MKL1888:Abzahlungsgeschäfte

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Abzahlungsgeschäfte“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 23
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Abzahlungsgeschäfte. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 2–3. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Abzahlungsgesch%C3%A4fte (Version vom 23.01.2023)

[2] Abzahlungsgeschäfte.[WS 1] Die Bewegung gegen die sogen. A. hat seit unserm letzten Bericht (Bd. 17) bedeutende Fortschritte gemacht. Es hat sich in der öffentlichen Meinung allmählich die Überzeugung durchgerungen, daß das Abzahlungssystem zwar eine an sich berechtigte und für die mittellosen Klassen manche Vorteile darbietende Verkehrsform ist, daß dasselbe aber auch Übelstände mit sich bringt, welche ein Einschreiten seitens der Gesetzgebung dringend erheischen. Im Deutschen Reich steht noch immer der Eigentumsvorbehalt im Vordergrunde des Interesses. Von der einen Seite wird auf seine Unentbehrlichkeit hingewiesen, die eine Folge des bei uns herrschenden Grundsatzes sei, daß ein Pfandrecht an Mobilien nur durch Besitzübertragung begründet werden könne, daß also der Pfandberechtigte die bewegliche Sache innehaben müsse. Der Ratenhändler wolle sich sichern, der Käufer wolle die gekaufte Sache für seinen Haushalt oder für seinen Erwerb benutzen, wie könne man also bei den gegenwärtigen Rechtsgrundsätzen dem Willen beider Teile anders gerecht werden, als durch Zulassung des Eigentumsvorbehalts? Von der andern Seite werden die Nachteile betont, die mit dem Eigentumsvorbehalt in Verbindung stehen. Die Geschäftsleute, die mit dem Abzahlungskäufer in Verbindung stehen, könnten es den in seinem Besitz befindlichen Gegenständen, Maschinen etc. nicht ansehen, daß sie unter Vorbehalt des Eigentums angekauft seien. Hole dann der Abzahlungshändler bei drohendem Bankrott seines Schuldners sein Eigentum zurück, so hätten die übrigen Gläubiger das Nachsehen. Ein Hohn auf alle Billigkeitsgrundsätze aber sei die sogen. Verfallklausel, wonach der Ratenhändler, wenn er auf Grund des Eigentumsvorbehalts dem Käufer die Sache wegnehme, sämtliche von letzterm gezahlten Raten für sich behalten dürfe. Es verlautete, daß in dem Gesetzentwurf, welchen die Reichsregierung auf Grund der Handelskammerberichte aus den Jahren 1886 und 1887 sowie der von den Einzelregierungen gepflogenen Erhebungen dem Reichstag vorzulegen beabsichtigt, die Frage der Verfallklausel dahin entschieden werde, daß der Verkäufer bei Wegnahme der Ware gezwungen werde, die gezahlten Raten abzüglich einer mäßigen Entschädigung für Zins und Abnutzung dem Käufer auszuhändigen. Über den sonstigen Inhalt des Gesetzentwurfs, der übrigens erst in seinen Grundsätzen fertig gestellt, nicht dagegen auch redaktionell ausgearbeitet sein soll, ist dagegen nichts bekannt geworden. Im September 1891 hat sich auch der deutsche Juristentag und zwar dessen erste Sektion mit den Abzahlungsgeschäften befaßt. Vorbereitet waren die Verhandlungen durch zwei Gutachten des Professor Heck-Greifswald und des Justizrat Wilke-Berlin, von denen namentlich das erstere bemerkenswert ist, unter anderm deshalb, weil es einen vollständig ausgearbeiteten Gesetzentwurf betr. die A. enthält. Von den Referenten hielt der eine, Landrichter Dove-Frankfurt a. M., die Frage noch nicht für spruchreif. Man müsse sich bei der Regelung derselben vor zwei Fehlern hüten, davor, unserm Rechtssystem Gewalt anzuthun, und davor, es dem Bären gleich zu thun, der den schlafenden Herrn bewacht und, um die stets wiederkehrende Fliege zu verscheuchen, zu dem Felsblock greift, mit dem er den Schädel des Schlafenden zerschmettert. Der Korreferent, Justizrat Makower-Berlin, empfahl das Verbot der Verfallklausel mit den oben angegebenen Modifikationen. Die Sektion beschloß mit großer Mehrheit, die Frage der A. als noch nicht spruchreif bis zur nächsten Session des Juristentags zu vertagen.

Zu positivern Ergebnissen führte die österreichische Agitation. Dort hatten die niederösterreichischen Bezirksgerichte auf Anregung der Wiener Handelskammer die bei der Judikatur gemachten Erfahrungen in einem Bericht niedergelegt, welcher ein klares Bild von den beim österreichischen Ratenhandel in die Erscheinung tretenden Mißständen bietet. Auch im österreichischen Abgeordnetenhaus kam die Frage der A. wiederholt zur Sprache, wesentlich in einem für die letztern ungünstigen Sinne. Die Regierung hielt denn auch mit Maßregeln gegen den Ratenhandel nicht länger zurück. Sie legte 16. April 1890 dem Reichsrat einen Gesetzentwurf betreffend die „Veräußerung beweglicher Sachen gegen Ratenzahlung“ vor und wiederholte, nachdem jener aufgelöst worden war, dem neugewählten Reichsrat gegenüber die Vorlage mit einigen Abänderungen (Frühjahr 1891). Der Schwerpunkt des Gesetzentwurfs liegt im § 7, dessen erster Absatz lautet: „Wer bei Veräußerung beweglicher Sachen gegen Ratenzahlung den Leichtsinn, die Verstandesschwäche oder Unerfahrenheit des Erwerbers dadurch ausbeutet, daß er diesen zu Anschaffungen beredet, welche den wirtschaftlichen Verhältnissen desselben offenbar nicht entsprechen, oder daß er sich oder einem Dritten Gegenleistungen versprechen oder gewähren läßt, welche den Wert der veräußerten Sache maßlos übersteigen, macht sich, wenn er solche Geschäfte gewerbsmäßig betreibt, eines Vergehens schuldig und wird mit strengem Arrest in der Dauer von einem Monat bis zu einem Jahr und mit Geld von 100–2000 Gulden bestraft. Auch kann auf Konzessionsentziehung erkannt werden.“ Die Ähnlichkeit mit dem sogen. Wucherparagraphen springt ins Auge. Man hat daher mit Recht in dem § 7 des Entwurfs eine Ausdehnung des Wucherstrafrechts auf den Warenkreditwucher erblickt. Eine solche erscheint aber auch nötig, wenn man den Mißständen des Ratenhandels radikal entgegentreten will. Daß die im § 7 unter Strafe gestellten Thatumstände leider häufig genug vorkommen, haben die Erhebungen, namentlich die oben erwähnte der niederösterreichischen Gerichte, dargethan. Nächst dem § 7 verdient der § 5 die größte Beachtung. Derselbe verbietet das „Hausieren auf Abzahlung“ und läßt die Verwendung von Reisenden und Agenten im Ratenhandel nur bei solchen Gegenständen zu, welche „zum Geschäftsbetrieb oder überhaupt dem wirtschaftlichen Bedarf des Erwerbers der Sache dienen“. Als Gegensatz hierzu sind wohl Luxusgegenstände gemeint. Dieser Bestimmung liegt die Erfahrung zu Grunde, daß die Reisenden und Agenten der A. auf alle erdenkliche Weise, oft unter Anwendung betrügerischer Vorspiegelungen, das Publikum, namentlich auf dem Lande, zur Eingehung eines Ratengeschäfts zu überreden suchten. Die übrigen Bestimmungen betreffen hauptsächlich den Inhalt der Verträge, welche jeder Abzahlungskäufer unterschreiben muß (in Österreich Ratenschein oder Ratenbrief genannt), indem insbesondere die Aufnahme gewisser Klauseln in dieselben verboten wird. Es hat sich nämlich anläßlich der Erhebungen herausgestellt, daß die schriftliche Vertragsfassung, welche eine technische Notwendigkeit des Ratenhandels ist, von den Händlern dazu ausgenutzt wird, um die rechtliche Lage der meist in dieser Richtung unerfahrenen Käufer möglichst zu verschlechtern. Zu den beim Ratenhandel [3] nach dem Entwurf von 1891 zu verbietenden Vertragsbestimmungen gehört (im Gegensatz zu dem von 1890) auch die Festsetzung einer Konventionalstrafe, so daß es dem österreichischen Ratenhändler, wenn der Entwurf Gesetzeskraft erlangt, unmöglich sein dürfte, die im Deutschen Reich die Gemüter so sehr beunruhigende „Verfallklausel“ in den Vertrag aufzunehmen. Vgl. Cohen, Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Abzahlungsgeschäfts (Leipz. 1891); Hausmann, Die Veräußerung beweglicher Sachen gegen Ratenzahlung (das sogen. Abzahlungsgeschäft) nach dem Preuß. Allg. Landrecht und dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich (Berl. 1891); van der Borght, Zur Reform des Abzahlungsgeschäftes („Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik“, 1891); Höhne, Die gesetzliche Regelung der Raten- und A. (Berl. 1891); Lichtenthal, Das Ratenzahlungssystem, zur Widerlegung der Angriffe etc. (das. 1891).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Siehe auch Korrespondenzblatt zum elften Band, Seite 1025–1027.