußes als eines oft sehr mächtig ausgebildeten, weit vorstreckbaren Kriechwerkzeugs bedienen. Bei den sich festsetzenden Muscheln wird dieses große keilförmige Organ alsbald sehr viel kleiner, z. B. bei den Miesmuscheln, die sich mit dem sonst nur der zeitweiligen Anheftung dienenden Sekret der Fußdrüse, dem sogen. Byssus, dauernd festheften. Ganz rudimentär geworden ist der Fuß bei den Austern, die seiner nie mehr bedürfen, während die jungen Rankenfüßer ihre Beine, die ihnen zum Schwimmen dienten, zu ganz andern Organen umbilden, wenn sie vor Anker gegangen sind. Dafür entwickelt sich bei einer großen Anzahl dieser Tiere ein für viele derselben völlig neues Organ, der muskulöse, biegsame Stiel, der dem bewegten Element zähen Widerstand zu leisten im stande ist und bei manchen Rankenfüßern auch dem nachbarlichen geschlechtlichen Verkehr dienen soll. Bei den letztern wie auch bei den Röhrenwürmern, vielen Korallen und Moostierchen kommt die Entwickelung eines starken Außenskeletts oder einer Röhre, in die sich die fluchtlosen Tiere in der Gefahr zurückziehen können, hinzu, um ihre Sicherheit zu erhöhen, und die Umbiegung des Verdauungsrohrs, so daß die Auswurfsöffnung neben dem Munde aus der Panzeröffnung hervortritt, ist eine weitere Folge dieser Umhüllung. Bei den Tunikaten oder Manteltieren enthält der Mantel bedeutende Anteile einer sehr widerstandsfähigen Cellulose, die freilich nach neuerlicher Entdeckung von Ambronn auch in den Körperbedeckungen vieler Krebse und Insekten gefunden wurde und also im Tierreich häufiger vorkommt, als man bisher glaubte.

2) Verlust der Sinnesorgane, die dem festsitzenden Tier weder für Orientierung noch für Nahrungserwerb, Flucht etc. nötig sind, und damit auch Vereinfachung des Nervensystems als Folge. Dafür bildet sich ein neuer, für die Ernährung und Atmung wichtiger Tastfühler- (Tentakel-) Kranz um die Mundöffnung aus, der zugleich die Nahrung festhält und in den Mund führt, durch seine Ähnlichkeit mit einer Blumenkrone und durch das Spiel der Fühlfäden den hierher gehörigen Würmern, Moostierchen, Polypen, Korallen, Seerosen und Seelilien eine gewisse Anpassungsähnlichkeit verleiht und bei Tiergruppen, die diese (meist nur scheinbare) radiäre Anordnung auch in den frei lebenden Angehörigen bewahren, wie den Echinodermen, die Vermutung erweckt, daß sie einer früh vor Anker gegangenen und erst nachträglich wieder frei gewordenen Gruppe ihren Ursprung verdanken. Wir beobachten ein solches nachträgliches Freiwerden radiärer Bildungen bei Hydroidpolypen, Medusen und Haarsternen, und der Vorgang ist gewöhnlich mit einem sogen. Generationswechsel verbunden, indem das frei werdende Strahlstück die geschlechtliche Fortpflanzung und Verbreitung der Kolonie besorgt.

Die meisten dieser Tiere sind Hermaphroditen, doch finden sich bei manchen von ihnen, namentlich bei den Rankenfüßern, höchst komplizierte geschlechtliche Verhältnisse, bei denen zwerghafte Männchen, die fast nur aus einem in der Jugendzeit frei beweglichen Geschlechtsapparat mit rudimentären Gliedmaßen bestehen, sich an dem festgewachsenen, 100mal größern Weibchen festklammern und von demselben mit ernährt werden. Fast allen diesen festwachsenden Tieren ist ein großes Sprossungs- und Wiederergänzungs- (Regenerations-) Vermögen für verlorne Gliedmaßen eigen, was als eine natürliche Kompensation für ihre Unfähigkeit, zu fliehen, erscheint. Lang bringt diese Vorgänge in Zusammenhang und hält die bei vielen dieser Tiere vorkommende Kolonienbildung durch Sprossung für eine Folge der starken Regenerationsfähigkeit, sofern erstere der bessern Ernährung des Stockes dient. Da diese Tiere nämlich ihre Nahrung nicht im weitern Umkreis suchen können, aber an Orten, wo Nährstoffe für ein festsitzendes Tier vorhanden ist, auch viele ihren Tisch gedeckt finden, und ein entschiedener Vorteil darin liegt, wenn bei solcher zufälligen Nahrungszuführung viele Mundöffnungen für ein gemeinsames Zirkulations- u. Verdauungssystem vorhanden sind, so stärken und breiten sich diese Kolonien beständig durch ungeschlechtliche Sprossung aus Knospen am Stielgrund aus, während die im Generationswechsel entstehenden und sich ablösenden Geschlechtstiere für Anlage neuer Kolonien an entferntern Orten sorgen. Ja, da solche Stock- und Kolonienbildung eigentlich nur für festwachsende Tiere von Vorteil und Bedeutung ist, so hält Lang auch die schwimmenden Kolonien gewisser Korallen (Seefedern), Manteltiere (Feuerwalzen), Moostiere (Cristatella-Arten) u. a. für von neuem flott gewordene, ursprünglich festgewachsene Kolonien.

Ein besonderes Interesse knüpft sich natürlich an solche Fälle, bei denen man den Einfluß eines bestimmten Wechsels der Lebensbedingungen auf einen Organismus direkt verfolgen und denselben vielleicht durch eignes Zuthun in einen andern verwandeln kann. Aber solche Fälle sind nur sparsam bekannt, und darum hatte die von Schmankewitsch entdeckte Wandlung eines kleinen Kiemenfußkrebses (Artemia salina), [25] der im Meer lebt und an der Bildung des Meerschaums an der kyprischen Küste, aus welchem die kyprische Göttin hervorgestiegen sein soll, den hauptsächlichsten Anteil nimmt, bei erhöhtem Salzgehalt aber allmählich alle Schwanzborsten und Schwanzlappen einbüßt und in eine kleinere, unter anderm Namen schon früher bekannte Art (A. Milhausenii) der Salzseen übergeht, durch allmähliche Aussüßung des Lebenselements aber den gewöhnlichen Süßwasserkiemenfüßern (Branchipus-Arten) ähnlich wird, immer ein großes Interesse erweckt. Denn durch bloße allmähliche Vermehrung oder Verminderung des Salzgehalts ließ sich eine und dieselbe Tierart in drei verschiedene Formen überführen, die bisher nicht nur als verschiedenen Arten, sondern sogar verschiedenen Gattungen angehörig betrachtet worden waren. Eine Umwandlungsfähigkeit von ähnlicher, in andrer Richtung noch größerer Bedeutsamkeit hat Boas kürzlich bei einer Garneelen- oder Granatart (Palaemonetes varians Leach.), welche im südlichen Europa ausschließlich im Süßwasser (in Seen, Teichen und Bächen), im Norden aber im See- und Brackwasser lebt, nachgewiesen. Bei dieser Krebsart, die dem bekannten vielgenossenen Ostseegranat (fälschlich Krabbe genannt) in Gestalt und Größe nahekommt, wird weniger die äußere Gestalt, die nur geringe und nicht einmal beständige Unterschiede zeigt, als vielmehr die gesamte Entwickelungsweise von der Veränderung des Lebenselements beeinflußt.

Es ist nämlich an die Stelle der Entwickelung aus frei lebenden Larven der Salz- und Brackwasserform eine direktere Entwickelung aus Eiern bei der Süßwasserform getreten, so daß mehrere der ersten Larvenformen übersprungen werden und die Larven erst auf einer höhern Entwickelungsstufe aus dem Ei kommen, weshalb dieses ein größeres Nährmaterial enthält und das achtfache Volumen des Eies der Salzwasserform einschließt. Die ausschlüpfende Larve ist größer, aber eigentlich plumper gebaut als die der Salzwasserform und auch weniger geschickt, sich selbst zu ernähren, was bei dem aufgespeicherten Nährmaterial auch nicht nötig ist. Es scheint dies fast ein allgemeines Gesetz zu sein, denn auch unser Flußkrebs zeigt nicht die komplizierte Metamorphose der Meerkrebse, und dasselbe bemerkt man bei einer Vergleichung der Strudel- und Ringelwürmer (Turbellarien und Anneliden), die nur im Meere als selbständig schwärmende Larven auftreten, im Süßwasser dagegen erst in einem fertigern Zustand ans Licht treten. Der Grund mag darin liegen, daß das Süßwasser gewöhnlich nicht so reich an der für die winzigen Larven geeigneten Nahrung ist, weshalb dort nur solche Formen überleben, deren Eier mit einem reichern Dottermaterial ausgestattet wurden, was wiederum kaum ohne Abänderung der mütterlichen Eileiter geschehen kann. Das Interessante dabei ist, daß sich diese verschiedene Ausstattung hier bei einer und derselben Art erkennen läßt, ohne daß dieselbe in ihrer Endform wesentlich verändert wurde.

Etwas Ähnliches findet man bei den zu den niedern Krebstieren gehörigen Wasserflöhen (Daphniden), welche im Sommer bei günstigen Lebensverhältnissen lebendige Junge gebären, im Herbst, wenn die Wassertümpel, in denen sie leben, austrocknen, dickschalige, dotterreichere Dauereier erzeugen, die den Winter überdauern, und in manchen Fällen (namentlich bei Leptodora) eine mit der vielen Meerkrebsen aller Klassen gemeinsamen Urlarvenform (Nauplius) ihre Entwickelung beginnen. Allein dieses schon seit dem vorigen Jahrhundert bekannte Verhalten ist bei weitem nicht so beweisend für die Anpassungslehre, weil es sich hierbei um zwei verschiedene Klassen von Eiern handelt; die Sommereier, aus denen die fertigen Jungen hervorgehen, sind nämlich unbefruchtete weibliche Eier, und erst die Dauereier entstehen aus erneuter Befruchtung und bringen wieder Junge beiderlei Geschlechts. Ähnlicher ist das Verhalten einer Fliege (Musca corvina), die im nördlichen Rußland nur Eier liefert, welche nach der gewöhnlichen Weise durch einen Maden- und Puppenzustand hindurchgehen, während sie im südlichen Rußland außer solchen abgelegten Frühjahrseiern im Hochsommer lebendige Junge aus größern Eiern erzeugt. Alles dies bezeugt die Wandelbarkeit der Organismen den äußern Bedingungen gegenüber, und daß die Lufttemperatur auch bei der Wandlung der oben erwähnten Garneele nicht ohne Einfluß ist, beweist schon der Umstand, daß die südliche Form derselben immer nur im Süßwasser, niemals im brackigen oder eigentlichen Seewasser gefunden wird, wie die nordische.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 2628
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[26] Anpassung. Die Lehre von der A. ist neuerdings ein stark bevorzugter Gegenstand biologischer Untersuchungen geworden und zwar von so entgegengesetzten Standpunkten aus, daß man sicherlich erwarten darf, die Wahrheit in der Mitte zu finden. Denn während die Weismannsche Schule jeden Einfluß der äußern Lebensverhältnisse auf eine dauernde (erbliche) Umformung der Lebensformen leugnet (vgl. Bd. 18, S. 250 ff.), ist eine andre Schule (Neo-Lamarckismus) aufgetaucht, deren Wortführer, namentlich Henslow, wieder alle Veränderung und Vervollkommnung der Wesen den äußern Einflüssen zuschreiben und der natürlichen Zuchtwahl keinen Einfluß zugestehen möchten. Der mächtige Einfluß der äußern Lebensbedingungen kann sehr leicht in den gleichmäßigen Veränderungen der Pflanzen einer und derselben biologischen Formation (Gebirgs-, Wüsten-, Steppen-, Strand-, Sumpf- und Wasserpflanzen) nachgewiesen werden, und nach dieser Richtung haben unter andern die Alpenpflanzen den Gegenstand der Kontroverse gebildet. Dieselben kennzeichnen sich besonders durch kurze Stengel, Polsterbildung der Grundblätter und gedrungenes, durch Kürze der Internodien ausgezeichnetes Wachstum, so daß die Blüten verhältnismäßig größer erscheinen als bei Pflanzen der Ebene. Dieses gedrungene Wachstum ist, wie Thiselton Dyer zeigt, eine Folge der starken Besonnung und Einwirkung der brechbareren Strahlen, welche das Längenwachstum hemmen, aber von den Pflanzen der Ebene durch eine dicke Wasserdampfschicht abgehalten werden. Darum wachsen die schönen rosettenartigen Polster der Alpenpflanzen sofort sparrig aus, wenn man sie im Garten zieht und ihnen nicht genügend Sonne gibt; es findet also eine sofortige Rückanpassung statt: der von der Insolation erzeugte Zwergwuchs, der hier als Anpassungs-Erscheinung zu gelten hat, ist also nicht beständig geworden, während der Gärtner durch Zuchtwahl ausdauernde Zwergformen erlangt. Dieselbe Erfahrung machte der Genannte mit der sogen. Arabis [27] anachoretica, einer Pflanze, die in Felsöffnungen und Klüften wächst, wo sie zwar genügend Licht und Feuchtigkeit findet, aber weder von der Sonne noch vom Regen getroffen wird. Wie andre Pflanzen von ähnlichem Standort (z. B. Saxifraga arachnoides, Zahlbrucknera paradoxa und Heliospermum glutinosum), zeichnet sie sich durch papierdünne Blätter aus, verwandelte sich aber im Garten von Kew bald wieder in die gemeine Arabis alpina. Auch stellte sich dort heraus, daß die Alpenpflanzen durchaus nicht so winterhart sind, wie man angenommen hatte; sie mußten in England teilweise sogar im Gewächshaus überwintert werden, weil dort häufig die wärmende Schneedecke fehlt, die in den Alpen vom September bis zum Mai die Höhen einzuhüllen pflegt.

Wir ersehen aus diesen Beispielen, daß unmittelbare Anpassungen von dauernden zu unterscheiden sind, wenn auch die dauernden aus den unmittelbaren oftmals durch die Zuchtwahl ausgewählt sein werden. Es gibt unter den unmittelbaren solche, die jeden Augenblick in Thätigkeit treten können, und andre, wie die funktionelle A., die nur Verletzungen oder bleibenden Störungen des Organismus ihre Entstehung verdanken. Ein Beispiel dieser schnell in Wirksamkeit tretenden A. ist in jüngster Zeit durch A. Müntz und Viault in der schnell eintretenden Anreicherung des Blutes an Hämoglobin bei Tieren, die aufs Gebirge gebracht werden, geliefert worden. Schon im Laboratorium kann man sich überzeugen, daß verdünnte Luft, d. h. also verminderte Sauerstoffspannung, die Atmung beeinträchtigt, und man nahm bisher an, daß die Sauerstoffaufnahme in der dünnen Gebirgsluft durch vermehrte Schnelligkeit oder Tiefe der Atemzüge ausgeglichen werden müsse. Viault hat nun an einigen sehr hoch gelegenen Stationen der Andes, und zwar an der Mine von Morococha (4392 m) und in Chicla (3724 m) das Blut von Hämmeln und Hunden untersucht, und diese später auf dem Pic du Midi (2877 m) wiederholten Analysen ergaben gleichmäßig, daß die Menge des Sauerstoffes im Blute der Tiere (wie des Menschen), welche in der verdünnten Luft der Hochgebirge leben, ob sie nun dort geboren oder bloß akklimatisiert sind, ziemlich ebenso groß ist wie im Blute der Tiere (und Menschen), welche in der Tiefebene leben, so daß ein Sauerstoffhunger als bleibender physiologischer Zustand nicht nachzuweisen war.

Die Erklärung dieser physiologisch sehr wichtigen Thatsache fand A. Müntz in einer verhältnismäßig schnell eintretenden Vermehrung des Hämoglobins, als desjenigen Blutbestandteils, dessen Thätigkeit in der Bindung des Luftsauerstoffes besteht. Er hatte eine Anzahl von Kaninchen auf den Gipfel des Pic du Midi, wo der Luftdruck nur noch 540 mm beträgt, gebracht und das Blut der Tiere, die sich daselbst schnell eingewöhnten und vermehrten, nach Jahresfrist (August 1890) untersucht. Bei der Vergleichung mit den Kaninchen der Ebene ergab sich, daß die Blutdichte von 1046,2 auf 1060,1, die Menge der festen Bestandteile von 15,75 Proz. auf 21,88 Proz., die Eisenmenge (auf 100 g Blut berechnet) von 40,3 auf 70,2 mg und die Menge des von 100 g Blut absorbierten Sauerstoffs von 9,56 auf 17,28 ccm gestiegen war. Eine ähnlich starke Anreicherung des Blutes an Hämoglobin und mithin an Fähigkeit, Sauerstoff zu absorbieren, beobachtete Müntz an Schafen, die, in der Ebene geboren, an Gehängen des Pic du Midi in Höhen von 2300–2700 m auf die Weide gebracht worden waren, schon nach Verlauf von 6 Wochen. Daraus lassen sich leicht Schlüsse auf den Nutzen des Bergaufenthalts für Personen mit gewissen Lungenleiden ziehen, anderseits kann nicht leicht ein überzeugenderes Beispiel von unmittelbarer A. des Organismus an das Mittel und die äußern Lebensbedingungen gefunden werden.

Ebenso deutliche und unmittelbare Einwirkungen wie die starke Erhebung über die Ebene übt, freilich in andrer Richtung, die Meeresnähe, was sich besonders in der Gleichmäßigkeit des Aussehens, des Zellenbaues und der gesamten Organisation der Strandpflanzen ausprägt. Um die Veränderungen in der Struktur der Blätter zu studieren, hat Pierre Lesage kürzlich mit 85 Pflanzenarten aus 32 verschiedenen Familien Versuche angestellt, teils indem er dem Boden Kochsalzlösung oder Meerwasser zuführte, teils indem er die Salzlösung direkt auf die Blätter wirken ließ, wie dies ja auch in der Natur durch Brandungsnebel und Winde geschieht. In fast allen Fällen wurde eine Verdickung der Blätter erzielt, die namentlich von einer starken Entwickelung des Palissadengewebes begleitet wird, die aber bei den einzelnen Arten in verschiedenartiger Weise vor sich geht. Bei manchen Arten, wie bei Mercurialis annua, zeigte sich nur Vergrößerung, keine Vermehrung der Palissadenzellen, bei andern aber, z. B. bei Lychnis dioica, auch Vermehrung der Palissadenschichten, bei noch andern, z. B. Tussilago Farfara, und Aster Tripolium, trat beides ein. Dagegen vermindern sich die Lücken und Zwischenzellgänge bei den Strandpflanzen, ebenso tritt eine Verminderung des Chlorophylls, sei es durch Volum- oder Zahlreduktion der Körnchen, ein. Auch Pisum maritimum und Lilium grandiflorum, besonders aber Lepidium sativum zeigten unter dem Einfluß des dem Boden zugeführten oder auf die Blätter gebrachten Salzes dieselben Veränderungen.

Die tiefgehenden Veränderungen, welche das Leben am Strande bei Tropenpflanzen erzeugt, sind neuerdings von A. F. W. Schimper genau studiert und in seinem Buch über „Die indomalaiische Strandflora“ (Jena 1891) beschrieben worden. Er teilt dieselbe in drei Formationen (Mangrove-, Barringtonia- und Pes caprae-Formation) und zeigt, daß sich Pflanzen, der verschiedensten Familien in gleichmäßiger Weise entweder für das Gedeihen im Uferschlamm oder im Flugsand verändert und angepaßt haben, in dem Grade, daß sie manchmal eine ganz ähnliche Organisation erlangt haben und nirgends sonst mehr als am Strande gedeihen könnten. Die A. beginnt schon an den Samen, die bei den Angehörigen der Mangrove-Formation so organisiert sind, daß sie bereits auf der Mutterpflanze auskeimen, einen oft mehrere Zentimeter langen, unten verdickten, bolzenartigen Keimblätterträger (Hypokotyl) entwickeln, der dann (namentlich bei Rhizophora- und Ceriops-Arten) sich tief senkrecht in den Schlamm einbohrt, wenn der Keimling zur Ebbezeit herunterschießt. Durch wagerecht ausstrahlende Wurzelhaare oder lange Seitenwurzeln gewinnen sie bald im Schlamme Halt und steigen später wie ein auf vielen Stelzen ruhender Pfahlbau als Uferwald empor. Bei andern Strandpflanzen entwickeln Früchte oder Samenschalen ein poröses Schwimmgewebe bei sicherm Schutz des Keimes gegen das Eindringen des Seewassers, was ihre bequeme Verbreitung durch die Wellen und Meeresströmungen ermöglicht. Selbst Strandpflanzen aus der Familie der Kompositen, deren Früchte sonst allgemein mit Flugapparaten einer Verbreitung durch den Wind angepaßt sind, verlieren hier, wie z. B. Wedelia biflora, die Flugfähigkeit der Samen [28] und bilden die Schwimmfähigkeit aus, die den Strandpflanzen bessere Lebensbedingungen bietet. Ebenso bilden sich bei den Pflanzen der nach Ipomoea Pes caprae benannten Pes caprae-Formation, ähnlich wie bei unsern Sandseggen, lange Stolonen aus, die im Flugsand haften. Das sind nun natürlich keine direkten, sondern erst durch den Einfluß der natürlichen Zuchtwahl vollendete Anpassungen, aber dennoch kann man hier besonders gut sehen, wie die äußern Bedingungen neue Sippen und Arten geschaffen haben. Denn die in der Mangrove lebenden Rhizophoreen unterscheiden sich von denen des Binnenlandes hauptsächlich durch ihre Strandanpassungen. Die Gattung Aegiceras weicht von den übrigen Myrsineen, die Gattung Avicennia von den Verbenaceen, zu denen sie gehört, anscheinend weit ab, aber hauptsächlich doch nur durch Veränderungen, welche die Lebensweise im Uferwald an Frucht und Samen hervorgerufen hat. Auch bei den Gattungen Tournefortia, Carapa, Cerbera, bei Terminalia Katappa, Guettardia speciosa, Cordia subcordata, Clerodendron inerme, Morinda citrifolia, Calophyllum inophyllum, Barringtonia speciosa und racemosa etc. gehören die Strandanpassungen von Frucht oder Samen zu den diagnostischen Kennzeichen der Gattungen und Arten, die vor dem Studium der biologischen Verhältnisse vielfach unverständlich waren. Vor der Gleichmäßigkeit der betreffenden Umwandlungen muß jeder Zweifel an der Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl auf die Anpassungen sowohl als auf die Bildung neuer Arten und Gattungen schwinden.

Ein sehr merkwürdiges Beispiel funktioneller A. bei Tieren hat D. Barfurth kürzlich an den Larven des braunen Grasfrosches (Rana fusca) studiert. Er hatte bei einer größern Stückanzahl die Schwanzspitze ungefähr im letzten Drittel mit scharfer Schere weggeschnitten und fand, daß die meisten nach etwa 14 Tagen den Schwanz wiedererzeugt hatten, aber bei vielen stand der neue Schwanz schief nach einer Seite, nach oben oder nach unten. Als Ursache ergab sich, daß die Achse des regenerierten Stückes stets senkrecht auf der Schnittfläche stand, so daß jeder nach oben, unten oder nach der Seite schiefe Schnitt eine schiefe Fortsetzung ergab, wie ein Backsteinbau, dessen Grundfläche nicht gehörig nivelliert ist. Nach 3–4 Wochen aber wurden allemal die Schwänze wieder gerade, und zwar infolge der funkionellen A. an die Wirkung der Schwerkraft und der Schwimmbewegungen. Daher trat auch die Wirkung nur im tiefern Wasser ein, nicht aber, oder wenigstens viel unvollkommener, bei Larven, die in so seichtem Wasser gehalten wurden, daß sie nicht frei schwimmen konnten. Eine gewisse Besserung, die der Wirkung der Schwerkraft zugeschrieben werden kann, trat indessen auch dort ein.