Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Alexandersage“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 327
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Alexandersage. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 327. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Alexandersage (Version vom 31.10.2021)

[327] Alexandersage. Das wunderbare Element in den Kriegszügen Alexanders d. Gr., seine Berührungen mit neuerschlossenen Nationalitäten und der tragische Reiz seines achilleisch dahinschwindenden Heldenlebens haben frühzeitig die Bildung einer reichen Sage veranlaßt. Die älteste litterarische Fixierung derselben, welche wir kennen, ist die griechische unter dem angenommenen Autornamen des Kallisthenes (hrsg. von Müller, Par. 1846; von Meusel, Leipz. 1871), welche unter dem Einfluß der lebendigen Volkssage in Ägypten etwa um 200 n. Chr. entstand (vgl. Zacher, Pseudokallisthenes, Halle 1867) und durch lateinische Übersetzungen im Abendland, durch armenische, syrische etc. im Morgenland verbreitet wurde. Da diese Sage wegen ihres gelehrten Charakters der Bildung der dichtenden Geistlichkeit, durch ihren heroischen Anflug dem weltlichen Rittertum zusagte, so wurde sie mit besonderer Vorliebe im Mittelalter dichterisch behandelt. Unter den europäischen Dichtern verfaßte zuerst Alberich von Besançon (im Mittelhochdeutschen Alberich oder Albrecht von Bisenzun oder Bisenze) in der ersten Hälfte des 12. Jahrh. ein episches Gedicht über Alexander, von dem Paul Heyse („Romanische Inedita“, Berl. 1856) ein Fragment entdeckt hat. Auf dieser Grundlage dichtete dann der deutsche Pfaffe Lamprecht (s. d.) noch im 12. Jahrh. sein „Alexanderbuch“ (zuletzt hrsg. von Kinzel, Halle 1884). Aus dieser Bearbeitung geht hervor, daß der französische Dichter neben dem überlieferten Pseudokallisthenes noch andre gelehrte und volkstümliche Elemente benutzt haben muß. Dasselbe ist der Fall bei den französischen Dichtern Lambert li Court und Alexandre de Bernay, welche zwischen 1180 und 1190 einen Alexanderroman (hrsg. von Michelant, Stuttg. 1846) dichteten, von dessen zwölfsilbigen Versen der Alexandriner (s. d.) seinen Namen hat. Das deutsche Gedicht des Rudolf von Ems (s. d.) beruht auf dem lateinischen Epos des Walter von Châtillon (Gualtherus de Castellione) um 1200, welches das spätere Mittelalter beherrschte (zuletzt hrsg. von Müldener, Leipz. 1863). Dagegen beruht das dem 13. Jahrh. angehörende altenglische Epos von Alexander (in H. Webers „Metrical Romances“, Bd. 1, Edinb. 1810) auf der Kallisthenes-Überlieferung (s. oben). Diese hat auch in der entschiedensten Weise auf den Orient gewirkt, ist jedoch hier ohne Zweifel mit besondern nationalen (gewiß persischen und jüdischen) Sagen und freien Erfindungen durchsetzt worden. Die Perser nehmen hier die erste Stelle ein. Schon Firdusi hat die Sage in sehr bestimmter Gestalt; unter den spätern Bearbeitern ragt besonders Nizami hervor (vgl. Bacher, Nizamis Leben und Werke und der 2. Teil des Nizamischen Alexanderbuchs, Leipz. 1872). Von den Persern gelangten Stoff und Gestaltung der Sage zu andern Mohammedanern, welche Alexander unter dem Dsulkarnein, d. h. dem „Zweigehörnten“ des Korans, verstehen, besonders zu Türken und Hindu, welch letztere in älterer Zeit merkwürdigerweise keine Erinnerung an Alexander bewahrt haben (vgl. Spiegel, Die A. bei den Orientalen, Leipz. 1851).