Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Anlauffarben“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 18 (Supplement, 1891), Seite 2223
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Anlauffarben. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 22–23. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Anlauffarben (Version vom 17.03.2023)

[22] Anlauffarben lassen sich durch Erhitzen von Stahl auf einem glühenden Blech, im Sandbad oder im Metallbad nicht mit wünschenswerter Vollkommenheit erzeugen. Nach den in der Physikalisch-technischen Reichsanstalt angestellten Untersuchungen über A. gelingt dagegen deren Hervorrufung sehr gut in einem Luftbad, wenn man dieses, einen geschlossenen Cylinder aus Eisenblech, in einen ähnlichen größern Cylinder mit Siebboden steckt, den ringförmigen Raum zwischen beiden Cylindern oben mit einer Platte bedeckt, die mit beliebig verschließbaren Löchern versehen ist, und den innern Cylinder mit einer Glasplatte verschließt. Der Apparat wird dann über Gas- oder Kohlenfeuer erhitzt. Handelt es sich für wissenschaftliche Zwecke um genauere Einhaltung der Temperatur, so wird das Luftbad in Dämpfen schwer siedender Mineralöle erhitzt. Zur Benutzung des Apparats heizt man ihn für Stahl oder Eisen aus 200°, für Kupfer auf 120, für Messing auf mehr als 200° an, legt oder hängt den betreffenden Gegenstand hinein und bringt ihn nach Entstehung der gewünschten Farbe auf eine große Metallplatte (Stahl, Eisen), oder taucht ihn in kaltes Wasser (Kupfer, Messing). Die Oberfläche der anzulassenden Gegenstände muß möglichst blank und glatt, auch völlig fettfrei sein. Ein Fettüberzug bewirkt gewissermaßen ein Voreilen der Färbung, so daß die eine (gefettete) Hälfte einer Stahlplatte dunkelblau anläuft, während die andre (reine) Hälfte unter gleichen Verhältnissen nur orangefarben erscheint. Die dunklere Färbung rührt von Rückständen des Fettes her und verschwindet, wenn man die Platte in Kalilauge legt, so daß sie nun gleichmäßig orangefarben sich zeigt. Erhitzt man die halbgefettete Platte über Dunkelblau hinaus, bis sie hellblau wird, so verschwindet der Farbenunterschied, weil bei der höhern Temperatur die Fettrückstände sich verflüchtigen. Der Fettüberzug kann also zu Täuschungen führen, vielleicht ist er aber auch für Zierzwecke verwendbar, wenn man einzelne Teile von Ornamenten einfettet, um auf demselben Stück zwei A. nebeneinander zu erhalten.

Die Praxis unterscheidet bei Stahl als A. Hellgelb, Dunkelgelb, Orange, Purpur, Violett, Dunkelblau, Hellblau, Meergrün oder Grau. In der That sind aber viel mehr Farben beim Stahl vorhanden. Macht man einen Stab aus gut leitender Unterlage an einem Ende glühend und erhitzt, bis am andern Ende eben noch ein schmales Stück in der Naturfarbe übrigbleibt, so sieht man vor dem Hellgelb noch ein Blaßgelb, hinter dem Meergrün aber erscheint wieder ein Gelb, und von da an treten zum zweitenmal die vorher genannten Farben in derselben Folge auf; nur sind sie näher aneinander gerückt und haben einen etwas grauen Ton. An diese Farbenreihe schließt sich zuletzt wieder ein schwaches Graugelb an, welches den Anfang einer dritten Reihe bildet. So läßt sich noch eine vierte und fünfte Farbenreihe unterscheiden, doch werden die sie bildenden Bänder immer schmäler, auch heben sich hier mit Sicherheit nur noch Rot und Grün voneinander ab. Diese fünf Farbenreihen entsprechen genau denjenigen der Newtonschen Ringe. Die Luftschicht, welche bei letztern wirkt, ist bei den A. durch die dünne Oxydschicht, die sich beim Erwärmen auf der Oberfläche des Metalls bildet, vertreten, doch tritt hier noch der Einfluß der Grundfarbe der Metalloberfläche hinzu. Bei der Vergleichung der Farbenbänder bemerkt man, daß diese auch in einer und derselben Reihe sehr ungleiche Breiten besitzen, wobei vielfach früher auftretende Farben schmälere Bänder bilden als spätere, höhere Farben. Dies ist für die Praxis von Wichtigkeit: je breiter das Band einer Farbe erscheint, um so leichter ist diese Farbe beim Anlaufenlassen großer Stücke festzuhalten. Bei Stahl haben übrigens für die Praxis nur die Farben der ersten Reihe Bedeutung, bei andern Metallen kommen vielfach auch Farben der spätern Reihen in Betracht.

Bei der Feststellung der Abhängigkeit des Eintritts der einzelnen A. des Stahls von dem Grade und der Dauer seiner Erwärmung wurden Vollcylinder, welche in leichtflüssiger Legierung schwammen, und mit einer tiefen zentralen Bohrung versehene Cylinder angewandt. Im letztern Fall nahm die Bohrung die leichtflüssige Legierung auf, und in beiden Fällen wurden in letztere die Thermometer getaucht. Man benutzte zu den Versuchen englischen und deutschen Werkzeugstahl und einen Stahl mit 3,5 Proz. Wolfram und zwar jede Sorte im gehärteten und im ungehärteten Zustand. Es ergab sich, daß der Eintritt [23] einer bestimmten Anlauffarbe bei Stahl von der Härte desselben und in noch höherm Grade von seiner Zusammensetzung abhängt, daß aber nicht minder die Art der Erwärmung, die Höhe der Temperatur und die Dauer ihrer Einwirkung von wesentlicher Bedeutung ist. Der Eintritt des Orange und des Dunkelblau erfordert auf gehärtetem Stahl durchweg eine erheblich höhere Temperatur als auf ungehärtetem. Für Meergrün tritt bei deutschem und englischem Stahl dieser Unterschied ebenso deutlich hervor, nur bei Wolframstahl wird er fast unmerklich, vermutlich, weil bei diesem sehr harten Material die zur Erzeugung des Meergrüns erforderliche Temperatur zureicht, um die voraufgegangene Härtung wieder aufzuheben. Der Einfluß der Zusammensetzung des Stahls macht sich schon bei deutschem und englischem Stahl, in viel höherm Grade aber bei Wolframstahl geltend. Bei deutschem und englischem Stahl, nicht aber bei Wolframstahl zeigt sich ein überraschender Unterschied zwischen Vollkörpern und Ringkörpern derselben Stahlsorte. Dunkelblau tritt z. B. bei Vollkörpern aus gehärtetem deutschen Stahl in kürzerer Zeit und bei wesentlich höherer Temperatur auf als bei Ringkörpern. Dieser Unterschied war lediglich von der oben beschriebenen Art der Erhitzung abhängig und verschwand bei gleichartiger Erwärmung. Besonders wichtig ist der Nachweis, daß die Temperatur allein für den Eintritt einer bestimmten Farbe nicht maßgebend ist, daß vielmehr auch die Dauer ihrer Einwirkung in Betracht kommt. Es gelang, schon bei verhältnismäßig sehr niedrigen Temperaturen fast alle A. zu erzeugen. So wurde ein Stahlstück dunkelblau bei 180° nach etwa 9 Tagen, bei 230° in 50 Stunden, bei 290° in 7–15 Minuten, bei 380° in weniger als 20 Sekunden. Bei 105° waren 17 Tage erforderlich, ehe überhaupt eine Färbung eintrat. Dabei ist es aber zweifelhaft, ob beliebig hohe Farben bei jeder noch so niedrigen Temperatur erzeugt werden können; vielmehr scheint bei sehr langsamer und gleichmäßiger Entstehung der Oxydschicht diese eine gewisse Stärke nicht zu überschreiten und dann bei gleichbleibender Temperatur Schutz gegen weitere Oxydation zu bilden. Vielleicht gibt es für jede Stahlsorte und jeden einzelnen Farbenton eine gewissermaßen kritische Temperatur, über welche hinaus die Erhitzung des Stahls getrieben werden muß, wenn jener Farbenton erreicht werden soll. Läßt man gehärteten Werkzeugstahl bis Dunkelblau an, so erhält man trotz aller Vorsicht fast niemals ganz gleichmäßige Flächen, immer zeigen sich Flecke, die von härtern, sich später färbenden Stellen herrühren. Die A. bilden also auch ein sicheres Mittel zur Erkennung nichthomogener Teile in gehärteten Stahlflächen. Ungehärteter Stahl von gleicher Zusammensetzung zeigte jene Ungleichmäßigkeiten in der Färbung nicht, und diese verschwanden auch, sobald man die Färbung über Dunkelblau hinaus bis zum Hellblau oder Meergrün trieb, d. h. sobald man die Enthärtung weit genug ausdehnte. Dieselben Farben, welche auf Stahl erscheinen, lassen sich gleichmäßig und schön auch auf Gußeisen erzeugen.

Kupfer und Messing zeigen überraschend schöne A., von denen man aber in der Technik kaum Anwendung macht. Man benutzt andre Methoden zur Färbung dieser Metalle, doch zeigen die neuen Versuche, daß die Erzeugung der A. manche Vorzüge vor jenen Methoden besitzt, namentlich eine viel weiter gehende Nüancierung gestattet und haltbarere Färbungen liefert, zumal wenn man bei möglichst niedrigen Temperaturen arbeitet. Bei der Ausführung der Operation muß das Metall zunächst mit Säure gebeizt werden, um eine Oxydschicht zu entfernen, das Luftbad ist genügend groß zu nehmen, und zur Erzielung höherer Farben ist notwendig, durch ein bis auf den Boden des Luftbades reichendes Metallrohr beständig Luft in seinem Strahl zuzuführen. Messing zeigt eine wesentlich andre Farbenfolge als Kupfer, die kupferreichen Zinklegierungen verhalten sich dem Kupfer, die zinkreichen dem Messing ähnlich. Nickel zeigt eine der des Stahls ganz ähnliche Farbenfolge, von seinen Legierungen gab nur eine nickelarme Neusilbersorte schöne, denen des Messings nahekommende, sie aber insbesondere in den höhern Reihen an Glanz noch übertreffende Farben, alle nickelreichern Legierungen zeigten dagegen beim Anlaufen marmorierte Flächen, als ob sie von ganz ungleichmäßiger Beschaffenheit wären und das Kupfer in Punkten oder Linien an der Oberfläche sich abgesondert hätte. Inwieweit die in der Physikalisch-technischen Reichsanstalt ausgeführten orientierenden Versuche für die Praxis Wert gewinnen werden, ist abzuwarten, sie scheinen indes die Basis für mancherlei wichtige technische Manipulationen zu bilden. In dieser Beziehung sind noch zwei Versuche zu erwähnen. Wenn man auf einer durch Anlaufen etwa stahlweiß oder rot gefärbten Kupfer- oder Messingplatte mit Kupferstechergrund oder einem andern säurebeständigen Mittel Zeichnungen entwirft, die Platte hierauf in verdünnte Salpetersäure taucht und endlich den Ätzgrund mittels Benzin entfernt, so erhält man metallisch glänzende Bilder auf matt geätztem Grunde. Es lassen sich auf diese Weise sogar zweifarbige Bilder herstellen, indem man bei einiger Übung durch eine Stichflamme die einzelnen Teile der Platte verschieden färben kann. Besonders leicht ist diese Doppelfarbigkeit in den höhern Farbenreihen zu erzielen, wo Rot und Grün einander sehr naheliegen; so macht es z. B. nicht viel Mühe, Bilder mit roten Blumen, aber grünen Stengeln und Blättern zu erzeugen. Der andre Versuch betrifft die gute Isolationsfähigkeit der den höhern Reihen angehörigen Anlaufschichten; für technische Zwecke dürfte diese Eigenschaft schwer verwendbar sein, weil die Schichten äußerst dünn und dabei überaus spröde, also zu leicht der Zerstörung ausgesetzt sind. Möglich wäre es aber, daß für manche wissenschaftliche, elektrische Zwecke die Isolierung fertig zusammengestellter Metalle durch Anlassen im Luftbad von Nutzen werden könnte.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 26
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[26] Anlauffarben, s. Metallfärbung.