Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Anamorphōse“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 532533
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Anamorphōse. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 532–533. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Anamorph%C5%8Dse (Version vom 06.01.2023)

[532] Anamorphōse (griech., „Umgestaltung“), absichtlich verzerrte Abbildung eines Gegenstands, die, von einem gewissen Punkt aus oder mittels gekrümmter Spiegel oder Gläser betrachtet, in richtigen Verhältnissen erscheint. Die optischen Anamorphosen bedingen einen bestimmten Standpunkt, von wo aus sie gesehen werden müssen; z. B. Figuren, die, in der Nähe betrachtet, ohne Zusammenhang stehen, reihen sich, aus einiger Entfernung gesehen, zu Namenszügen, Wörtern u. dgl. zusammen, oder mehrere ganz verschiedene Bilder, in Streifen geschnitten und auf dreiseitige Prismen [533] geklebt, bewirken, daß man von der rechten oder linken Seite jedesmal ein andres Bild zu sehen glaubt. Katoptrische Anamorphosen müssen in cylindrischen, konischen oder pyramidenförmigen Spiegeln betrachtet werden, um das wahre Bild zu zeigen, während sie, mit bloßem Auge gesehen, als verzerrte Gestalten erscheinen. Leupold erfand für die Herstellung solcher Bilder eine Maschine. Dioptrische Anamorphosen zeigen, durch ein Polyeder (vieleckig geschliffenes Glas) besehen, regelmäßige Bilder oder ganz andre, als ohne ein solches Glas zu sehen sind.

In der Botanik ist A. oder rückschreitende Metamorphose (Hemmungsbildung) diejenige Mißbildung der Pflanzen, bei welcher Blattgebilde der Blüte in die nächst niedrige Entwickelungsstufe zurückgegangen sind; so der Blumenblattkreis in einen Kelch, oder die Fruchtblätter in Staubgefäße, oder (die häufigste A.) Staubgefäße in Blumenblätter, wodurch die sogen. gefüllten Blüten entstehen. Die Rückbildung kann noch weiter gehen, indem Blütenteile auf die Ausbildungsstufe grüner Laubblätter zurücksinken, was man Verlaubung (Phyllodie) nennt. Diese letztere Erscheinung gewinnt für die botanische Morphologie eine besondere Bedeutung deshalb, weil sie nicht nur beweist, daß selbst die eigentümlichst gestalteten Teile der Blüte, wie die Staubgefäße und die Griffel, wirkliche Blattgebilde sind, sondern auch nachweist, welchen Teilen des normalen Blattes diese Blütenorgane entsprechen (s. Metamorphose). Nehmen alle Blätter einer Blüte an der Rückbildung teil, so wird aus der Blüte eine Laubknospe (Vergrünung, Antholyse, chloranthia). Die umgekehrte Erscheinung ist die vorschreitende Metamorphose, bei welcher Blattorgane die Ausbildung einer höhern Stufe annehmen, wie die Umwandlung des Kelchs in die Blume, der Blumenblätter in Staubgefäße, der Staubgefäße in Fruchtblätter oder endlich ganzer Laubknospen in Blütenknospen.