Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Äolipīle“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 667
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Äolipīle. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 667. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:%C3%84olip%C4%ABle (Version vom 23.05.2023)

[667] Äolipīle (Aeoli pila, Äolusball), ein von Heron von Alexandria in seiner Schrift „Pneumatica“ oder „Spiritualia“ um 120 v. Chr. beschriebener Apparat, der älteste, durch welchen mittels der Kraft des Dampfes eine kontinuierliche und noch dazu eine direkt rotierende Bewegung erzielt wird. Diese Ä.

Fig. 1.
Herons Äolipile.

(Fig. 1) war eine hohle Metallkugel, die sich zwischen zwei Zapfen drehen konnte und eine oder mehrere diametral auslaufende Röhren hatte. Die Röhren waren an ihren Enden verschlossen, aber nahe denselben mit einer Seitenöffnung versehen, deren Achse horizontal gerichtet war, und deren Ebene mit der Umdrehungsachse des Apparats zusammenfiel. Wurde diese Kugel, teilweise mit Wasser gefüllt, über ein Feuer gebracht, so bewirkte die Reaktion des mit Heftigkeit aus den Seitenöffnungen horizontal ausströmenden Dampfes, daß sie mehr oder minder geschwind, je nach der Spannung und Quantität des Dampfes, sich drehte. Die horizontale Drehung kann durch einige Zahnräder sehr leicht in die vertikale umgesetzt und auf ein paar Räder übertragen werden, auf welchen das Gerüst der verschiedenen Teile ruht. Man erhält dadurch eine höchst einfach konstruierte Lokomotive, die sich mit ziemlicher Geschwindigkeit bewegt. Im Prinzip stimmt die Ä. mit den Reaktionswasserrädern (s. Turbine) überein; sie eignet sich jedoch nicht für die praktische Anwendung, da sie zu schwerfällig werden würde, wenn sie einigermaßen beträchtliche Quantitäten Wasser enthalten sollte. Überdies läßt sich die Dampfkraft nur zum geringsten Teil ausbeuten, wenn sie durch Reaktion wirkt. Ein Körper nimmt die lebendige Kraft einer ausströmenden Flüssigkeit nur dann vollständig durch Reaktion auf, wenn er sich in entgegengesetzter Richtung mit gleicher Geschwindigkeit bewegt, so daß also dadurch die wirkliche Geschwindigkeit der Flüssigkeit gleich Null wird. Nun ist aber die Geschwindigkeit, mit welcher der Dampf aus einem Kessel in die freie Luft entströmt, eine ganz ausnehmend große, und kein Bewegungsmechanismus würde auch nur annähernd dieselbe erreichen können. Daher kommt es, daß der aus der Reaktionsröhre der Ä. strömende Dampf noch den größten Teil seiner lebendigen Kraft besitzt; an eine durch Expansionswirkung gewonnene Mehrleistung des Dampfes läßt sich dabei gar nicht denken.

Fig. 2.
Äolipile-Gebläselampe.

Ä. heißt auch eine Gebläse- oder Lötrohrlampe, bei welcher ausströmender Spiritusdampf eine lange und heiße Flamme gibt. Dieser Apparat (Fig. 2) besteht aus einer gewöhnlichen Spirituslampe mit massivem Docht, über welcher auf einem einfachen Gestell ein metallenes Gefäß angebracht ist. Ein Metallrohr geht von der obern Wandung dieses sonst allseitig geschlossenen Gefäßes aus und biegt sich so nach der Flamme hin, daß es dieselbe in horizontaler Richtung trifft. Füllt man nun etwas Spiritus in das Gefäß und zündet die Lampe an, so wird der erzeugte Spiritusdampf alsbald mit großer Heftigkeit ausströmen und einen großen horizontalen Flammenkegel geben, in welchem Glas schnell erweicht und Schmelzungen, Glühungen etc. leicht ausgeführt werden können.